Kapitel 4

 

Die Nachbarin, mit welcher die Freiherren am eifrigsten verkehrten, war Ihre Exzellenz die Frau Kanzlerin von Siebert, Herrin von Perkowitz.

Diese Dame führte seit fast einem halben Jahrhundert auf ihrem Gute, dem Vermächtnisse ihres verstorbenen Gatten, ein weises Regiment. Sehr jung Witwe geworden, bewahrte sie sich selbst die Unabhängigkeit und dem Andenken ihres »Herrchens« die Treue. Sie verließ den Wohnsitz nicht mehr, an dem sie einige Jahre mit ihm verlebt hatte, und vermählte sich auch nicht wieder, obwohl es ihr an Gelegenheiten dazu nicht gefehlt hatte.

Perkowitz bildete die östliche Grenze des freiherrlich Gemperleinschen Gutes und trieb eine Remise und drei Felder als ebenso viele Keile ins Mark von Wlastowitz hinein. Eine unangenehme Grenze. Eine Grenze, die zeitweilige Reibungen zwischen Nachbarn unvermeidlich macht. Ein verschobener Pfahl, eine schiefgezogene Furche geben auch den Friedfertigsten Anlaß zu Zwistigkeiten und Rivalität. Allein gerade das trug nicht wenig zur Annehmlichkeit des Verkehrs bei, indem es ihm ein prickelndes Interesse verlieh. Die Exzellenz war eine muntere alte Dame von siebenzig Jahren, gesellig wie Madame de Tencin, mit welcher Ludwig sie zu vergleichen liebte. Sie fürchtete nichts so sehr wie die Langeweile, bestimmte den Wert der Menschen nach dem Grade der Huldigungen, die sie ihr darbrachten, und forderte von jedermann die eifrigste Anerkennung ihres nicht gewöhnlichen Verstandes. Hingegen begnügte sie sich, ungleich ihrem berühmten Vorbilde, auch mit anspruchslosem Umgang, wußte einen mittelmäßigen Spaß zu würdigen und kümmerte sich nicht im geringsten um den Verdruß derjenigen, auf deren Kosten er gemacht wurde. Sie befaßte sich überhaupt nicht viel mit Rücksicht auf andere und teilte noch die altmodische Anschauung, »ein guter Mensch« sei nur die höfliche Bezeichnung für »Schwachkopf«.

In den Augen Frau von Sieberts, die sich gewöhnt hatte, auch in wirtschaftlichen Fragen als das Orakel der Gegend zu gelten, waren die »jungen Gemperlein« talentvolle Dilettanten. Sie lachte über die Schwärmerei der Freiherren für ihr Wlastowitz, war aber im Grunde den »feindlichen Brüdern« sehr gewogen. Es ereignete sich nicht selten, daß Friedrich und Ludwig heftig miteinander streitend in Perkowitz erschienen, der Exzellenz die Hand küßten, Fräulein Ruthenstrauch, die Gesellschafterin, und Herrn Scheber, den Sekretär, grüßten, eine Stunde lang weiterstritten, wütend aufsprangen, sich empfahlen und streitend abfuhren.

Die Exzellenz, die während der ganzen Zeit Öl ins Feuer gegossen hatte, indem sie jetzt Friedrich und jetzt Ludwig zurief: »Da haben Sie recht!« – »Da haben wieder Sie recht!« hielt sich die Seiten vor Lachen.

Herr Scheber wirbelte die Daumen, rückte die Perücke, die immer schief auf seinem gurkenförmigen Kopfe saß, in der Absicht, sie geradezurichten, noch schiefer, schwitzte sehr, nahm eine Prise Tabak und seufzte: »Das ist aber doch –!«

Die wasserblauen Augen Fräulein Ruthenstrauchs drückten hilflosen Unwillen aus, ihre bleichen Lippen sprachen zitternd: »Ich dachte schon, sie würden einander in die Haare fahren, ich habe alle Farben gespielt…«

»Bilden Sie sich nichts ein!« rief die Exzellenz. »Die interessante Blässe Ihrer Wangen hat die ganze Zeit über nicht die geringste Veränderung erlitten.«

Mit innigem Ergötzen an den verstörten Mienen ihrer Untergebenen fuhr sie fort: »Was habt ihr für Nerven, ihr zwei! – Mir hat der Lärm wohlgetan. Man hört doch einmal wieder, was die menschliche Stimme vermag. Solch ein Gespräch reinigt die Luft, ich fühle mich erquickt wie nach einem Gewitter!«

An dem Tag, an welchem die Brüder die Entdeckung gemacht hatten, daß sie bereits seit zehn Jahren in Wlastowitz weilten, statteten sie der Exzellenz einen Besuch ab. Die Gesellschaft hatte sich wie gewöhnlich in der Salle à terrain versammelt. In der rechten Ecke des Kanapees, das vor dem runden Tische stand, saß die Herrin von Perkowitz; Friedrich und Ludwig hatten auf zwei Armstühlen Platz genommen. Fräulein Ruthenstrauch wickelte in der Fenstervertiefung Seide ab, Sekretär Scheber hatte sich auf den Rand eines dünnbeinigen Sessels niedergelassen, in respektvoller Entfernung von den hochgebornen Herrschaften und in einer Positur, welche die Mitte hielt zwischen Schweben und Sitzen. Er blickte die Freiherren von Zeit zu Zeit verstohlen an und dachte: Was wird es heute geben?

Aber es gab nichts. Die Brüder waren in weicher, melancholischer Stimmung. Die Betrachtung über die rasche Flucht der Zeit, die Friedrich kürzlich angestellt, hatte einen starken Eindruck in seinem und in Ludwigs Gemüt hinterlassen.

Beide waren sich der entschwundenen Jugend, des versäumten Glückes plötzlich bewußt geworden und fühlten sich eigentümlich bewegt.

Die alte Exzellenz schwang vergebens ihre kleine Erisfackel; die Funken, die sonst wie in ein Pulverfaß gefallen wären, fielen jetzt wie in nasses Gras.

»Wissen Eure Exzellenz«, sagte Friedrich, »wie lange wir nun schon in Wlastowitz leben? – Zehn Jahre sind’s! Ja, seit zehn Jahren genießen wir die Ehre, Ihre Nachbarn zu sein!«

»Erst seit zehn Jahren?« erwiderte sie. »Ich hätte geglaubt, unser Krieg wär schon ein dreißigjähriger.«

»So?« – Friedrich ging mit sich zu Rate, ob dies eine Schmeichelei oder das Gegenteil sei. »Sehen Euer Exzellenz! … Und ich machte erst kürzlich meinem Bruder die Bemerkung, daß die Zeit doch eigentlich sehr schnell… daß ich fände, daß eigentlich – die Zeit – ach, die Zeit…«

Er wußte nicht mehr, was er sagte, sagte es auch nur noch mechanisch hin und verstummte ganz, bevor er ein Ende seines Satzes gefunden.

Aber wenn die Stimme ihm ausblieb, so führten seine Augen eine um so beredtere Sprache. In Worte übersetzt würde sie gelautet haben: O wie schön! … O du grundgütiger Himmel, wie teufelsmäßig schön! … Etwas Schöneres kann man sich nicht denken und gibt’s nicht!

Die Augen aller Anwesenden folgten der Richtung seines verzückten Blickes. In der Türe, die zu den Gastzimmern führte, stand eine hohe weibliche Gestalt. Nicht mehr in der ersten, aber, so wahr einem das Herz aufging bei ihrem Anblicke, in der schönsten Blüte. Sie trug ein einfaches, weißes Kleid, die prachtvollen kastanienbraunen Haare waren, in schwere Zöpfe geflochten, um den edel geformten Kopf gelegt. In der Hand hielt sie einen Strohhut, Handschuhe und Sonnenschirm, und so eigentümlich geschmackvolle, ja wirklich allerliebste Dinge wie diesen kleinen schwarzen Strohhut, diese schwedischen Handschuhe und diesen Sonnenschirm aus ungebleichter Seide meinte Friedrich in seinem ganzen Leben nicht gesehen zu haben.

So hatte ich mir meine Josephe vorgestellt! dachte er. Ludwig dachte: Mit der kann sich nicht einmal meine Lina vergleichen, und beide dachten: Kein Traum kann holder sein! Aber sie hat vor diesem voraus, daß sie nicht zerstiebt beim Erwachen, daß man sie auch mit offenen Augen sehen, ja sogar mit ihr sprechen kann.

Als die Exzellenz ihr die Freiherren nannte und dann zu diesen sagte: »Meine Nichte Siebert«, verneigte sie sich, lächelte und versicherte auf das liebenswürdigste, daß sie »sehr erfreut« sei.

Sie setzte sich zu ihrer Tante auf das Kanapee, in die linke Ecke, neben der Friedrichs Armstuhl stand.

Der ältere Freiherr begann sogleich mit dem schönen Gaste des Schlosses ein lebhaftes Gespräch, während der jüngere tiefsinnig schwieg und die Dame mit ausbündiger Bewunderung betrachtete.

Der Eindruck, den die Erscheinung dieses entzückenden Wesens auf ihn machte, war um so überwältigender, da er ihn in einem Augenblicke innerer Wehrlosigkeit empfing; in einem Augenblicke der Wehmut, der Reue- der Schwäche mit einem Worte!

Es gibt aber auch Zufälligkeiten im Leben, derart merkwürdig, daß man sie für Winke des Schicksals halten muß, und wäre man weise wie Kant und aufgeklärt wie Voltaire. Ich möchte den sehen, der in der Stunde, in welcher er den Verlust einer guten Gelegenheit betrauert, eine hundertmal bessere fände und nicht ausriefe: Fatum! Fatum!

Was Ludwig betrifft, er meinte die Stimme zu hören, die ihm zurief: Da hast du’s wieder, das Glück – das verloren gewähnte! Und dieses Mal greifbar genug. Es wohnt in Perkowitz – es ist die Nichte deiner nächsten Nachbarin!

Er beneidete seinen Bruder recht herzlich um die Beredsamkeit, die dieser entwickelte. Freilich, man muß borniert sein, um vor einem so wunderbaren Wesen mit so hausbackenem Zeug auszurücken. Es geschah indessen mit hinreißendem Ausdrucke. Friedrich sagte: »Solches Wetter im September – das ist ein Segen – da reifen die Trauben – da polarisieren die Rüben!« und sah sie dabei mit Blicken an, die sie förmlich einhüllten in Wohlwollen, und neigte sich über ihre Hände, die auf dem Tische lagen und mit den schwedischen Handschuhen spielten, so tief, so tief, daß man meinte, er werde sie gleich küssen.

Die Dame schien sich des Zaubers, den sie ausübte, wohl bewußt. Sie hätte eine deutsche Lustspiel-Naive sein müssen, um nichts davon zu merken; doch wurde sie dadurch nicht übermütig, sie schien eher ein wenig verlegen, ein bißchen unangenehm berührt.

Wer jedoch die Freiherren mit heller Schadenfreude beobachtete, in wessen Mienen sich der Ausdruck des boshaftesten Triumphes spiegelte, das war niemand anders als Ihre Exzellenz.

Vorderhand war ihr jedoch daran gelegen, ihre wahren Gefühle zu verbergen, und plötzlich hub sie mit ihrer lauten, gedehnten Nasenstimme an: »Ja, was heißt denn das? mein lieber Ludwig? Ich frage Sie schon dreimal, ob Sie Ihre Wolle endlich verkauft haben, und kriege keine Antwort. Was ist denn überhaupt mit euch beiden? Ich weiß nicht, wie ihr mir vorkommt, meiner Treu! … Der eine sitzt da wie Amadis auf dem Armutsfelsen, und der andere… Nehmen Sie sich in acht, Fritz, Sie sehen heute wieder aus, so rot, als sollte Sie gleich der Schlag treffen.«

Den Freiherren war zumute, als ob sie mittelst eines Fußtrittes aus dem siebenten Himmel auf die Erde geschleudert worden wären, und zwar dahin, wo sie am miserabelsten ist. Sie hätten in dem Momente die alte Dame ganz gerne totgeschlagen.

Diese fuhr fort: »Übrigens haben wir miteinander noch ein Hühnchen zu pflücken. Ich wollte Sie bitten, Ihrem Förster die Erlaubnis zu geben, wenigstens manchmal irgendwo anders als an der Grenze zu jagen.«

»Die Erlaubnis?« murmelten die Brüder. »Exzellenz… in der Tat…«

»Als an der Grenze!« wiederholte die Exzellenz scharf und nachdrücklich. »Er patrouilliert Tag und Nacht vor meiner Remise auf und ab und pafft nieder, was sich zeigt – Bock oder Geiß!«

Die Freiherren schrien auf. Die Augen Friedrichs funkelten, und die Ludwigs schossen Blitze. »Ich gebe mein Wort«, sprach der letztere, »daß der Förster entlassen ist, wenn mir die Geiß bewiesen wird.«

»Er vaziert!« rief die Exzellenz und streckte ihre dürre Hand befehlend aus. »Die Geiß ist vorgestern geschossen worden!«

»Exzellenz!« entgegnete Friedrich, kaum mehr Herr seiner selbst, »ich habe das Stück gesehen, es war ein Bock!«

»Es war eine Geiß!« fiel Ihre Exzellenz mit kalter Bosheit ein, und Friedrich schrie wütend… das heißt, er schickte sich an wütend zu schreien, doch blieb es bei der Absicht. Ein Blick seiner schönen Nachbarin verwandelte seine Aufregung in Ohnmacht und seinen Groll in Wonne. Sie sah ihn erschrocken an, flüsterte ihm leise flehend zu: »Ich bitte Sie! Haben Sie Nachsicht mit dem Eigensinn des Alters.«

– Ich bitte Sie! …

Es klang wie himmlische Musik, hinreißend und unwiderstehlich. Nicht nur beschwichtigt, nein, selig neigte er das Haupt vor Ihrer Exzellenz und sprach mannhaft und begeistert wie ein ritterlicher Märtyrer: »Wenn Euer Exzellenz befehlen, so war es denn eine Geiß.«

»Da haben wir’s!« sagte die Tante; die Nichte jedoch legte die Hände wie applaudierend zusammen: »Bravo! Bravo! Sie sind ja außerordentlich liebenswürdig, Baron Gemperlein!«

»In solcher Nähe bemüht man sich wenigstens…« sagte er mit gutmütiger Naivität, und überwältigt von seiner großen, rasch entflammten Sympathie, fügte er hinzu: »Bleiben Sie doch recht lange bei uns, Fräulein!«

Sie hob bei diesem Worte errötend und mit schalkhaft protestierender Miene den Kopf. Schebers Augenbrauen fuhren ihm plötzlich vor Entzücken mitten auf die Stirn; Fräulein Ruthenstrauch stieß in ihrer Fensterecke ein Gekicher aus… Aber die Herrin blickte die beiden Satelliten strafend an. – Schebers Gesicht legte sich sogleich wieder in die gewohnten Angst- und Kummerfalten. Fräulein Ruthenstrauch unterdrückte ihr Gekicher und widerrief es gleichsam durch ein lebhaftes Räuspern.

Die Exzellenz brachte rasch einen neuen Gesprächsgegenstand auf das Tapet und sagte dann, sich an ihren Gast wendend: »Wollen wir den Kaffee im Pavillon trinken, Klara?«

So erfuhren die Brüder, daß die Nichte Frau von Sieberts Klara hieß. Friedrich hatte eine große Freude darüber, begnügte sich aber mit dieser Kenntnis nicht, sondern brachte es, abgefeimt, wie er einmal war, im Laufe des Abends durch geschickt eingeholte Erkundigungen und fein gestellte Fragen so weit, daß er erfuhr, Klara sei die Tochter des Schwagers der Kanzlerin, Herrn von Sieberts, Obersten in sächsischen Diensten. Er jubelte über den Erfolg seiner Forschungen. Dieses Mal wird ihm Ludwig nicht vorwerfen können, daß er sich in ein Phantom verliebt hat, dieses Mal geht er gründlich, praktisch, besonnen an die Vorbereitungen zu einer künftigen möglichen Werbung.

Der Pavillon, in welchem das Abendbrot eingenommen wurde, befand sich auf einer Höhe derjenigen gegenüber, von der aus Schloß Wlastowitz die Gegend beherrschte. Klara erklärte, es sei wunderhübsch gelegen, nehme sich mit seinen weißen Schornsteinen und seinem hohen, französischen Dache sehr freundlich, ja, man könne sogar sagen, imposant aus.

Friedrich meinte ganz beseligt, es käme ihm selbst manchmal so vor. Wlastowitz sei überhaupt ein Aufenthalt, der eigentlich nichts zu wünschen übriglasse… »Eines freilich ausgenommen – eines ja – längst gesucht – nicht gefunden – es fehlt eine…«

»Halt!« unterbrach ihn Klara, »lassen Sie mich raten!«

»Gut, gut, raten Sie… Raten Sie« – wiederholte er leise und blinzelte sie erwartungsvoll an.

»Das wäre eine Kunst, das zu erraten!« sprach die Kanzlerin trocken. »Eine Hausfrau fehlt Ihnen, das weiß ja die ganze Welt.«

Klara versicherte, daß sie auf den Gedanken nicht gekommen wäre, sie lachte, sie scherzte, und, harmlos mitlachend, bemerkte Friedrich die Blicke des Einverständnisses nicht, die Tante und Nichte, Sekretär und Gesellschafterin miteinander wechselten.

Ludwigs Angesicht hatte sich verfinstert. Er schämte sich seines Bruders, er mußte sich zusammennehmen, um ihm nicht laut zuzurufen: Man hat dich zum besten! Das aber ging jetzt durchaus nicht an, und so sagte er nur in tadelndem Tone zu Klara: »Sie besitzen ein sehr heiteres Naturell.«

Sie senkte die Augen und sah plötzlich ganz betroffen aus; erst nach einer kleinen Pause antwortete sie: »Ja«.

Nur: Ja – aber in dem einen Wörtchen lag das freimütigste Eingeständnis, die liebenswürdigste Reue. Ludwig fühlte sich entwaffnet und sagte, schon freundlicher: »Dazu kann man nur gratulieren!«

»Nicht wahr?« sprach sie. »Es ist gut, zu den Leuten zu gehören, die Gott danken, daß er neben den tiefsten Schatten das hellste Licht gestellt hat.«

Ein Zitat, nicht gerade neu, allein ganz charmant gebracht; er mußte ihr seine Anerkennung aussprechen, sie fand eine geistvolle Antwort, und die hohe Meinung, die er sich beim ersten Anblicke von ihr gemacht, war wiederhergestellt. Wie so ganz anders als mit seinem Bruder sprach dieses himmlische Wesen mit ihm! Wie gut wußte sie, mit wem sie es jetzt zu tun hatte, wie gründlich ging sie auf seine gediegenen Erörterungen ein! Er bewies ihr das Vertrauen, das ihr Verstand ihm einflößte, indem er die tiefsten Fragen berührte, mit denen sein Geist sich beschäftigte. Er stellte die drei Kardinalpunkte seiner Überzeugungen auf:

1. Die einzig sittliche Staatsform ist die Republik.

2. Es gibt keine persönliche Fortdauer nach dem Tode.

3. Die Mutter alles Unheils, das je in die Welt gekommen, ist die Phantasie.

Friedrich rutschte in peinlicher Verlegenheit auf seinem Sessel hin und her. – Ein so gescheiter Mensch, dieser Ludwig! aber wie man mit Frauen umgeht, davon hat er keine Idee! … Es tut einem leid, Jesus, wirklich leid um ihn…

Die Kanzlerin fragte laut, wieviel Uhr es sei; Fräulein Ruthenstrauch und der Sekretär gähnten durch die Nase. Es begann kühl und dunkel zu werden; die Gesellschaft begab sich nach dem Schlosse zurück. Im Speisezimmer brannten schon die Lichter, und der Bediente trat an Ihre Exzellenz mit der Frage heran, für wie viele Personen gedeckt werden solle… »Gedeckt? … Wozu? …« fiel ihm die Frau vom Hause ins Wort und wandte sich dann mit unverhohlener Ungeduld zu den Freiherren: »Bleiben Sie auch beim Souper?«

Sie wurde nicht verstanden, denn wie aus einem Munde versicherten die Brüder, daß sie nicht vermöchten, einer so gütigen Aufforderung zu widerstehen.

»Jetzt dauert mir der Spaß lange genug!« sagte Ihre Exzellenz so laut zur Ruthenstrauch, daß diese erschrak und einen langen Blick auf die Freiherren warf. Unnötige Sorge! Sie sahen und hörten nur die schöne Klara. Das Souper wurde auf- und wieder abgetragen: die hartnäckigen Gäste rührten sich nicht.

Die Kanzlerin gab endlich den Befehl, den Wagen der Freiherren, der längst angespannt war, anzumelden. Da erwachten sie wie aus einem Traume und empfahlen sich – beide so verliebt, wie sie bisher nicht geahnt hatten, daß man es sein könne.