Bernard Bosanquet (1848 – 1923)

Der Philosoph Bernard Bosanquet ist eine Vertreter des absoluten Idealismus. Er arbeitete in den meisten philosophischen Disziplinen, ist vor allem aber für die Erkenntnistheorie, die Metaphysik, die Ästhetik und die politische Philosophie von Interesse.

Die zentrale These von Bosanquet ist, dass Wissen und Realität ein einzelnes Ganzes sind. Diese These konkretisiert er für die Philosophie, die Wissenschaft, die Moralität, die Kunst, die Religion, das soziale und das politische Leben, die er als verschiedene Erfahrungsmodi (modes of experience) betrachtet.

Unser Wissen ist immer ein Teil der Erfahrung (experience), der auf eine bestimmte Weise (wissenschaftlich, ästhteisch, religiös) vorgestellt wird. Die Urteile (z. B. von Wissenschaft und Religion) können in Konflikt geraten. Was wir als Teile erfahren, ist in der Realität verbunden und konstituiert ein Ganzes. Unser Wissen ist damit partiell, inkonsistent und unvollständig. Daher ist es auch nicht völlig wahr. Wir versuchen es zu vereinheitlichen.

Vollständiges Wissen, das er als die Wahrheit betrachtet, ist umfassend (comprehensive) und systematisch. Es ist ein alles einschließendes, selbstkonsistentes und kohärentes Ganzes, das Absolute.

Der Wille der Gemeinschaft setzt sich bei Bosanquet aus den Willen der einzelnen ebenso zusammen, wir die Erkenntnisse der Gemeinschaft aus den Erkenntnissen der Einzelnen. Damit ist bei Bosanquet auch der Wille Gegenstand von Kohärenzabwägungen, was für eine heutige Kohärenztheorie durchaus studierenswert ist.

Das Absolute ist nicht transzendent, d. h. nicht in einer anderen Welt, sondern immanent in der unsrigen. Einzelne Teile des Ganzen, z. B. ein Tier, eine Person, ein künstlerisches Werk sind nicht vollständig real. Nur das Ganze, von dem sie ein Teil sind ist real. Damit sind individuelle Personen unvollständig und nicht so real wie Gemeinschaften zu denen sie gehören. Diese Gemeinschaften sind selbst nicht vollständig real.

Seine politische Philosophie entwickelt Bosanquet vor allem in seinem Werk The Philosophical Theory of the State. Daneben schrieb er zu dieser Problematik zahlreiche Artikel.

Jede Person ist eine besondere Modifikation des sozialen Ganzen. Dieser Ansatz widerspricht dem Individualismus von Bentham, Mill und Spencer. Die Individuen sind durch gemeinsame Ideen und ihre Teilnahme an Institutionen verbunden. Als Ganzes haben sie zusammen einen allgemeinen Willen (general will), der realer ist als der besondere Wille des Einzelnen. Ihre Freiheit besteht darin in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Willen, repräsentiert durch die Gesetze und die staatlichen Praktiken, zu handeln. Bosanquet kann die verschiedenen Stufen und Arten von Gruppen (Familie, Berufe, Gewerkschaften, Kirche …) berücksichtigen. Er kann zeigen wie sie zusammenwirken, in Widerspruch geraten und durch den souveränen Staat Interessenkonflikte gelöst werden.

Diese Position ist offen für pluralistische Argumente, die Bosanquet später in seine Theorie eingebaut hat.

Auch religiöse Überzeugungen können nach Bosanquet inkohärent oder falsch sein. Deshalb muss der Leser, so in What Relgion is, beim Lesen der Bibel lernen, sie zu interpretieren. Die religiösen Überzeugungen sind nach Bosanquet keine Überzeugungen von übernatürlichen Dingen, sondern Überzeugungen vom alltäglichen Leben. Ganz analog zu seiner Erkenntnistheorie unterscheidet Bosanquet religiöse Überzeugungen von einzelnen Personen von der Religion, von der religiösen Überzeugung als Ganzes, die er religiöses Bewußtsein (religious consciousness) nennt.