Lämmergeier, der mit seinen Flügelschlägen den kriechenden Wurm mit seinen Flügelschlägen in den Abgrund schleudern wollte, um ihn zur künftigen Nahrung in Aas zu verwandeln. Onkel hatte nur für die Gemse, die jenseits der Kluft mit ihrem Zicklein sichtbar wurde, Augen. Rudi verließ den Vogel mit keinem Blicke, verstand, was er wollte, und behielt deshalb die Hand am Drücker, um schnell feuern zu können. Da setzte die Gemse zum Sprunge an, Onkel schoß, und das Tier war von der tödlichen Kugel getroffen, während das Zicklein, das ein ganzes Leben in Flucht und Gefahr zugebracht hatte, in weiten Sätzen entsprang. Der ungeheure Vogel, vom Knalle erschreckt, schlug eine andere Richtung ein, Onkel wusste nichts von der Gefahr, in der er geschwebt hatte, hörte sie erst von Rudi.
Als sie sich jetzt in bester Stimmung auf den Weg machten und Onkel ein Lied aus seinen Knabenjahren pfiff, erschallte auf einmal ein eigentümlicher Laut in nicht allzu weiter Ferne. Sie schauten nach allen Seiten, sie schauten aufwärts, und dort in der Höhe, auf dem schrägen Felsenabsatz, erhob sich die Schneedecke, es wogte, wie wenn der Wind unter ein ausgebreitetes Stück Leinwand fährt. Die hochgehobenen Wogen brachen plötzlich in sich zusammen und lösten sich in scheinbar schäumende Wasserstrudel auf, die prasselnd wie gedämpftes Donnergeroll hinabstürzten. Es war eine Lawine, die hinabfiel, nicht über Rudi und seinen Onkel, aber nahe, nur allzu nahe neben ihnen.
»Halte dich fest, Rudi!« reif er. »Fest, aus allen Kräften!«
Rudi umklammerte den nächsten Baum, Onkel kletterte über ihn in die Zweige des Baumes hinauf und hielt sich fest, während die Lawine viele Meter von ihnen entfernt hinabrollte; aber der durch sie erregte Sturm, der Wirbelwind, der sie begleitet, knickte und brach ringsum Bäume und Büsche, als wären sie dürre Rohrstengel und warf sie weit umher. Rudi wurde zu Boden geschmettert; der Baumstamm, an dem er sich hielt, war wie zersägt, und die Krone ein weites Stück fortgeschleudert. Zwischen den zerknickten Zweigen lag mit zerschmettertem Haupte der Onkel, seine Hand war noch warm, aber sein Gesicht nicht zu erkennen. Bleich und zitternd stand Rudi da; es war der erste Schreck in seinem Leben, das erste Gefühl von Furcht, das er empfand.
Mit der Todesbotschaft kam er spät am Abend nach Hause, wo nun die Trauer einzog. Wortlos, tränenlos stand die Gattin da, und erst als die Leiche gebracht wurde, kam der Schmerz zum Ausbruch. Der arme Kretin kroch in sein Bett, man sah ihn den ganzen Tag nicht. Gegen Abend kam er zu Rudi.