Kapitel 2

 

Antonio hatte den Tag in der Brancacci-Kapelle zugebracht mit Filippo Lippi. Dieser Sklave seiner Launen war plötzlich von der Lust angewandelt worden, die »Vertreibung aus dem Paradiese« zu kopieren. Antonio malte am Sockel unter dem Taufbilde. Sie kehrten einander die Rücken zu und wechselten kein Wort. Ohne Gruß verließ Lippi zuerst die Kirche, und bald darauf wurde auch sein Widersacher durch die Dunkelheit, die einzubrechen begann, gezwungen, von seiner Arbeit abzulassen. Filippos Staffelei stand vor dem Eingangsbogen der Kapelle. Ein letzter Tagesschein beleuchtete die Kopie schwach, aber deutlich. Antonio verweilte vor ihr, und neidische Bewunderung ergriff ihn. Wie das mühelos hingestrichen war, wie das von Talent strotzte! Wie dieser Filippo Lippi straflos alles durfte, wie er sogar zum Frevel berechtigt schien und sich vermaß, die Worte Fra Giovanni Angelicos mit der Anwendung auf sich zu wiederholen: »Ich ändere nichts, denn so wie ich’s zuerst gemacht habe, so hat es Gott gewollt.«

Er genoß das Leben, seine Heiterkeit gewann ihm alle Herzen, er wurde gesucht und geliebt und ließ sich finden und lieben. Schenkte er hie und da auch der Arbeit einen Tag, lohnte sie ihm dieses karge Geschenk überreich – um wie vieles reicher als dem unermüdlich strebenden Antonio! Der kannte keine andere als die herbe Wonne des Fleißes; in sie vergrub er, was jung und freudedurstig in ihm war, wie in ein Grab und hatte nur eine Sehnsucht und rang nur nach einem Ziel – nach der Macht eines großen Könnens.

Er war nicht verblendet über sich, er sah: Was ich so heiß begehre, wonach ich rastlos jage – der das gemalt hat, der hätte es, sobald er die Hand danach ausstreckte …

Eine fressende Pein ergriff ihn. Ist denn die Kunst eine Dirne, die sich dem treuen Bewerber versagt, um ihre Gunst dem Gleichgültigen zu schenken, der ihrer in flüchtiger Laune begehrt?

»Ich Narr! ich Narr!…« Sein Schrei schlug an die Wände der leeren Kirche, die ihn dumpf widerhallten. Der unheimliche Schall sagte ihm zu; die rieselnden Schauer, die ihn durchliefen, milderten seine ätzende Qual; das leise Grauen, das ihn erfaßte, schläferte sie wohltuend ein. So fuhr er fort, in den hohen, dunklen Raum laut hineinzurufen: »Narr! Narr! Ich diene umsonst. Jahrelang umsonst. O der alte Mann, der mich haßt! O die Worte, die ich nie vergesse: Ein Halber! Ich habe den Fluch, er haftet. Hört es, ihr heiligen Mauern: Ich werde euch nie mit unsterblichen Werken schmücken. Ihr seht meine Herzensnot, meine heiße Arbeit, meinen Ruhm werdet ihr nie sehen. Ich werde sterben, wie der Schrei meiner Verzweiflung zwischen euch erstirbt.«

Er warf sich zur Erde nieder, stöhnend, rasend, in wahnsinnigem Schmerz. Er preßte sein wild klopfendes Herz an die kalten Steine und fühlte sich unsäglich elend und um alles Glück und um alle Hoffnung betrogen.

Daheim auf dem ersten Treppenabsatz traf er Cencetta.

Wie gering war die Beachtung, die er ihr schenkte, und doch wartete sie Tag für Tag geduldig auf ihn, um ihm, wenn er kam, einen leisen Gruß zu bieten, der meist unerwidert blieb. Heute einmal nicht. Sie hatte, an die Rampe des Halbstockes gelehnt, mit weit ausgestrecktem Arm die kleine Lampe über die Stufen gehalten, die er heraufstieg, so langsam, so merkwürdig langsam. Und nun erhob er den Kopf und richtete die Augen auf sie und lächelte sie an, die so demütig und so sehnsüchtig nach einem Blick der Güte von ihm verlangte, wie er nach einem Zeichen der Huld von seiner Göttin. Es war aber ein gar trauriges Lächeln, das ihr ebenso weh tat als wohl. Und doch hätte sie aufgejubelt beim leisesten Ahnen der Gedanken, die ihm in diesem Augenblick durch die Seele schwebten …

Du bist jung, Cencetta, hold und gut. Und du bist arm, und vor dir liegt eine glanzlose Zukunft wie vor mir. Wär’s nicht das beste, wenn wir einander die Hände reichen und fortwandern würden, weit weg von dieser Stätte des Ruhmes und des Glückes der anderen, nach dem stillen Ariccia? Dort klopfen wir an die Tür des Töpferhauses, und eine alte Frau schließt dich freudig in die Arme, wenn ich ihr sage: Da ist, die mein Weib werden soll, und ein alter Mann feiert den süßesten Triumph und vergißt darüber einen langgehegten Groll, wenn ich zu ihm sage: Da bin ich und wieder dein Geselle, gib mir Krüge und Schüsseln zum Bemalen.

Das ganze Bild stand vor ihm. Wehmütig, leidvoll, bitter kam ihm alles zu Sinne, was seiner wartete … auch aller Spott und Hohn … Nur zu! Dir wird, was dir gebührt, du Tor und Träumer, du hoffärtiger Selbstbetrüger!

Cencetta blickte ihm beseligt nach, als er in das Zimmer des Meisters trat. Der Gruß, den er ihr im Vorbeigehen gegönnt hatte, war zutraulich und herzlich gewesen.

Den langen Sommertag hatte die Nacht abgelöst. In Masaccios großer Stube brannte die dreiarmige Lampe. Der Meister saß am Tische mit dem Rücken gegen die Tür. Unberührt lagen Mappe, Pinsel und Stifte neben ihm, der sonst sogar während der Mahlzeiten die Arbeit nur für Augenblicke unterbrach. Er hatte sich behaglich zurückgelehnt und führte – er, der Schweigsame – ein lebhaftes Gespräch mit einem jungen Mädchen, dessen Anblick auf Antonio wie der einer himmlischen Erscheinung wirkte. Sprachlos blieb er stehen, und Masaccio, der sich nach ihm umgewandt hatte, mußte die Aufforderung, näherzukommen und am Tische Platz zu nehmen, wiederholen, bevor der Jüngling ihr stumm und zögernd gehorchte.

Nun saßen die zwei schönen Menschen dem Maler gegenüber. Das Licht der Lampe fiel auf sie herab, aber nicht von ihm, von ihnen schien der Glanz auszugehen, der die dämmerige Stube erhellte. Masaccio sah das verzückte Staunen, mit dem Antonio die Jungfrau betrachtete; er sah auch – und dabei beschlich ihn ein nie gekanntes, bitteres Gefühl – die Röte, die in Margheritas Wangen stieg, als sie nach einem Blick auf Antonio, der kaum weniger Staunen ausdrückte als der seine, die Augen senkte. Sie, die eben so zutraulich geschwatzt und kindlich gelacht hatte, wurde plötzlich schweigsam und befangen. Leise und rührend beschattete ein träumerischer Ernst ihre glanzvollen Züge.

Ergriffen sagte sich der Meister, daß er Zeuge eines hohen Wunders war, des ersten Erwachens von etwas Allgewaltigem, für das ganze Leben Entscheidendem in zwei jungen, erbebenden Seelen.

Ja, sie waren geboren, um einander zu beglücken, die Blühenden, Schönheitbegnadeten! – Guidi betrachtete sie, und ein bitteres Lächeln verzog seinen Mund. In dem Augenblick erlebte er an sich das Beschämendste, erlebte, daß er fähig sei zu empfinden, was er am tiefsten verachtete – Neid. Ja, ja, ja, der Meister beneidete seinen demütigsten Schüler … Was Meister, was Schüler! Nenne dich, wie du magst, sei, was du willst, strebe den Gipfel des Ruhmes an, erreiche ihn, die Liebe eines armen Dorfkindes gewinnst du deshalb nicht im Sturme wie der. Hinunter mit dem kaum entflammten Wunsch, ertöte, ersticke, rotte ihn aus – Masaccio! Er erhob seine Hände und ließ sie, fest angepreßt, an seinen eingefallenen Schläfen, seinen hohlen Wangen herabgleiten. Ein tiefer Atemzug, ein kurzer Kampf, und er langte nach seiner Mappe und sprach: »Mädchen, der große Bursche, dein Nachbar, der dich anstarrt, aber noch vergessen hat, dich zu grüßen, ist mein Schüler, Antonio Venesco. Antonio, unser Gast, das ist Margherita Guidi, meine Base. Unterhalte sie, erzähle ihr etwas Lustiges. Ich will sie lachen sehen, und so will ich sie malen.«

»Sie malen?« rief der Jüngling und hatte auf einmal die Sprache wiedergewonnen. »Versucht das nicht, Meister, versucht das nicht! Das kann kein irdischer Maler, das könnt nicht einmal Ihr: Sankt Lukas müßte vom Himmel steigen, um diese himmlische Schönheit im Bilde darzustellen.«

 

Antonios Warnung erfüllte sich. Das erste Bild, das Maso von seiner Base entwarf, mißlang, und mit einem zweiten war er nicht glücklicher. Filippo Lippi geriet in Begeisterung, als er Margherita zum erstenmal erblickte, und schwur hoch und heilig: jetzt sei es ihm leuchtend aufgegangen, wozu ihn der Himmel mit Talent begnadet habe. Damit er Gottes vollkommenstes Werk nachschaffe – dazu! Und er malte das Dorfkind aus Fontana als heilige Rosa, als heilige Katharina, als heilige Cäcilia, und es entstanden liebenswürdige und anmutige Bilder, keines aber hatte eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit Margherita. Jeder Versuch, den er mit einer bei ihm unerhörten Beharrlichkeit anstellte, ihre Züge mit dem Stift und dem Pinsel darzustellen, bedeutete einen Mißerfolg.

Ehrlich gestand Antonio seine Freude darüber ein. Was hätte es ihm auch genützt, sie verbergen zu wollen? Sie würde sich ja doch verraten haben; sie war so heilsam, diese Freude! Sie hob seinen eine furchtbare Stunde lang niedergeworfenen Mut, ließ den Glauben in ihm aufleben, daß er sich jede Fähigkeit und auch die zutrauen dürfe, die höchsten Güter des Lebens an sich zu fesseln: den heiß ersehnten Ruhm und die Liebe der Geliebten. Untrennbar erschienen ihm die beiden und eines das andere bedingend. Im Sturm war die Liebe gekommen, emporgeflammt wie eine Feuersäule; er fühlte sich von neuen Kräften durchströmt, von einem Bewußtsein seiner selbst, wie er es nie gekannt hatte.

Die Zukunft lag in strahlendem Lichte vor ihm, und er traute sich das Erreichen der fernsten Ziele zu. Masaccio überflügeln, wie der Masolino überflügelt hatte, der größte Maler Italiens und im Besitze des schönsten Weibes sein, davon träumte er, das spiegelten wonnige, kühne Phantasien ihm vor.

Arme kleine Cencetta! Während eines flüchtigen Augenblicks hatte er sie an seiner Seite und in ihr seine Lebensgefährtin sehen können, als das lang verschmähte Gut, mit dem die Resignation sich endlich bescheidet. An seinem grauen Himmel war sie hingezogen wie ein weißes Wölkchen, eine Labe dem in trostlose Eintönigkeit blickenden Auge …

Jetzt schimmerte der Himmel in allverklärendem Glanze, und die Sonne leuchtete über der glücktrunkenen Erde. Wer hätte da noch einen Gedanken für dich übrig, weißes Wölkchen, armer Dunst!

Mit Blitzesschnelligkeit verbreitete sich unter den Künstlern die Nachricht, im Pisanohause sei das schönste Mädchen zu Gaste, das jemals in Florenz gesehen worden war.

Von allen Seiten eilten sie herbei und baten um die Gunst, Margherita abbilden zu dürfen. Jeder versuchte es, keiner konnte sich des Gelingens rühmen, nicht einmal Ghiberti, nicht einmal Donatello. Viel weniger noch Andrea del Castagno, der sich mit bäuerlichem Eigensinn in die Lösung der lockenden Aufgabe verbiß, und Paolo Uccello, für den sie die köstlichste Naturstudie war. Der »sienesische Angelico«, Sano di Pietro, brachte von einem Besuche in Florenz Entwürfe mit, die das ungläubige Staunen seiner Landsleute erregten. Er jedoch fühlte, daß sie kaum einen leisen Begriff von der Schönheit, die sie darstellen sollten, zu geben vermochten. Kein irdischer Meister bildet die Pracht dieser Formen, dieser Linien nach.

Verhältnismäßig am nächsten kam Benedetto Petri mit seinem zarten Pinsel dem Ziele des allgemeinen Ehrgeizes. In seinen Miniaturen spiegelte sich doch etwas von dem lieblichen Glanze wider, der Margheritas Angesicht umfloß. Die ideale Pracht und Reinheit ihrer Züge ganz treu nachzugestalten, dazu reichte auch seine Kunst nicht aus. Sie gerieten immer weniger fein oder herabgewürdigt zum Kleinlichen.

»Wenn ihr doch aufhören wolltet, stets von neuem zu unternehmen, was Masaccio als zu schwer aufgegeben hat!« sagte Antonio zu den jungen Malern. »Seht ihr nicht ein, daß eure Bemühungen zuschanden werden müssen? Atmend nur, in vergänglicher Gestalt nur wollte uns der Schöpfer die vollendete Schönheit offenbaren. Sie zu verewigen ist der Kunst nicht beschieden.«

Er hatte wohl recht. Was sie von sich verlangt hatten, war vielleicht wirklich nicht Menschensache. Um so mehr Menschensache aber war es, nach dem Besitz des Unnachahmlichen selbst zu streben. Die meisten fühlten sich so gut wie berechtigt, für die Niederlage, die sie als Künstler erlitten hatten, als Anbeter und Bewerber entschädigt zu werden.

Filippo Lippi hing, sobald es zu dunkeln begann, sein klösterliches Gewand an den Nagel und schlich in Goldbrokat, den Dolch im blinkenden Gürtel, um die Rosenhecke vor dem Hause herum. Die Herrin der Villa Pisano verglich ihn, aller Naturkunde spottend, mit einem »girrenden Leuchtkäfer«. Er spielte den Gekränkten und wollte sie zur Beichtmutter seiner Liebesleiden machen, was sie ablehnte.

Einen andern als Filippos tändelnden Ton stimmten Briefe und Sonette an, die täglich an der Pforte abgegeben und von Cencetta in Empfang genommen wurden zur Beförderung an die Gefeierte. Über das glückliche Haus, das ihr zur Wohnstätte diente, ging ein Blumenregen nieder, Serenaden wurden vor ihm abgehalten, die süßesten Liebeslieder stiegen zu seinen Fenstern empor. Trieben die Musikanten es gar zu toll, dann erschien Pulcheria auf der Loggia, von miauenden Katzen umringt, und dankte verbindlich für die Huldigungen, die sogleich eingestellt wurden.

Auf Margherita machte die Bewunderung, die sie erregte, anfangs keinen besonderen Eindruck. Sie staunte nur darüber, wie über so manches in Florenz, und setzte alles, was sie erlebte, auf Rechnung der Gebräuche, die in der Stadt gang und gäbe und eben ganz andere waren als die auf dem Dorfe. Daheim war es niemand eingefallen, ein Wesen aus ihrer Schönheit zu machen; niemand hatte ihr einen Vorzug eingeräumt vor ihren Gefährtinnen. Sie hatte ihr einförmiges Leben still dahingelebt. Sie hatte gesponnen und geflickt und – wenn es etwas zu kochen gab – gekocht, die Woche hindurch. Und sonntags war sie in die Kirche gegangen und in die Osteria und hatte am Morgen gebetet und am Abend getanzt. Und sie hatte ihre Eltern treu gepflegt, als sie erkrankten, und ihr Patengeschenk, ihren größten Schatz, ihr gesticktes Seidentuch, zu Gelde gemacht, um ein Kreuz auf das Grab ihrer Mutter setzen zu können.

Sie mußte an die Tränen denken, mit denen sie sich von diesem kleinen Tuche getrennt hatte, als sie eines Morgens ein viel schöneres am Riegel ihrer Zimmertür befestigt fand. Es war reich mit bunter Seide gestickt und mit Goldfäden durchwirkt und hatte lange, seidene Fransen. Als sie es in die Höhe hob, kam ein Paar allerniedlichster Schuhe aus feinem, rotem Leder zum Vorschein, das auf dem Boden stand und von den Fransen verdeckt worden war. Margherita stieß einen Schrei des Entzückens aus und konnte trotz Cencettas Versicherungen nicht glauben, daß auch die ihr gehörten.

»Wer schenkt mir das alles?« fragte sie endlich und küßte die Schuhe und drückte das Tuch liebkosend an ihr Gesicht. »Wem soll ich danken?«

Cencetta durfte den Geber nicht nennen; sie hatte es hoch und heilig geschworen und hielt nur zu gerne Wort.

»Versprich, versprich es mir, gib mir die Hand, leiste einen Eid darauf«, hatte Antonio gesagt, »daß du ihr nicht verraten wirst, wer diese Sachen gebracht hat. Willst du es mir versprechen, liebe, kleine, hübsche Cencetta? Tu’s – und du sollst immer meine Freundin und Vertraute sein.«

So herzlich und gut redete er zu ihr und streichelte ihre erglühenden Wangen, und sie, in ihrer opfermutigen Hingebung, versprach alles, was er wollte. Durch sie erfuhr Margherita nicht, woher die Geschenke kamen, die keine emphatischen Widmungen trugen, nicht von bebänderten Pagen überbracht wurden und nicht mit höflicher Empfehlung von Donna Pulcheria an den Spender zurückbefördert werden konnten.

Sie waren und blieben da. Margherita fand sie in Gestalt von Ohrringen, Ketten, Amuletten, kostbaren Stoffen unter ihrem Kopfkissen, in ihrem Schranke, ihrer Truhe. Ohne zu fragen: Woher nehmt Ihr alle die Kostbarkeiten? ohne den geringsten Einwand zu erheben, befolgte Cencetta die Anordnungen Antonios. Nur wenn er sagte: »Du freust dich gewiß selbst an jeder Freude Margheritas. Sie ist so arm, hat nicht Dach noch Fach, nicht Vater noch Mutter« – da schwieg Cencetta, schüttelte fast unmerklich den Kopf und lächelte traurig vor sich hin.

Dach und Fach, Vater und Mutter machen es nicht aus. Die kann eines haben und doch viel ärmer sein als die arme Margherita.

Die Zeit verging. Der Lerneifer Antonios war allmählich erloschen. Der früher unermüdlich Emsige fand nun täglich einen Vorwand, sich spät bei der Arbeit in der Kapelle einzustellen und sich bald wieder fortzuschleichen. Daß er deshalb nicht müßig ging, schien dem Meister ausgemacht. Guidi und Pulcheria zweifelten auch nicht daran, daß die Beschäftigung, die er hinter dem Rücken Masaccios betrieb, einträglich und daß er der Spender der geheimnisvollen Geschenke sei, die der schönen Hausgenossin dargebracht wurden. Einmal hatte Pulcheria ihre offenbar in die Sache eingeweihte Dienerin ins Verhör genommen. Doch war Cencetta in so heftiges Schluchzen ausgebrochen, hatte die Gebieterin so leidenschaftlich beschworen, sie nicht zu einem Treubruch zu verleiten, daß Donna Pisano darauf verzichtete, der Kleinen ein Geständnis abzuringen. Ihrem Maso redete sie aber ins Gewissen und erklärte ihm die Notwendigkeit und die Pflicht, die Schliche seines Schülers aufzudecken.

Guidi ließ alles gelten, versprach, Antonio zur Rede zu stellen – und verschob immer wieder die Ausführung des leidigen Auftrags. Er hatte ihn noch nicht erfüllt, als ein Zufall ihm die Gelegenheit dazu in die Hand spielte.

Eines Morgens, da er sich auf dem Wege nach dem Carmine befand, sah er zwei Männer längs des mit Ölbäumen bepflanzten Hügels der Stadt zuschreiten. Sie schienen in lebhaftem Wortwechsel begriffen, gingen sehr rasch und entschwanden bald seinen Augen. In dem einen von ihnen hatte er Antonio, in dem andern den Händler Giorgio Galantuomo erkannt. Vater Galantuomo nannte der sich selbst, hatte ein breitspuriges Auftreten, biedere Manieren und ewig ein väterliches Lächeln auf dem fettglänzenden Gesicht. Offiziell vermittelte er Geschäfte zwischen Künstlern und Kunstfreunden und verkaufte allerlei Luxuswaren. Unter der Hand befaßte er sich mit dem Absatz von Geheimmitteln und – wie er glimpflich sagte – von fazetiösen Bildern.

In der Via Ginori befand sich sein wohlbekannter Laden, und dort suchte Masaccio ihn auf. Der Verdacht, den der Maler gefaßt, als er seinen Schüler in Gesellschaft des Giorgio erblickt hatte, bestätigte sich. Nach einigem Zögern und Hin- und Herreden gab der Händler zu, daß Antonio ihm allerlei gangbare Ware für sein stets ausverkauftes Magazin von Ergötzlichkeiten liefere. Er ließ sich sogar herbei, einiges davon vorzuzeigen, kleine, sauber ausgeführte Darstellungen unsauberer Vorgänge. Einzelne Gestalten und Gruppen erinnerten noch an die Schildereien, mit denen der Töpfer von Ariccia dereinst seine Schüsseln und Krüge geschmückt hatte.

Vater Galantuomo schrieb den tiefen Unmut, der sich in Masaccios Zügen aussprach, einem andern als seinem wirklichen Grunde zu. »Unser lieber Venesco plündert mich aus«, sagte er seufzend, »macht sich sehr kostbar. Wenn aber Ihr, Maestro, mir so ein paar Illustratiönchen liefern wolltet, der Metamorphosen Ovids zum Beispiel oder, noch besser, einiger Novellen unseres Boccaccio, nach denen schon oft gefragt worden ist … da wäre mir kein Preis zu hoch – das Doppelte …« Er erschrak über den Blick, den der Maler ihm zuwarf, und verbesserte sich: »Das Zehnfache würde ich Euch bezahlen. Nicht größer als diese sind, brauchten Eure Bilder zu sein. Das ist das beste Format, leicht in die Tasche zu stecken. Das kann jeder bei sich tragen, es macht jedem Vergnügen.«

»Das beste Format«, wiederholte Guidi so sanft, als die Entrüstung, die in ihm kochte, es erlaubte.

»Dürftet meinetwegen auch ein anderes wählen. Was Ihr macht, wie Ihr es macht – mir ist alles recht … Beglücken freilich – aber wer darf Euch darum bitten? – würde mich ein Bild wie das, das unser lieber Venesco der Hexe Fidelfo auf das Wirtshausschild gemalt hat und das ihr viele Gäste anlockt. Ihr kennt es nicht? – Ja so – wart nie in der Gegend hinter la Trinità vecchia? Ein gutes Stück vom Klösterchen? Kennt das Haus der Fidelfo nicht und nicht das Werk Eures Schülers? – Ja so!« Er blinzelte ungläubig: »’s ist doch sein Meisterstück … wird sehr gelobt, freilich nur im stillen – aber von unseren exquisitesten Persönlichkeiten. Etwas dergleichen malt mir. Ich bedecke unserem lieben Meister sein ganzes Bild mit Goldgulden«, sprach er vertraulich zuredend und wollte seine behaarte Hand auf die Schulter Guidis legen.

Der fuhr zurück wie vor der Berührung eines Aussätzigen.

Als Antonio ein nächstes Mal wieder vorzeitig Feierabend machen wollte, befahl ihm Masaccio zu warten, bis er selbst die Kapelle verlassen werde, und ihn dann zu begleiten. Er habe eine Entdeckung gemacht, die er ihm nicht vorenthalten dürfe, sagte er. Ungewohnte Strenge lag in seinem Tone; Antonio wagte keinen Widerspruch und folgte dem Meister auf dem Weg, den er einschlug und der zum Ponte alla Carraia führte.

Es war Nacht geworden, Schirokkoluft wehte atembeklemmend und schwer; träge wälzte der Fluß trübe Wellen durch sein halbversandetes Bett. Jenseits des Arno schritten die beiden Männer durch die Via Guelfa und weiter an einzelstehenden, armseligen Häusern vorbei und gelangten endlich zu dem zwischen Buschwerk fast verborgenen Eingang eines Gartens. Ein dichter Laubgang empfing sie, den Masaccio mit sicherem Schritte betrat. Antonio suchte ihn zurückzuhalten. »Wißt Ihr, wohin wir da kommen?« fragte er und trachtete nicht länger, seine furchtbare Unruhe zu verbergen. »Ihr wißt es nicht. Kehrt um! kehrt um!«

»Wir kommen zur Spelunke der neuen Locusta«, versetzte Guidi ruhig. »Ich kann dir die Bekanntschaft mit ihr nicht ersparen. Vorwärts!«

Der freie Raum, den sie jetzt erreichten, war fast menschenleer, nur hie und da eine Bank von stillen Leuten besetzt. Beobachter, schüchterne Neulinge, Späher vielleicht. Schwelende Öllämpchen, auf Tischen aufgestellt, bildeten rote Zünglein im Dunkel. Buschwerk und Bäume, die sich schwarz abhoben vom bleifarbigen Himmel, umgaben das, wie es schien, geräumige Haus. Verhüllte Gestalten, eng umschlungene Paare glitten vorüber, traten lautlos ein. Schwacher Lichtschein stahl sich durch einige verhangene Fenster des oberen Geschosses; die des unteren standen offen. Die Klänge einer frechen Musik drangen aus ihnen hervor und zwischendurch Gesang und wüstes Gejohle und das Jauchzen trunkener Weiber.

Mit bebender Hand umklammerte Antonio den Arm Maso Guidis: »Keinen Schritt weiter, lieber Meister!… Die Bilder, die man dort zu sehen bekommt, sind nicht für Euer Auge!«

»Und doch ist dieses lärmende Laster Unschuld im Vergleich zu dem, das da oben flüstert, buhlt und Gifte braut«, erwiderte der Meister und zog ihn unerbittlich näher zum Hause.

Auf der Schwelle erschien eine Frau in verschossenem Seidenkleide, Blumen und Goldflitter in der hochaufgetürmten Frisur. Ihre harten, scharfen Züge hatten etwas von der unheimlichen Starrheit einer Larve. Lauernd betrachtete sie die Herannahenden. Ein Lächeln blitzte über ihr bemaltes Gesicht, als sie in dem einen von ihnen Antonio erkannte. Sie schien reden zu wollen, besann sich aber und deutete nur grinsend auf ein buntes Schild, das, von Lampenlicht beleuchtet, über der niedrigen Haustür an einem Arm aus geschmiedetem Eisen hing.

Auch Maso Guidi erhob die Hand, und auch er deutete nach dem Schilde und sprach gebieterisch: »Sieh dorthin! Das zu sehen, habe ich dich hergeführt. Dorthin, sage ich!«

Antonio gehorchte nicht. Er hielt den Blick fest auf den Boden gesenkt und wiederholte ein Mal ums andere: »Fort, lieber Meister, ich beschwöre Euch: fort von hier!«

»Du hast die Augen nicht erhoben und doch gesehen«, sagte Masaccio, als sie sich wieder im Freien befanden. »Ein gewissenloser Bube bestiehlt dich und verhunzt das Gestohlene. Dein Bildchen, die Entführung des kleinen Bacchus – liegt diesem schändlichen Spelunkenbild zugrunde. Und viele andere deiner Jugendwerke, an denen ich meine Freude hatte, noch bevor ich dich kannte, hat der Elende in Kupfer gestochen und alle verschändet. Oh! fröhlich scherzenden Übermut in zynische Niedertracht verwandeln, aus edler Traube Jauche pressen ist eine Kunst … eine beliebte und einträgliche, das weiß der Unterhändler, der die Zuchtlosigkeiten unter die Leute bringt. Mache dem Treiben den Garaus, Antonio! Suche den Buben auf, der zwar besser zeichnen kann, als du vor Jahren gezeichnet hast, dem aber nichts einfällt und dessen Erfinden heißt: entadelnd wiederholen. Suche ihn auf, und wenn du ihn gefunden hast – dann erwürge ihn!«

Von dem Tage an erhielt Margherita keine anonymen Geschenke mehr, und sie war es zufrieden. Sie kam sich ohnehin schon reich genug vor, und überdies – bedurfte sie des Putzes? Wenn sie in dem einfachen Kleide ausging, das Pulcheria ihr hatte machen lassen, wurde sie dennoch Madamigella und sogar Donzella nobile tituliert, und das schmeichelte ihr. Von der Meinung, die Art, in der man ihr in Florenz begegnete, sei auf Rechnung der städtischen Gebräuche zu setzen, war sie nach und nach abgekommen, Sie sah, daß weder Cencetta noch andere Mädchen soviel Aufmerksamkeit erweckten wie sie, und hätte stumpfsinnig sein müssen, um sich des Vorzugs, den sie genoß, nicht bald als eines ganz persönlichen bewußt zu werden. Nicht nur die Maler und die Bildhauer blieben stehen und sahen ihr bewundernd nach, wenn sie sich an Pulcherias Seite auf der Straße blicken ließ. Jung und alt, vornehm und gering huldigte ihr, und sie machte sich ein Vergnügen daraus, den Zauber, den sie besaß, mit spielerischer Neugier zu erproben. Sie konnte es gefahrlos tun, denn mehr, als sie mit Blicken anzufunkeln oder anzuschmachten, wagte keiner; die Nähe der alten Jungfrau Pisano bot Schutz und Schirm gegen Zudringlichkeit.

Jeder wußte das, nur Antonio wollte sich davon nicht überzeugen lassen. Er war wie auf dem glühenden Roste, wenn er Margherita auswärts vermutete, und stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihr und warnte vor dem Eintritt in diese oder jene Straße, fabelte von der oder jener drohenden Gefahr.

Pulcheria empfing ihn bei solchen Gelegenheiten durchaus ungnädig: »Gefahr hin und her! Ist eine da, bin auch ich da und Mannes genug, ihr zu begegnen! Trollt Euch zu Eurer Arbeit, die Ihr elend vernachlässigt seit einiger Zeit.«

Ach Gott, ja! Wenn die Tochter der Pisano wollte, war sie Mannes genug, Zudringliche von ihrem Schützling abzuwehren. Wollte sie aber auch in jedem Falle? Antonio fand, daß es einen gab, gegen den sie sträfliche Nachsicht übte, den Sohn einer der vornehmen Damen, die ihr ab und zu einen Besuch machten.

Er hieß Bernardino und war das einzige Kind der reichen Patrizierswitwe Isotta Montanini und ihr Abgott. Ein feines Früchtchen, das schon mit vierzehn Jahren auf Liebesabenteuer ausgegangen, sich aber heute noch, als Zwanzigjähriger, vor einem bellenden Hunde verkroch. Er bewohnte einen schönen Palast, ritt die edelsten Pferde, kleidete sich prächtig und kunstvoll, hatte ein hübsches Gesicht mit lebhaften und unruhigen Vogelaugen und war hager und schlottrig in seinen zarten Gliedern.

Dieser Montanini fand alle Augenblicke einen Vorwand, der hochverehrten Pulcheria seine Aufwartung zu machen. Er stiefelte hinter ihr her – allerdings nur, wenn sie mit Margherita ausging … in respektvoller Entfernung, ja! aber doch! – und: »Was hat er hinter Euch herzuklappern, der dürre Laffe?« fragte Antonio so oft und so eindringlich, daß Pulcheria endlich ungeduldig wurde.

»Und was hat es Euch zu kümmern?« erwiderte sie. »Ich kenne ihn, seitdem er auf der Welt ist, und seine Mutter noch einmal so lange. Unsre Häuser waren einst befreundet. Ich habe keinen Grund, ihm die Tür zu weisen.«

»Tausendfachen Grund. Ihr müßt doch sehen, daß er Margherita nachstellt.«

»Nachstellt! Ich rate Euch, Jüngling, legt Eure Worte, wenn Ihr mit mir redet, auf eine empfindlichere Waage … Nachstellt! Er ist kein Fuchs, und sie ist keine Wachtel. Ich aber bin Pulcheria Pisano!«

»O Madama, Madama!«

»Was – Madama? Ich bin keine. Was meint Ihr mit Eurer Madama? Wollt Ihr mich auf meine Weiblichkeit aufmerksam machen, die für Euch soviel heißt wie Schwäche? Ich habe trotz aller Weiblichkeit immer verstanden, mich und meine Umgebung vor Unbill zu bewahren. Dieser kleine Bernardino denkt übrigens nicht daran, uns welche zuzufügen. Margherita gefällt ihm – wie sollte sie ihm nicht gefallen? Er liebt sie vielleicht, und warum sollte er sie nicht lieben? Und wenn er sie liebt, hat er auch redliche Absichten.«

»Allmächtiger! Ein reicher Patrizier wird redliche Absichten haben einem armen Dorfkinde gegenüber! Ihr – so klug, so weise, Ihr haltet das für möglich?«

»Warum nicht, Antonio Venesco!… Popolana und Patrizier, das stimmt wieder in unserer Republik. Eine Zeitlang stimmte es nicht. Damals wäre eine Popolana zum Patrizier nicht hinabgestiegen, der sich nicht in Florenz das Bürgerrecht verdient hätte. Vieles hat sich verändert; und doch entsinne ich mich desselben Tages im selben Jahre, an dem in Santa Maria Novella ein Malespino mit einer Schreibers- und ein Giacomini mit einer Bäckerstochter getraut wurde.«

»O Monna Pulcheria!« rief Antonio in Wut und Verzweiflung. »Und so meint Ihr … Um Gottes und aller Heiligen willen, meint nichts dergleichen … Bernardino und Margherita vor dem Altare – wenn ich das denke … ich kann es nicht denken. – Das Urbild der Schönheit in diesen dürren Armen, die weiß der Teufel wen schon umfangen haben.«

»Basta!« versetzte das Fräulein und erteilte ihm in einem Atem ein Verbot und einen Befehl. Das Verbot, in ihrer Gegenwart von unziemlichen Dingen zu sprechen, und den Befehl, sie von seinem Anblick zu befreien.

 

Pulcheria und Margherita pflegten regelmäßig am Sonntag dem Hochamt im Dome beizuwohnen, und immer fand Bernardino sich dort ein und reichte ihnen am Eingang und am Ausgang seine in Weihwasser getauchten Fingerspitzen. Manchmal erwartete er sie auch schon in der Nähe von San Giovanni und folgte ihnen in gemessener Entfernung. Sie auf der Straße anzusprechen, hatte er so wenig wie irgendein anderer je gewagt.

Eines Sonntagmorgens, als über Florenzia, der herrlichen, warmer Frühlingsodem hinstrich, alle Bäume und Sträucher grünten, in den Gärten die Blumen blühten und in den Herzen der Menschen die Liebesknospen schwollen, da hüpfte auch im Seelchen Bernardinos ein Funken Mannesmut empor.

Sein Schneider hatte ihm einen längst bestellten, köstlichen Anzug aus weißer Seide gebracht. Als er sich seiner Mutter darin zeigte, weinte sie vor Rührung und sprach in ihrer zärtlichen Verblendung: »O Kind, wie beglückt es mich, daß du dein Unschuldskleid mit gutem Rechte trägst!«

Es freute ihn, daß er so gut aussah. Er befahl dem Gärtner, die zwei schönsten Rosen, die es im Garten gab, abzuschneiden, nahm sie in Empfang und schlug den Weg zum Dome ein. Weil er aber in seiner blütenweißen Pracht und mit seinen Rosen in der Hand zuviel Aufmerksamkeit erweckte, zuviel spöttische Zurufe und kecke Fragen zu hören bekam, trat er in ein dunkles Sackgäßchen und wartete dort ungeduldig und lange umsonst und verlor allmählich die Hoffnung, den kühnen Streich, den er ersonnen hatte, ausführen zu können. Auch der Unternehmungstrieb, der so angenehm in ihm geprickelt hatte, begann sich zu empfehlen, als die Ersehnten endlich sichtbar wurden.

Pulcheria kam langsam und feierlich einher, wie sie es auf dem Weg zur Kirche schicklich fand, und trug nicht ihr leichtsinnig flatterndes Mäntelchen, sondern einen würdevollen Mantel aus schwerem dunkelgrünem Sammet.

Ein Erbstück, darauf wollte Filippo Lippi schwören, nach Niccolo Pisano, der ihn in Perugia zur Feier der Enthüllung seines berühmten Brunnens angelegt hatte.

Ihren Gang nach dem der Padrona bemessend, kam einen Schritt hinter ihr Margherita, den Rosenkranz um die Hand geschlungen, den schwarzen Schleier auf dem Haupte.

Wie schön! wie schön! dachte der Kleine, und es überrieselte ihn, und er sah, daß alle, die ihr begegneten, etwas Ähnliches empfanden wie er, ein Staunen, freudig und verwirrend, eine Bewunderung, in die sich Ehrfurcht mischte. Das blendende, prunkende Tageslicht umspielte liebkosend die Erscheinung eines Vollkommenen mitten unter Unvollkommenheiten.

Bernardino schrumpfte förmlich zusammen im Angesichte dieser Majestät und zog sich tiefer in sein Versteck zurück. Dabei streiften seine bauschigen Ärmel und sein Mantel die Wand, und da gab’s ein Rauschen und Knistern von feinster Seide und von schwerer Goldstickerei, so vornehm, so stolz, daß ihm sein entflohenes Selbstbewußtsein nach und nach wiederkehrte.

Er warf sich in die ausgepolsterte Brust seines Wamses, ließ noch Pulcheria am Hause vorübergehen, trat leise und plötzlich vor Margherita hin und zwang sie stehenzubleiben. Nun aber war auch sein Heldenmut erschöpft, die Worte, die er hatte sagen wollen, blieben ihm im Halse stecken. Stumm, mit einer flehenden Gebärde bot er ihr seine Rosen an.

Margherita war überrascht. Er kam ihr komisch und auch ein wenig rührend vor; sie deutete mit dem Finger auf die Blumen und sagte scherzend: »Für mich? diese fürstlichen Rosen für mich? Nein, nein – das kann ich nicht glauben.«

»O nehmt! nehmt!« Und er suchte sie ihr aufzudrängen.

Das Geläute der Kirchenglocken ertönte.

»Nun denn, so gebt und lebt wohl!«

Sie griff nach den Rosen, und Bernardino stammelte entzückt: »Himmlische! Ihr wißt, was das bedeutet?«

In dem Augenblick hatte Pulcheria sich nach ihrer Begleiterin umgesehen und rief ihr streng und hastig zu: »Halt! halt! Was fällt dir ein?«

Zugleich wurde Bernardino hart angelassen. Der unsichtbare Beschützer hatte sich einmal wieder in einen sichtbaren verwandelt. Antonio faßte den Arm des ertappten Schlaukopfs. »Sie weiß es nicht«, sprach er, »und schändlich ist es von Euch, sie zu betrügen … Margherita, diese Rosen sagen: Ich liebe dich. Wenn Ihr sie annehmt, sagt Ihr: Ich liebe dich wieder … Wollt Ihr diesem Gesellen das sagen, Margherita?«

Sein Ton war voll Grimm und Schmerz, und aus den Augen, die er funkelnd auf sie richtete, sprach die glühendste Liebe, eine Liebe, groß und prächtig, eine lodernde Flamme, neben der Bernardinos zitterige Leidenschaftlichkeit ein schwaches Glasten schien.

Antonios nervige braune Hand lag noch immer auf dem weißen Atlas des Puffärmels und zerdrückte ihn unbarmherzig, und der magere Arm, der darin steckte, machte vergebliche Versuche, die Umklammerung loszuwerden. Auf einmal aber gab sie von selbst nach. Die starke Hand hob sich – mit einer fast entschuldigenden Bewegung.

Margherita hatte gesprochen. »Er träumt – der Jüngling da träumt, Messere, oder sieht Gespenster. Wie er sich’s einbildet, war es von Euch nicht gemeint und nicht von mir. Ich für meinen Teil leugne: sagt auch Ihr nein.«

»Und wenn Ihr es auch nicht sagt, wir nehmen es für nein«, entschied Pulcheria und warf ihm ein ungnädiges »Lebt wohl!« zu.

Beschämt und gekränkt wich der Kleine zurück.

Die Frauen setzten ihren Gang zur Kirche fort; Antonio folgte ihnen. Nach einer Weile sah Margherita sich nach ihm um und sagte: »Da seid Ihr wieder erschienen wie ein Geist und habt mich aus großer Gefahr gerettet.«

»Aus einer scheinbaren hoffentlich nur«, erwiderte er.

»Wieso? Wie meint Ihr das?… War sie nicht ernst?«

»Darüber könnt nur Ihr entscheiden, es kommt auf Euch allein an.«

»Auf mich?«

»Auf den Eindruck, den Ihr empfangen habt.«

»Eindruck?« Sie wiegte den Kopf. Ihr Lächeln war voll holden Zaubers und schöner Rätsel.

»Es kommt darauf an, ob der Frieden Eures Herzens gestört ist, Eure Seelenruhe.«

»Wenn es darauf ankommt, bin ich nicht in Gefahr gewesen …« und jetzt lachte sie, und Pulcheria pflegte ihr Lachen mit in Musik gesetztem Sonnenschein zu vergleichen, etwas, das nur sie sich vorstellen konnte.

Heute hatte sie nicht die gewohnte Freude an dem süßen Schall. »Schweigt, ihr zwei!« befahl sie, »und sammelt euch. Wir gehen zur Kirche und nicht zur Osteria.«

Sie war im Begriff, zwischen die jungen Leute zu treten, als sie sich plötzlich von ihnen getrennt sah. Ein Zug Sbirren bog aus einer Seitenstraße um die Ecke von Santa Maria Maggiore und schritt längs der Kirchenmauer in der Richtung des Domplatzes. Erschrocken drückte sich das Fräulein an die Wand und hatte plötzlich ihre Schutzbefohlene aus den Augen verloren. Margherita befand sich mit Antonio auf dem Platze des Baptisteriums, jenseits des Sbirrenzuges.

»Gesegnet diese wandelnde Wand!« jubelte er. »Endlich kann ich Euch sprechen ohne Zeugen … Endlich Euch sagen – Euch sagen … was Ihr wißt!« brach er hochatmend aus.

Und sie, mitergriffen von der Glückseligkeit, die sein ganzes Wesen ausströmte, leuchtete ihn an mit strahlendem Blick. Ich liebe dich, denn du bist schön! sprachen ihre Augen, ihre Lippen aber sprachen: »Was ich weiß und was ich errate … alles errate ich – wer der ist, der mir immer Freude zu machen sucht, wer mir Bänder und Ketten und Ohrringe geschenkt hat und« – sie streckte die Spitze des Fußes vor – »diese schönen roten Schuhe.«

»Mehr als Bänder und Ketten und Ohrringe, mehr als er Euch geschenkt hat, Margherita, habt Ihr ihm genommen.« Er neigte seinen Kopf zu dem ihren und hauchte ihr ins Ohr: »Sein Herz, seine Seele, seine Gedanken. Er hat keine Sehnsucht mehr als die nach Euch, sein Fleiß, seine Ausdauer, sein Ehrgeiz, seine Lust an der Arbeit, alles fort … Nur Ihr seid da, seid für ihn die Welt und alles, was ist und sein wird …«

Sie hörte ihm zu in einem seltsamen Gewirr von Gefühlen. Geschmeichelt, wonnig erstaunt, ein wenig bang. Sie hätte seiner Stimme ewig lauschen mögen und seinen Worten, und erwartete doch gespannt, daß der Zug der Sbirren ein Ende nehme.

Als er vorüber war und Pulcheria wieder zum Vorschein kam, gab’s ein Begrüßen wie nach langer Trennung. Margherita bedauerte die Padrona und fegte ihr den Mauerstaub vom Mantel. Pulcherias Entrüstung über die rohe Soldateska fand einen energischen Ausdruck. An die Wand gepreßt von diesen Lümmeln, die Tochter der Pisano – wie Luft! Bei lebendigem Leibe um das Bewußtsein ihrer Persönlichkeit gebracht, tödlich beschämt durch das Gefühl der Auflösung in nichts!

Im Dome kniete Antonio hinter Margherita, und als sie einmal verstohlen nach ihm blickte, sah sie ihn, die Augen in Verzückung zum Allerheiligsten auf dem Altar emporgerichtet, mit einer Sehnsucht, einer Andachtsglut, als ob er die Seligkeit des Himmels zu sich herunterbeten wollte.

 

Am Abend, als alles still geworden war im alten Hause am Monte Oliveto, Margherita und Cencetta in ihrer großen Stube zwischen dem Zimmer der Herrin und der Katzenresidenz schliefen, Antonio sich in seine Dachkammer begeben hatte, leistete Pulcheria ihrem Pflegesohn noch Gesellschaft beim Nachtmahl. Sie erzählte von den Vorgängen am Morgen: »Heute hat er sich erklärt, ja, heute. Im Gesicht ist es ihm geschrieben gewesen und auch ihr. Ich konnte es nicht verhüten und er selbst nicht. Ebensogut vermöchte der Vesuv seine Lava hinunterzuschlucken wie der Verliebte seine Liebesworte.«

Masaccios Lippen verzogen sich, als sie so sprach, zu einem seltsamen Lächeln. »Der Hoffnungslose muß es vermögen«, sagte er. »Das zu sein wäre aber Antonio ein Narr. Die zwei schönsten Menschen sind füreinander geschaffen, Gott selbst hat sie einander bestimmt.«

Sein Lächeln hatte der Freundin weh getan, und was ihr weh tat, wies sie von sich als das Üble und Feindliche. Göttliche Bestimmung sei freilich alles, erwiderte sie gereizt. Auf der Hand pflege sie jedoch nicht zu liegen und am wenigsten sich in der Verliebtheit zweier Grasäffchen zu offenbaren. »Jugendliebe – wer hat die Kinderkrankheit nicht einmal durchgemacht?« Sie legte den Finger an die Stirn, ein phosphoreszierendes Leuchten erglomm in ihren großen grauen Augen. »Und – zweimal!… dreimal!… Und« – nun schlug sie mit der flachen Hand auf ihre Knie, kreuzte dann die Arme, richtete den Kopf empor und schloß: »Und ist doch eine alte Sibylle geworden.«

»Mit einem Sohne«, sagte Masaccio.

»Mit einem großen Sohne«, wiederholte sie stolz.

Am nächsten Tage schon nahm die alte Jungfrau Margherita ins Gebet: »Liebst du den Antonio Venesco?«

O ja! – von allen Menschen gefiel er ihr am besten. Sie war ihm auch so gut, wie sie glaubte nie einem anderen sein zu können. Und dankbar, so dankbar war sie ihm! Sie wußte, daß er ihr gern alles, was er besaß, gegeben, ihr freudig jedes Opfer gebracht hätte. Ja, sie liebte ihn, von ganzem Herzen liebte sie ihn.

Seine Braut wollte sie aber noch nicht genannt werden, und wenn er sie darum bat, hatte sie hundert Ausflüchte.

»Halb Florenz würde unglücklich!« erwiderte sie ihm scherzend. »Gönne mir noch eine Weile meine Freiheit!« sagte sie ernsthaft. »Bin ich einmal Braut, dann bin ich auch bald Frau, und warum soll ich schon Frau werden? Ich bin noch so jung … Und Madonna Pulcheria ist – wie mir scheint – dagegen. Sie fragt: ›Wovon wollt ihr leben?‹ Und ich weiß nicht, was darauf antworten.«

Sie scheute sich, dem bis zum Wahnsinn Eifersüchtigen ein Recht zu der Tyrannei einzuräumen, die er sich jetzt schon über sie anmaßte. Wenn er ihrer sicher wäre, würde er ruhiger sein, schwor Antonio ihr zu. Er würde sie nie mehr quälen, sich nie mehr so wild und unerträglich gebaren, wie es jetzt gar oft und zu seiner eigenen Bestürzung geschah. Er würde auch die Arbeit wieder aufnehmen, bei der es ihn längst nicht mehr litt. Er irrte als Tagedieb umher, den Ermahnungen Masaccios zum Trotz, der schon gedroht hatte, ihn aus der Schule zu entlassen.

 

Das Johannesfest nahte heran. Großartige Vorbereitungen zu der kirchlichen Feier und zu den Spielen und den Wagenrennen, die ihr folgen sollten, wurden getroffen. Ganz Florenz befand sich in freudiger Aufregung, die Betrübten vergaßen ihr Leid, die Armen ihre Sorgen, gar manche Feinde ihren Haß. Eine fröhliche, erwartungsvolle Stimmung war zur Herrschaft gekommen, ergriff alle, riß alle mit.

Sonnenhell spiegelte sich diese Heiterkeit im Gemüte Margheritas wider. Sie war berauscht von den Schilderungen der Dinge, die da kommen sollten, die sie mit ansehen, bei denen sie vielleicht eine Rolle spielen würde. Konnte sie sich doch nie öffentlich zeigen, ohne Aufsehen zu erregen, ohne um sich herum flüstern zu hören: »Margherita Guidi! Es ist Margherita Guidi, das schönste Mädchen von Florenz!«

Filippo Lippi hatte ihr erzählt, daß vor fünf Jahren, als beim Wagenrennen Cintia Angrovalle auf ihrem Balkon erschien, unermeßlicher Jubel sie begrüßte. Das ganze Volk brach in Zurufe aus: »Es lebe Cintia! Hoch die schönste Frau, der Stolz von Florenz!« Er selbst, obwohl er damals erst elf Jahre alt war, hatte sich sterblich in die herrliche Frau verliebt und um ihretwillen große Pein gelitten, heftige Liebespein!

Und doch – was war die Schönheit Cintia Angrovalles im Vergleich zu der Margheritas? Was ein Finklein ist im Vergleich zum Paradiesvogel, eine Feldblume zur königlichen Lilie. Filippo versprach sich vom Erscheinen Margheritas beim Feste ein unerhörtes Aufsehen. Sie lachte zwar und versicherte, sie glaube von seinen Geschichten kein Wort, redete aber von nichts anderem mehr als vom Johannistage und von den Wunderdingen, die er bringen werde. Sie hatte einen lebhaften Streit mit Antonio, der ihr das Versprechen abschmeicheln wollte, sich fernzuhalten von den Feierlichkeiten. Er verließ sie im Zorne, kam aber schon nach wenigen Stunden wieder und flehte, erschöpfte seine ganze Redekunst – umsonst. Sie hörte ihn mit komischer Aufmerksamkeit an und brach endlich in ihr silberhelles Lachen aus.

»Seid kein Narr, Antonio! Versucht nicht, was unmöglich ist – mich fernzuhalten von den Festen. Ich gehe hin«, begann sie zu singen, »ich gehe hin!

 

Vöglein im Neste!

Mit dem Kehlchen rot,

Lebend oder tot

Bin ich bei dem Feste!«

 

»Wenn Ihr mich liebtet, bliebt Ihr daheim. Ihr brächtet mir das Opfer«, sagte er.

»Wenn Ihr mich liebtet, würdet Ihr es nicht von mir verlangen«, sagte sie.

Er suchte endlich für ihre Weigerung dort Trost, wo er ihn schon lange nicht mehr gesucht hatte, bei der Arbeit.

Eines Morgens war er planlos durch die Straßen gewandert und zum Platze vor Santa Maria Novella gelangt. Dort traf er eine Menschenmenge, die den Vorbereitungen zum Wagenrennen zusah. Als er diese Leute betrachtete, einander im Äußern so unähnlich, wie sie’s auch gewiß im Innern waren, und die nun ein und dasselbe Interesse vereinte, das wieder in jedem seinen eigenen Ausdruck fand – da löste sich eine besonders charakteristische Gruppe aus der Masse und gestaltete sich ihm zum Bilde. Und er ging nach Hause und zeichnete und malte, und sein alter, heiliger Feuereifer kam wieder über ihn. Er richtete sich seine Kammer als Werkstatt ein, er gedachte Masaccio mit der Frucht seiner jungen Kunst zu überraschen. Die kühnsten Hoffnungen knüpfte er an das Gelingen: die Aufnahme in die Malergilde, viele Bestellungen, hohen Sold, die Möglichkeit, Pulcheria eine stolze Antwort zu geben auf ihre Frage: Wovon wollt ihr leben?

Ein Blütenmeer lachte die Zukunft ihm entgegen, in den Himmel wuchsen seine Träume – da wurde ihm mit einem Schlag alles vernichtet.

Dem heißen Tage war ein schwüler Abend gefolgt. In der dumpfen Luft lagen die Düfte der Olivenbäume und der Buchshecken schwer wie etwas Körperliches. Antonio trat an das offene Fenster und beugte sich hinaus. Pulcheria, Masaccio und die beiden jungen Mädchen waren im Garten. Er konnte sie nicht sehen, aber er hörte ihre Stimmen. Plötzlich gellte ein Schrei – ein Freudenschrei. Cencetta hatte ihn ausgestoßen, und nun rief sie, er vernahm es deutlich: »Niccolo!« und noch einmal: »Niccolo!«

Das war ihr Bruder. Was wollte der? Was führte den nach Florenz?

Antonio stürmte die Treppe hinunter und in den Garten hinaus und rannte mit ausgebreiteten Armen auf den Ankömmling zu. »Junge! lieber Junge, willkommen tausendmal! Wie geht’s daheim? Wie geht’s meiner Mutter?« rief er und wiederholte die Frage, da Niccolo mit der Antwort zögerte.

»Deine Mutter ist krank und sehnt sich nach dir«, sprach Masaccio.

»Ist krank!« wiederholte Antonio bestürzt.

Niccolo sah ihn voll Teilnahme an: »Der Vater ruft Euch heim. Ihr sollt mit mir kommen. Ihr sollt bald kommen – gleich.«

»Gleich?… Ist Gefahr im Verzuge?«

»Hoffentlich nein, aber kommt doch … schlagt es Euren Eltern nicht ab.«

»Ich sollte von hier fort? – – von Euch, Margherita – von meiner Arbeit, mit der ich Euch überraschen wollte, Meister …« Er griff sich an den Kopf, seine Rede war leise und stockend: »Das kann ja nicht sein, das ist ja unmöglich …«

»Es muß aber sein!« rief Niccolo fast mit Weinen. »Ihr müßt mit mir kommen, ich darf nicht heimkehren ohne Euch … Eure Mutter – Ihr habt es schon gehört – ist krank … sehnt sich nach Euch.«

Antonio schwieg und starrte zu Boden.

»Morgen in aller Frühe brechen wir auf. Fuhrwerke, die uns ein Stück Weges mitnehmen, finden wir immer auf der Straße. Ehe die Woche zu Ende geht, sind wir in Ariccia.«

»Ja denn, ja«, sprach Antonio nach einem letzten Besinnen, »wir wollen fort. Morgen, in aller Frühe.«

»Oh – zu traurig«, ließ nun eine geliebte Stimme sich vernehmen, »daß Ihr fort müßt, gerade vor den Festen!«

Ein Blitz des Zornes aus seinen Augen traf sie, die jetzt an die Feste dachte. Wie das gesagt war, wie so völlig ohne Traurigkeit, dieses »traurig«!

Margherita errötete; sie hatte seinen Blick mißverstanden und glaubte sich rechtfertigen zu sollen. »Seht mich nicht so bös an. Es fällt mir nicht ein, Euch zurückzuhalten. Gott behüte mich.«

»Dafür habe ich Euch zu danken«, erwiderte er bitter, ergriff ihre Hand und drückte sie, ohne es zu wissen und zu wollen, so fest, daß Margherita halb lachend, halb unwillig aufschrie: »Laßt mich, es tut weh!«

»Es tut weh, sehr weh«, murmelte er und stieß ihre Hand von sich.

Neben der großen, schmerzvollen Sorge, die ihn erfüllte, war eine kleinliche Qual emporgeschossen und vergiftete ihm die Seele. Die Trennung, die ihm so schwer wurde, empfand die Geliebte vielleicht als Erleichterung. Er hätte jeden zärtlichen Blick, der sich auf sie richtete, eifersüchtig überwacht, ihr jede Huldigung mißgönnt, ihr die Festesfreude gestört – es war gut, daß er ging.

Pulcheria und Cencetta hatten indessen lebhaft und leise miteinander verhandelt. Das junge Mädchen flehte die Gebieterin demütig und inständig um die Erfüllung einer heißen Bitte an. Pulcheria schien überrascht zu zögern, zu bedenken … Nun aber brach die Kleine in Danksagungen und in Lobpreisungen der Padrona aus. Die Gütige, Edle, die Großmütige gab ihr Urlaub, sie durfte morgen mit Niccolo und Antonio die Reise nach Ariccia antreten. Sie würde die Ihren wiedersehen, alle Geschwister, und auf die Berge steigen würde sie wie einst als blutjunges Ding und schauen über Wälder und Hügel und Trümmer uralter Städte bis zum Monte Argento, weit, weit. Niemand kann sich vorstellen, wie weit … »Und Ihr kommt mit, Ihr müßt!« sagte sie zu Antonio, trunken vor Freude und Glück.

Als die Glocken des Carmine zur Frühmesse läuteten, standen Niccolo und Cencetta an der Tür von Antonios Dachstube und warteten. Nichts regte sich. Es kam keine Antwort auf Niccolos Rufen und Klopfen; da öffnete er und trat ein.

Antonio stand mitten in der Stube, angekleidet, übernächtig, seine Haare waren zerrauft, seine Wangen fahl. Seine Stimme hatte einen müden, heiseren Klang: »Kommt nur, komm, Niccolo, und auch du, Cencetta; kommt, Kinder – um wieder zu gehen – – ohne mich. Ich kann nicht fort. Ich habe die ganze Nacht mit mir gerungen … Ich müßte sterben unterwegs.«

»Antonio! Antonio!« sprach Niccolo vorwurfsvoll, »das ist nicht Euer Ernst. Sterben! Woran denn sterben?«

»An einer Herzensqual und Todesangst, vor der dich Gott behüte, Niccolo … Geht, sagt meiner Mutter, daß ich mich sehne, ihre Knie zu umfassen, ihre Hände zu küssen, ihre Füße … Früher aber muß mein Bild gemalt und meine Braut mein sein … Und dem alten Manne sagt, daß ich seinen Abschiedssegen nicht vergessen habe, daß er mir im Ohre nachklingt, immer, immer! und daß ich als ein ganzer Künstler wiederkehre.«

»Was heißt das alles?« fragte Niccolo entrüstet. »Macht nicht soviel Worte und kommt mit.«

Cencetta war vernichtet. Einmal hatte sie zu Antonio hinaufgeblickt in starrem Entsetzen und mit zuckenden Lippen gestammelt: »Ihr kommt nicht mit? nicht mit?« Jetzt senkte sie die Augen, und unter den halbgeschlossenen Lidern quollen Tränen hervor.

Antonio zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn: »Sage meiner Mutter, daß ich liebe und mich von der Geliebten nicht trennen kann. Meine Mutter wird mich verstehen … meine Mutter wird mir verzeihen. Und nun geht! geht! Ich werde leichter atmen, wenn ich euch auf dem Wege zu meiner Mutter weiß … Du sollst ihr alles sagen, Cencetta, und wenn sie krank ist, sollst du sie pflegen. Willst du, Cencetta?«

»Ich will ihr alles sagen, und wenn sie krank ist, will ich sie pflegen«, sprach die Kleine.

 

Der Johannistag rückte immer näher heran, und in ebensowenig festlicher Stimmung wie Antonio befand sich Bernardino. Seine unerwiderte Liebe zehrte an ihm. Er schmolz zusammen in seinen von Gold und Silberstickerei strotzenden Gewändern, und wenn er am Sonntag neben Madonna Isotta im hohen geschnitzten Kirchenstuhle saß, nahm er sich in ihm aus wie eine kleine Reliquie im Heiligenschrein. Seine Mutter konnte den Jammer endlich nicht mehr mit ansehen.

Kurz vor Johanni erhielt Pulcheria den Besuch ihrer Freundin Montanini. Er dauerte nicht lange. Die korpulente Dame war, blaß und schwerfällig wie immer, von zwei Dienern unterstützt die Stiege hinaufgekeucht und kaum eine Viertelstunde später hochrot, wie man sie nie gesehen, treppab geeilt und hatte sich atemlos in ihre Sänfte sinken lassen.

Welchen Zweck der Besuch gehabt und was sich dabei ereignet, wußte Margherita aufs Haar, denn sie hatte gehorcht trotz aller Ermahnungen der frommen Teresina, die jetzt im Hause die Stelle Cencettas einnahm.

»Horcht nicht! Das ist eine Sünde, das muß man beichten.«

»So beichte ich’s!« war ihre leichtfertige Antwort gewesen.

Und sie hatte ihr Ohr an das Schlüsselloch gepreßt und sich gewunden vor Lachen und leise, ganz leise die schweren Seufzer nachgemacht, die dem im Miederpanzer eingeengten Busen der Madonna Isotta entstiegen. Mit einem Male war sie zurückgefahren, hatte sich emporgerichtet, stolz wie eine Hinde, den Kopf in den Nacken geworfen und mit geschlossenen Zähnen gesprochen: »Elende!«

»Was will sie?«

»Mich – zur Geliebten ihres Popanzen!« Noch funkelte der Zorn in ihren Augen, und schon trat ihr ein Scherzwort auf die Lippen.

Wenige Stunden später kam Bernardino im schärfsten Trabe einhergeritten. Er hatte seiner aufgeregten Mutter das Geständnis des unseligen Schrittes, den sie unternommen, erpreßt und war nun da, um ihn gutzumachen. Er bot der Angebeteten feierlich seine Hand, seinen Namen an, seine Paläste in der Stadt und auf dem Lande, seine Güter und Gärten, alles, was er besaß. Sein Herz konnte er ihr nicht mehr darbringen, das gehörte ihr längst, damit konnte sie tun, was sie wollte, mit ihm spielen, es brechen, es zerreißen.

Er sagte das so ehrlich aus der Tiefe seines Seelchens heraus, daß Pulcheria sich eines leisen Erbarmens mit dem rettungslos Verliebten nicht erwehren konnte.

So sprach sie zu Margherita: »Überlege! Zweimal wird dir sicher dergleichen nicht geboten werden.«

Margherita überlegte aber nicht. »Ich liebe ja den Antonio«, meinte sie, »ich bin ja beinahe seine Braut. Jetzt will ich mich noch unterhalten bei den Festen, tanzen und lachen und singen und mich freuen, und dann, wenn er mit seinem Bilde fertig sein und viel Geld und viele Bestellungen bekommen wird, dann wollen wir in Gottes Namen heiraten.«

Wenig mehr als eine Woche war seit der Abreise Niccolos und Cencettas vergangen, Antonio dachte nicht daran, daß ihm schon Nachricht aus Ariccia zukommen könne – da traf sie ein.

Seine Mutter war gestorben, und der Vater sandte ihm seinen Fluch.

Er brach unter dem furchtbaren Schlage nicht zusammen, schrie nicht auf, klagte nicht. Er schwieg und starrte nur jeden, der tröstende Worte an ihn richtete, stumm und fast feindselig an. Er wies sogar Margherita, die in Tränen ausgebrochen war und auf ihn zueilte, von sich. Ihr Herz krampfte sich zusammen, ihr war, als ginge eine tödliche Kälte von ihm aus. Etwas Undenkbares erschien ihr plötzlich als denkbar und erfüllte sie mit Schrecken: die Möglichkeit, daß er aufhören könne, sie zu lieben.

Drei Tage blieb er in seiner Dachstube, und Masaccio gab nicht zu, daß man ihn aufsuche oder herabrufe. »Laßt ihn! Ihr könnt ihm nicht helfen, er muß allein mit seinem Schmerze fertigwerden«, sagte er.

Margherita hielt es aber endlich nicht mehr aus. Sie war überzeugt: besser als der Meister wußte sie, was dem armen Antonio taugte. Klopfenden Herzens stieg sie die Treppe zu seiner Kammer hinauf und trat langsam und schüchtern ein.

Antonio saß auf dem Malerstuhl neben seinem Bilde. Er hatte die Arme gekreuzt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Sein blasses Gesicht war schön wie das eines heiligen Sebastian. Todeswund erschien er ihr, von einer Trauer verzehrt, der Menschenkraft nicht widersteht. Eine namenlose Angst um ihn erfaßte sie und auch eine Scheu vor der Größe seines Leidens. Zögernd trat sie näher und flüsterte seinen Namen. Ihr bangte, daß er auffahren und sie fortweisen werde. Doch rührte er sich nicht, er sah sie ohne Überraschung an, als ob es sich von selbst verstände, daß sie zu ihm komme. Da rückte sie einen Schemel herbei, setzte sich ihm zu Füßen nieder und blieb lange still und schweigend, den Blick auf ihn gerichtet, ehe sie begann: »Lieber, Liebster, nimm mich in deine Arme, nimm mich an dein Herz … ich bin dein.« Und jetzt kniete sie auf ihrem Bänkchen, legte den Kopf an seine Brust, und ihre Stimme schmeichelte zärtlich: »Du sagst immer, daß du mich mehr liebst als ich dich – das ist ein Irrtum. Ich liebe dich tausend- und tausendmal mehr. Ich weiß erst, wie ich dich liebe, seitdem du einen so großen Schmerz erfahren hast.«

»Meine Mutter ist tot«, sagte er. »In Sehnsucht nach mir gestorben. Sie hat mich gerufen, und ich bin nicht gekommen. Ich habe sie sterben lassen in Sehnsucht nach mir … Ich wußte nicht, was ich tat, Margherita.«

»Deshalb wird uns Gott verzeihen«, erwiderte sie und bekannte sich damit als Teilnehmerin an der um ihretwillen begangenen Schuld. Sie stand auf, bettete seinen Kopf in ihren Arm und streichelte seine Stirn und seine Haare … Und nun – plötzlich hatte sie das Bild erblickt, das er bisher verborgen gehalten. Sie stieß einen Schrei aus, schlug voll Bewunderung die Hände zusammen, sie konnte sich an dem Werke des Geliebten nicht satt sehen, nicht satt loben: »O die Neugierigen! o diese Gesichter! o der Alte im roten Wams! – Ich kenne ihn, es ist Giacomo Lanzetti, und neben ihm steht sein Schüler Ambrogio und hinter ihm der Kürschner Galliano, dem Lippi neulich den kostbaren Mantelbesatz abgekauft hat … Und – wen erblicke ich? Den schönen Bereiter des Cavaliere Codrone. Ach, mein armes Herz! Antonio, halt es fest, es fliegt mir sonst davon, dem Unwiderstehlichen zu … Oh, wie ähnlich! Und wie er nach dem jungen Weibe schielt, dem dort mit dem Korb auf dem Kopfe … Wie sie sich drängen in der Ecke und schauen und blinzeln … nun ja, das Licht blendet, ‘s ist Mittag und heiß. Was haben sie nur so zu gucken?… Oh, ich errate! ich errate! Da ist Santa Maria Novella und der Platz … sie sehen den Vorbereitungen zum Wagenrennen zu … Prächtig hast du das gemacht! prächtig!«

Er erhob sich, nahm sie bei der Hand und ließ sie einige Schritte zurücktreten und das Bild aus der richtigen Entfernung betrachten.

»Es ist gut, meinst du wirklich?« fragte er. In seine Wangen war wieder Farbe gekommen und Leben wieder in seinen Augen erwacht.

»Nur gut? Es ist herrlich, glaube mir … Masaccio könnte es nicht besser machen und der eingebildete Lippi schon gar nicht«, entschied sie aus tiefster Überzeugung. »Und wenn es erst fertig sein wird, Antonio, welcher Stolz, welches Glück!… Es wird sein wie damals – wann war es nur? –, als sie das Bild eines Meisters – wie hieß er doch? – im Triumph aus seiner Werkstatt holten, die Florentiner, und singend und jubelnd durch die Straßen trugen … O du, mein Liebster, ich seh es kommen! So, ganz so wird es sein!«

Antonio mußte lächeln: »Und der Meister – was wird der Meister sagen?«

»Das wird er sagen!« Sie breitete die Arme aus und warf sie um seinen Hals, und er preßte sie an sich und drückte einen ersten, langen, seligen Kuß auf ihren Mund, der sich ihm nicht entzog, der ihm willig und freudig den Trunk des Vergessens aller Leiden bot.

Das war die letzte glückliche Stunde, die Antonio seiner Liebe verdankte. Margheritas weiche und mitleidige Stimmung dauerte nicht über die nächsten Tage hinaus. Sie hatte mit Antonio getrauert, sie hatte ihn getröstet, nun sollte er auch getröstet bleiben und wieder Freude am Leben haben und ihr ihre Lebensfreudigkeit gönnen und – natürlich! – alle Triumphe, die ihrer warteten bei den Festen. Sie dachte nicht daran, auf die zu verzichten, und daß sie nicht daran dachte, brachte Antonio außer sich. Er weinte vor Zorn, als er sie am Johannismorgen mit Pulcheria fortgehen sah, die viel zu sehr Florentinerin war, um in Feierzeiten wie diesen das Haus zu hüten. Antonio hatte in trotziger Verzweiflung geschworen, daß er sie nicht begleiten werde, und hielt Wort, warf sich auf sein Bett und lag wie auf glühendem Roste. Als sie heimkehrte, verdarb er der Geliebten das Vergnügen an allem, was sie gesehen und erlebt hatte, durch seine Vorwürfe und durch seine finstere Laune. Pulcheria wartete, bis er seine Kammer aufgesucht hatte, um sich vor Maso der Huldigungen zu rühmen, die seiner Base und ihr dargebracht worden waren. Der Gonfaloniere hatte sie einer freundlichen Ansprache gewürdigt; der gelehrte Niccoli, dem doch niemand zutraute, er könne einen Blick übrighaben für etwas, das keine Handschrift war, hatte die Augen von Margherita nicht wenden können und sich auf einmal der guten Freundschaft erinnert, die einst zwischen ihm und Pulcheria Pisano bestand, und sie die Hüterin des Kleinods von Florenz genannt. »Die edle Montanini aber – ach die! Geblendet beim Anblick Margheritas, geblendet wie eine Kuh, die aus dem finstern Stall ins grelle Sonnenlicht gerät. Ihr niederträchtiger Antrag von neulich, der hat sie arg gereut. Sie hätte sich – ich sah ihr’s an – ihr bißchen Haar aus Scham darüber ausraufen mögen … Gib acht, ob die nicht bald demütig mit einem ganz anderen Antrag zu uns kommt.«

Pulcherias Prophezeiung erfüllte sich.

Von ihrem Bernardino begleitet, erschien die gewichtige Dame, und nach einer kurzen Unterredung der beiden mit Monna Pulcheria wurde Margherita gerufen und feierlich gefragt, ob sie die Gattin Bernardino Montaninis werden wolle. Einfach und geradeaus erwiderte sie: Nein, sie tauge nicht zur Gattin eines Patriziers. Wie würde sie sich ausnehmen als Patrizierin?

»Himmlisch!« rief der Verliebte und schilderte ihr die Herrlichkeiten des Lebens, das er ihr bereiten wollte. Er sah sie schon, umringt von einer glänzenden Dienerschar, die Marmortreppen seines Palastes – des ihren fortan – emporsteigen, die lange Schleppe ihres seidenen Gewandes hinter sich herschleifend. Er sah sie die hohen Säle betreten, die bildergeschmückten Galerien durchschreiten, den Vorsitz führen an der mit Silber- und Goldgeschirr besetzten Tafel, als gefeierte Hausfrau die Huldigungen der Gäste empfangen. Er schilderte ihr auch die Pracht seiner Landgüter und machte verlockende Beschreibungen des Lebens, das sie dort an seiner Seite führen und das noch mehr Freuden und Genüsse bieten werde als das Leben in der Stadt.

Margherita blieb bei ihrem Nein, aber diese Nacht und alle folgenden Nächte hindurch träumte sie von seidenen Schleppen, von goldenen Sälen, von märchenhaften Gärten. Und die Tage machte Antonio ihr schwer. Er hätte sie hinter Schloß und Riegel halten mögen. Wenn sie ausging mit Pulcheria, die er jetzt anfeindete, weil ihm schien, daß sie der Bewerbung Montaninis günstig sei, rechnete er genau nach, wie lange sie ausblieb. Zu Hause hätte sie dann Rechenschaft geben sollen von jedem Schritt, den sie gemacht, von jedem Gruß, den sie empfangen, und ganz genau auch von der Art, in der sie ihn erwidert hatte. Wenn sie verdrießlich wurde, war er gekränkt, wenn sie ihn auslachte, war er doppelt gekränkt. Sie sollte überhaupt nicht lachen, da er sich grämte; ihre Heiterkeit verletzte ihn, und diese Heiterkeit war ihr doch angeboren und allen Menschen lieb, sogar dem ernsten Vetter Masaccio. Sie konnte nicht plötzlich ihre Natur verleugnen, sie konnte auch nicht ewig trauern, erklärte sie rundweg, um eine alte Frau, die sie ihr Lebtag nicht gesehen hatte. Da schalt er sie herzlos und verständnislos und wechselte die längste Zeit kein Wort mit ihr. Aber gerade dann trug sie recht absichtlich die größte Munterkeit zur Schau, und wenn Pulcheria mißbilligend sprach: »Du tust ihm weh«, meinte sie achtlos: »Ein andermal tue ich ihm wieder wohl, wie niemand anderer ihm tun könnte.«

Was in dieser Zeit in ihm vorging, ahnte sie nicht, und es kränkte und empörte ihn, daß ihr Herz ihr von dem Märtyrertum, das er im stillen durchlitt, nichts verriet.

Tagelang sperrte er sich in seine Dachkammer ein und stand in Verzweiflung vor seinem Bilde. Jeder Strich, den er jetzt daran machte, war unheilvoll. Sicher und kühn hatte er begonnen und im voraus schon den Jubel des Vollendens genossen. Seine Augen hatten unfehlbar richtig gesehen, seine Hand war die Funkenträgerin des göttlichen Feuers in seinem Innern gewesen, und jetzt, da es galt, das kühn Entworfene auszuführen, versagte seine Kraft. Mit knirschender Beschämung gedachte er wieder, wie an jenem Abend im Carmine, des alten Handwerksmannes in Ariccia und seiner furchtbaren Prophezeiung. Ihrer nie zu vergessen, hatte er gelobt, sich selbst zum Fluche. Begann sie schon sich zu vollziehen? War alles, was in ihm gegoren und ans Licht gedrängt hatte, nur falscher Ehrgeiz, leere Sehnsucht gewesen? Sollte sein Leben ein Rennen werden ohne Ziel und ein Kampf ohne Sieg? Sollte – das war der bitterste Gedanke – der Meister, der so fest an ihn geglaubt hatte, in seinem Vertrauen getäuscht werden? Mit dem Gefühl eines Verbrechers ging er ihm aus dem Wege. Er hätte in den Boden sinken mögen, wenn Masaccio ihn freundlich ansprach und fragte: »Wie steht’s mit der Arbeit? kann ich sie sehen? bist du bald fertig?«

Und sie, die ihm Trösterin und Vertraute hätte sein sollen, Margherita, die einzige, der seine Seelenpein zu offenbaren ihn dürstete, tänzelte neben ihm hin, lachte ihn aus oder schmollte, wenn er ihr mit finsterer Miene entgegentrat. Ihr fiel nicht ein, daß seine Aufregung und seine Verstimmung noch einen anderen Grund haben könne als die Eifersucht, die ihr so lästig war. Immer breiter klaffte der Riß zwischen ihnen, immer mehr Trotz, mehr Anklagen häuften sich in ihren Herzen. Und als er nach einem heftigen Streite unversöhnt fortstürmen wollte, rief sie ihm nach und schwor ihm mit den heiligsten Eiden zu, es sei aus zwischen ihnen – aus für immer.

Wieder war Isotta Montanini dagewesen und hatte noch einmal, aber so gewiß als ihre eigene Würde und die ihres Sohnes ihr heilig sei – zum letztenmal, die Werbung Bernardinos vorgebracht und dem jungen Mädchen eine dreitägige Frist zur Entscheidung gegeben.

Nun fand sie sich ein, um diese zu holen, und nahm, als sie sich empfahl, Margheritas Jawort mit.

Die schmerzliche Überraschung Masaccios, seine Vorstellungen, seine Bitten waren ihrem unwiderruflichen Entschluß gegenüber machtlos.

»Ich will endlich Ruhe haben«, erklärte sie, »und ein gutes Leben. Ich will nicht ewig nur Vorwürfe hören und meine besten Jugendjahre in Zank und Hader verbringen. Geht zu ihm, Vetter, und sagt ihm das, und daß er nicht kommen möge, mir fluchen und mir drohen oder mich anwinseln. Es ist alles umsonst. Ich will nichts mehr von ihm wissen, ich liebe ihn nicht mehr und werde mich bemühen, von nun an nur noch meinen kleinen Verlobten zu lieben.«

 

Wonne und Wohltat wäre es für Antonio gewesen, wenn ihm Masaccio zugleich mit der Botschaft, die er ihm brachte, sein Todesurteil verkündigt hätte. Er tobte und raste, er wühlte sich in seinen Schmerz hinein.

»Ich habe alles für sie hingegeben und hingenommen«, schrie er. »Ich habe, um Spielzeug für ihre Eitelkeit herbeizuschaffen, meine Kunst entwürdigt … Ich habe den letzten Segen meiner Mutter versäumt, den Fluch des Vaters auf mich geladen -um sie!… Ich habe sie teuer erkauft, sie gehört mir. Ich gebe sie keinem anderen. Eher töte ich sie.«

»Das kannst du tun, und das täte wohl auch der erste beste Popolano. Ich dachte, du wolltest mehr als der erste beste, du wolltest überhaupt das Höchste sein, was ein Mensch sein kann: ein Künstler.« Es lohte auf in seinen Augen, als er das Wort in weihevollem Tone sprach. »Wer ist aber noch je das Höchste geworden, ohne das Schwerste gelitten zu haben?«

Fiebernd vor Ungeduld hatte sein Jünger ihm zugehört: »Und weil Qualen zur Meisterschaft reifen, soll ich ihr wohl noch danken, die mir Qualen bereitet?« Er brach in ein Gelächter aus, so furchtbar und wild, daß Masaccio ihm entsetzt zurief: »Unglücklicher! Weine, heule, tobe – aber lache nicht!«

»Ich muß lachen«, erwiderte der Jüngling, und dabei hob ein krampfhaftes Schluchzen seine Brust. »Es ist allzu komisch und allzu dumm!… Sie begeht ein Verbrechen an mir, macht mich unselig – um selbst unselig zu werden. Mißhandeln wird sie dieser Montanini, wenn er ihrer satt geworden. Und das wird bald sein. Die Leidenschaft eines Zärtlings verraucht schnell. Jetzt schon – ich habe es bemerkt – will ihm manches, das sie tut oder sagt, nicht gefallen. Sie ist ein armes Dorfkind und aufgewachsen unter ihresgleichen; er ist ein seidenes, verwöhntes Herrchen. Jetzt freilich fliegt das Mißfallen nur an ihm vorüber, er gibt sich davon kaum Rechenschaft, liegt bald wieder auf den Knien und lechzt nach einem Wort aus ihrem Munde und stellt sich vor, wie das wäre, wenn dieser süße Mund den seinen küssen würde … Aber dann …« Er stieß einen markerschütternden Schrei aus. »O die himmlische, die vermaledeite Schönheit, die er für unsterblich hält!«

»Jeder Verliebte hält den Augenblick für die Ewigkeit«, sprach Masaccio, »und ein Verliebter bist auch du.«

»Ja, ja!« versetzte Antonio, »aber einer, bei dem die Liebe die Verliebtheit überdauert hätte. Ihre Schönheit war es, die mich zuerst bezwang, und dann allmählich war es ihr ganzes Wesen. Sie war’s mit all ihrem Guten und Unguten, ihren Vorzügen und Fehlern. Und wenn eine Krankheit oder das Alter sie entstellt hätten, ich hätte sie immer gleich geliebt. Er aber – heute würde er sich von ihr wenden, wenn er sie sehen könnte, wie sie sein wird in zehn, in zwanzig Jahren … Herrgott im Himmel!« brach er plötzlich aus, »tu ein Wunder!… Zeige sie ihm, beraubt von dem Glanz ihrer Jugend und ihrer Schönheit. Zeige sie ihm, wie sie in Jahren sein wird, bei ihm geworden, an den sie sich verkauft hat …« Er stockte, trat einen Schritt zurück und stand wie gelähmt mit erhobenen, vorgestreckten Händen, mit weit geöffneten Augen, die, starr auf einen Punkt gerichtet, Unsichtbares zu erblicken schienen. »Seht, Meister! seht!« stöhnte er leise. Eine durchsichtige Blässe bedeckte sein Angesicht, es schimmerte wie erhellt von einem inneren Lichte. Den Meister überlief’s. Unheimlich fast war der Anblick des Jünglings, der in Verzückung dastand. Was sah er? Wenn er malen könnte, was er jetzt sieht, es wäre eine Offenbarung …

»Antonio!« schrie Masaccio ihn an. Da erwachte er, tat einen tiefen Atemzug und drückte wie ein Geblendeter beide Hände vor die Augen. Lange Zeit verging, bevor er sie wieder sinken ließ. Dann blickte er um sich, fragend, befremdet. Ein schweres Röcheln entstieg seiner Brust, und plötzlich lag er zu Füßen Masaccios und umklammerte schluchzend seine Knie. »Dank!« preßte er hervor. »Dank, Lieber, Großer, Bester! Dank für Euer Vertrauen, Eure Güte! Dank dafür, daß ich leben durfte in Eurer Nähe, daß ich Euch am Werke sehen durfte, sehen, wie ins Leben tritt, was nicht sterben wird. Dank! Dank!« Er ergriff die Hand des Meisters, küßte sie heiß und inbrünstig und stürzte aus der Stube.

Monat um Monat verging. Antonio ließ sich nicht mehr sehen, und alles Suchen nach ihm blieb vergeblich.

 

Bernardino führte seine Braut täglich zu seiner Mutter, und diese gefiel sich darin, ihre zukünftige Schwiegertochter in köstliche Gewänder zu kleiden, mit Schmuck zu behängen, mit ihr zu spielen wie mit einer Puppe.

»Deine Schönheit«, sagte sie, »muß ins hellste Licht gesetzt werden, sie ist dir statt des Reichtums und des Adels. Sie soll unsere Entschuldigung dafür sein, daß wir dich in unser Haus aufnehmen und seiner Ehren teilhaftig werden lassen.«

Dergleichen Reden wollten zwar Margherita nicht gefallen, doch sagte sie sich: Wenn eine hohe Dame sie hält, werden sie wohl die richtigen sein. Manchmal kamen Streitigkeiten zwischen den Brautleuten vor. Die Standesgenossen Bernardinos machten ihm Vorwürfe über die Wahl, die er getroffen hatte, teils aus Hochmut, teils aus Mißgunst. Wie kam der unbedeutende Junge dazu, das schönste Mädchen von Florenz heimzuführen?… Da erschien er tief verstimmt bei seiner Braut und beklagte sich, daß er ihretwegen Tadel und Spott erdulden müsse.

»So laßt mich stehen und heiratet eine Ebenbürtige«, erwiderte sie beleidigt. »Es wird unter den edlen Fräulein doch eine geben, die ebenso schön ist wie ich armes Bauernkind.«

Sie wendeten sich im Groll voneinander, er aber kehrte nach jedem Zerwürfnis gar bald demütig und voll Reue zu Margherita zurück. Wenn er dann zärtlich werden wollte, sie in seine hageren Arme schloß und ihren Kopf an sein begehrliches Herzchen drückte, lief es ihr eiskalt durch die Glieder, und sie entwand sich ihm, so rasch sie nur konnte.

Einmal, da er ihr in höchst gesteigerten Ausdrücken von seiner Liebe vorschwärmte, unterbrach sie ihn: »Schon gut! schon gut! Ich weiß, was ich zu halten habe von dieser großen Liebe. Wo wäre sie, wenn ich die Blattern bekäme und häßlich würde?«

Er war entsetzt: »Ihr werdet aber nicht die Blattern bekommen, der Himmel wird sich hüten, ein Meisterwerk, wie Ihr seid, zu zerstören.«

»Früher oder später muß es doch geschehen«, sagte sie voll Schadenfreude an der Bestürzung, in die er bei ihrer Prophezeiung geriet. »Wer nicht stirbt, wird alt, wer alt wird, wird häßlich. Ich werde dann mager sein und voll Falten wie Monna Pulcheria oder dick und unförmlich wie Eure Mutter.«

»Schweigt!« rief er und stopfte sich die Finger in die Ohren. Er war im Innersten verletzt und dachte: Sie hat das Gesicht und die Gestalt eines Engels, aber kein Zartgefühl.

Viel schlimmer noch als seine Meinung von ihr war die ihre von ihm. Im stillen nannte sie den Bräutigam einen kindischen Laffen und versteckte sich manchmal vor ihm in einem Winkel des Hauses, warf sich nieder, preßte das Gesicht auf den Boden und schluchzte: »Antonio, Antonio, komm zurück! Ich will deine Knie umfassen, und du wirst mir verzeihen oder mich töten, und was du auch tust, ich werde dich segnen!« Ein paar Stunden später konnte sie dann wieder neugierig und beinahe vergnügt die Zurüstungen verfolgen, die zu ihrer Hochzeit getroffen wurden.

Madonna Isotta ahnte nichts von den häufigen Zwistigkeiten des Brautpaares. Sie hatte sich in den Gedanken verliebt, ihrer Vaterstadt Florenz die Verbindung des Adels und des Reichtums mit der Schönheit in einem wunderbaren allegorischen Schaustück vorzustellen. Künstler und Handwerker wurden zu Rate gezogen und übertrafen sich selbst an glücklichen Einfällen und deren sinnreicher Ausführung. Margherita sah, wie die Gold- und Silberschätze des Hauses aus den Kellern und Schränken herbeigetragen wurden, um vor der schaulustigen und kunstsinnigen Menge ausgestellt zu werden. Sie sah die Landleute von den Gütern Montaninis in hellen Scharen einherziehen, um ihr beim Hochzeitsfeste zu huldigen. Und eines Tages mußte sie sich zur Probe das Brautkleid anlegen lassen, das Kleid aus weißem Damast, in dem sie zum Altare schreiten sollte … Und dort würde sie einem Manne ewige Treue schwören, den sie in tiefster Seele heute schon betrog.

Der Gedanke, mit dem sie fast vertraut zu sein glaubte, trat ihr plötzlich wie ein neuer, fremder entgegen und erfüllte sie mit Grauen vor sich selbst.

Voll Sehnsucht, sich anzuklagen, Rat, Hilfe zu suchen, kam sie heim. Aber da war niemand, zu dem sie flüchten konnte in ihrer Seelenpein. Pulcheria wollte keine Klage hören. »Du hast aus eigner Machtvollkommenheit entschieden, von keinem beeinflußt, aus freiem Willen. Jetzt ist dein Wort gegeben, jetzt halte Wort«, sagte sie.

Im stillen hoffte Margherita immer noch auf Antonio.

Es war vermessen; aber sie konnte nicht anders. Ach, sie liebte ihn viel mehr, als sie geahnt hatte, da sie seiner noch so sicher war! Sie hatte sich furchtbar getäuscht, als sie wähnte, ohne ihn leben und glücklich sein zu können. Jetzt erst begriff sie, was seine immer wache, ob zürnend oder schmeichelnd, immer gleich heiße Liebe ihr gewesen, und sie meinte: er muß es erraten, sein Herz muß ihm sagen, daß sie zur Einsicht gekommen ist … Er will sie nur warten und schmachten lassen und sie strafen, wie sie es verdient. Im letzten Augenblick daran glaubt sie, darauf baut sie – wird er kommen und sie vom Altar wegreißen. Und sie wird ihn küssen, wie sie ihn damals zum ersten- und letztenmal geküßt hat, und wird ihm sagen: Verzeih! Ich wußte nicht, wie unaussprechlich lieb du mir bist …

Kommt er aber nicht, dann … dann stehle ich mich fort vom Hochzeitsfeste, dachte sie, und – Herrgott im Himmel, verzeih mir, gebenedeite Jungfrau Maria, all ihr guten und lieben Heiligen, betet für mich!… Dann renne ich, renne und stürze mich in den Arno!

Sich ihrem Vetter anzuvertrauen, wagte sie nicht. Masaccio war immer unzugänglicher geworden. Er hatte ihr nie einen Vorwurf gemacht, ihr aber sein Wohlwollen gänzlich entzogen. Wenn er ihr zufällig begegnete, blickte er sie so finster, so unerbittlich grollend an, daß sie voll Schrecken davonlief. Es war übrigens leicht, ihm auszuweichen, denn man sah ihn kaum noch zu Hause.

Er hatte die Arbeiten in der Brancacci-Kapelle abermals unterbrechen müssen. Neue und dringende Aufträge zwangen ihn dazu. Aber auch – das eiserne Müssen. Immer größer wurden die Anforderungen der Seinen an ihn. Arme Schüler riefen die Großmut des Meisters an, und er gab, wenn er hatte, was er hatte, gab, ohne zu zählen.

»Ich habe nicht Zeit dazu«, antwortete er der Pflegemutter, die oft nicht mehr wußte, wie sie die Gläubiger ihres Maso vertrösten sollte. Erbittert warf sie ihm seinen Leichtsinn vor und drohte ihm sogar mit der Hölle.

»In den vierten Kreis kommst du, Verschwender, dorthin, wo blinde Schuld ihren Lohn empfängt!«

Eine Reihe Tafelbilder, Predellenstücke, Altarwerke für verschiedene Kirchen waren unter der Hand des unermüdlichen Arbeiters entstanden, bevor er wieder, nach schwerer Trennung, mit verzehnfachter Liebe und Schaffenslust zu seinem Lebenswerk zurückkehren konnte. Dann mußte Pulcheria ihm das Essen in die Kapelle schicken; er verschlang es hastig auf dem Gerüst. Wenn er müde und erschöpft heimkam, suchte er sogleich sein Lager auf und fiel in einen todähnlichen Schlaf. Sobald der Morgen graute, sprang er auf, kleidete sich rasch an und stürzte fort wie gejagt. Seine alte Freundin sah ihm oft seufzend nach. So eilig er ging, es war nicht der geschmeidige Schritt der Jugend, der ihn vorwärts trug, es war ein unsicheres Hasten. Die Gewänder schlotterten an seinem Leibe. In dünn gewordenen Strähnen umflog das wirre Haar seinen mageren Nacken.

An Antonios Stelle war Filippo Lippi von Masaccio als Gehilfe angenommen worden. Sie malten zusammen an den Fresken in der Kapelle Brancacci, und Lippi suchte die Malweise des Meisters nachzuahmen, was ihm in Einzelheiten überraschend gelang.

Aber noch waren die Vorzüge, die er sich aneignete, mehr äußerliche als innerliche, noch spielte er mit der Kunst, die ihm bisher nur gnädig zugelächelt, deren Ernst er noch nicht geschaut. Überhaupt wußte der maßlos lebensfreudige Jüngling nichts von Ernst außer in einem: der Bewunderung für den Meister. Sie wuchs mit dem Verständnis für ihn.

Stundenlang konnte er müßig, die Arme gekreuzt, ihm zusehen, wie er den Pinsel führte. Als Masaccio ihn einmal mit geschwungenem Malstock zur Arbeit antrieb, empfing er ohne Zucken den kräftigen Schlag, der auf ihn niedersank.

»Ihr seid die Fackel, ich bin ein Funke«, sagte er. »Was liegt der Fackel daran, ob einer ihrer Funken erlischt.«

»Der eine Funke kann ein Licht entzünden, das die Welt erhellt; vielleicht gelingt dem Funken, was der Fackel mißlingt«, erwiderte Maso Guidi.

Als er die Worte sprach, stand er vor seinem eben vollendeten Gemälde – Der Zinsgroschen.