»Reiche mir deine Hand, damit ich die beim Steigen helfen kann!« sagte das Mädchen und berührte sie mit eiskalten Fingern.
»Du mir helfen!« rief Rudi. »Noch nie bedurfte ich Weiberhilfe zum Klettern!« Er ging rascher zu, fort von ihr. Das Schneegestöber hüllte ihn gleichsam in einen Vorhang ein, der Wind sauste, und hinter sich hörte er, wie das Mädchen lachte und sang. Es klang so seltsam. Es gab soviel Zauberspuk im Dienste der Eisjungfrau. Rudi hatte davon gehört, wie er als Kind auf seiner Wanderung über die Berge hier oben übernachtete.
Der Schnee fiel dünner, die Wolken lagen unter ihm. Er schaute zurück, und niemand war mehr zu sehen, aber erhörte Lachen und Jodeln, und es tönte nicht, als ob es von einem Menschen herrührte.
Als Rudi endlich die obersten Gipfel des Berges erreichte, wo sich der Gebirgspfad nach dem Rhonetale abwärts senkte, erblickte er in dem hellen blauen Luftstreifen, in der Richtung auf Chamonix, zwei funkelnde Sterne, und er dachte an Babette, an sich und sein Glück, und wurde bei den Gedanken warm. 6. Der Besuch in der Mühle
»Sachen, wie sie sich für Herrschaften passen, bringst du in das Haus!« rief die alte Pflegemutter, und ihre sonderbaren Adleraugen blitzten, sie bewegte den mageren Hals noch geschwinder in seltsamen Verdrehungen. »Das Glück ist mit dir, Rudi! Ich muß dich küssen, mein süßer Junge!«
Und Rudi ließ sich küssen, aber es war seinem Gesicht anzusehen, dass er sich in die Umstände, in die kleinen häuslichen Beschwerden nur mit Mühe fand. »Wie schön du bist, Rudi!« sagte die alte Frau.
»Bilde mir nichts ein!« versetzte Rudi lachend, aber es war ihm doch angenehm.
»Ich sage es noch einmal«, fuhr die Alte fort, »Das Glück ist mit dir!2
»Ja, darin schenke ich dir Glauben!« antwortete er und dachte an Babetten.
Nie hatte er sich vorher so wie jetzt nach dem tiefen Tale gesehnt.
»Sie müssen jetzt zurückgekommen sein!« sagte er bei sich selbst. »Es sind schon zwei Tage über die festgesetzte Zeit. Ich muß nach Bex!«
Und Rudi kam nach Bex, und Müllers waren daheim. Gut wurde er aufgenommen und empfing Grüße von der Familie in Interlaken. Babette sprach nicht viel, sie war schweigsam geworden, aber ihre Augen sprachen, und das war auch Rudi völlig genug. Der Müller, der sonst gerne das Wort führte, denn er war gewöhnt, daß man seine Einfälle und