Siebenzehntes Kapitel

Die Villa des Marchese A. mit ihren kühlen Schatten, hohen, ausländischen Blumen und weißen Marmorbildern lag wie eine Insel in dem Weltgewühl, auf die sich Fortunat einsam verschlagen fühlte. Oft tönte es wunderlich in seine Morgenträume hinein, wie wenn eine Hochzeit in weiter Ferne schwirrend durch eine anmutige Landschaft ginge; wenn er erwachte, erkannte er Fiamettas liebliche Stimme, die treppauf treppab singend, plaudernd und lachend das ganze Haus schon mit fröhlichem Klang erfüllte. Eines Morgens fand er sogar einen frischen, vollen Blumenstrauß auf seinem Tischchen am Bett, er begriff nicht, wie er über Nacht dahin gekommen, und da er der kleinen Marchesin dafür danken wollte, schob sie’s lachend auf ihre Kammerjungfer Lenore, die ihn gestern dort vergessen, aber sie wurde über und über rot dabei. – Einmal kam er spät des Abends von einer Wanderung zurück, als er im Garten noch singen hörte, er meinte Fiamettas Stimme zu erkennen und wollte ihr noch eine gute Nacht sagen. Da war’s ihm, als säh er ihr Figürchen, verstohlen winkend und flüsternd, bald hier, bald dort durch das Gebüsch schimmern, er folgte immer eifriger durch Hecken und Dorn in eine ganz unbekannte Gegend des Gartens hinein, die schadenfrohen Nesseln stichelten auf seine seidenen Strümpfe, Eidechsen schlüpften überall neugierig durch das Gestrüpp. Plötzlich stand er vor einem Gartenhause, die Tür war fest zu, durch die geschlossenen Jalousien aber glaubte er im Mondschein flüchtig zwei frische Augen funkeln zu sehen. Sonst war alles still im ganzen Garten, und beschämt und verdrießlich wanderte er wieder nach dem alten Schlosse zurück. Aber es half ihm nichts, der Morgen kam doch wieder und das liebliche Stimmchen mit ihm wie ein Zaubervolge im Walde, der ihn neckend immer tiefer in das grüne Labyrinth verlockte, von dem kein Ende abzusehen war.

So waren mehere Wochen vergangen, Fortunat hatte, um sich alle Liebestorheit aus dem Sinn zu schlagen, sich endlich mit einer Art von Wut auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt geworfen, mancherlei Studien und Ausflüge in die Umgegend gemacht und darüber seine deutschen Freunde fast ganz vernachlässigt. Er freute sich daher recht, als eines Tages Otto unerwartet gegen Abend zu ihm ins Zimmer trat, und bestürmte ihn sogleich mit Fragen nach Hohenstein, dessen grüne Stille mit allen ihren geliebten Personen ihm bei des Studenten Anblick wieder einmal ganz lebendig wurde. Aber zu seiner Verwunderung beantwortete Otto alles nur obenhin, ausweichend und beinahe verlegen. Dagegen schien ihn irgendeine gegenwärtige große Freude zu drängen, seinem Herzen Luft zu machen. Gegen seine sonstige zurückhaltende Gewohnheit teilte er unaufgefordert mehrere soeben vollendete Gedichte mit, sprach voll fröhlicher Zuversicht von seinen Plänen zu künftigen großen Arbeiten und entwickelte einen solchen bunten Reichtum der Seele, daß Fortunat wie in ein Kaleidoskop hineinzusehen glaubte.

Draußen wehte es unterdes schon wieder kühl über die Stadt, sie machten noch einen Gang ins Freie und Otto, sein Gespäch leidenschaftlich fortsetzend, führte den Freund zwischen kleinen Häusern und Weinbergen unvermerkt in eine schöne, abgelegene Gegend hinaus, die Fortunat noch nicht kannte. Garten stieß an Garten, ein unübersehbares, blühendes Paradies mit zierlichen Villen und Balkonen, auf denen manche schlanke Gestalt zwischen den Wipfeln erschien, alles von der untergehenden Sonne zauberhaft durchblitzt und beleuchtet. – »Wenn ich jemals aus diesem Glanze wieder in die dumpfe Enge meines deutschen Gebirgsstädtchens zurück müßte, wo sie jetzt wohl vor den Türen unter ihren hölzernen Lauben sitzen, die Hände vor Kälte fest eingewickelt, und nichts vernehmen als das Glöcklein der Bergleute und den Schlag des Eisenhammers von fern, und die Berge sehen von allen Seiten finster auf den stillen Markt herein, und der feuchte Wind schlägt den Kohlenrauch nieder und verhüllt alles wie ein Grab – mich schauert ordentlich bei dem Gedanken!« – »Hüt dich wohl«, entgegnete Fortunat, »es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer heimatlichen Berge; wo du auch seiest, es findet dich doch einmal wieder, und wär‘ es durchs offene Fenster im Traum, keinen Dichter noch ließ seine Heimat los.« – Otto schwieg nachsinnend – es war heut fast etwas Freudeverstörtes in seinem ganzen Wesen.

Auf einmal bog er rasch mitten in das Blütenmeer von Gärten hinein. Sie kamen an ein kleines, aber wohlgebautes, reinliches Haus, von Efeu, Weinlaub und blühenden Bäumen reizend überwachsen und verdeckt; die Tauben, die sich auf dem Dache in der Abendsonne spiegelten, die offenstehenden Fenster und Türen, wo bunte Schmetterlinge flimmernd ein und aus flatterten, alles gab ein wunderliches Bild südlicher Häuslichkeit. Otto führte seinen Begleiter ohne weiteres gerade durch das Haus in ein dahinter gelegenes einsames Gärtchen, umgeben von Nachbargärten, die von allen Seiten blühend hereinhingen und jede Aussicht verschlossen.

»Wo sind wir denn hier?« fragte endlich Fortunat erstaunt. Indem aber erschien ein Mädchen in der Haustür, er erkannte sogleich die schöne Annidi wieder. Sie begrüßte ihn etwas verwirrt und beschämt, dann trat sie unter eine Weinlaube und begann aus ihrem Handkörbchen einen Tisch reinlich zu decken, Gläser und Teller aufzustellen. Draußen im Nachbargarten hörten sie einen Knaben fröhlich singen:

Es sang ein Vöglein hier jedes Jahr:
Wie schön das Kränzlein im dunklen Haar!
Heuer ist’s Vöglein nicht wiederkommen;
Wer hat dir das schöne Kränzlein genommen?

Nun hielt sich Otto nicht länger, es kam alles heraus: daß Annidis Eltern seine Besuche ohne bestimmte Erklärung nicht weiter dulden wollten, daß er seit einigen Tagen mit dem Mädchen verheiratet und sich nun samt den Ihrigen hier eingenistet habe. Fortunat erschrak über diese ganz unerwartete Entdeckung und überdachte schnell die wunderlichen Folgen, die diese Übereilung für Otto herbeiführen mußte. Doch wurde er bald durch die liebliche Erscheinung der jungen Frau wieder beschwichtigt, die sich, ihrer neuen Lage noch ungewohnt, fortwährend mehr zierlich dienend als mitgenießend erwies, als sie sich nun fröhlich unter der Laube um den Tisch setzten. Auch ihre Eltern gesellten sich jetzt zu ihnen, zu Fortunats heimlichem Unbehagen, den die gewöhnlichen, welsch gekniffenen Gesichter störten. Sie mischten sich öfters ungeschickt mit in das Gespräch, redeten viel von guter Wirtschaft und dem nötigen Fleiße ihres Schwiegersohnes im Büchermachen, und Fortunat konnte wohl bemerken, daß sie ihn selbst als einen Zeitverderber und zweideutigen Kameraden Ottos scheel ansahen. – Unbekümmert saß und schmauste unterdes das glückliche Ehepaar, Annidi auf einem Fußbänkchen mit beiden Armen auf Ottos Knie gestützt und die gebratenen Kastanien ausschälend, die sie jede zur Hälfte miteinander teilten. Der Mond schimmerte schon durch das Weinlaub, Otto war seligstill, die junge Frau überaus schön, drüben sang der Knabe wieder:

»Wer hat dir das Kränzlein genommen?«

Fortunaten aber überwältigte mitten in dieser Stille eine unwiderstehliche Wehmut, als sei Otto nun hier in der Fremde märchenhaft verzaubert. Es wollte ihm das Herz zersprengen, er schützte ein dringendes Geschäft vor, ergriff schnell seinen Hut und nahm tief gerührt Abschied von dem Freunde, wie von einem Verstorbenen. Als er zurückblickte, standen Otto und Annidi noch in der Haustür. Glühwürmchen schwärmten leuchtend durch das Rebengelände, er sah von der schönen Frau nur noch die glänzenden Augen und Schultern, Otto erschien todbleich im Mondschein.

In wirren Gedanken war Fortunat hastig nach Hause geeilt. Der Mond schien prächtig über den alten Garten, er lauschte, ob er Fiametta nicht wieder singen hörte, doch alles blieb still. Als er aber um den Pfeiler des Schlosses trat, fuhr er heftig zusammen, denn in einer der Alleen glaubte er plötzlich sich selber zu erblicken. Unverwandt starrte er hin, die Gestalt zeigte sich noch einmal im hellsten Mondlicht, es war seine Kleidung, sein Gang, seine Haltung, und doch schien es wieder ein ganz fremder junger Mann. Jetzt blieb der Unbekannte lauernd hinter einer Hecke stehen. Da kam auf einmal Fiametta aus dem Gebüsch hervorgesprungen, besah ihn lachend rundum, dann gingen sie Arm in Arm tiefer in den Garten hinein. Mitten im fröhlichen Plaudern aber schienen sie plötzlich Fortunats Schatten auf dem Rasen zu bemerken, er sah sie erschrocken entfliehen, und bald war die ganze Erscheinung im Dunkel wieder verschwunden.

Fortunat aber hatte sich im Schloß gewandt und ging heftig in seinem Zimmer auf und nieder. »Also diesem galt das Abendliedchen letzthin, o ich Tor!« sagte er mit einem bittern Gefühl, das er sich selbst nicht eingestehen mochte. Es war fest beschlossen, er wollte sogleich morgen weiter nach Neapel reisen, ohne Fiametta noch einmal wiederzusehen. Noch in der Nacht schrieb er sein Vorhaben dem Marchese, der eben auf dem Lande war, und packte, in geheimer Wut lustige deutsche Lieder singend, seinen Koffer. Dabei schwirrten ihm die Worte aus einem alten Liede:

Das Kränzlein ist herausgerissen,
Ganz ohne Scheu sie mich anlacht:
Geh du vorbei: sie wird dich grüßen,
Winkt dir zu einer schönen Nacht.

immerfort durch den Sinn, daß er darüber aus Herzensgrunde hätte weinen mögen.

Am folgenden Morgen hatte er noch einige weitläufige Gänge, um das nötige Reisegeld zu erheben; so war die Mittagsstunde herangekommen, die Zeit der zauberischen Schwüle, die im Süden alles Lebendige überwältigt. Dennoch wollte er nicht abreisen, ohne vorher noch einen Streifzug durch den Garten zu machen. Da rührte sich jetzt kein Blättchen in der weiten, träumerischen Stille, die Vögel schwiegen, nur einzelne Schlangen sonnten sich ringelnd auf den einsamen Gängen, alle Menschen lagen wie tot. Es war das erstemal, daß er hier zu dieser Stunde wach war, und dieses Schlafen der Natur mit offenen Augen erschreckte ihn gespentisch. Er flüchtete nach einem kühlen Gartenhause, blieb aber überrascht im Eingange stehen, da er Fiametta, gleichfalls schlummernd, drin erblickte. Sie ruhte auf dem rechten Arme, das Gesicht von den losgelösten Locken halbverdeckt, heiter atmend, wie ein schönes Kind. Einige abgebrochene Worte hielten ihn fest. Sie sprach im Schlaf, immer deutlicher und zusammenhängender, aber zu seinem Erstaunen ganz in der ausländischen Weise, wie er selbst das Italienische zu sprechen pflegte. In wunderlichem Dialog hörte er nun, wie er aus ihrem eigenen Munde ihr gestand, daß er sich nur so kalt stelle, daß er sie aber eigentlich herzlich liebe. – Er erschrak, daß sie so aus seiner Seele redete. – Nun lachte sie in sich und entgegnete fröhlich: das wisse sie ja lange schon! – Dann sprach sie leise, immer leiser, als spräch‘ sie ihm ins Ohr, er konnte nichts verstehen, bis sie zuletzt, tief aufseufzend, sich zu regen begann.

Fortunat eilte ganz verwirrt nach dem Schlosse zurück, schon rührte sich’s wieder in allen Straßen, der Postillon draußen mahnte zur Abreise, er warf sich schweigend in den Wagen, und das lieblichste Rätsel, das er nicht zu lösen wußte, erfüllte seine ganze Seele.