Rund um unser Haus

Als wir den Palast verließen, waren wir immer noch Seefahrer, die zufällig an Land sind, aber innerhalb einer Stunde hatten wir unser Hab und Gut in einem der sechs Fremdenhäuser von Butaritari untergebracht, nämlich in dem, das gewöhnlich von Maka, dem hawaiischen Missionar, bewohnt wurde. Zwei Firmen von San Franzisko haben hier Niederlassungen, Messrs. Crawford und Messrs. Wightman Brothers, die erstere beim Palast mitten in der Stadt, die zweite am Nordeingang, jede mit einem Laden und einer Bar. Unser Haus stand auf dem Gelände von Wightman, zwischen dem Laden und der Bar, innerhalb einer Umzäunung. Auf der anderen Seite der Straße lagen Eingeborenenhäuser versteckt im Buschrand, und eine dichte grüne Mauer von Palmen hielt jeden Windhauch ab. Eine kleine sandige Bucht der Lagune schnitt hinten in das Grundstück ein, begrenzt von einem Pier mit einer Veranda, der Arbeit von Königinnenhänden. Zur Flutzeit segelten die Boote hier herein, um Ladungen in Empfang zu nehmen. War die Flut nicht hoch genug, so ankerten die Boote eine halbe Meile entfernt, und eine große Menge von Eingeborenen stieg die Piertreppen hinunter, schob sich über den Sand in Reihen und Gruppen, watete mit Koprasäcken bis zum Gürtel im Wasser und schlenderte zurück, um neue Lasten zu holen. Das Geheimnis des Koprahandels plagte mich, als ich dasaß und den Profit auf Treppe und Sand fallen sah.

Vor dem Hause strömte von kurz nach vier Uhr morgens bis neun Uhr abends das Stadtvolk ununterbrochen auf der Straße vorüber, Familien gingen zu den entfernten Gebieten der Insel, um auf ihren Ländereien Kopra zu ernten, Frauen wandten sich dem Busch zu, um Blumen für die Abendtoilette zu sammeln, und zweimal täglich gingen die Palmweinzapfer mit Messer und Schale ausgerüstet vorbei. Beim ersten Morgengrauen und dann wieder am Spätnachmittag bummelten sie vorüber, um zu ihrem Geschäft in den Baumwipfeln zu gelangen, bogen hier und da in den Busch ab und verschwanden vom Angesicht der Erde. Ungefähr um dieselbe Stunde, wenn die Flut in der Lagune nicht zu hoch steht, ist man wahrscheinlich auch selbst auf dem Marsch über die Insel zum Bad und betritt dicht auf ihren Fersen die Wege des Palmenhains. Obgleich die Sonne noch nicht aufgegangen ist, flackern im Osten schon Feuerbrände auf, und die gewaltigen Passatwolken erglühen und verkünden als Vorboten der Sonne den kommenden Tag. Die Brise strömt uns entgegen, hoch oben in den Palmenwipfeln, ihrem Spielzeug, ertönt lautes Rauschen; wohin man auch blickt, nirgendwo ist ein menschliches Wesen, nur die Erde und der rauschende Wald. Und über unserem Kopf ertönt im dichten Laubwerk der Gesang eines unsichtbaren Sängers, von fernher antwortet ein zweiter Baumgipfel, und noch weiter weg, im Herzen der Wälder, sitzt verborgen und schaukelnd ein dritter Minnesänger. So hocken überall auf der Insel in der Höhe die Palmweinzapfer, ihr Gewerbe führt sie auf die Gipfel, sie blicken rundum auf die See, halten Ausschau nach Schiffen und schmettern wie große Vögel ihre Gesänge in die Morgenfrühe. Sie singen mit einer gewissen Wollust und bacchantischen Fröhlichkeit. Volltönig und melodiös senkt sich plötzlich ihre Stimme von den Baumwipfeln nieder, woher sonst das Gezwitscher der Vögel dringt. Und doch sind diese Lieder keineswegs leichter Singsang, die Worte sind uralt, außer Gebrauch und heilig, wenige verstehen sie, vielleicht niemand vollkommen, aber es wurde allgemein angenommen, daß die Zapfer »beten, um guten Wein zu bekommen, und von ihren früheren Kriegen singen«. Das Gebet wird denn auch erhört, und wenn die Schale mit dem schäumenden Naß zu unserer Tür gebracht wird, ist es ein Getränk, an dem man sein Wohlgefallen haben kann. Den ganzen Vormittag kann man immer wieder kosten, es gärt, wird immer schärfer und wird zu einem neuen Getränk, das nicht weniger köstlich ist, aber im Laufe des Tages schreitet die Gärung rasch fort, und der Trank wird herbe; nach zwölf Stunden ist es Brothefe, nach zwei Tagen ein teuflisches Rauschgift, die Ursache von Verbrechen.

Die Menschen haben bemerkenswert arabische Gesichtszüge, tragen oft Bärte und Schnurrbärte, sind oft buntfarbig gekleidet, manche haben Arm- und Fußspangen, sie schreiten alle einher wie spanische Edelleute und erwidern den Gruß mit hochmütiger Miene. Die Dandies beiderlei Geschlechts tragen das Haar turbanartig zu krausem Wust gedreht, und ein spitzer Stab wird wie die Dolche der Japaner als Kamm benutzt und zierlich zwischen die Locken gesteckt. Die Frauen schauen unter ihrem Haarbüschel entzückend aus. Die Rasse kann sich mit den Tahitiern an Weibesschönheit nicht messen; ich bezweifle, ob der Durchschnitt groß ist, aber manche der niedlichsten Mädchen und eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe, waren Gilbertinerinnen. Butaritari ist als Handelszentrum der Gruppe europäisiert, der farbige Überwurf oder das weiße Hemdgewand werden allgemein getragen, das letztere abends; der Exporthut, beladen mit Blumen, Früchten und Bändern, ist bedauerlicherweise nicht unbekannt und die charakteristische Frauenkleidung der Gilbertinseln nicht mehr allgemein im Gebrauch. Das Ridi ist sein Name, ein entzückendes Schürzchen oder Gürtelchen aus den geräucherten Fasern der Kokospalmblätter, nicht unähnlich geteerten Stricken; das untere Ende erreicht knapp die Mitte des Schenkels, das obere ist so niedrig über die Hüfte gelegt, daß es kaum zu haften scheint. Ein Niesen, denkt man, müßte genügen, um die Dame ganz zu enthüllen. »Das gefährliche, haarbreite Ridi« war unsere Bezeichnung dafür, und in dem Streit über die Frauenkleidung gefällt es unglücklicherweise niemand: die Prüden verdammen es als ungenügend, die Leichtsinnigeren finden es nicht liebenswert genug. Aber wenn eine zierliche Gilbertinerin am vorteilhaftesten aussehen soll, muß sie dies »Gewand« tragen. Mit ihm allein und sonst nur nackt bewegt sie sich in unvergleichlicher Ungezwungenheit, Grazie und Lebendigkeit, die die Dichtung Mikronesiens rühmt. Steckt man sie in ein langes Gewand, so flieht die Charme, und sie rudert einher wie eine Engländerin. Zur Zeit der Abenddämmerung waren die Vorübergehenden immer prächtiger gekleidet. Die Männer strömten herbei in allen Farben des Regenbogens – oder wenigstens der öffentlichen Läden – und Männer und Frauen schmückten sich mit wohlriechenden frischen Blumen. Eine kleine weiße Blüte wird bevorzugt, bald wie zierliche Sterne einzeln in das Frauenhaar gesät, bald zu dichtem Kranz geflochten. Bei Hereinbruch der Nacht wurde die Menge auf den Straßen manchmal dichter, und das Stapfen und Schurren nackter Füße nahm kein Ende, die Spaziergänger waren meistens ernst, das Stillschweigen wurde nur manchmal unterbrochen von kichernden und hin und her huschenden jungen Mädchen, selbst die Kinder waren still. Um neun schlug von der Kathedrale die Schlafglocke, und das Leben in der Stadt hatte ein Ende. Um vier am nächsten Morgen wird das Signal in der Dunkelheit wiederholt, und die unschuldigen Gefangenen werden in Freiheit gesetzt, aber sieben Stunden müssen alle im Hause weilen – ich wollte gerade sagen: hinter verschlossenen Türen, von einer Gegend, wo Türen und selbst Wände Ausnahmen sind –, sie müssen also wenigstens unter ihren luftigen Dächern verweilen oder sich unter zeltförmigen Moskitonetzen zusammenrollen. Wenn eine wichtige Botschaft übermittelt oder jemand auf die Reise geschickt werden soll, so muß der Bote sich der Polizei deutlich mit einem großen Feuerbrand von Kokosnußfasern ankündigen, das wie ein lebendiges Freudenfeuer die Häuser entlang flackert. Die Polizei selbst wandert im Dunkeln und späht in der Nacht aus nach Übeltätern. Ich haßte ihre heimtückische Anwesenheit; besonders ihr Hauptmann, ein gerissener alter Mann in weißer Kleidung, umschlich nachts meine Wohnung, so daß ich es fertiggebracht hätte, ihn zu verprügeln, aber der Kerl war ja vom Gesetz geschützt.

Keiner der elf Händler aus den Niederlassungen kam zur Stadt, kein Kapitän ging in der Lagune vor Anker, ohne daß wir sie innerhalb einer Stunde zu Gesicht bekamen. Das war zurückzuführen auf die Lage unseres Hauses zwischen dem Laden und der Bar Sanssouci, wie man sie nannte. Mr. Rick war nicht nur der Geschäftsführer von Messrs. Wightman, sondern auch Konsularagent für die Vereinigten Staaten, Mrs. Rick war die einzige weiße Frau auf der Insel und eine von den beiden einzigen im Archipel. Auch ihr Haus mit den kühlen Veranden, Bücherregalen und bequemen Möbeln hatte nicht seinesgleichen zwischen Jaluit und Honolulu. Jeder besuchte sie infolgedessen, außer denen, die sich nach Südseemanier herumstritten um den letzten Cent beim Koprahandel oder über irgendeine Differenz beim Geflügelkauf. Aber selbst diese wurden bald, wenn sie nicht von Norden erschienen, im Süden sichtbar, denn Sanssouci zog sie an wie mit Stricken. Auf einer Insel mit einer weißen Gesamtbevölkerung von zwölf Köpfen hätte man eine der beiden Schankstuben als überflüssig ansehen können, aber jeder Deckel paßt zu seinem Topf, und die beiden Lokale auf Butaritari sind in der Praxis für Kapitäne und Schiffsbesatzungen höchst angenehm: The Land we live in wird stillschweigend den Matrosen überlassen, Sanssouci gehört den Offizieren. So aristokratisch waren meine Gewohnheiten und so groß meine Furcht vor Mr. Williams, daß ich niemals die erstere Bar besuchte, aber in der anderen, dem Klublokal oder vielmehr dem Kasino der Insel, verbrachte ich regelmäßig meine Abende. Sie war klein, aber hübsch eingerichtet, und abends beim Lampenlicht funkelten die Gläser und strahlten die bunten Bilder wie ein Theater zur Weihnachtszeit. Die Bilder waren Plakate, das Glas schlecht genug, das Holz des Raumes von ungeschickter Hand zusammengefügt, aber das Ganze erschien auf dieser verwunschenen Insel wie unerhörter Luxus und unglaublicher Reichtum. Hier wurden Lieder gesungen, Geschichten erzählt, Kunststücke vorgeführt und Spiele gespielt. Ricks, wir, der Norweger Tom als Barkeeper, ein oder zwei Kapitäne von den Schiffen und die drei oder vier Handelsleute, die von abgelegenen Teilen der Insel in ihren Booten oder zu Fuß herbeigekommen waren, bildeten gewöhnlich die Gesellschaft. Die Händler, alle ehemalige Seeleute, sind komisch stolz auf ihren neuen Beruf. »Südseekaufleute« ist der Titel, den sie bevorzugen. »Wir sind alle Seeleute hier« – »Kaufleute, bitte« – »Südseekaufleute« – das war die Art der Unterhaltung, die sich endlos wiederholte, und die niemals ihren Reiz zu verlieren schien. Wir fanden sie immer schlicht, klug, heiter, tapfer und gefällig und erinnern uns von Zeit zu Zeit mit Vergnügen an diese Händler von Butaritari. Ein schwarzes Schaf war allerdings unter ihnen. Ich erzähle von ihm unter Angabe seines Wohnortes gegen meine sonstige Gepflogenheit, denn in diesem Falle habe ich keine Rücksicht zu nehmen; der Mann ist typisch für die Klasse der Schurken, die einstmals das ganze Gebiet der Südsee in Verruf brachten und noch heute auf den wenig besuchten Inseln von Mikronesien hausen. Man sagte von ihm im Hafen, daß er ein vollkommener Gentleman sei im nüchternen Zustande, aber ich habe ihn niemals anders als betrunken gesehen. Die wenigen unangenehmen und barbarischen Züge der Mikronesier hatte er mit der List eines Sammlers herausgefunden und sie tief in den Boden seiner ihm angeborenen Bosheit gepflanzt. Er hatte unter der Anklage eines verruchten Mordes gestanden, war freigesprochen worden und hatte sich der Tat seither immer großsprecherisch gerühmt, was mich vermuten läßt, daß er unschuldig war. Seine Tochter ist entstellt durch eine grausame Mißhandlung, die er versehentlich beging, denn er wollte seine Frau treffen und geriet in der Dunkelheit der Nacht und im Rausch des Kokosbrandys an das unrichtige Opfer. Die Frau floh und verbirgt sich seither im Busch bei den Eingeborenen, während der Gatte noch immer vor tauben Ohren ihre zwangsweise Rückkehr verlangt. Er kennt kein besseres Geschäft als Eingeborene betrunken zu machen, um ihnen dann die Summe der verwirkten Geldstrafe gegen Überlassung einer hohen Hypothek vorzuschießen. »Respekt vor den Weißen« ist sein ewiges Gerede: »Was dieser Insel fehlt, ist der Respekt vor den Weißen!« Auf seinem Wege nach Butaritari, wo ich mich damals aufhielt, fand er Spuren seiner Frau bei einigen Eingeborenen im Busch und machte einen Vorstoß, um sie gefangenzunehmen, worauf einer ihrer Begleiter ein Messer zog und der Gatte die Flucht ergriff. »Nennen Sie das den richtigen Respekt vor den Weißen?« rief er aus. Bald nachdem wir seine Bekanntschaft gemacht hatten, bewiesen wir unseren Respekt für diese Art von Weißen, indem wir ihm bei Todesstrafe das Betreten unseres Grundstückes verboten. Von nun ab lungerte er oft in der Nachbarschaft herum, möglicherweise mit Gefühlen des Neides oder Racheplänen, sein weißes hübsches Gesicht, das ich stets mit Verachtung sah, blickte uns über den Zaun zu allen Stunden des Tages an, und einmal rächte er sich, indem er uns eine niedrige Inselbeleidigung zurief, die uns keineswegs traf, aber seinen englischen Lippen unglaublich gemein stand.

Unser Gelände, das dieser Ausbund von Würdelosigkeit umwandelte, war ziemlich ausgedehnt. In einer Ecke war ein Gitterwerk mit einem langen Tisch aus rohem Holz, hier war vor einiger Zeit das Fest des vierten Juli mit seinen denkwürdigen Folgen, von denen wir noch berichten müssen, gefeiert worden, hier nahmen wir unsere Mahlzeiten ein, hier bewirteten wir den König und die Edlen von Makin mit einem Diner. In der Mitte stand das Haus mit Vorder- und Hinter- Veranda und drei Innenräumen. Auf der Veranda hängten wir unsere Kriegsschiffhängematten auf, dort arbeiteten wir tagsüber und schliefen wir nachts. Im Hause waren Betten, Stühle, ein runder Tisch, eine feine Hängelampe und Bilder der königlichen Familie von Hawaii. Das Bild der Königin Viktoria sagt nichts, aber die Gemälde von Kalakaua und Mrs. Bishop verraten allerlei, und wirklich waren wir heimliche Bewohner des Pfarrhauses. Am Tage unserer Ankunft war Maka abwesend, treulose Verwalter öffneten die Tore, und der liebenswürdige, sittenreine Mann, ein geschworener Feind von Alkohol und Tabak, fand bei der Rückkehr seine Veranda von Zigaretten bestreut und sein Wohnzimmer entwürdigt durch Flaschen. Er stellte nur eine Bedingung: auf den runden Tisch, den er zu Sakramentsfeiern benutzte, sollten wir keinen Alkohol setzen; in jeder anderen Beziehung beugte er sich vor den vollendeten Tatsachen, verweigerte die Annahme von Miete, zog sich in ein Eingeborenenhaus jenseits des Weges zurück und suchte die entlegensten Orte der Insel nach Lebensmitteln für uns ab, wobei er sein Boot selbst bediente. Er machte Schweine für uns ausfindig an geheimnisvollen Orten, denn man sah hier sonst überhaupt keine Schweine, er brachte uns Geflügel und Taro. Als wir dem Monarchen und dem Adel unser Festmahl gaben, besorgte er uns alles für die Tafel, überwachte die Kocherei, sprach das Gebet bei Tisch, und als auf das Wohl des Königs getrunken wurde, begann er mit einem englischen Hip-Hip-Hip das Hochrufen. Niemals hatte er eine glücklichere Eingebung, denn das Herz des verfetteten Königs schlug hoch in seiner Brust bei dem Ruf. Alles in allem hatte ich niemals ein liebenswürdigeres Wesen gesehen als diesen Pastor von Butaritari. Fröhlichkeit, Güte, edle und freundschaftliche Gefühle strahlten von diesem Manne aus in Rede und Geste. Er liebte es zu übertreiben, die Rolle des Augenblicks schauspielerisch zu gestalten, Lungen und Muskeln anzustrengen und mit seinem Körper zu reden und zu lachen. Er besaß die Morgenheiterkeit von Vögeln und gesunden Kindern, und sein Humor wirkte ansteckend. Wir waren allernächste Nachbarn und trafen uns täglich, aber unsere Begrüßungen dauerten minutenlang ohne Unterbrechung, wir schüttelten uns die Hände, klopften uns auf die Schultern, taten, als ob wir Seiltänzer und Hanswürste wären, und lachten, daß uns die Seiten weh taten über irgendeinen Witz, der kaum ein Kichern erregt hätte in einer Kinderschule. Es konnte fünf Uhr in der Frühe sein, die Palmweinzapfer waren soeben erst vorübergegangen, die Straße war leer, der Schatten der Insel erstreckte sich noch weit in die Lagune hinaus: aber diese Anregung stimmte mich den ganzen Tag hindurch fröhlich.

Trotzdem hatte ich Maka im Verdacht, daß er im geheimen melancholisch sei; dieses Höchstmaß von Frohsinn konnte kaum immer echt sein. Außerdem war er lang, hager, sein Gesicht war mit Runzeln und Furchen bedeckt, er war schon ein wenig ergraut, und seine Haltung am Sonntag war fast saturninisch. An diesem Tage gingen wir in Prozession zur Kirche oder, wie ich immer sagen muß, zur Kathedrale: Maka als dunkler Fleck in der heißen Landschaft in Zylinder, schwarzem Gehrock und schwarzen Hosen, unter dem Arm das Gesangbuch und die Bibel, seine Züge voll ehrwürdigem Ernst. Neben ihm Mary, sein Weib, eine ruhige, weise und ansehnliche ältere Dame, streng gekleidet; ich selbst folgte ihnen mit sonderbaren und lebhaften Gedanken. Lange Zeit vorher hatte ich unter Glockenklang, Flußrauschen und Vogelgesang Sonntag für Sonntag einen Geistlichen, in dessen Haus ich wohnte, durch ein grünes schottisches Tal begleitet, und tief berührten mich die Ähnlichkeiten, die Unterschiede und die große Zahl der Jahre und der Todesfälle. In der großen dämmerigen Palmholzkathedrale betrug die Zahl der Anwesenden selten mehr als dreißig, die Männer saßen auf der einen Seite, die Frauen auf der anderen, ich selbst ehrenhalber unter den Frauen, und da diese kleine Missionsgemeinde sich dicht um die Plattform scharte, fühlten wir uns winzig in dem runden Gewölbe. Die Texte wurden in Wechselrede gelesen, die Gemeinde wurde in der Kirchenlehre geprüft, ein blinder junger Mann wiederholte jede Woche eine große Anzahl von Psalmen. Hymnen wurden gesungen – ich habe niemals schlechter singen hören –, und dann folgte die Predigt. Zu sagen, daß ich nichts verstand, wäre eine Lüge. Gewisse Dinge hatte ich mit Gewißheit zu erwarten gelernt, die Namen Honolulu und Kalakaua, die Worte Cap’n-man-o’wa‘ und Schiff sowie die Beschreibung eines Sturmes auf hoher See kamen unfehlbar vor, und nicht selten wurde ich außerdem mit der Erwähnung meines eigenen Herrschers belohnt. Das übrige war Geräusch für meine Ohren und Schweigen für meinen Geist: immer größer wurde die Langeweile, unerträglich die Hitze, der harte Stuhl und der Blick durch die weit offenen Türen auf die glücklicheren Heiden im Grünen. Schlaf brütete in meinen Gliedern und Augen, Schlaf summte in meinen Ohren, er hatte die Herrschaft in der dämmerigen Kathedrale, die Versammelten drehten sich hin und her, streckten sich, stöhnten und grunzten laut, dehnten gähnend die Liedernoten: Laute, wie man sie manchmal von Hunden hört, wenn sie den Höhepunkt tragischer Bitternis und Langeweile erreicht haben. Vergebens schlug der Prediger auf den Tisch, vergebens rief er die Hörer einzeln beim Namen. Ich selbst war vielleicht ein wirksameres Reizmittel, und wenigstens einem alten Herrn bereitete der Anblick meines erfolgreichen Kampfes gegen den Schlaf – ich hoffe wenigstens, daß er erfolgreich war – einen heiteren Zeitvertreib. Wenn er nicht gerade Fliegen fing oder seinem Nachbarn einen Schabernack spielte, starrte er unverwandt und grausamen Blickes auf die einzelnen Stadien meiner Agonie, und einst, als sich der Gottesdienst seinem Ende näherte, zwinkerte er mir durch die Kirche hindurch zu.

Ich berichte lächelnd von diesem Gottesdienst, aber ich war immer anwesend, immer mit Hochachtung vor Maka, immer mit Bewunderung über seinen tiefen Ernst, seine flammende Energie, das Feuer seines begeisternden Auges und die bewegte Aufrichtigkeit seiner Rede. Ihm zuzusehen, wie er allwöchentlich ein totes Pferd peitschte und ein verloschenes Feuer anfachte, war stets eine Lehre der Stärke und Standhaftigkeit. Es ist fraglich, ob der Erfolg nicht größer gewesen wäre, wenn man die Mission besser unterstützt und ihn von geschäftlichen Belastungen befreit hätte. Ich selbst bin anderer Meinung und glaube, daß nicht Vernachlässigung, sondern Strenge seine Herde verringert hat, jene Strenge, die einstmals eine Revolution hervorrief, und die heute bei einem so lebensnahen und liebenswürdigen Mann den Betrachter in Erstaunen setzt. Kein Lied, kein Tanz, kein Tabak, kein Alkohol, keine Lebensfreude – nur Arbeit und Kirchenbesuch: das ist die Sprache seines Antlitzes, und das Antlitz ist das des polynesischen Esaus, aber die Stimme ist die Stimme eines Jakobs aus einer anderen Welt. Ein Polynesier ist im besten Falle eine höchst eigenartige Figur als Missionar auf den Gilbertinseln, denn er kommt aus einem Lande, das unkeusch in höchstem Maße ist, in Gegenden, die offensichtlich streng sittlich sind; er entstammt einem Volk, das von Gespensterfurcht besessen ist, und lebt unter Leuten, die verhältnismäßig kühn sind gegenüber den Schrecken der Nacht. Diese Gedankengänge drängten sich mir eines Morgens auf, als ich zufällig im Mondschein draußen war und die ganze Stadt im Dunkeln liegen sah, während am Bett des Missionars die treue Lampe brannte. Es bedarf keines Gesetzes, keines Feuers und keiner wachsamen Polizei, um Maka und seine Landsleute davon abzuhalten, während der Nacht ohne Laterne spazierenzugehen.