18.

«Fremdes Eigentum!» dachte Ronald, als er um die Mittagszeit von der Eisenbahnstation zurückkehrend, auf welcher er Schimmelreiter erwartet hatte, über die Rondsperger Grenze ritt. Ein Fußsteig führte durch die Felder, den schlug er ein. Das Korn stand dicht und mannshoch; vom Winde bewegt, beugten sich die Halme, als ob sie grüßten, und trauliches Geflüster erhob sich in ihren goldig schimmernden Wogen. «Wie bald, und ich werde nicht mehr dein pflegen dürfen, du mütterliche Erde», dachte Ronald.

Wer liebt den Boden nicht, den er bebaut! Dem Landmann war zumute, als er so dahinritt zwischen seinen Feldern, wie einem Herrscher, der scheiden muß von seinem treuen Volke. – –

Baronin Thilde hatte soeben ihre anspruchslose Dinertoilette beendet, da pochte es an die Tür und Ronald trat ein. Sie empfing ihn mit der Frage: «Nun, das Geld erhalten?»

«Ja.»

«Auf dem Heimwege den Notar gesprochen? Mit den Pächtern unterhandelt?»

«Mit zweien schon abgeschlossen.»

«Ja, ja, es ist unglaublich, was man auf dem Lande mit barem Gelde ausrichten kann», sagte die Baronin seufzend.

Sie ließ sich genau Bericht erstatten über die Bedingungen, die vereinbart worden waren, und begleitete Ronalds Auseinandersetzung mit den Ausdrücken ihrer Zufriedenheit.

«Ist recht. – Gebührt ihm. – Gebührt dir. – Der Nutzen gleich groß für beide Teile. – Das sind Geschäfte, wie ich sie liebe, und wie unsereins sie machen darf.»

Während des Gespräches ordnete sie auf dem Tisch die eben benützten Gegenstände aus ihrer Reisetoilette, nachdem sie jeden sorgfältig mit einem Rehfellchen abgewischt hatte, und fuhr fort: «Nimm dich nur vor dem Burggrafen in acht. Ich habe dem alten Spion anvertraut, du hättest ein billiges Anlehen gemacht, das dich in den Stand setzt, alle die Einlösungen und Bauten, die im Werke sind, durchzuführen. Das mag er getrost rapportieren, das schadet nicht. Daß man Schulden machen müsse, leuchtet dem guten Papa immer ein. – Nun aber denk auch an dich, mein Sohn! und daran, dich selbst sicher zu stellen.»

«Wie meinst du das?»

Die Speiseglocke sandte ihre schrillen Töne durch das Haus und die Geschwister beeilten sich, ihrem Rufe zu folgen. Der Graf forderte Pünktlichkeit von seinen Kindern, nicht er wollte sie – sie sollten ihn im Speisesaal erwarten. Es lief niemals ohne Rüge ab, wenn dieses Gesetz auch nur minutenlang übertreten wurde.

«Hast du denn mit ihr gesprochen?» fragte die Baronin im raschen Weiterschreiten.

«Mit wem?»

«Nun – mit ihr – mit der dame de vos pensées»

«Was fällt dir ein?» antwortete Ronald, seine Stimme war bewegt, «wie dürfte ich … Ein solches Glück ist nicht für mich.»

Er blieb plötzlich stehen, erfaßte die Hand seiner Schwester und preßte sie so gewaltig, daß Thilde einen Ausruf des Schmerzes nicht unterdrücken konnte.

«Nun höre!» rief die Baronin, in der das Blut der Rondsperg aufwallte, mit heftigem Unwillen, «Gott danken auf ihren Knien kann sie jede Stunde – die …»

Sie bogen eben um die Ecke des Ganges und erblickten Regula und Röschen, die ihnen entgegen kamen, ebenfalls auf dem Wege nach dem Speisesaal begriffen.

Man begrüßte einander und die Baronin bot Fräulein Heißenstein den Arm.

«Nein!» dachte sie «kostbar wirst du dich nicht machen, meine Beste, schön bitten wirst du, daß man dich aufnehme, denn ‹das Glück› – ach, die Männer sind doch unbegreiflich! – ist ganz und gar auf deiner Seite.»

«Seien Sie barmherzig, Regula», flüsterte sie dem Fräulein zu. «Unser Recke ist schüchtern, wagt es nicht, seine Gefühle auszusprechen – man muß ihm zu Hilfe kommen.»

Regula erwiderte: «O Baronin!» Ihr Gesicht glänzte von jener kalten Freude, die befriedigte Eitelkeit allen eines tieferen Gefühls Unfähigen gewährt.

«Schüchtern ist er allerdings über die Maßen!» sagte sie zu sich selbst. «Er hat nicht einmal gewagt, die Rose aufzuheben, die gestern abends aus meinem Fenster flog.» Sie lag am Morgen noch auf derselben Stelle, auf die Regula sie geworfen hatte, und es blieb dem Fräulein nichts übrig, als hinzuschleichen und das inzwischen verwelkte, verräterische Symbol ihrer Huld – wieder abzuholen.

Ronald hatte (vermutlich um nicht unhöflich zu erscheinen im Vergleiche mit seiner Schwester) Röschen seinen Arm geboten. Die kleine Hand, die sich auf denselben legte, zitterte so sehr, sah so schutzbedürftig aus, daß es unmöglich gewesen wäre, sie nicht mit der freigebliebenen Linken zu erfassen, sie nicht zu drücken, treuherzig und warm. Und dann war es wieder unmöglich, die freudige Bestürzung zu sehen, die die Augen des Mädchens aussprachen, ohne mit innigster Teilnahme zu fragen: «Was ist Ihnen, liebes Röschen?»

Es erfolgte keine Antwort. Sehr beängstigend – – und doch auch wieder sehr natürlich. Man war ja mechanisch weiter geschritten, man trat ja schon in den Saal, wo der Graf und die Gräfin soeben von Fräulein Heißenstein bekomplimentiert wurden. Arm in Arm und Hand in Hand stand das junge Paar vor dem alten.

Der Vater warf einen triumphierenden Blick auf seinen Sohn – wie aus dem Traum erwachend ließ Ronald den Arm plötzlich sinken und stammelte einige unverständliche Worte. Die Gräfin aber zog Röschen, die in lieblicher Verwirrung auf sie zueilte, an ihr Herz.

Zu Anfang des Mittagessens trug der alte Graf die Kosten der Unterhaltung fast allein. Er erzählte Anekdoten, denen man gleich anmerkte, daß sie einer bedenklichen Pointe zusteuerten, sobald er sich der jedoch näherte, hielt er inne, mit gespielter Verwirrung und sprach: «Die Ehrfurcht, die ich für Sie hege, meine Damen, verbietet mir, Ihnen das Ende dieser Geschichte zu erzählen.»

Er überbot sich an Liebenswürdigkeit gegen Regula und sagte ihr sogar etwas Schmeichelhaftes über die Farbe ihres Kleides, die er – da sein Geschmack ein ausgezeichneter war – abscheulich fand; er gab sich Mühe, sie zu bereden, ein Gläschen Wein zu trinken, sie lehnte es ab mit einem obligaten Schreckensrufe. Als der Braten kam, wurde Fräulein Heißenstein gelehrt und brachte mancherlei wissenschaftliche Dinge zur Kenntnis der Gesellschaft. Sie befliß sich einer besonderen Vornehmheit in jeder ihrer Bewegungen, und steckte keinen Bissen in den Mund, ohne dabei ein Gesicht zu machen, das ihre Verachtung einer so untergeordneten Beschäftigung, wie es die Ernährung des leiblichen Menschen ist, an den Tag legte. Sie war ganz Geist, ganz Verstand, und bediente sich nur der gewähltesten Ausdrücke; sie sagte Kossaten statt Halbbauern und Pretia rerum statt Preise der Lebensmittel.

Nachmittags hatte Ronald einen Auftrag seines Vaters auszuführen, entschuldigte sich und fuhr davon. Die Gräfin begab sich mit Regula und Röschen nach der Terrasse, die Baronin, die ihnen folgen wollte, wurde von ihrem Vater zurückgehalten, da er mit ihr zu sprechen wünschte.

«Wir werden die Ehre haben, Sie bald einzuholen, meine Damen, und hoffen Sie dann in günstiger, huldvoller Stimmung zu finden», sprach der alte Herr und zwinkerte dabei Regula schalkhaft zu. Sie fand es angemessen, die Augen niederzuschlagen – sie verstand ihn ja so wohl! Ronald hatte sich seinem Vater anvertraut und ihm die Förderung seiner Herzensangelegenheit übertragen. Der Graf will sich nun mit seiner Tochter beraten, in welcher Weise dies am besten geschähe. Das alles liegt auf der Hand. Die Entscheidung naht – morgen vermutlich wird die Verlobung gefeiert. Regula kann nicht umhin, mit dem größten Erbarmen an Ludwig Bauer zu denken. In den letzten drei Tagen hatte er dreimal geschrieben. Es tut ihr leid um ihn – aber wer kann helfen? Der Augenblick, in dem man die Hand nach einer Grafenkrone ausstreckt, ist nicht der, in dem man in Versuchung kommt, Frau Professor zu werden. Regulas Wege sind gewiesen, und Ehrgeiz ist und bleibt die Leidenschaft großer Seelen.

«Nun Thilde!» fragte der Graf, indem er sich auf seinen mit gesteiftem Kattun überzogenen Diwan niederließ, «was habe ich dir zu sagen?»

«Nun, lieber Papa», erwiderte die Baronin, die sich an seine Seite gesetzt hatte und sofort eifrig an ihrer Häkelei zu arbeiten begann, «wenn Sie das nicht selbst wissen –»

Er lachte, lehnte sich behaglich zurück und sprach: «Sag einmal an, Thilde, was sind von jeher meine Ansichten gewesen über den Wert der Gabel im Stammbaume? Was halte ich davon?»

«Nicht viel», erwiderte die Baronin und sah ihren Vater verwundert an. «Ja», sagte sie zu sich selbst, «wenn sich’s nur um die Gabel handelte – ich sehe aber nicht einmal eine Zinke.»

«Ich bin für das englische Prinzip!» rief der Graf. «Der Mann gibt seiner Frau mit seinem Namen auch seine Ahnen.»

«Jawohl, Papa, das ist Ihre Ansicht.»

«Und so habe ich denn nichts gegen eine Verbindung deines Bruders mit dem kleinen Fräulein von Fehse einzuwenden», fuhr der Graf fort, «es ist mir gleichgültig, daß ihre Mutter aus bürgerlichem Hause stammte. Der Adel ihres Vaters macht alles wieder gut.»

«O Gott, der arme Papa!» dachte die Baronin, und ließ in stummer Bestürzung die Arbeit in ihren Schoß sinken.

«Du kannst mit der Tante sprechen», sagte der alte Herr in einem Tone, als ob er seiner Tochter die huldvollste Vergünstigung erwiese. «Heiraten einleiten ist Weibersache. Mein guter Ronald, obwohl rechtschaffen verliebt, tut den Mund nicht auf. Wenn man ihn sich selbst überläßt, findet er Mittel, sich die Sache am Ende gar noch auszureden. Lauter Vernunft, lauter Überlegung und kein Entschluß, das sind die Liebhaber von heute. Was meinst du, Thilde?» fragte er etwas ungeduldig nach einer Pause, in welcher er vergeblich auf ein Wort der Zustimmung gewartet hatte.

Die Baronin war – ein seltener Fall – ratlos und außer Fassung. Wie es kam, wußte sie nicht, aber es kam, es ging ihr plötzlich auf, deutlich und überzeugend: der unpraktische Papa versteht diesmal seinen unpraktischen Sohn. Ronald hat die Torheit begangen, sich in die kleine rosige Fee zu verlieben. Thilde erklärte sich jetzt alles: seine erregte Antwort von vorhin, seinen leidenschaftlichen Händedruck. An eine Verbindung mit dem Fräulein Heißenstein hat er nie gedacht, er hat Rondsperg ohne jeden eigennützigen Vorbehalt verkauft. Die Baronin irrte sich, wie schon so oft, in ihm, indem sie meinte, das Vernünftige erscheine auch ihm einmal als das Selbstverständliche. Sie ist voll Unmut gegen ihn, und doch – welch ein Wirrsal von Gefühlen in ihrer Brust! – doch auch wieder stolz auf diesen törichten Bruder, mit seiner verwünschten Selbstlosigkeit, mit seiner Großmut, die an Tollheit grenzt. Das Abscheulichste ist das Klügste in gar vielen Fällen und wär’s in diesem ganz gewiß. Wie hatte sie es ihrem edlen Ronald zutrauen können? – Sie begreift sich nicht! Sie fühlt sich beschämt über ihre Kurzsichtigkeit, sie ist entsetzt über den voreiligen Wink, den sie Regula gab. Diese denkt nichts andres, als Gräfin Rondsperg zu werden – das ist ausgemacht. Sie wird sich bitter rächen, wenn ihre Hoffnungen nicht in Erfüllung gehen, die kalte Kreatur, und sie kann es – Ronald ist in ihren Krallen.

Die Baronin war eine zu starke Seele, um durch ihre Mienen zu verraten, was in ihr vorging. Ihr Vater las darin nichts von ihrer Angst und ihrer Bestürzung, aber gar ernst sah die Tochter aus, und ihr langes Schweigen verdroß ihn. In gereiztem Tone wiederholte er den letzten Satz seiner unbeantwortet gebliebenen Rede: «Was meinst du, Thilde?»

Sie erwiderte langsam und zögernd: «Ach – Papa – es ist schwer …»

Der alte Herr fuhr auf: «Was ist schwer? – Einem Menschen ankündigen, daß man beabsichtigt, ihm eine Ehre zu erweisen? … Die Weinhändlerin hat sich wohl in ihren kühnsten Träumen nicht bis zu einer Verbindung mit unserm Hause verstiegen. Ich meine, sie würde, um eine solche zu ermöglichen, alle denkbaren Opfer bringen. Nun – Opfer fordern wir gerade nicht, aber sie kann etwas tun für ihre Nichte. Ronald braucht nichts von seiner Frau, aber seine Frau braucht etwas für sich. Sie wird bei uns nicht einziehen wollen wie Griseldis bei Percival von Wales. Und so wünsche ich denn», fügte der Graf freundlich und fast bittend hinzu, «daß meine kluge Thilde die Sache mit der alten Tante in Ordnung bringe, und zwar gleich; wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn du uns durchaus morgen schon verlassen willst.»

Die Baronin hatte ihre Häkelei wieder aufgenommen und schien ganz vertieft in ihre Arbeit. Jetzt erhob sie den Kopf und sprach: «Lieber Papa, das geht nicht so schnell.»

Ihr Vater stand mit einer zornigen Gebärde auf. Er machte, leise und ungeduldig vor sich hinsummend, einige Gänge durch das Zimmer, blieb dann plötzlich stehen und sprach: «Du legst großen Eifer für das Wohl deines Bruders an den Tag.»

«Was ich irgend kann, will ich für ihn tun.»

«So tu es gleich», sagte er, etwas besänftigt.

«Unmöglich – ärgern Sie sich nicht, Papa!» rief sie, als er wieder Miene machte, aufzufahren, «aber ich werde morgen noch hier bleiben, und dann wollen wir sehen.»

«Wollen wir sehen», spöttelte er giftig, und mit der Absicht, zu verletzen. «Du sprichst wie ein Minister … Meine Kinder dürfen sich nicht oft rühmen oder – beklagen, daß ich Ansprüche an sie stelle. Wenn es aber einmal geschieht, dann lassen sie mich fühlen, daß es nie geschehen sollte!»

«Der arme Papa – der arme Papa!» dachte die Baronin wieder. Sie legte ihre Arbeit zusammen. Ganz und gar mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, fiel ihr nicht ein, dem heftigen Ausfall ihres Vaters die geringste Beachtung zu schenken. Sie hatte sich erhoben und schritt dem Ausgange zu.

«Wohin?» rief der Graf.

«Ich will einen Boten nach Haluschka senden, damit sie mich dort nicht umsonst erwarten», antwortete sie und verließ das Zimmer.

Der alte Herr blieb sehr unzufrieden zurück; ein Verdacht steigt ihm auf. Die Baronin hat vielleicht die Nichte der Millionärin einem ihrer Söhne bestimmt, aber das soll sich die kluge Thilde aus dem Kopf schlagen. Daraus wird nichts. Der Graf wünscht seinen Enkeln alles mögliche Gute, aber ein Röschen verdient keiner von ihnen, denn sie sind doch nur – tölpelhafte Krautjunker.

Er ging noch lange in seinem Zimmer auf und ab und sann über einen Entschluß nach, den er gefaßt hatte, und ohne Verzug ins Werk zu setzen gedachte.

*

Als Ronald gegen Abend in den Schloßhof fuhr, saß Bozena auf einer Bank unter einer der Kugelakazien. Sobald er sie erblickte, hielt er an, übergab Florian die Zügel, sprang vom Wagen und eilte auf sie zu. Sie hatte sich erhoben und blieb, ihn erwartend, ruhig stehen.

«Das ist ja eine Gnade», sagte Ronald, «daß Sie nicht wie gewöhnlich vor mir davonlaufen. Was haben Sie gegen mich, Bozena? Seien Sie aufrichtig, mit mir kann man’s sein.»

«Und mit mir soll man’s sein», antwortete Bozena. «Obwohl mir’s niemand gesagt hat, Herr Graf, weiß ich ja, weshalb wir hierhergekommen sind.»

«Kein Wunder», sprach er. «Alle Leute – meinen Vater ausgenommen – kennen meine Verhältnisse.»

«Also!» rief Bozena, und der Ernst, mit dem sie ihn angesehen hatte, verwandelte sich in Strenge: «Betören Sie mir das kleine Mädchen nicht.»

«O weh!» erwiderte Ronald, und indes er sich bemühte zu scherzen, zuckte es schmerzlich über sein Gesicht, «das kleine Mädchen hat mich betört. Ich bin ein ganzer Narr geworden, der oft das Gegenteil von dem tut, was er tun möchte.»

Sie schoß einen finster funkelnden Blick nach ihm und sprach: «Wenn’s so ist –»

«Seien Sie ruhig», fiel er ihr ins Wort, «Sie können dennoch ruhig sein. Ich hab Übung in der Kunst, zu mir selbst zu sagen: ‹Möchtest das wohl gern? – Du sollst es nicht haben.› – Als ich dieses Röschen neulich sah, da wußt ich, bei meiner Treu, zugleich: ‹Nach dem hast dich dein Leben lang gesehnt›, und: ‹Es soll nicht blühen an deiner Brust.› – Glauben Sie mir», setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, «ich hab mein Herz in der Hand.» Er ballte dabei die Faust, als ob er darin etwas zerdrücken wollte.

«Das ist schon gut», sagte Bozena, «machen Sie aber auch dem Kind das Herz nicht schwer.»

«Ich will ja nicht,» rief er «aber gestern … Ich sage Ihnen alles, Bozena – gestern war ein Augenblick, in dem ich dachte: ‹Warum soll ich mein Glück von mir weisen? Ich hab ein Recht auf Glück so gut wie ein andrer.› Da wollt ich schon zu Ihnen gehen – denn Röschen gehört Ihnen; Sie sind so gut die Mutter des Mädchens, als ob Sie es geboren hätten – und Ihnen sagen: ‹Trauen Sie mir’s zu, daß ich ein Weib ernähren kann?› Ich weiß, was es heißt, sich plagen, man wird mir auftun, wo ich anklopfe. Ich wollt Ihnen sagen: ‹Sie sind schon einmal mit einem armen Paare in die Welt gezogen …›»

Bozena schüttelte den Kopf: «Weil ich’s schon einmal getan habe, tu ich’s nicht wieder, Herr Graf.»

«Und ich bin auch nicht gekommen, Sie darum zu bitten», sprach Ronald. «Ich habe mir den schönen Traum aus dem Sinn geschlagen. Ich darf an mich nicht denken, solange meine Eltern leben, und mir sagen: ‹Wenn sie tot sind, wirst du anfangen glücklich zu sein› – das geht auch nicht. Auf Gräber pflanzt man Zypressen, nicht Myrten. Ich mag auf den Tod meiner Eltern nicht warten.»

Bozenas Augen senkten sich und sie sagte: «Brav.»

«So heißt es Abschied nehmen.» Er brauchte alle Kraft der Selbstüberwindung, um mit fester Stimme sagen zu können: «Ich werde sie vielleicht gar nicht mehr sehen. Wie ich höre, fährt Ihr Fräulein schon übermorgen nach Weinberg zurück. Und ich komme ohnedies spät nach Hause, und bin auch wieder fort beim ersten Morgengrauen.»

«Damit wird Fräulein Heißenstein schlecht zufrieden sein», sagte Bozena. Er fragte jedoch mit solcher Unbefangenheit, was dem Fräulein an ihm läge? und sagte, als sie entgegnete: «Das wissen Sie nicht?» so vorwurfsvoll und doch mit einem so unwillkürlichen Lächeln: «Aber Bozena!» daß sie ihm plötzlich mit den Worten: «Nichts für ungut!» ihre Hand reichte.

Ronald hielt sie fest: «Glauben Sie mir?»

«Ich glaube Ihnen.»

«Nun denn. Ich habe Röschen unaussprechlich lieb, aber jetzt, hier, ohne daß sie es hört, sage ich ihr: Lebewohl.»

Sie schüttelten einander die Hände und traten beide in das Haus.