Der König von Apemama

So gehorcht alles auf der Insel, selbst die Priester der Götter, dem Worte Tembinok’s. Er kann geben und nehmen, er kann töten und die Bedenken der Gewissenhaften zerstreuen, er kann offenbar alle Dinge tun, abgesehen von einer Einmischung in die Zubereitungsart einer Schildkröte. »Ich Macht haben!« ist sein Lieblingsspruch, er kehrt in seinen Reden immer wieder, der Gedanke verfolgt ihn und ist immer wieder neu, und wenn er Fragen stellt und nachdenkt über ferne Länder, blickt er lächelnd auf und erinnert daran: »Ich Macht haben!« Aber nicht der Besitz der Macht allein erfreut ihn, sondern die Anwendung, die krummen Pfade und die Gewalttätigkeit des Königsberufes entzücken ihn wie einen starken Mann ein Wettrennen oder wie einen Künstler seine Kunst. Seine Macht zu fühlen und sie zu gebrauchen, die Insel und das Bild des Insellebens nach seinem eigensten Ideal zu verschönen, die Einwohner kräftig zu schröpfen, sein einzigartiges Museum auszugestalten: das alles beschäftigt die Summe seiner Fähigkeiten und erfreut ihn. Niemals sah ich einen Menschen, der sich zu seinem Beruf vollkommener eignete.

Man sollte vermuten, daß sich diese Monarchie durch Generationen uneingeschränkt vererbt habe, aber das Gegenteil ist der Fall: sie stammt von gestern. Ich war schon ein Schulknabe, als Apemama noch republikanisch war, beherrscht von dem lärmenden Rat der Altmänner, von unaufhörlichen Fehden beunruhigt. Und Tembinok‘ ist kein Bourbone, eher der Sohn eines Napoleon. Selbstverständlich entstammt er einer alten Familie. Niemand kann auf den Inseln des Pazifischen Ozeans hohen Zielen nachjagen, wenn sein Stammbaum nicht alt und in den höheren Regionen sogar mythisch ist. Unser König zählt Verwandte in fast allen größeren Familien des Archipels und führt seine Abstammung zurück auf einen Hai und eine heldenhafte Frau. Von einem Orakel geleitet, schwamm sie ins Meer hinaus, außer Sicht, um sich mit ihrem furchtbaren Liebhaber zu treffen, und empfing auf See den Samen einer Familie, die zu großen Dingen bestimmt sein sollte. »Ich denken, Lüge«, so lautet des Königs lebhafter Kommentar, aber er ist stolz auf die Legende. Von diesem großartigen Beginn an muß das Glück der Sippe allmählich gesunken sein, und Tenkoriti, der Großvater Tembinok’s, war Häuptling eines Dorfes im Norden der Insel. Kuria und Aranuka waren noch unabhängig, Apemama selbst der Schauplatz verheerender Fehden. Durch diese unruhige Zeit der Geschichte schreitet denkwürdig die Gestalt Tenkoritis. Im Kriege war er rasch entschlossen und blutdürstig, mehrere Städte verfielen seinen Speeren, und die Eingeborenen wurden bis auf den letzten Mann hingeschlachtet. Im Privatleben war seine Arroganz unerhört. Wenn der Rat der Altmänner versammelt war, ging er zum Sprechhaus, tat seine Ansicht kund und ging fort, ohne die Antwort abzuwarten. Die Weisheit hatte gesprochen: mochten die anderen in ihrer Torheit denken, was sie wollten. Er war gefürchtet und gehaßt, und das bereitete ihm Vergnügen. Er war kein Dichter, er kümmerte sich nicht um Kunst und Wissenschaft. »Mein Großvater wissen eine Sache, wissen Kampf«, sagte der König. Als ihre eigenen Händel eine Weile schliefen, beschlossen die Altmänner von Apemama, sich die ganze Insel zu unterwerfen, und dieser rauhe Cajus Marius wurde zum General der vereinigten Truppen erwählt. Ihm war Erfolg beschieden, die Inseln wurden erobert, und Tenkoriti kehrte siegreich und verhaßt zu seiner eigenen Regierung zurück. Er starb 1860 im siebzigsten Jahre seines Lebens und in der Vollblüte seiner Unbeliebtheit. Er war groß und hager, so erzählt sein Enkel, sah außerordentlich bejahrt aus, aber »gehen wie junger Mann«. Derselbe Augenzeuge berichtete mir eine sehr bezeichnende Tatsache. Die überlebenden jener wilden Zeit waren alle von Speernarben entstellt – am Körper dieses hervorragenden Kämpfers war keine. »Ich alten Mann gesehen, haben kein Speer«, sagte der König. Tenkoriti hinterließ zwei Söhne, Tembaitake und Tembinatake. Tembaitake, der Vater unseres Königs, war klein, ziemlich dick, ein Dichter, ein guter Genealoge und auch ein einigermaßen guter Kämpfer. Es scheint, daß er sich selbst ernst nahm und vielleicht kaum wußte, daß er in jeder Beziehung geschröpft wurde und Spielball seines Bruders war. Zwischen beiden war nicht der Schatten eines Zwistes: der größere Mann füllte heiter und zufrieden den zweiten Platz aus, stand im Kriege an der Spitze und verwaltete im Frieden alle Hauptämter. Wenn sein Bruder ihn tadelte, hörte er zu und blickte schweigend zu Boden. Gleich Tenkoriti war er groß und hager und ein geschickter Sprecher – eine seltene Gabe auf den Inseln. Er war in jeder Beziehung durchgebildet, verstand die Zauberei, war der beste Stammbaumkenner seiner Zeit, war Dichter, konnte tanzen, Kanus und Waffen anfertigen, und der berühmteste Mast von Apemama, der um einen Baum höher ist als der Hauptmast eines Vollschiffes, ist von ihm geplant und entworfen. »Mein Onkel, wenn machen Krieg, er lachen«, sagte Tembinok‘. Er verbot die Anwendung von Feldbefestigungen, die die Streitigkeiten unter den Eingeborenen verlängerten; seine Leute mußten in offener Feldschlacht kämpfen und sofort gewinnen oder verlieren. Seine eigene Kühnheit trieb seine Gefolgschaft an, und die Schnelligkeit seiner Angriffe schlug innerhalb eines Menschenalters den Widerstand dreier Inseln nieder. Er machte seinen Bruder zum Herrscher und ließ seinen Neffen als Diktator zurück. »Mein Onkel alles glattmachen,« sagte Tembinok‘, »ich mehr König als mein Vata, ich Macht haben!« fügte er mit entsetzlicher Genugtuung hinzu.

Das ist das Porträt des Onkels, wie der Neffe es zeichnete. Ich kann ihm ein anderes entgegenstellen, das von einem anderen Künstler stammt, der mich oft – ich kann wohl sagen immer – durch die romantische Art seiner Erzählungen, aber nicht immer – und ich kann sagen, nicht oft – durch Zuverlässigkeit entzückte. Ich habe mir bereits die Wiedergabe so mancher höchst interessanter Einzelheit, die auf dieselbe Quelle zurückgeht, versagt, daß es vielleicht an der Zeit ist, mein gutes Benehmen zu belohnen. Sein Bericht über Tembinatake stimmt mit dem des Königs so genau überein, daß er, wie ich hoffe, den Tatsachen entspricht und nicht, wie ich argwöhne, ein heiteres Spinnen von Seemannsgarn ist. A., denn so will ich ihn lieber nennen, ging auf der Insel nach Hereinbruch der Dämmerung spazieren, als er zu einem hell erleuchteten, ziemlich großen Dorf kam, zum Hause des Häuptlings geführt wurde und bat, verweilen und eine Pfeife rauchen zu dürfen. »Du dich setzen, eine Pfeife rauchen und waschen und essen und schlafen,« erwiderte der Häuptling, »und morgen du wieder gehen«. Speisen wurden gebracht, Gebete wurden gesprochen – denn es war in den kurzen Tagen des Christentums –, und der Häuptling selbst betete mit beredten Worten und offenbarem Ernst. Den ganzen Abend saß A. am Feuer und bewunderte den Mann. Er war sechs Fuß hoch, hager, schien sehr alt zu sein und hatte das Aussehen eines Mannes von außergewöhnlicher Rassigkeit und Geisteskraft. »Er sah aus wie ein Mann, der lachend töten könnte«, sagte A. in bemerkenswerter Übereinstimmung mit den Aussagen des Königs. Und weiter: »Ich hatte gerade das Buch von den Drei Musketieren gelesen, und er erinnerte mich an Aramis.« Das ist das Porträt Tembinatakes, wie es ein erfahrener Romancier entwirft.

Wir hatten viele Geschichten gehört von »mein Vata«, niemals ein Wort von »mein Onkel«, bis zwei Tage bevor wir die Insel verließen. Als die Zeit unserer Abreise herankam, änderte sich Tembinok‘ außerordentlich. Ein sanfterer, melancholischerer und besonders ein vertrauensseligerer Mann zeigte sich statt seiner. Meiner Frau versuchte er mit größter Deutlichkeit klarzumachen, daß er zwar gewußt habe, er müsse seinen Vater nach dem natürlichen Lauf der Dinge verlieren, daß er es aber nicht bedacht und wirklich empfunden habe, bevor der Augenblick wirklich gekommen sei, und daß er jetzt diese Erfahrung von neuem mache, da er uns verlieren solle. Eines Abends machten wir Feuerwerk auf der Terrasse. Es war eine traurige Angelegenheit, das Vorgefühl der Trennung lag auf allen Gemütern, das Gespräch stockte. Der König war besonders mitgenommen, er saß trostlos auf seiner Matte und seufzte oft. Plötzlich kam eine seiner Frauen aus dem Dunkel hervor, kam näher und küßte ihn schweigend, um schweigend wieder zurückzugehen. Es war eine Liebkosung, wie man sie etwa einem traurigen Kind zuteil werden läßt, und der König nahm sie entgegen mit kindlicher Einfalt. Bald darauf wünschten wir gute Nacht und zogen uns zurück, aber Tembinok‘ hielt Mr. Osbourne fest, klopfte auf die Matte an seiner Seite und sagte: »Euch setzen, ich schlecht fühlen, ich sprechen wollen.« Osbourne setzte sich zu ihm. »Ihr wollen Bier?« sagte er, und eine der Frauen brachte eine Flasche. Der König trank nicht mit, sondern saß seufzend und eine Meerschaumpfeife rauchend da. »Ich sehr traurig, ihr gehen«, sagte er schließlich. »Miß Stevens er guter Mann, Frau er guter Mann, Diener er guter Mann. Frau er geschickt wie Mann. Meine Frau« – er sah zu seinen Frauen hinüber – »er gute Frau, nicht sehr geschickt. Ich glauben, Miß Stevens er großer Häuptling wie Käpp’n von Kriegsschiff. Ich glauben Miß Stevens er reicher Mann wie ich. Alle gehen Schoner. Ich sehr traurig. Mein Vata, er gehen, mein Onkel, er gehen, meine Vetter er gehen, Miß Stevens er gehen: alle gehen. Ihr nicht sehen vorher König weinen. König doch Mann: schlecht fühlen, er weinen. Ich sehr traurig.«

Am nächsten Morgen lief das Gerücht durch das ganze Dorf, der König habe geweint. Zu mir sagte er: »Gestern abend ich nicht können sprechen: zuviel hier!« und er legte die Hand auf seine Brust. »Nun Ihr gehen weg wie meine Familie. Meine Brüder, mein Onkel gehen weg. Ganz dasselbe.« Er sagte das mit einer leidenschaftlichen Niedergeschlagenheit. Und zum erstenmal hörte ich ihn nun seinen Onkel erwähnen oder überhaupt das Wort gebrauchen. Am selben Tage sandte er mir als Geschenk zwei Brustschilder, nach Inselart hergestellt aus geflochtenen Fasern, schwer und stark. Eins hatte Tenkoriti und das andere Tembaitake getragen, und da die Gabe dankend angenommen wurde, sandte er mir nach Rückkehr seiner Boten ein drittes, das Tembinatakes. Meine Neugier wurde rege, ich bat um Aufklärung über die drei Träger, und der König erzählte wohlgefällig die schon berichteten Einzelheiten. Sonderbar war es, daß er, der soviel von seiner Familie erzählt hatte, bisher niemals den Verwandten erwähnt hatte, auf den er offenbar am stolzesten war. Ja, noch mehr: er hatte sich bisher seines Vaters gerühmt, von nun an hatte er aber wenig über ihn zu sagen, und die Eigenschaften, derentwegen er ihn in der Vergangenheit gepriesen hatte, wurden nun dem zugeschrieben, der sie wirklich besessen hatte – dem Onkel. Unter Insulanern, die alle Söhne ihres Großvaters mit demselben Namen »Vater« bezeichnen, kann natürlich leicht Verwirrung entstehen. Bei Tembinok‘ war das aber nicht der Fall. Das Eis war jetzt gebrochen, das Wort Onkel war ununterbrochen in seinem Munde, er, der die beiden stets absichtlich verwechselt hatte, unterschied jetzt sehr sorgfältig. So wurde aus dem Vater allmählich ein selbstgefälliger, gewöhnlicher Mann, während der Onkel zu seiner wahren Größe heranwuchs als Held und Gründer des Geschlechts.

Je mehr ich hörte, und je eingehender ich nachdachte, desto mehr schien mir das Benehmen Tembinok’s rätselhaft und interessant. Und als die Erklärung kam, war sie so eigenartig, daß sie die Phantasie eines Dramatikers reizen konnte. Tembinok‘ hatte zwei Brüder. Einer wurde bei einem privaten Handelsgeschäft überrascht und verbannt, dann begnadigt und lebt bis heute auf der Insel. Er ist der Vater des Thronfolgers Paul. Der andere machte sich so schuldig, daß er keine Vergebung erlangen konnte. Ich hörte, es sei eine Liebesgeschichte gewesen mit einer der Frauen des Königs, und die Sache ist in diesem romantischen Archipel höchstwahrscheinlich richtig. Man versuchte einen Krieg anzuzetteln, aber Tembinok‘ war zu rasch für die Rebellen, und der schuldige Bruder floh in einem Kanu. Er ging nicht allein. Tembinatake war in die Verschwörung verwickelt, und der Mann, der für einen schwächlichen Bruder ein Königreich errichtet hatte, wurde vom Sohn dieses Bruders verbannt. Die Flüchtlinge landeten an den Küsten anderer Inseln, aber Tembinok‘ weiß bis heute nichts von ihrem Schicksal.

Soweit geht die Geschichte. Und nun wollen wir versuchen, zu kombinieren. Tembinok‘ verwechselte nicht nur regelmäßig die Titel und Verdienste seines Vaters und seines Onkels, sondern auch ihre verschiedene persönliche Erscheinung. Bevor er Tembinatake jemals erwähnt hatte oder daran dachte, ihn zu erwähnen, hatte er mir oft von einem großen, hageren Vater erzählt, der kriegstüchtig und sein eigener Lehrmeister in der Geschlechterkunde und den Inselkünsten war. Sollten vielleicht beide seine Väter gewesen sein, der eine der natürliche und der andere der Adoptivvater? Sollte der Erbe Tembaitakes, genau wie der Erbe von Tembinok‘ selbst, nicht ein Sohn, sondern ein Adoptivneffe sein? Sollte der Gründer der Monarchie, als er für seine Brüder arbeitete, gleichzeitig für das Kind seiner Lenden gewirkt haben? Sollten beim Tode Tembaitakes die zwei stärkeren Naturen, Vater und Sohn, König und Königmacher, zusammengeprallt sein, und sollte Tembinok‘, als er den Onkel vertrieb, den Urheber seines Daseins vertrieben haben? Hier ist vielleicht eine Tragödie von ungeheurer Größe.

Der König fuhr uns in seinem eigenen Boot an Bord, feierlich bekleidet mit der Marineuniform, er hatte wenig zu sagen, wies Erfrischungen zurück, schüttelte uns kurz die Hand und fuhr wieder an Land. In jener Nacht waren die Palmgipfel von Apemama hinter dem Meere untergetaucht, und der Schoner segelte einsam unter den Sternen.