Es wurde von der Spinnerin Zeit schon wieder einmal der Herbst abgespult und auf dem Rade versponnen.

Oben über die Kammwiesen fauchten Sturmstöße wie aus hohlen Hörnern. Und unten trieben Windhuschen die Streu von den Scheunen der Dorfleute hoch und jagten sie im Kreise.

In den Dorfangern hingen die Aste der Obstbäume kahl zur Erde. Und da und dort hörte man den Zweischlag von der Tenne.

Im Hirschberger Tal hatte es einen verspäteten Nachsommer gegeben. So daß vor dem Häuschen des Lehrers in Warmbrunn noch im Oktober ein Rosenstock halbgeöffnete Knospen trug, obgleich die Blätter schon staubig und vergilbt waren. Und Rübezahl war aus den fliehenden, pfeifenden Höhen lieber mit allerlei Kräuter- und Wurzelwerk zu Tale gefahren, um sie unten in den Dörfern und in der Stadt an die Hausfrauen zu verhandeln.

So war Rübezahl schon, frech wie er manchmal das Leben nahm, mit seiner vertrackten Bockskarre den letzten Viehweg niedergebogen und hatte in Arnsdorf einen ziemlich täppischen Bauersmann und dessen pfiffigeren Bruder begegnet, der aus Breslau zu Gaste gekommen war.

Die beiden sprachen auf ihrem Dorfwege zur Schenke grade sehr aufdringlich laut von Rübezahl. Und der städtische Handwerksgeselle, der sich im Dorfe natürlich doppelt geschniegelt und gebügelt trug, verriet unter farigem Gelächter eine unverschämte Sehnsucht, endlich einmal Rübezahl in selbsteigener Person sozusagen von oben bis unten und vorn und hinten aufs Korn zu nehmen.

Da hatte Rübezahl, jetzt in der Art als gebückter Kräutermann hinter der Bockskarre schiebend, flüchtig Lust gespürt, diesem Stänker aus der Großstadt gleich das wahre Gesicht seiner Laune von hinten zu zeigen.

Während er also unter seiner großen, grünen Schirmmütze scheinbar gleichgültig bei den beiden Dickköpfen vorbeiratterte, standen die erschreckten Landleute auch schon wie gebannt vor einem kahlen Apfelbaume jenseits des nachbarlichen Lattenzaunes, weil in dessen Baumzwiesel ein Mensch oder sonst ein frech entblößter Unhold soeben sich präsentierte, als wenn ihm weniger an der schönen Aussicht von vorn, als vielmehr daran gelegen wäre, den großmäuligen Filzen Drang und Not der innersten Eingeweide von hinten vorzukonzentrieren.

Einen Augenblick war dabei den beiden dummgemachten Bauersleuten wahrhaftig nicht geheuer.

Indessen hatte der eilig fortschlurende Kräutermann mit seinem sonderbaren Gefährt voll Kräuter- und Wurzelwerk längst vor der Warmbrunner Apotheke und später in der Kunnersdorfer Ortsbrauerei haltgemacht.

Und schon dort hatte der unheimliche Alte, als er noch immer mit seiner großen, grünen Schirmmütze am Wirtstische saß, tüchtig Lärm geschlagen, weil er drinnen in der Schenke auf einen weißhaarigen Leiermann, einen einäugigen und einarmigen Krüppel aus dem verwichenen, großen Kriege gestoßen war.

Da hatte sich Rübezahl mit seinem eingeheimsten Gelde sofort als rechter Zechbruder aufgespielt. Und war sogar nach der kräftigen Erbssuppe voller Schweinsohren, die er mit harten Zähnen nur so ganz hinuntergeknorpelt, auf die Idee gekommen, mit dem krüppligen Lumpenmanne gemeinsam in die Stadt zu ziehen, um in Hirschberg, wie es ihm jetzt in die Laune schoß, sozusagen einen fliegenden Jahrmarkt aus der Erde zu stampfen und die ganze Stadt am Narrenseile zu ziehen.

Er hatte vorerst dem wolligen Weißbart mit einem gelben, chinesischen Barte ausgeholfen, der dem Alten wie ein lichtes Flammenbüschel oben auf dem obersten Schädel brannte.

Und so war der tief beschirmte, sonderbare Laborant mit der Bockskarre hinter der dröhnenden Leiermannsweise durch das Langgassentor, die Lange Gasse hinein, auf den Hirschberger Markt marschiert.

Es fiel ihm jetzt auch gleich ein, nicht mehr Kräuter und Wurzelwerk und wohlriechende Steine, sondern allerlei ausländische Waren aus dem Kasten auf seiner Karre hervorzuholen.

Schon wegen der sonderbaren Karre strömte viel Volk heran.

Die Karre schien unförmig groß und hing über und über voll Haarzotteln, wie das Fell eines alten Ziegenbockes.

Und auch deshalb staute sich gleich eine immer mehr wachsende Menge, weil der hudlige Alte mit den dicken Brauenbüschen unteren grünen Mützenschirm aus den kleinsten Gefäßen die allergrößten Dinge entnahm.

Vor allem zuerst Balken und Gestelle zu einer mächtigen Verkaufsbude. Eine sehr kostbare Plane, richtig bunte Schmiedeberger Teppiche, die er geschickt zur Verhüllung des Holzgerüstes benutzte.

So daß da sofort eine ganz geheimnisvolle Räumlichkeit vor dem Ratskeller wie mit Zauberei aus der Erde wuchs. Und daß er nun seine weiteren Possen, nachdem noch alle Ritzen und Luken verstrichen und jeder Einblick mit Zwecken zugesteckt war, dahinter ungesehen treiben konnte. Das tolle Horngeschmetter vor allem, das wie aus hundert Trompeten bald hinter den bunten, kostbaren Behängen hervortönte.

Diese tolle Fanfarenmusik trieb den Marktplatz noch richtig voller neugieriger Gesichter. So daß Männer und Weiber und Kinder aus den Häusern rannten. Und die ehrsamsten Bürger Hirschbergs, die zu dem Vespertrunke in den Ratskeller spazierten, auch der Stadtschreiber und die Ratsherren selber, und wer sich von den Honoratioren noch eine leibliche Erlustigung dort ersehnte, alle mit offenen Mündern stehenblieben und seltsamer Dinge gewärtig waren.

Der Lärm aus der verhangenen Schaubude heraus schallte in den Leiermannstumult des Invaliden, der possierlich wie ein chinesischer Götze aufgetakelt, seine Leier auf einem hohen Podium neben der Bude drehte. Und wurde allmählich so arg, als wenn es eine ganze Janitscharenmusik wäre, die von den Giebelhäusern am Marktplatze siebenfach widerhallte, und die die Kleinhändler unter den breiten Pfeilern der alten Stadtlauben schier wie ein beständiges Zittern ihrer Unterkiefer empfanden.

Auf dem riesigen Stirnschilde, das plötzlich über der Schaubude hoch in die Luft gewachsen war, ehe jemand auch nur gesehen, daß sich Hände daran betätigten, stand geschrieben, daß man hier Waren aus der herrlichen Sultanstadt Venedig und aus den Wundergärten Kaschmirs billig erhandeln, und daß man sich auch an den Steinblumen Indiens Heilkräfte und langes Leben, Wundenlosigkeit und Schmerzlosigkeit, Gesundheit und Glück kaufen könnte.

Da las man auch von Steinen, die jeden Gesichtsschmerz oder den Beinbruch durch bloßes Aufliegen heilen konnten. Die jeden Seelenkummer derart vertrieben, daß einem, wenn man sie zerstampfte und in Pulverform mit Milch genösse, aus der tiefsten Schwermut Paradiesträume aufwachten, die die himmlische Herrlichkeit schon hier auf Erden vortäuschen könnten.

Da gab es natürlich rings in der volkreichen Runde ein tiefes Geraune und ein immer größeres Gewirr, stumm und ehrfürchtig.

Der ganze Marktplatz war jetzt dicht vollgepfropft mit Menschenköpfen wie der Topf mit Erbsen.

Alle hatten die Münder noch weiter offen vor Staunen. Auch weil der Lärm im Innern der Teppichbude noch immer zunahm.

Bis endlich der Kräutermann, aber nicht mehr in seiner ungelenken, trüben Langschössigkeit und Beschirmtheit, jetzt als ein satanischer Schwerenöter, seidig gefalbelt, mit spitzem Degen am goldenen Gürtel, mit pechschwarzem Spitzbart und fliegendem Samthaar um die bleiche Stirn heraustrat. Nicht anders, wie einer der hundertmal von ihm genarrten Valonen. Hinaustrat in den furchtbarsten Lärm von Musik und Menschenstimmen, seine tollsten Zauberstücke in Händen, die er nur hoch hielt.

Da war auch im Nu in alle Instrumente und in das Volksgewirr das tiefste Schweigen gekommen. So daß nun in diese äußerste Stille auf dem Marktplatz mit einer lieblich klingenden, ganz fremdartigen, aber verständlichen Sprachweise seine Anpreisungen laut und vernehmlich tönten.

»Das ist ein Püffelring, geehrte Signoria dieser schönsten Stadt!« rief er lächelnd. »Verwarnt vor großes Unglück… da ist eine herrliche Stadt an die See… Lübeck… si Signori… eins der Kaufmänner trug diese Ring am Finger… und diese Ring war plötzlich gesprungen… und hätte dieser Mann nicht darüber gelacht… er könnte noch heute leben… er wäre hübsch daheim geblieben… daß ihn am anderen Tage auf die Gasse der Mörder nicht hätte begegnen und erstechen können…«

Er schrie eine lange Geschichte über die staunenden Köpfe hinweg von dem rotfunkelnden Hyazinthen, der von der Insel Sucota käme. Und daß es im Meissenschen Lande ein herrliches Schloß gäbe, das auf eitel Hyazinthensäulen errichtet wäre, um es vor Feuer und Fäulnis zu bewahren.

Hielt auch den wunderbaren Adlerstein hoch, der in seiner Hand, weil er hohl war und noch ein kleineres Steinchen darin eingeschlossen lag, hell klapperte. Erklärte mit lockendem Entgegenkommen, daß man ein solches Steinei nur im Neste des Adlers fände. Daß man ihn sonst sehr teuer bezahlen müßte, weil der Stein den Müttern in Kindesnöten Kraft brächte. Und daß man ihn vielerorts sogar zum gemeinen Wohle auf den Ratshäusern hielte, um ihn den Müttern zu leihen.

So brachte er immer neue Steine, die sogleich reißenden Absatz fanden.

»Hier ist ein Chelidonier!« sang er fast in die Lüfte, »den man nur im Augustmonat bei wachsendem Monde in jungen Schwalbenmägen findet!« Und er vergaß manchmal das Ausländische und sprach dann, wie ein rechter Gebirgsbauer redet. »Die wuschpernen, klenn Tierla derfa noch kenn Dreck und kenne Arde beriehrt han!« Aber da besann er sich gleich wieder und fuhr um so geschmeidiger fort. »Nämlich es ist das Wunder der Wunder… du kleines, reizendes Freilein… da unten in diese Volksauflauf… du schiebst dieses kleine, keulige Steinchen in deine Augenwinkel neben die Schläfe… es läuft eilfertig drinnen herum… und jedes Staubkörnchen, das diese liebliche Äuglein drücken möchte, jagt es dir heraus, wie der Hund eine Hasen!«

Da reckten sich tausend Hände gleichzeitig. Alle Mannsleute gierten auch nach dem Stein, der in der Tasche getragen nüchtern machte, auch wenn man schon ein ganzes Oxoft Bier oder Wein hinuntergegossen.

Alle Weiberarme kamen jach in die Höhe, das Kraut zu greifen, wovon der Valone soeben versichert hatte, daß eine Messerspitze davon zerrieben und in eine Bratwurst gestreut, Müttern unfehlbar zu Knaben verhülfe.

Man kaufte auch Kleider, die zu kleine Leute sofort um einen Fuß größer machten. Und andere, die den Mädchen zu dürftige Leibchen voll, und den Mannsleuten Waden und Arme zu Knollen wachsen ließen.

Man kaufte auch Perücken, die gleichzeitig die dicksten Nasen zu einer Schönheitsform abschwächten. Und zu kurze länger machten.

Und der lustig betriebsam Valone praktizierte auch alles am eigenen Leibe vor der Menge Augen.

Er flatterte und schwenkte dann auch Siegteppiche in die Luft, die jedem auf Reisen Sicherheit brächten. Die, wenn er noch rechtzeitig auf sie träte, vor dem Schlage und dem Tode unterwegs behüteten. Die auch das Zittern der Glieder benähmen. Und wenn man bei neuem Monde tagelang starr darauf sitzen bliebe, Haupthaar und Augenbrauen ganz buschig machten.

Die Arme, die aus dem Volkshaufen in die Lüfte griffen, als tausend solcher Wunderdinge schon in der Menge kreisten, wurden immer zahlreicher. Der Valone verschleuderte auch die funkelndsten Geschmeide.

Und je üppiger das Geld aus allen Taschen der Städter in Strömen herzufloß, desto üppiger wuchsen die Fuder neuer Kostbarkeiten vor dem Volksgedränge ins Licht.

Der Valone verkaufte auch zyprischen Wein. Und Mohren kredenzten plötzlich an allen Ecken des Marktes mit launigem Lachen südliche Früchte in den Oktoberwind, der nur noch ungeachtet über die Köpfe fauchte, weil er wegen der hundert und hundert Füße, die den Marktplatz besetzt hielten, am Boden nicht mehr Raum fand.

Es war schließlich ein richtiges Jahrmarktsfest.

Wurstkessel hatten längst unter dem Volke zu dampfen begonnen. Es waren jetzt auch andere Verkaufstische mit tausenderlei Pfefferkuchen und frischem Backwerk an Ecken und Enden in dem Tumulte erstanden.

Denn die ganze, gute Stadt Hirschberg war von dem Marktschreier und dem einäugigen Leiermanne auf die Beine gebracht und tumultuierte, einmal in Bewegung, lustig weiter.

So daß alle Kneipen und Haustüren voll glücklicher Manns- und Weibsleute standen, die Zaubersachen in Händen hielten. Oder die die Steinwunder schon an sich erprobten. Auch Frauen in den herrlichsten Kleidern charmierten. Und Gruppen von halbwüchsigem Volk, Singinstrumente am Munde, einhermusizierten, bis zum Rande voll des Gejauchzes und Gelärmes, das seit dem Einzuge des gebeugten Laboranten mit der unheimlichen Schirmmütze und des krüppligen Leiermannes eingesetzt.

Der gauklerische Valone war mitten im tollsten Jahrmarktstrubel endlich tänzelnd an seine behaarte Karre zurückgetreten. Als ein richtiger, feiner Ausländer in buntem Falbelhabit jetzt auch mit buntseidenem Federhut wie ein junger, venezianischer Doge. Hatte plötzlich den Karren, der nicht zehn-, sondern tausendmal aufs letzte geleert sein mußte, vor der Leute Augen einfach an den beiden Griffen genommen. Hatte die Griffe wie die Hinterbeine eines Bockes auf die Erde gebogen, so daß es die Leute jetzt sahen: die Karre war eigentlich ein lebendiger Ziegenbock mit hochgenommenem Hintergestell.

Und nun hatte sich der pechdunkle Fremdling unter dem Gejohl der festlich berauschten Jugend, aber auch unter dem ausbündigsten Freudentaumel der Alten, auf den lebendigen Bock gnädig lachend aufgesetzt, der auch gleich mit Purpursamt gesattelt dastand. Und er war unter richtigem Jauchzen der ganzen Stadt, mit Winken und Blumenwerfen aus allen Fenstern und seinem gnädigen Nicken, ja sogar unter wirklichem Glockenläuten von den Kirchtürmen, das er aber durch das Zusammenschlagen seiner Stiefel und Steigbügel heimlich selber erregte, durch die Lange Gasse die Warmbrunner Straße hinaus endlich wieder auf den Heimweg geritten.

Da war freilich die Phantasmagorie für die Hirschberger noch lange nicht zu Ende.

Weil die Leute erst einmal ausschlafen und in ihren unverzauberten Zustand zurückgebracht werden mußten, ehe sie es wirklich erkennen konnten, daß sie mit Wurzeln und Haderlumpen, mit gemeinen Kieselsteinen und Moos, mit gedörrten Erdmolchen und Fröschen und Strohwischen und vertrocknetem Dung betrogen waren.

Aber es war Oktober.

Rübezahl lachte nur vor sich hin. Hatte den Spaß bald vergessen. War längst in sein Kostüm als Meilengänger gefahren und befand sich schon wieder nahe am Vitriolwerk.

Oben in den Engtälern gab es noch andere Arbeit.

Es begann auf den Winter zu gehen. Und der Winter kam in diesem Jahre hart.

Da wollte manches Blatt vom Baume. Und mancher verdorrte Mensch ins Grab.

Auch die alte, hustende Mutter Gottwald wollte sterben. Sie hatte ihren Enkelsohn von drei Jahren in ihren dürren Knochenarmen, lag zusammengekrümmt in der Backofenstelle und ächzte.

Draußen ratterte der Schneesturm an der kleinen Holzhütte in der Schlucht, und es begann auf den Abend zu gehen. Da deuchte es der aufgescheuchten Alten, als wenn ein Altes käme.

Obwohl ihr einstiger Ehemann, der Schmied im Dorfe gewesen, ehe sie in der elenderen Armut wohnte, längst neben Pferdeleichen und Granatsplittern irgendwo zuhauf auf dem Ackerboden unbegraben verfault war. –

Ein wirrumhangener, braunhudliger, sanfter Schädel reckte sich auch gleich zur schiefen, niedrigen Tür herein.

»Brauchst gar nicht zu erschrecken, liebe Frau Gottwalden… ’s ist der alte Gevatter!« sagte eine tiefe, gutmütige Stimme.

»O mein Gott… mein Gott du du!« seufzte die Alte, »immer Elend… bloß Not und Jammer… immer Elend… das arme, ganze, lange Leben… da is weiß Gott besser, ma läßt Not und Qual endlich hinter sich!«

Sie versuchte mit ihren verglasten Augen genauer zu sehen und kroch wieder zitternd und zögernd in ihr Lumpenbette zurück.

»Du willst wohl jetzt gar zu deinem Schmiede ins Grab nachfahren!« sagte der alte Gevatter sehr launig, hatte das große, böhmische Taschentuch, das er zum Beutel gebunden vor sich trug, sorglich gelöst und hielt ein glitzerndes Vogelbauer in Händen, darinnen sogleich ein lieblicher Vogel aufsang.

»Nu gar… du hast mir wohl einen Kanarinenvogel oder so mitegebracht!« sagte die Alte aus ihrer Backofenstelle, und ihr todbleiches Gesicht starrte auch schon an die rauchschwarze Balkendecke auf, wo der sanfte Gevatter den blinkenden Käfig befestigte.

»Ja… einen solchen Kanarienvogel hab ich dir mittegebracht!«

Der kleine, gelbe Vogel zwitscherte und jubilierte jetzt fröhlich.

»Ich hab dir den goldenen Vogel ausdrücklich mittegebracht… nämlich… es hat einmal einen Mann gegeben, der hieß Petrus Forschegrund… und dieser Mann hatte einem solchen kleinen Jubiliervogel solange zugehört, bis er darüber die Zeit und sogar das Sterben verpaßte… und wenn du also jetzt nicht gar zu erbärmlich kreißt und jammerst…«

Er vollendete seine Rede nicht, setzte sich nur auch still auf die Ofenbank nieder, um selber dem Vogelgesange zu lauschen.

Denn die Alte starrte nur noch staunend und schweigsam in das selige Tirilieren hinein.

Der goldene Vogel sang unter der rauchigen Balkendecke in die enge, irdische Dämmerung.

Bald herrschte tiefste Stille.

Der Totenwurm pochte in der oberen Türschwelle.

Und der goldene Vogel sang. Tirilierte und reckte selig Kehle und Köpfchen.

Da schien es der bleichen Alten in ihrem Lumpenbette zuerst und sie träumte in ihre leeren, verglasten Augen hinein, daß die Welt und alle Dinge in ihrem grauen Armutsstübel wie im Wasserspiegel leicht tanzten und tändelten, wie leise auf- und abgewiegt.

Und es deuchte ihr auch daneben, als wenn sie nicht mehr nur auf Erden, sondern mit dem Vogelgezwitscher unter den Wolken wäre und hintriebe.

Das waren wundersame Verwandlungen.

Auch der alte Meilenschreiter saß nur stumm, seinen Kopf in beide Hände gestützt und rührte sich nicht.

Und dann begann vor dem Auge der Alten eine kleine, goldene, warme Flamme zu brennen, wie wenn es auf ihrem eigenen Tische wäre. Das war der kleine, goldene Vogel noch immer, der sein seliges Lied ohn‘ Unterlaß hinaustirilierte.

Aber die Alte war doch noch einmal irdisch erwacht. Flüsterte Worte, die man nicht verstand. Und sagte ganz laut: »Ich lache!«

Weil der goldene Vogel sang und sang.

Dann deuchte es der alten Gottwalden fortwährend, als wenn ein leichter Zweig ihres blühenden Birnbaums draußen vor den Fenstern in blauer Luft hin- und herschwankte und leise an ihrer kleinen Sonnenscheibe auf- und niederstriche.

Und es schien ihr auch, als wenn ihr Bäumchen ein Paradiesbäumchen wäre, obgleich es nur dürftige aber schneeweiße Blüten trug.

Und in das selige Bild, das beständig vor ihrem erloschenen Auge stand, schien sich das Aufatmen ihres dreijährigen Enkels lieblich vernehmbar und wie erlöst hineinzumischen. Nichts sonst hatte sich ewig in der stillen Dämmerhütte geregt.

Nur der kleine, goldene Vogel flötete und tirilierte unaufhörlich.

Ganz spät erst begann sich der alte, bedächtige Meilenschreiter auf der Ofenbank zu regen, war ans Fenster getreten, damit ihm noch der trübe Schein von draußen das alte Gesangbuch ein wenig erhellte, und fing mit seiner rostigen Stimme ein altes Kirchenlied einsam zu singen an.

Wie am Abend die enge Stube im Tiefdunkel sich mit den jungen Leuten, dem Sohne der Gottwalden und dessen jungem Weibe und den beiden frischen Jungen füllte, die draußen im Sturme Holzbürden vom Walde hintereinander niedergeschleppt, und jetzt nur nach derben Brotkeilen und einem Trunke Wasser Gier heimbrachten, da war die Stube tiefstill.

Weder der goldene Vogel im Käfig an der Balkendecke, noch irgendein alter Hudelkopf stand mehr vor dem Fenster und sang ein Gesangbuchlied.

Nur das Gesangbuch lag noch auf dem Fensterbrett aufgeschlagen, als das junge Frauenzimmer mit ziemlichem Lärm den Span vor dem Ofenloch entzündete.

Aber wie die Kinder nach der alten Großmutter sahen, standen sie bald, eins nach dem andern, stumm um eine Entschlafene herum.

Die alte Mutter Gottwald hatte über dem Singen des Jubiliervogels wirklich das Sterben verpaßt. Lag jetzt mit ganz jungem Gesicht da. Längst unwiederbringlich in die Ewigkeit eingebettet.

An diesem Abend war den Lebendigen in der armen Hütte zumute, als läge Goldstaub auf allen Bänken. Und als sänge immerfort heimlich eine ferne, selige Vogelstimme draußen in der Winternacht.

Und das junge Weib sah dann im Traume lange den Himmel weit offen. Und sah die Großmutter im hellerlichtesten Himmelsschein über Wolken gehen.

*

So hat Rübezahl auch manchmal die Mühseligen, die er liebte, die kleinen Mühsamen in den steinigen Schattentälern des Riesengebirges mit einem Stück tiefer Lebenswonne bedient, die je und je nur von den Inseln der Seligen herfliegt.