Geschichte eines Tabus (Fortsetzung)

Dienstag, den 16. Juli. Es regnete in der Nacht plötzlich und laut nach Gilbertinselart. Vor Tagesanbruch weckte mich ein Hahnenschrei, und ich wanderte über unser Gelände auf die Straße. Das Unwetter war vorüber, der Mond schien in unvergleichlichem Glanz, die Luft lag totenstill wie in einem geschlossenen Raum, und doch hallte die ganze Insel wider, als wenn starke Regenschauer niedergingen. Es plätscherte in Strömen von den Dächern, und in längeren Zwischenräumen fielen Tropfen laut hörbar von den hohen Palmen. In diesem starken Licht der Nacht lag das Innere der Häuser unkenntlich wie eine schwarze Masse, wenn der Mond nicht unter das Dach glitt, seine Silberstreifen zog und schräge Säulenschatten auf den Boden warf. Nirgends in der Stadt sah man Lampen oder glühende Asche, kein Mensch rührte sich, ich glaubte, ich sei allein wach, aber die Polizei tat treulich ihre Pflicht, wachte insgeheim und zählte die Stunden. Ein wenig später schlug der Wächter langsam und mehrere Male die Glocke der Kathedrale: vier Uhr, der Weckruf. Sonderbar, daß in einer Stadt, die sich der Trunkenheit und dem Aufruhr ergeben hatte, die Abend- und Morgenglocke noch ertönte und beachtet wurde.

Der Morgen kam und brachte wenig Veränderung. Der Ort lag noch still da, das Volk schlief, die Stadt schlief. Selbst diejenigen, die wach waren, meistens Frauen und Kinder, hielten Ruhe und blieben unter dem dunklen Schatten der Strohhütte, so daß man stehenbleiben und angestrengt hinsehen mußte, um sie zu erkennen. Durch die einsamen Straßen und vorbei an den schlafenden Häusern zog in früher Stunde eine Deputation zum Palast, der König wurde plötzlich geweckt und mußte, wahrscheinlich mit Kopfschmerzen, unangenehmen Wahrheiten lauschen. Mrs. Rick, die die schwierige Landessprache genügend beherrschte, war die Sprecherin, sie erklärte dem kranken Monarchen, daß ich ein intimer persönlicher Freund der Königin Viktoria sei, daß ich ihr sofort nach meiner Rückkehr Bericht erstatten würde über Butaritari und daß, wenn mein Haus noch einmal von Eingeborenen überfallen würde, ein Kriegsschiff abgeschickt werde, um Repressalien zu ergreifen. Das waren nun kaum Tatsachen, sondern gerechtfertigte und notwendige Umschreibungen, zugeschnitten auf unseren Breitengrad, und sie machten sichtlich Eindruck auf den König. Er war sehr betroffen und sagte, er habe wohl gehört, ich sei ein Mann von einiger Bedeutung, aber er habe sich nicht träumen lassen, daß es so schlimm stehe. Und so wurde das Haus des Missionars bei einer Strafe von fünfzig Dollar mit dem Tabu belegt.

Das erzählte man uns nach der Rückkehr der Deputation, nichts weiter, und ich schloß daraus, daß sich viel mehr zugetragen hatte. Der erlangte Schutz war willkommen; es war höchst lästig und die unangenehmste Aufregung des gestrigen Tages gewesen, daß sich unser Haus von Zeit zu Zeit mit betrunkenen Eingeborenen füllte, zwanzig oder dreißig zu gleicher Zeit, die um Alkohol baten, unser Eigentum betasteten, schwer wieder loszuwerden waren, und mit denen man sich nicht gern herumstritt. Der Freund der Königin Viktoria, der bald zu ihrem Sohn erhoben werden sollte, war gegen alle Belästigungen geschützt. Nicht nur mein Haus, sondern auch die Nachbarschaft wurde in Ruhe gelassen, selbst auf unseren Spaziergängen wurden wir bewacht, man räumte uns alles Unangenehme aus dem Wege, und wir sahen nur Schönes, wie Leute, die ein Krankenhaus besuchen. Ungefähr acht Tage lang ließ man uns so aus und ein gehen und wie in einem Narrenparadies leben, indem man uns glauben machte, der König habe sein Wort gehalten, das Tabu sei wieder aufgerichtet und die Insel wieder nüchtern.

Dienstag, den 23. Juli. Wir aßen in einer offenen Drahtumzäunung, die für den vierten Juli errichtet worden war, zu Mittag, und hier pflegten wir auch bei Lampenlicht, Kaffee und Tabak auszuruhen. In diesen Zonen senkt sich der Abend herab ohne fühlbare Abkühlung, der Wind legt sich vor Sonnenuntergang, der Himmel erglüht eine Weile, wird blasser und dunkelt zu der Bläue der tropischen Nacht herab. Rasch und unmerkbar verstärken sich die Schatten, die Sterne vervielfachen sich, man blickt um sich, und der Tag ist vorüber. Dann pflegte unser chinesischer Koch quer über den Platz herbeizukommen in einem Strahlenkranz von Licht, den sein Schatten zerteilte, und wenn die Lampe auf dem Tisch stand, war ringsumher tiefe Nacht. Die Gesichter unserer Gesellschaft und die Drähte der Laube hoben sich leuchtend ab von einem Hintergrund aus Blau und Silber, auf dem Palmwipfel und spitze Hausdächer sich matt abzeichneten. Hier und da glänzte ein schimmerndes Blatt oder eine Steinkante vereinzelt auf. Sonst war alles versunken. Wir hingen wie die Milchstraße im Leeren, wir saßen vor aller Welt blind da inmitten der Dunkelheit, die alles verhüllte, und unsichtbar schlichen auf leisen Sohlen und mit gedämpften Stimmen die Insulaner im Sand der Straße herbei, um uns zu beobachten.

Am Dienstag, als die Dunkelheit hereingebrochen und die Lampe gerade gebracht worden war, traf ein Wurfgeschoß mit hartem Schlag den Tisch, prallte zurück und flog dicht an meinem Ohr vorbei. Drei Zoll mehr seitwärts, und diese Zeilen wären niemals geschrieben worden, denn das Ding sauste wie eine Kanonenkugel. Man vermutete, es sei eine Kokosnuß, obgleich ich schon damals glaubte, sie sei doch zu klein und sehr sonderbar gefallen.

Mittwoch, den 24. Juli. Wieder war die Dunkelheit hereingebrochen und die Lampe gerade gebracht, als sich dieselbe Geschichte wiederholte. Wieder flog der Gegenstand hart an meinem Ohr vorbei. Eine Nuß hatte ich willig hingenommen, eine zweite wies ich energisch zurück. Eine Kokosnuß fliegt nicht schräg herab an einem windstillen Abend und nicht in einem Winkel von fünfzehn Grad zum Horizont; Kokosnüsse fallen auch nicht an aufeinanderfolgenden Nächten zur selben Stunde und am selben Ort wieder. In beiden Fällen schien auch ein ganz besonderer Augenblick gewählt worden zu sein, nämlich der, als gerade die Lampe herausgetragen war; eine ganz besondere Person wurde bedroht, und zwar das Haupt der Familie. Ich glaubte, mit Recht oder Unrecht, man wollte mich einschüchtern, das Wurfgeschoß sei ein Stein, der geschleudert wurde, nicht um mich zu treffen, sondern um mich zu erschrecken.

Es gibt nichts, was einen Mann in größere Wut versetzen könnte, ich rannte auf den Weg, wo die Eingeborenen wie gewöhnlich in der Dunkelheit spazierengingen, Maka schloß sich mir mit einer Laterne an, ich lief von einem zum andern, starrte in ganz unschuldige Gesichter, stellte unnütze Fragen und stieß nutzlose Drohungen aus, dann trug ich meine Wut, die des Sohnes irgendeiner historischen Königin würdig war, zu den Ricks. Sie hörten mich niedergeschlagen an, versicherten mir, daß der Streich, einen Stein in eine Familienmahlzeit hineinzuschleudern, nicht neu sei, daß Unheil drohe, und daß man die Erregung der Eingeborenen daraus erkennen könne. Und dann kam die Wahrheit, die uns solange verheimlicht wurde, ans Licht. Der König hatte sein Versprechen gebrochen, er hatte die Deputation getauscht, das Tabu war noch nicht wieder aufgerichtet, » The Land we live in« verkaufe immer noch Alkohol, und jener Stadtteil drüben sei durch Unruhen und Streitereien immer noch bedroht. Aber Schlimmeres stand bevor: ein Festmahl war für den Geburtstag der kleinen Prinzessin in Vorbereitung, und die tributpflichtigen Häuptlinge von Kuma und Klein-Makin wurden jeden Tag erwartet. Ihre Gefolgschaft war zahlreich und ziemlich wild, beide waren wie ein Douglas der Urzeit von zweifelhafter Loyalität. Kuma, ein kleiner dickbäuchiger Bursche, besuchte niemals den Palast, betrat nie die Stadt, sondern saß am Strand auf einer Matte, sein Gewehr über die Knie gelegt, um sein Mißtrauen und seine Verachtung öffentlich kundzutun. Karaiti von Makin, der allerdings kühner war, hielt man nicht für freundlicher gesinnt, und nicht nur diese Vasallen waren eifersüchtig auf den Herrscher, sondern auch ihre Anhänger auf beiden Seiten teilten den Haß. Schon hatten Reibereien stattgefunden, und Schläge waren ausgeteilt, die jeden Augenblick durch Blutvergießen heimgezahlt werden konnten. Einige Fremdlinge waren schon eingetroffen und bereits betrunken. Wenn das Gelage fortgesetzt wurde, nachdem der ganze Haufe hier war, mußte man einen Zusammenstoß und vielleicht eine Revolution befürchten.

Der Verkauf von Alkohol auf dieser Inselgruppe ist eine Folge der Eifersüchteleien verschiedener Händler. Einer macht den Anfang, die andern sind gezwungen mitzutun, und wer den meisten Gin hat und ihn am rücksichtslosesten verkauft, dem wird der Löwenanteil an der Kopraernte zugesichert. Alle empfinden, daß dies Mittel äußerst gewagt und keineswegs sicher, anständig und würdig ist. Ein Händler auf Tarawa, durch starke Konkurrenz erregt, brachte viele Kasten Gin herbei und erzählte mir, daß er nachher Tag und Nacht in seinem Haus gesessen habe, bis alles ausgetrunken sei, denn er habe nicht gewagt, den Verkauf einzustellen oder fortzugehen, weil der ganze Busch ringsumher voll lärmender Trunkenbolde gewesen sei. Besonders in der Nacht, wenn er vor Angst nicht schlafen konnte und überall Schüsse und Rufe in der Dunkelheit hörte, habe er die heftigsten Gewissensbisse gehabt.

»Mein Gott,« überlegte er sich, »wenn ich mein Leben wegen eines so verruchten Geschäftes verlieren sollte!« Immer wieder haben sich in der Geschichte der Gilbertinseln solche Szenen wiederholt, der reuige Händler saß bei der Lampe, sehnte den Tag herbei, horchte unter Todesangst auf Geräusche, die einen Mord ankündigen konnten, und faßte gute Vorsätze für die Zukunft, denn das Geschäft ist leicht begonnen, aber gefährlich zu enden. Die Eingeborenen sind in ihrer Art gerecht und gesetzestreu, bezahlen ihre Schulden und folgen den Vorschriften ihrer eigenen Sitten. Wenn das Tabu wiederhergestellt ist, hören sie auf zu trinken, aber der Weiße, der sich der Bewegung entgegenstemmen will, indem er den Verkauf von Alkohol verweigert, tut es auf eigene Gefahr.

Daraus war bis zu einem gewissen Grade die Angst und Hilflosigkeit Mr. Ricks zu erklären. Er und Tom hatten, alarmiert durch die Schlägerei in der Bar Sanssouci, den Verkauf eingestellt, und zwar ohne Gefahr, weil » The Land we live in« noch mit dem Ausschank fortfuhr. Man behauptete außerdem, sie hätten zuerst damit begonnen. Welche Schritte konnten unternommen werden? Konnte Mr. Rick Mr. Müller, mit dem er schlecht stand, aufsuchen und zu ihm sprechen: »Ich hatte einen Vorsprung vor dir, jetzt bist du mir voraus, und ich bitte dich, auf deinen Gewinn zu verzichten. Ich habe meine Schenke in aller Sicherheit geschlossen, weil du noch weiterverkaufst, aber jetzt glaube ich, hast du lange genug damit fortgefahren. Ich werde unruhig, und weil ich Angst habe, bitte ich dich, eine bestimmte Gefahr zu laufen!«? Daran war nicht zu denken. Man mußte irgend etwas anderes ausfindig machen, und nur eine einzige Person am einen Ende der Stadt war wenigstens nicht interessiert am Koprahandel. Sonst war eigentlich wenig zu meinen Gunsten als Abgesandter zu sagen. Ich war im Wightman-Schoner angekommen, ich lebte auf dem Wightman-Grundstück, ich war täglich mit den Wightmanleuten zusammen. Es war unerhört genug, daß ich mich nun unaufgefordert in die Privatangelegenheiten des Crawfordagenten einmischen und ihn drängen wollte, seine Interessen zu opfern und sein Leben aufs Spiel zu setzen. So schlecht der Ausweg war, so gab es doch keinen anderen, und da ich außerdem seit dem Vorfall mit dem Stein begierig war, irgend etwas zu unternehmen, so reizte mich der Gedanke an ein so heikles Gespräch, und ich glaubte, es sei eine gute Taktik, mich draußen zu zeigen.

Die Nacht war sehr dunkel, in der Kirche war Gottesdienst, und das Gebäude schimmerte aus allen Spalten wie eine düstere schottische Kirche. Ich sah sehr wenig andere Lichter, aber vernahm das undeutliche Geräusch von vielen Menschen, die in der Dunkelheit unterwegs waren, und das dumpfe Murmeln leiser Unterhaltungen, die geheimnisvoll klangen. Ich glaube, daß ich mich oft umwandte, als ich vorwärts schritt. Die Bar Müllers war nur teilweise erleuchtet und ganz ruhig. Die Pforte war verschlossen. Ich konnte den Riegel mit dem besten Willen nicht entfernen: kein Wunder, denn ich stellte nachher fest, daß er vier oder fünf Fuß lang sei wie bei einer Festung. Als ich noch daran zerrte, kam ein Hund aus dem Hause gelaufen und schnappte verdächtig nach meinen Händen, so daß ich gezwungen war zu rufen: »Heda! Ihr Leute im Hause!« Mr. Müller kam herbei und steckte sein Kinn in der Dunkelheit durch die Latten. »Wer ist dort?« fragte er in einem Ton, der Fremde nicht gerade willkommen hieß.

»Mein Name ist Stevenson«, sagte ich.

»Oh, Mr. Stevenson, ich habe Sie nicht erkannt, kommen Sie herein.«

Wir traten in den dunklen Laden, wo ich mich gegen den Tisch lehnte und er sich gegen die Wand. Alles Licht kam aus dem Schlafzimmer, wo die Familie soeben zu Bett gebracht wurde. Es fiel mir gerade ins Gesicht, während Mr. Müller im Schatten stand. Ohne Zweifel erriet er das, was kommen sollte, und suchte sich vorteilhaft zu stellen, aber für einen Mann, der jemand überzeugen will und nichts zu verbergen hat, war mein Standort der bessere. »Hören Sie zu,« begann ich, »man sagt mir, daß Sie den Eingeborenen Alkohol verkaufen.«

»Andere haben vor mir dasselbe getan«, entgegnete er scharf.

»Sicher,« sagte ich, »und ich habe nichts mit der Vergangenheit zu tun, sondern nur mit der Zukunft. Ich wünsche, daß Sie mir versprechen, die Spirituosen mit größter Vorsicht auszugeben.«

»Aus welchem Grunde?« fragte er und fügte spöttisch hinzu: »Fürchten Sie für Ihr Leben?«

»Das gehört nicht zur Sache«, erwiderte ich. »Sie wissen so gut wie ich, daß diese Spirituosen nicht verkauft werden sollten.«

»Tom und Mr. Rick haben sie zuerst verkauft!«

»Ich habe mit Tom und Mr. Rick nichts zu tun, aber soviel ich weiß, verweigern sie den Verkauf.«

»Ich will Ihnen glauben, daß Sie nichts mit ihnen zu tun haben. Dann fürchten Sie also für Ihr Leben!«

»Lassen Sie das jetzt!« rief ich, vielleicht ein wenig gereizt. »Sie wissen selbst sehr genau, daß mein Verlangen vernünftig ist. Ich erwarte nicht, daß Sie auf Ihren Gewinn verzichten, obgleich es mir besser scheint, es würden überhaupt keine Spirituosen hierhergebracht.«

»Ich sage nicht, daß ich anderer Meinung bin. Ich habe nicht angefangen«, unterbrach er mich.

»Ich behaupte das ja auch nicht,« sagte ich, »und ich verlange nicht von Ihnen, daß Sie sich Verluste zufügen. Ich bitte Sie nur, mir von Mann zu Mann Ihr Wort zu geben, daß Sie keinen Eingeborenen betrunken machen wollen.«

Bis jetzt hatte Mr. Müller eine Haltung angenommen, die mich sehr ärgerte, aber sie fiel ihm schwer, da er gefühlsmäßig ganz auf meiner Seite stand, und nun verschlechterte er seine Position. »Ich verkaufe ja nicht«, sagte er.

»Nein,« stimmte ich ihm zu, »jener Schwarze tut’s, er kauft und verkauft für Sie, Sie haben ihn in Ihrer Gewalt, und ich bitte Sie – ich habe meine Frau hier – Ihre Autorität zu gebrauchen.«

Rasch machte er wieder die alten Ausflüchte. »Ich leugne nicht, daß ich es könnte, wenn ich wollte,« sagte er, »aber es besteht keine Gefahr, die Eingeborenen sind alle ruhig, Sie haben nur Sorge um Ihr Leben.«

Ich liebe es nicht, ein Feigling genannt zu werden, wenn auch nur andeutungsweise, und nun verlor ich meine Selbstbeherrschung und stellte ihm zu früh mein Ultimatum.

»Sprechen Sie sich klar aus«, rief ich. »Weigern Sie sich, meine Bitte zu erfüllen?«

»Weder weigere ich mich, noch gebe ich nach«, antwortete er.

»Sie werden sich bald überzeugen, daß Sie das eine oder andere zu tun haben, und zwar sofort!« rief ich aus und fuhr fort, indem ich einen leichteren Ton anschlug: »Sehen Sie, Sie sind im Grunde ein guter Mensch. Ich weiß, woran Sie sich stoßen, Sie glauben, daß ich zum gegnerischen Lager gehöre. Ich sehe, Sie sind ein anständiger Kerl, und Sie wissen genau, daß ich recht habe.«

Wieder wechselte er die Stellung. »Wenn die Eingeborenen begonnen haben zu trinken, ist es nicht klug, sie zu stören«, warf er ein.

»Ich übernehme die Verantwortung für die Bar«, sagte ich. »Wir sind drei Männer mit vier Revolvern, wir kommen sofort, wenn Sie uns rufen, und halten den Platz gegen das ganze Dorf.«

»Sie wissen nicht, was Sie sagen, es ist zu gefährlich!« rief er aus.

»Sehen Sie,« sagte ich, »mir liegt nicht viel daran, mein Leben zu verlieren, von dem Sie soviel sprechen, aber ich wünsche es so hinzugeben, wie es mir paßt, nämlich dadurch, daß ich dieser ganzen Bestialität ein Ende mache.«

Er redete eine Weile über seine Pflichten gegenüber der Firma, aber ich beachtete es nicht und war meines Sieges sicher. Er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, sich zu ergeben, und blickte um sich, um irgend etwas zu finden, was die Spannung lösen könne. Im Lichtschein, der vom Schlafzimmer aus hereindrang, sah ich eine Zigarrenspitze auf dem Tisch liegen. »Sie hat eine schöne Farbe«, sagte ich.

»Wünschen Sie eine Zigarre?« fragte er.

Ich nahm sie und hielt sie hoch, ohne sie anzuzünden. »Geben Sie mir jetzt Ihr Versprechen!« sagte ich.

»Ich verspreche Ihnen, daß Sie nicht durch Eingeborene belästigt werden sollen, die in meiner Bar getrunken haben«, antwortete er.

»Das ist alles, um was ich bitte«, sagte ich, und bewies gleich, daß es nicht alles sei, indem ich sofort bat, einmal seine Vorräte kosten zu dürfen. Soweit unsere Unterredung kritisch gewesen war, war sie nun abgeschlossen. Mr. Müller betrachtete mich jetzt nicht mehr als einen Abgesandten seiner Konkurrenten, verzichtete auf die abwehrende Haltung und sprach so, wie es ihm ums Herz war. Ich stellte fest, daß er den Verkauf bereits eingestellt hätte, wenn er es gewagt hätte. Um so mehr war ihm der Gedanke an eine Einmischung von einer Seite zuwider, die ihn nach seinen eigenen Angaben verführt und dann im Stich gelassen hatte; die andern waren jetzt in Sicherheit und wollten ihn zu einer gefährlichen Handlung verleiten, durch die sie alles gewinnen und er alles verlieren konnte. Ich fragte ihn, was er von den Gefahren hielte, die die Zecherei im Gefolge haben könne.

»Schlimmeres als Sie«, antwortete er. »Die ganze Nacht haben sie ringsumher geschossen, und die Kugeleinschläge habe ich auch gehört. Ich sagte zu mir: ›Das ist fatal!‹ Was mich wundert, ist, daß Sie auf Ihrem Ende der Stadt sich aufregen. Ich wäre der erste, der dran glauben müßte.«

Seine Verwunderung war unüberlegt. Der Trost, der zweite zu sein, ist nicht groß; die Tatsache, nicht die Reihenfolge des Dranglaubenmüssens interessierte uns.

Scott spricht bescheiden davon, daß man dem Augenblick des Kampfes entgegenblicke »mit einem Gefühl, das der Freude ähnelt«. Diese Ähnlichkeit scheint eher eine Übereinstimmung zu sein. Im modernen Leben gibt es keine langsame Fühlungnahme, man wird ungeduldig, wenn sich etwas langsam hinauszögert, und unser Blut ist erregt, wenn wir den Tatsachen gegenüberstehen und sogleich Vorteile erringen können, wir wollen auf die Probe gestellt werden und beweisen, was wir sind. Das traf jedenfalls auf meine Familie zu, die vor Freude zitterte beim Herannahen der Unruhen. Wir saßen bis tief in die Nacht hinein wie eine Schar Schuljungens, putzten die Revolver und spannen Pläne für den morgigen Tag, der ohne Zweifel aufregend und ereignisreich genug sein konnte. Die Altmänner sollten versammelt werden, um mir wegen der Tabufrage gegenübergestellt zu werden, Müller konnte uns jeden Augenblick rufen, um seine Bar zu besetzen, und wenn Müller versagen sollte, so beschlossen wir im Familienrat, wollten wir die Sache selbst in die Hand nehmen, » The Land we live in« vor die Mündung der Pistolen bringen und den vielsprachigen Williams nach unserer Pfeife tanzen lassen. Soweit ich mich unserer Stimmung erinnere, würde es dem Mulatten, glaube ich, nicht gut ergangen sein.

Mittwoch, den 24. Juli. Gut, daß diese Gewitterwolken sich still verzogen, wenn es auch eine Enttäuschung war. Ob die Altmänner die Unterredung mit dem Sohn der Königin Viktoria scheuten, ob Müller heimlich vermittelte, oder ob der Schritt erfolgte, weil der König sich fürchtete und das Fest herannahte: das Tabu war am frühen Morgen wieder verhängt. Keinen einzigen Tag zu früh, denn die Boote begannen in Scharen anzukommen, und die Stadt füllte sich mit den großen wilden Vasallen Karaitis.

Die Folgen hafteten den Händlern noch eine Weile im Gedächtnis. Unter Zustimmung aller Anwesenden verfaßte ich eine Petition an die Regierung der Vereinigten Staaten und erbat ein Gesetz gegen den Alkoholhandel auf den Gilbertinseln. Und auf allgemeines Verlangen fügte ich in meinem eigenen Namen einen kurzen Bericht über die letzten Ereignisse hinzu. Vergebliche Mühe, denn alles ruht wahrscheinlich ungelesen und vielleicht ungeöffnet in irgendeinem dunklen Winkel von Washington.

Sonntag, den 28. Juli. Dieser Tag brachte das Nachspiel zu den Zechereien. Der König und die Königin wohnten in europäischen Kleidern, gefolgt von der bewaffneten Garde, zum erstenmal dem Gottesdienst bei und hockten in zweifelhafter Würdigkeit hoch oben unter dem Faßreifen. Vor der Predigt kletterte Se. Majestät vom Thronsessel herunter, stand in schlaffer Haltung auf dem Kiesboden und schwor in einigen Worten dem Trunk ab. Die Königin folgte ihm mit einer noch kürzeren Formel. Alle Leute in der Kirche wurden darauf persönlich angeredet, jeder hielt die rechte Hand hoch, und die Sache war erledigt: Thron und Kirche waren wieder versöhnt.