Drittes Abenteuer

Dieses Ereignis fällt in den Hochsommer.

Der Waldboden der Lichtungen hatte sich mit Weidenrosen, rot wie liebliche Frauenkleider, überwuchert.

Rübezahl trieb sich umher so recht wie einer, den die Julisonne nicht ruhen läßt.

Er rollte und rann, fauchte und tobte, pfiff und sang, tirilierte und wußte der lustigen Schwänke keine Grenzen.

Er kam unter dem Steingeröll hervor als braunkariertes Schlänglein, blickte mit tiefen Stecknadelaugen. Hatte dabei wohl eine blitzende Krone auf der flachen Schlangenstirn. Wand sich des Weges in Sonnenstrahlen. Schlang sich um Felsblöcke.

Und wenn ein Wandrer danach greifen oder gar schlagen wollte, wisperte das kleine Ding mit schwarzer Nadelzunge, als wenn es den ganzen Haß des menschlichen Störenfriedes sogleich damit aufspießen und durchlöchern könnte.

Mancher Roßtäuscher, der Koppelpferde von Prag die Bergwege nach Polen ritt, mußte auf der Hut sein vor seinen Streichen, die aus Boden oder Luft unerwartet aufwuchsen.

Der Herr der Berge kam auch wohl an solchem Sommertage auf seinem Bocke geritten, wild und mit Getöse, gleich wie ein ganzes Rudel fetter Sommerrehe kommt.

Und die Rosine Sender, die mit flatternden Röcken und aufgepluschtem Hemde, weil der Bergwind alles an ihr noch mehr aufblies, auf der einsamsten aller Bergwiesen stand und das lange Nadelgras samt den bunten Blumen in dünne Schwaden hinschnitt, hielt inne, wenn Gemecker hinter ihr hörbar wurde und die Steine aufsprangen. Sie wagte dann nicht, den Kopf zu drehen, weil sie genau wußte, daß der Meister Rübezahl mit einer Ritternase von einer halben Elle Länge hinter ihr vorbeistob.

Aber obzwar jede einsame Kuhmagd heimlich erbebte und sich nicht zu rühren gewagt, die vorher oben in der freien Sonnenhöhe ihr Lied geträllert: etwas Tolles hatte es dabei gewöhnlich doch gegeben. Und wenn es nur gewesen wäre, daß der vergnügte Bockreiter der Jungfrau mit der Sense einen verzwickten Ziegenbart an ihr sonnenbraunes Kinn angedreht.

Oder Rübezahl, der wie der Wind in Schluchten unten und oben in den Kammwiesen und an vielen Stellen zugleich wehen konnte. Auch auf den lichten, staubigen Landstraßen von Schmiedeberg nach den Grenzbauden. Oder im Dunkeltal, dessen Hütten jetzt sommerhell an den Hängen klebten. Rübezahl tollte in dieser Zeit als tanzendes oder widerwilliges Rad auf dem Wege nach Großaupa hinunter.

Tanzte, rollte, turkelte und lag. Erhob sich wieder, wenn der atemlose Rademacher es noch kaum zum Stehen gebracht. Ließ den Rademacher einherspringen. Oder lag plötzlich auch wieder als Zentnerlast am Wege und ging ebenso mir nichts dir nichts wie eine leichte Feder in die Lüfte fort.

Wenn so etwas geschah, wußte dann jeder Rademacher gleich, wer ihn an der Nase geführt. Und er wußte es auch, daß Fluchen und lästerliches Gerede die Sache nur schlimmer, nicht besser machte. Daß dann der Mensch nur stillhalten mußte, wenn er dabei auch seinen Atem aus dem Blasebalg beinahe ganz auspfiff. Da durfte keiner die Lammgeduld verlieren, wenn er nicht obendrein noch mit einem Ochsenkopfe statt seines eigenen in die Bergschenke eintreten, oder gar die Besinnung verlieren und unter einem stinkenden Ziegenkadaver auf einer Geröllhalde irgendwo sich wieder neu entdecken sollte.

So war es auch heute gegangen.

Rübezahl war im Tale gewesen.

Er hatte es umständlich erfahren, daß ein Troß hoher Herren im Gefolge des gräflichen Erbherren den schönsten Julitag nutzen wollte, um sich auf der höchsten Höhe über der Welt einmal richtig zu belustigen.

Damals hatte Rübezahl immer auch etwas zu streiten und zu hadern gegen die großen Herren, die ihm sein Revier von Jahr zu Jahr mehr und mehr zu beschränken suchten.

Deshalb stieg Rübezahl nicht etwa mit seinen langen Beinen selber wieder auf die Höhe zurück. Er war vornehm gelaunt. Er hatte sechs Isabellen aus den Lüften gerufen, um dem Erbherrn unten zu zeigen, daß auch er sich nicht weniger lumpen brauchte.

So fuhr er also mit sechs Edelpferden, hell wie die Sonne, mit blauen Schabracken und vergoldetem Lederzeug. Saß in der Kutsche. Lümmelte sich und lachte. Und strich seinen großen Försterbart.

Aber schon, wo der Weg in den Tabaksteig mündet, ärgerte ihn das Gerattere eines Topfwagens, den ein junges Gebirgsweib mit einem Hunde zusammen zu Tale zog. Und obzwar Rübezahl nicht gewillt war, dem versorgten, jungen Frauenzimmer Böses zu tun, da er es jetzt in Gedanken nur mit den hohen Edelherren zu tun hatte, so ließ er doch die Posaunensturmstimme einen Augenblick zornerregt aus der Höhe in die Töpfe blasen, so daß die junge Frau samt ihren Töpfen richtig ein Stück durch die Luft ging, und Töpfe und Teller wie beim Polterabend in tausend Scherben zerbrochen plötzlich am Wege lagen.

Das Weib stand freilich gleich danach wieder fest auf seinen Beinen. Aber mit jämmerlichem Geschrei. Nicht anders, als wenn der Satan selber ihr einen Possen getan. Erinnerte sich allerdings von ferne, daß sie grade vorher einen bösen, häßlichen Gedanken mit sich getragen.

Aber weil Rübezahl darin ein richtiger Weichquark war, daß er Jammergeschrei durchaus nicht ertragen, dann noch lieber den Schaden tragen wollte, hatte er dem Jungweibe seine Geldbörse aus seinem Wagen zugeworfen. Fuhr und fuhr den jähen Tabaksteig heilstoll hinauf. Landete an der Grenzschenke und machte da mit Wirt und Gesinde, mit der kleinen Kinderschar und Enten- und Gänse- und Hühnerschwärmen nicht viel Federlesens mehr, als wenn der Sturmwind sie alle in Ehrfurcht und Schrecken vor seiner Hoheit zu Paaren trieb.

Da sprang und wirbelte alles mit Käsen und Milchkannen, Rahmschüsseln und Schwarzbrot, mit Eiern und gebackenen Kuchen hin und her, als gälte es einen kleinen Herrgott selber eilig mit den schönsten Nährmitteln zu versehen.

Die sechs Isabellen standen vor dem Prunkwagen vor der Tür und scharrten.

Und man konnte denken, daß auch die gestiefelten Goldknechte, Diener und Pagen nur himmlisches Gesinde wären.

Es war Sommer.

Und sommers mußte auch der Rübezahl seinen Reisewagen schirren.

Rübezahl hatte natürlich bloß an ein flüchtiges Halten vor der Grenzschenke gedacht.

Ihn plagten längst allerhand andere Gedankenspäne. So daß er beim Verzehren des größten Eierkuchens in der Grenzschenke den Mund kaum auftat. Und daß er es nicht einmal fertigbrachte, seinen irdenen Teller in einen silbernen zu verwandeln. Und also der Teller halb noch im Irdenen steckenblieb. Bloß weil er es mitten im Tun schon vergaß, um zu tolleren Gedankenspielen überzuspringen.

Und dann war Rübezahl sogleich oben.

Oben am Rande des Koppenplanes.

Gar nicht mit Pferden.

Die Isabellen hatten gewartet wie genarrtes Brauervieh, wenn der Bierkutscher betrunken in der Kneipe lallt und duselt.

Sie standen und standen.

Und die gestiefelten Kutscher und Diener in Golddreß sahen und lachten einander nur an. Und gingen dann einfach in blauen Rauch auf.

Und der Wirt und die Wirtin sahen vor die Tür in den Sonnennebel, der fortflog. Bekreuzten sich. Und legten die Hand vor die großen Zähne. Denn sie begriffen den Zauber.

Rübezahl war glücklich an ihnen vorüber. Er hatte eine halbreife Kornähre mit vom Tale gebracht, mit der er beim Essen und während der Fahrt schon getändelt.

Nun fand sie die Wirtin noch auf dem Wirtstisch liegen. Und brachte sie gleich sorglich in ihre Hochzeitstruhe. Weil sie auch hier wußte, wie mit den scheinbar irdischen Geschenken Rübezahls behutsames Umgehen dringend gefordert war.

Und Rübezahl war jetzt also oben am Rande des Koppenplanes. Der Koppenplan ist wie ein großer Felstisch über dem Lande. So recht für die Tafel eines großen Herrn geeignet.

Rübezahl hing noch einstweilen als bloßer Gedanke mitten in verwehenden Sonnennebeln. Er war der Bequemlichkeit halber lieber gleich ganz ohne Sang und Klang hinaufgefahren.

Er hatte sich gewissermaßen völlig nur in den Gedanken verdichtet, wie er dem großen Herrentroß von unten ein wahres Sommervergnügen bereiten würde.

Aber weil ihm als bloßer Gedanke zu nackt und bloß zumute wurde, hatte er sich bald in eine kleine Spinne verwandelt, die wegen ihres dürren Leibes und ihres vertrackten Beinwerks mit einem Gedanken noch am meisten Ähnlichkeit mitführt.

Und Rübezahl lag ruhig in Netz- und Steinwerk und sah den Berg nach dem Melzergrunde hinab, wo sich der vornehme Troß prustend, aber bunt und wie ein Fasching blinkend und blitzend über Stock und Block mühsam emporhob.

Ich glaube, daß die Spinne ein feines Simsen wie ein höhnisches Spinnenlied vor sich hin tremolierte. So durchzuckte es sie durch alle Gelenkchen und Zängchen, sich mit den hohen Ankömmlingen eine Lust zu machen wie nur im Julimonat.

Zunächst muß man wissen, was und wie alles da unten in dem Trosse einherging.

Da kamen voran ein paar junge Pagen, die waren fast mädchenhaft wie Engel. Die sahen nie einander an.

Die sahen nur mit erhobenen Milchgesichtern und kirschroten Wämsern ganz ins Licht.

Ein jeder der Pagen trug in seinen Händen vor sich je einen Goldbecher: die Mundgefäße des erlauchten Herrn und seines hohen Vetters und Gastes selber.

Dann kamen acht Pagen als eine geschlossene Kolonne.

Die sahen nicht weniger goldig und weinrot aus. Hatten lustige Bandeliere um ihre Zipfelkappen wehen und trugen allerhand silberne Weingefäße und in prunkenden Kästchen gräfliche Silber- und Goldbestecke, die fürs Mahl oben auf dem höchsten Tische bestimmt waren.

Dann kamen ein Dutzend kirschrot und goldbefrackter Kammerdiener mit allerkostbarsten, weichen, wohligen Garderobestücken.

Denn niemand konnte an einem solchen Tage wissen, welche Laune den Erbherren und seinen erlauchten Vetter in den Höhenlüften anfahren konnte, daß sie wer weiß nach welcher Bequemlichkeit winken könnten.

Das waren ihrer schon an die zweiundzwanzig Diener.

Dann kamen inmitten von Korbträgern mit Speisen (an die dreißig Mann) eine Gruppe von vier Leibjägern und Hornbläsern.

Und hinter diesen drein schritt Meister Kaspar, der Mundkoch und oberste Küchenchef mit seinem Stabe von zwei Unterköchen und fünf lustigen Küchenjungen. Meister Kaspar zum Zeichen seiner Würde die goldene Suppenkelle in der Hand tragend, die für den Leibteller des Erbherrn und heute natürlich auch für den Teller des erlauchten Gastes bestimmt war.

Dann kam Eustachius Kahl, der weißbefilzte Benediktinerpater des Schlosses, der allzeit mußte in der Nähe sein, um dem gräflichen Herrn im Namen Gottes die Grillen zu scheuchen und das Herz leicht zu machen, wenn Gedanken an die Hölle oder das Fegefeuer in ihm auftauchten. Der aber jetzt nur redselig neben Herrn Anderckens, dem gräflichen Forstmeister, herging, obwohl beiden beim Steigen die Worte nur so vom Munde weg und in alle Lüfte flogen.

Diese beiden, der weiße Benediktinerpater und der grüne Forstmeister, lachten augenblicklich belustigt in den hellen Nebelzug, der über Geröllhalden her und über Geröllhalden weiterjagte. Und hinter ihnen drein schritten zehn Tafeldecker, in Weißleinen mit Kirschrot und Gold paspeliert gekleidet, die mit allerhand Kisten und Kasten voll Leinentüchern und schneeweißen Servietten sich tapfer mühten, die schweren Wäschepacken für das erlauchte Mahl endlich auf die immer noch nicht ganz erreichte höchste Koppenhöhe emporzuheben.

Wieviel hatten wir Leute?

Zwei. Und acht. Und zwölf. Und dreißig. Und vier. Und acht. Und eins. Und eins. Und dann die zehn Tafeldecker.

Das gibt erst sechsundsiebenzig männliche Wesen, die als Kranz und Umhang oben in den Lüften um zwei hohe Adelsherrn herumtänzeln und springen, herzuschaffen und hinwegschaffen, und auf den Wink auch lustig und toll sein sollten.

In Wirklichkeit müßten wir noch über weitere vierzehn Mann Rechenschaft geben.

Denn die Chronik erzählt, daß ungerechnet die beiden erlauchten Grafen, die jeder in einer goldenen Sänfte getragen wurden, und dem Herrn von Kollakowsky, einem polnischen Kleinedelmanne, und dann dem gräflichen Sekelbewahrer, der immer hinter des Erbgrafen goldener Sänfte herging und zahlreichen heiteren Herren der vornehmen Schloßgesellschaft »von des Hofstaats Untertanen, die Ihro Exzellenz als auch Provision und alle anderen Notwendigkeiten getragen, rund neunzig männliche Wesen«, bunt bewimpelt und betreßt, die Koppenhöhe am letzten Ende schon fast hinaufgestrauchelt wären.

Aber oben war warme Sonne.

Oben ging der Wind wie ein vergessener Maigesang, der sich kaum noch erheben will.

Oben hieß es herrlich hoch über der Welt.

Höher noch als des Pater Eustachius Kahl und des Meisters Kasparn sein Herz.

Oben waren die Lüfte rein wie Ätherglast.

Oben war man hoch über den deutschen Ländern. Sah, daß die Welt weit in die Ferne sich dehnte und nie sich greifen läßt.

Oben war die unermeßliche Glocke Sonnenlicht.

Und die Worte der Träger, die angesichts der erlauchten Nähe schon leise gingen, verwehten, als wenn hier nie mehr ein Wort einen hellen Klang gewönne.

Denn selbst als die vier grünen Leibhornisten des Grafen jetzt mit den Hörnern stolz in die Lüfte bliesen, weil die beiden goldenen Sänften endlich über den letzten Steinrand herüber auf die höchste Höhe schwebten, verwehten die gräflichen Fanfaren, als wären es Tonfetzen. Und als wären sie kaum je gewesen.

Alles lachte.

Alles war fröhlich.

Alles begann sich heimlich oder offen den Schweiß zu wischen.

Und besonders der Pater Eustachius ging zu Seiner Erlaucht, dem Grafen, mit breiter, geröteter Fülle und noch triefend im Gesicht und lobte die Welt Gottes um und um.

Oben war es herrlicher, als ein jeder gedacht hatte…

Oben lag Rübezahl als eine winzige Spinne am Steinklotz, hing im Netze und tremolierte sein Spinnenlied.

Man kann nicht ahnen, was so ein höhnisches Spinnenlied aus verhaltener Spottlust und Laune des Rübezahls bedeutete.

Da war es schon ein recht verwunderlicher Zufall gewesen, daß in die Vorbereitungen des festlichen Mahles, die Tafeldecker und Mundkoch, Heiducken und Kammerdiener, Pagen und Jäger jetzt eilfertig betrieben, indessen die hohen Herren sich selbst eigens die lahmgewordenen Beine austraten, weil derartiges unmöglich von Dienern besorgt werden konnte, eine jache Sturmhusche von flüchtigem Nebelwind einhergejagt kam, das größte Tafeltuch rücksichtslos von der Haupttafel riß und unter scharfen Flattergeräusch den Stein- und Geröllhang fliegend ins Weite führte. Alles lachte neu.

Auch die Diener durften jetzt ein wenig lachen.

Man rief dem flatternden Tuche Grüße nach aus gräflichem Munde. Und ließ ein zweites Tafeltuch an die Stelle rücken.

Aber Rübezahl kroch schon an Herrn von Kollakowskys Degengehänge herum. Und über dessen verschnürte, gelbe Uniform, die in der Sonne wie ein Stück Eierkuchen in der Pfanne schimmerte.

Und dann kroch Rübezahl auch am erlauchten Grafen selber herum.

Man konnte eigentlich schon jetzt auf eine Tollheit von ihm gefaßt sein, weil auch der Graf nach der Spinne schlug.

Auch der Graf war in schmucker Edelmannstracht. Sehr bunt, weil er jung war.

Er hatte ein Wams aus passiertem Blausamt mit Silberborten an. Den Degen an der Seite. Eine Mütze, die nicht weniger gereigte Falten hatte. Samt einer stachligen Feder, die hoch stand. Und Schuhe, die unter den weißen Wadenstrümpfen äußerst schlank und ganz spitzig waren, und die an diesem Morgen auch noch keinen eigenen Schritt getan hatten.

Jetzt sah man ein gemächliches und gelindes Stolzieren über Gottes weiter Welt. So daß ein jeder der Herren, die dieses weite Anschauen gnädig genossen, auch Koch und Tafeldeckern von oben zuwinkten oder dem ersten, besten Kammerdiener einen launigen Klaps auf die Backe verabreichten, als der den feinsten Stonsdorfer zur Stärkung vor die Edelherren trug.

Die Begleitherren bildeten unterdessen heitere Gruppen, die auch die Gläser schwenkten und der Bauchflasche Ehre taten.

Da hätte Rübezahl am liebsten gleich mitgetan, wenn er nicht in diesem Augenblicke hunderterlei Wünsche zu gleicher Zeit durcheinander gehabt. Denn er fuhr auch gerade aus der Spinne in eine Felsnase am Rande des Koppenplanes, die er wie ein Maulwurf sofort aufstieß. Und dabei passierte es, daß der brokatene Lehnsessel des Grafen, den man um der schönen Aussicht willen auf die vorragendste Stelle getragen, einfach den jähsten Hang hinab in den Riesengrund stolperte und sauste.

Heidi! Da gab es nun erst ein tolles Gelächter des Herrn Grafen selber, der ein »Fare well world« hinunterlachte. Und der nur lachend in die Runde sah. So daß auch die Diener und Begleitherren gleich wieder wagten, die ernster gewordenen Mienen zu beleben.

Aber der Rübezahl saß nur als Felsnase gemächlich hoch und starr und dachte sich noch immer sein Teil.

Man hatte Polsterstühle für die beiden Erlauchten und auch für den polnischen Kleinedelmann herbeigetragen. Die Tische begannen sich zu biegen unter den Schüsseln von Wildschwein und Pasteten. Von Hühnern und Turteltäubchen mit Trüffeln gefüllt. Von Galantinen aus jungen Häschen, die noch nicht ganz flügge waren. Von Bachforellen, die junges Grün in offenen Mäulern trugen. Von gebratenen Gänsen, kalt mit französischen Gelees garniert und gerösteten Austern. Von im feinsten Butterfett und indischen Gewürzen schwimmenden, gemästeten, provenzalischen Weinbergswachteln. Von Ziemern aus dem Riesengebirge, die mit Wacholderkraut gedämpft waren.

Und die Augen aller, vor allem auch des Paters Eustachius Kahl, und natürlich auch des Meister Kaspar, der während des eifrigen Tranchierens und Tuns seine Blicke über die Herrentafel schweifen ließ, begannen zu glänzen.

Die Augen der erlauchten Herren hatten sich von der Unendlichkeit der weiten, hochgewölbten Ätherglocke in Himmelshöhen endlich weggewendet.

Ihre Blicke begannen einen seligen und versöhnlichen, um nicht zu sagen einen menschlichen und irdischen Glanz anzunehmen, als endlich auch der Herr Graf selber mit seinem Vetter sich an der Tafel hoch über den deutschen Landen zum Essen einladend niederließ.

Der Forstmeister Anderckens mußte stehen.

Man stellte fest, er war der jüngste der Begleitherren.

Weil man ja doch den gräflichen Leibsessel schon vermißte.

Und auch Rübezahl war jetzt ganz auf der Fährte, wie er die ganze Sachlage zur Katastrophe bringen wollte.

Obgleich er noch immer nur als Felsnase dalag.

Er begann sich schon richtig in seinen Ärger einzuwühlen.

Schon die Wachtel- und Ziemergerichte begannen sein väterliches Bergherz in eine gelinde Wut zu versetzen. Und so versuchte er es mit dem ersten wirklichen Präludium.

Er pfiff im Reigen, wie dreißig Nebelfrauen nicht pfeifen können. Pfiff eine schnöde, zischende Weise. Als wenn sich Peitschen um die Koppenluft aufrollten und sie schrillend zerschnitten. Stieß dem erlauchten Herrn derartig mit der Windfaust heftig ins Gesicht, daß dessen Monokel ins Essen flog. In eine kalte Schildkrötenbouillon. Und weil der Herr Vetter grade ein gesplittertes, leichtes Backwerk in den Mund schob, riß er ihm das vom Munde weg und schüttete die Krümel auf die fette Poularde des gräflichen Tellers.

Das Tafeltuch, ob es gleich angezweckt war, begann sich gleichzeitig zu erheben und zwischen den üppigen Schüsseln mächtig aufzublasen.

Alles schon recht verheißende Dinge.

Aber es schien noch immer wieder die ruhige Sonne.

Man fing an, die schäumenden Weine aus Frankreich in den Silberbechern zu schwenken. Der erlauchte Herr erzählte leutselig von »höchsten« Mahlen.

Er erinnerte sich daran, daß jeder Mensch einmal einen höchsten Tag erleben müßte.

Er wurde feierlich.

»Einen höchsten Tag wie heute, auf höchster Höhe im Lande!«

Er trank seinem Vetter gnädig zu. Indem er gleichzeitig lachte und zum Zeichen, daß auch die anderen alle sich bei seinen Worten erheben sollten, erhob er sich von seinem Polsterstuhle.

Er erinnerte daran, daß einmal Einer Derer Von sich auf einem Kreuzritterzuge auch auf dem Sinai derart umgesehen.

Er behauptete: »Nur im Traume gibt es solche Gastmahle, die hoch und Gott näher gegessen würden!«

Er wurde immer feierlicher. Sprach schließlich mit einigen Tränen, so daß auch die mädchenhaften Pagen, die hinter den Stühlen standen, ernstlich gerührt, Tränen bekamen.

Aber da brachte man gerade einen gewaltigen Hecht an die Herrentafel.

Er war auf dem großen Feldherde sorgfältig gebraten worden, den man an einer Ecke des Koppenplanes für einige Leibgerichte des Erbherrn, besonders für diesen Hecht à la Beranger hatte aufrichten müssen.

Und da mußte man erleben, daß sich in diesem Augenblicke, wie man den Hecht von der Platte nahm, in den Lüften ein Tirilieren wie aus tausend spitzigsten Flöten hören ließ. Der eiserne Kochherd, noch mit dem brennenden Feuerbauche, sich hoch in die Lüfte aufhob. Wie ein kreiselndes Frauenzimmer mit steifendem Reifrocke nicht etwa zu Tale, sondern hoch und höher in den Himmel ging. Und endlich als lachendes, feistes Mönchsgesicht mit blökender, goldener Zunge und schließlich als Punkt entschwebte.

Das wäre an sich schon genug gewesen.

Wenn nicht der Spuk gleich noch toller ins Breite gegangen.

An der Tafel erinnerte man sich, als besagte Lufterscheinung hochfuhr, freilich noch immer lüstern des Hechtes, den man grade vor den erlauchten Herren niederließ.

Des Hechtes, der so stolz mit grünen Reisern und den schönsten Weidenröschen besteckt aufgetragen wurde.

Und zu dessen Triumphe sogar jetzt die vier grünen Jägersleute doch wagten, ihre schmetternde Musik in die Lüfte hinauszustoßen.

Aber mit dem Hechte hatte man etwas Gehöriges angerichtet.

Man muß nämlich die Geschichte des Hechtes kennen.

Der Hecht war ein alter Urvater der Hechte im Riesengebirge.

Man hatte ihn in einem entlegenen Teiche im Walde gefangen, den man ewig in Ruhe gelassen. Irgendwo nahe am Gebirge. Unter Schmiedeberg. Natürlich innerhalb der gräflichen Herrschaft.

Der Hecht hatte seltsame Wammen und Auswüchse um den Hals und am Leibe. Auf seinem Kopfe war auch Moos gewachsen.

Seine Augen hatten scharf und überlegen in die Welt der Fische und des Wassergewimmels hineingesehen.

Er hatte sogar auf seinem Kopfe in Moos verklebt einen Kieselstein. Und es war ihm dazu eine Art kleines Geweih auf der Schädelplatte gewachsen. So daß man es ihm wirklich ansah, daß ihn die Natur zum Häuptling oder König unter Seinesgleichen ausgezeichnet hatte.

Jetzt war er zentnerschwer von mehreren Dienern gleichzeitig auf einer extra dazu verfertigten Silberschüssel aufgetragen worden.

Es ziemte sich also auch diese strotzende Totenmusik.

Der Hecht war ein Kapitaltier. Hatte hundert Jahre und mehr auf seinem Rücken.

Die Flossen schienen allen gleich von Golde zu schimmern.

Und wie man ihn vor den Grafen hinstellte, deuchte es allen, als wenn er nicht nur ein kleines Geweih, als wenn er gleich eine stachlige Krone trüge.

Dann begann ihn der gräfliche Vorschneider, endlich ganz wieder beruhigt, vor seines Herrn Auge mit einem riesigen Silbermesser mitten zu spalten.

Aber da hörte man es schon, daß die Ohren der Hörer lang und länger wurden.

Da hörte man schon, daß eine ungewöhnliche Baßstimme im Bauche des Hechtes ein freches Grölen ertönen ließ.

So daß allen an der Tafel die Ohren richtig sichtbar voreinander länger wuchsen.

Und daß der Forstmeister Anderckens, der sich schon ein neues Besteck und einen extra großen Teller hatte reichen lassen, weil er stand, Teller und Besteck einfach achtlos auf den Steinboden klirren ließ.

Denn jetzt, wie man die Hechtseiten auseinander legte, sah man da plötzlich ein Wesen, ein unziemlich nacketes, unappetitliches Ding, lang wie ein Bratenspieß und zierlich, das sich aus dem Bauche des Hechtes gewandt aufhob, richtig einen jämmerlichen, kleinen Lausekerl, der wütend aus vollem Halse froschmäulig in die Luft hinausschrie: »Bonus dies, ihr Herren… wie gefällt euch der Hecht?«

Von der Zeit an ging da alles nur noch wie ein wilder Orkan und reißender Wolkenbruch.

Nebelfrauen durchgackerten die Lüfte wie Gänse. Die gebratenen Hühner auf der Tafel fingen an mit den Flügeln richtig zu gestikulieren. Die gebratenen Wachteln hupften mit ihrem Puttperwutt einher. Fuhren den Herren barsch um die Ohren, noch triefend von Bratenfett. Und die Weinflaschen standen mit ihren entkorkten Köpfen, als wäre ein ganzer Verein Sangesbrüder entstanden, die das Beleidigendste vom Tollen herausbrüllten.

So daß schließlich nichts mehr da war, einem gräflichen Mahle auf Himmelshöhen ähnlich, sondern nur ein finsteres, rauchendes Sabbattollen im Gemüllhaufen der Hölle, das Lebendes und Totes, alles in seine Wirbel zog.

Die Herren riefen nach ihren Dienern.

Aber die Diener konnten auch nur vergebens nach ihren Herren rufen.

Meister Kaspar und seine Küchenjungen schienen frei in den Lüften zu hängen, die Beine nach oben. Von den Schüsseln konnte man wähnen, als wenn sie die Leibjäger oder Heiducken, während sie selber Kapriolen schlugen, mit verzerrten Gesichtern in die Abgründe entleerten.

Es gab da weder unten noch oben.

Allen war auch so, als ob sie ohne Beine durch den Luftraum flögen. Als wenn sie sich müßten bis ans Ende der Welt im Wirbel drehen.

Das Tollhaus von Tönen nicht mitgerechnet, das losgebrochen war. Als wenn sich der kleine Lausekerl aus dem Hechtbauche vertausendfacht hätte. Den Herren aus allen Lüften fortwährend jetzt in die Ohren gellte.

Und den Herren auch die Ohren, wie es ihnen deuchte, bis hinauf an den Himmel, und die Nasen und Lippen bis an den Nabel der Welt hinunterzerrte. Bloß, um mit ihnen den tollsten Sommerspaß zu treiben.

Alles lag herum. Oder taumelte herum. Alle wußten gar nichts. Der Rübezahl hatte sein Mütchen gekühlt.

Dem jungen Grafen hatte man müssen Siegellack auf die nackte Brust träufeln, damit er wieder atmete. Und man hat dann den Erbherrn und auch den Herrn Vetter in den goldenen Sänften nach Haus gebracht.

Nicht tot, aber liegend. Und erst nach einigen Wochen wieder ganz entlastet.

Nach diesem Abenteuer war es kein Wunder, daß der Graf, wenn er nachmals aus seinem Schlosse die Koppe von Goldketten umhangen vor dem Frühlicht aufragen sah, oder wenn der Berg von feinem Rosenschimmer übergossen im Abendlichte schwamm, jedesmal zu seinem Leibjäger, der das Geheimnis auch kannte, lachend sagte: »Bonus dies, Ihr Herren… wie gefällt euch der Hecht?«