Vergnügungspartie. – Meine traurige Trennung von Clementina. – Ich reise mit der Geliebten Croces von Mailand «b. – Meine Ankunft in Genua.

Die Alten, deren fruchtbare, glänzende und bewegliche Einbildungskraft Laster und Tugenden zu verkörpern wußte, haben die Unschuld dargestellt, wie sie, immer vertrauensvoll, mit einer Schlange oder einem scharfen Pfeile spielt. Die Alten besaßen eine gründliche Kenntnis vom Herzen des Mannes und des Weibes, und wenn auch die Neueren in dieser Hinsicht ihre Kenntnisse durch die Entdeckung dieser oder jener Fiber vermehrt haben mögen, so bleibt es darum doch wahr, daß die Werke, die jene uns hinterlassen haben, vom Symbol bis zur philosophischen Fachsprache, immer mit Nutzen zu Rate gezogen werden können, wenn jemand gern recht tief in die Wissenschaft des Geschmacks und der Vernunft eindringen möchte.

Nachdem ich Clairmont gesagt hatte, er solle nicht länger auf mich warten, legte ich mich zu Bett und dachte über mein Verhältnis zu dieser wundervollen Clementina nach, die von der Natur dazu geschaffen zu sein schien, um in einem Kreise zu glänzen, dem sie, trotz ihrer vornehmen Geburt, ihrer seltenen Schönheit und ihrem ausgezeichneten Geist, durch den Mangel an Vermögen ferngehalten wurde. Ich lachte darüber, daß sie sich, im Widerspruch mit aller Erfahrung, einem Gefühl hingeben zu können glaubte, wie wenn man dadurch den Hunger eines Menschen befriedigen könnte, daß man ihm die Speisen vorsetzt, die seine Sinne begehren, und ihm zugleich vorschreibt, sie nicht anzurühren. Doch konnte ich nicht umhin, sehr vernünftig zu finden, was sie in der Überzeugung naiver Unschuld ausgesprochen hatte: wenn man seinen Begierden widersteht, kann es einem nicht begegnen, daß man sich gedemütigt fühlt, nachdem man sie befriedigt hat. Daß sie sich vor solcher Demütigung fürchtete, hing mit ihrem Pflichtgefühl zusammen, und sie erwies mir eine Ehre, indem sie annahm, daß ich ihre Grundsätze teile. Wie dem auch sein mag, hier kam mein Selbstgefühl ins Spiel und ich faßte den Entschluß, nichts zu tun, wodurch ich ihr Vertrauen verlieren könnte.

Wie man sich denken kann, erwachte ich an diesem Tag sehr spät. Als ich aber meinem Kammerdiener geklingelt hatte, sah ich Clementina eintreten, die mir mit fröhlichem Gesicht einen guten Morgen wünschte. Sie hielt den Pastor fido in der Hand und sagte mir: »Ich habe soeben den ersten Akt gelesen. Niemals las ich etwas so Süßes, mein lieber Freund. Stehen Sie auf, wir wollen vor dem Mittagessen den zweiten Akt zusammen lesen.«

»Darf ich es wagen, in Ihrer Gegenwart aufzustehen?«

»Warum nicht? Ein Mann braucht nur sehr wenig Rücksichten zu nehmen, um den Anstand zu bewahren.«

»So machen Sie mir also das Vergnügen, mir jenes Hemd dort zu reichen!«

Eifrig breitete sie es aus und streifte es mir dann lachend über den Kopf.

»Bei der nächsten Gelegenheit,« sagte ich zu ihr, »werde ich Ihnen den gleichen Dienst erweisen.«

»Von Ihnen zu mir,« versetzte sie errötend, »ist ein geringerer Abstand als von mir zu Ihnen.«

»Das verstehe ich nicht, meine göttliche Hebe. Sie sprechen wie die Sibylle von Cumä, oder vielmehr, wie wenn Sie in Ihrem Tempel zu Korinth Orakelsprüche von sich gäben.«

»Hatte denn Hebe einen Tempel in Korinth? Davon hat Sardini nichts gesagt.«

»Aber Apollodor sagt es. Dieser Tempel war sogar ein Asyl. Aber ich komme wieder auf unsere Frage und bitte Sie, nicht auszuweichen. Was Sie gesagt haben, ist gegen die Geometrie. Der Abstand von Ihnen zu mir muß unbedingt der gleiche sein wie der von mir zu Ihnen.«

»Es kann wohl sein, daß ich eine Dummheit gesagt habe.«

»Durchaus nicht. Hebe. Gestatten Sie mir, beharrlich zu sein: Sie hatten einen Gedanken; mag er nun richtig oder falsch sein, ich wünsche, daß Sie ihn mir sagen.«

»Nun gut denn: Die beiden Entfernungen sind verschieden, je nach dem Aufsteigen und dem Absteigen, oder, wenn Sie wollen, dem Fallen. Ist denn nicht die Eigenschaft des Fallens allen Körpern eigentümlich, die nicht durch einen andern Körper zurückgehalten werden, der die Kraft besitzt, ihrer Schwerkraft zu widerstehen, ohne daß sie eines Antriebes oder Anstoßes bedürfen?«

»Ohne Zweifel.«

»Ist es nicht ferner wahr, daß ohne Antrieb kein Aufsteigen möglich ist?«

»Das ist vollkommen wahr.«

»Geben Sie mir also zu, daß ich, da ich kleiner bin als Sie, Sie nur durch eine aufsteigende Bewegung erreichen kann, was immer eine schwere Anstrengung erfordert, während Sie, um zu mir zu gelangen, sich nur fallen zu lassen brauchen, was keine Schwierigkeit bietet. Aus demselben Grunde laufen Sie keine Gefahr, indem Sie mir erlauben, Ihnen ein Hemd anzuziehen; ich aber würde mich einer großen Gefahr aussetzen, wenn ich Sie bei mir den gleichen Dienst verrichten ließe. Wenn Sie zu schnell auf mich fielen, könnten Sie mich erdrücken. Sind Sie jetzt überzeugt?«

»Überzeugt ist nicht das richtige Wort, schöne Hebe: ich bin entzückt, außer mir! Niemals, meine schöne Freundin, ist ein Paradoxon geistvoller verteidigt worden. Ich könnte Einwendungen machen, mit Ihnen streiten; aber ich will lieber schweigen, bewundern und anbeten.«

»Ich danke Ihnen, lieber Iolas. Aber keine Gnade! Welche Einwendungen könnten Sie mir machen?«

»Ick könnte Ihnen einwenden, daß es eine Geschicklichkeit von Ihnen war, Ihre Weigerung mit meiner Größe zu begründen, während Sie mir doch das Glück, Ihnen ein Hemd anzuziehen, nicht bewilligen würden, selbst wenn ich ein Zwerg wäre.«

»Sehr gut, mein lieber Iolas; wir können uns nicht betrügen, Ich wäre glücklich, wenn der Himmel mir einen Mann wie Sie zum Gatten bestimmt hätte.«

»Ach, warum bin ich nicht würdig, es zu werden!«

Ich weiß nicht, wohin dieses Gespräch uns noch hätte führen können, wenn nicht die schöne junge Mutter gekommen wäre, um uns zu sagen, daß man uns bei Tische erwarte; sie fügte hinzu, sie sehe mit großer Freude, daß wir uns liebten.

»Wir lieben uns wahnsinnig,« rief Clementina, »aber wir sind vernünftig.«

»Wenn ihr vernünftig seid, liebt ihr euch also nicht wahnsinnig.«

»Das stimmt ganz genau, göttliche Gräfin,« sagte ich; »denn Liebeswahnsinn und Vernünftigkeit passen nicht zueinander; aber trotzdem sind wir vernünftig, und Vernunft des Geistes kann sich recht wohl mit Wahnsinn des Herzens vereinigen.«

Wir speisten fröhlich zu Mittag; hierauf spielten wir, und am Abend lasen wir den Pastor fido zu Ende. Als wir damit fertig waren und über die Schönheiten des reizenden Werkes gesprochen hatten, fragte Clementina mich, ob der dreizehnte Gesang der Äneide schön sei.

»Meine liebe Gräfin, er taugt nichts, und ich habe ihn nur gelobt, um einem Nachkommen des Verfassers zu schmeicheln. Der Verfasser hat jedoch ein Gedicht über die Spitzbübereien der Bauern gemacht, das nicht übel ist. Aber Sie sind müde, und ich verhindere Sie, sich auszukleiden.«

»Glauben Sie das doch nicht!«

Sie kleidete sich augenblicklich mit der größten Ungezwungenheit aus, ohne jedoch meinen gierigen Blicken die mindeste Gunst zu gewähren, und legte sich zu Bett. Ich setzte mich neben sie; sie richtete sich zu einer sitzenden Stellung auf, und ihre Schwester drehte uns den Rücken zu. Der Pastor fido lag auf ihrem Nachttisch. Ich ergriff das Buch, schlug es aufs Geratewohl auf und traf auf die Stelle, wo Myrtill von der Süßigkeit des Kusses spricht, den er von Amaryllis empfing. Ich las die Stelle in dem Tone, der der Lage angemessen war. Da Clementina mir ebenso bewegt und gerührt erschien, wie ich selber es war, so preßte ich meinen Mund auf ihre Lippen. Welch reine Wollust! Da ich fühlte, daß meine Hebe meinen Kuß mit Entzücken einsaugte, und da ich an ihr keine Unruhe wahrnahm, so wollte ich sie an mein Herz drücken; aber sie stieß mich mit engelhafter Milde sanft zurück und bat mich, sie zu schonen.

Ihre Tugend lag in den letzten Zügen. Ich bat sie um Verzeihung, ergriff ihre schöne Hand und hauchte auf diese die ganze Glut aus, die meine Lippen verzehrte.

»Sie zittern!« sagte sie zu mir in jenem Tone, der die Erregung eines liebenden Herzens noch vermehren muß.

»Ja, meine göttliche Gräfin, ich zittere! Und ich kann Ihnen versichern, ich zittere vor Furcht, Ihnen mißfallen zu haben. Leben Sie wohl! Ich gehe, und wünsche mir, ich könnte Sie weniger lieben!«

»Warum? Ein solcher Wunsch kann nur ein Beginn von Haß sein. Machen Sie es wie ich: ich wünsche, die Liebe, die Sie mir eingeflößt haben, möge stets in demselben Verhältnis zunehmen, wie die Kraft, die ich brauche, um ihr zu widerstehen.«

Sehr unzufrieden mit mir selber legte ich mich zu Bett. Ich befand mich in einer solchen Stimmung, daß ich mir nicht klar werden konnte, ob ich zu weit oder nicht weit genug gegangen war. Aber darauf kam es weniger an: das Wesentliche war, daß ich Reue fühlte, und das ist nach meiner Meinung die allerpeinlichste Lage.

Ich sah in Clementina ein Weib, das die höchste Achtung und die vollkommenste Liebe verdiente, und ich wußte weder, wie ich aufhören könnte, sie zu lieben, noch wie ich fortfahren könnte, sie zu lieben, ohne die Belohnung zu erhalten, die ein leidenschaftlich Verliebter von dem Gegenstand seiner Liebe erwartet. Wenn sie mich liebt, sagte ich bei mir selber, kann sie mir diese Belohnung nicht verweigern; ich aber muß mich darum bemühen, ja sogar den Sieg mit Gewalt erringen, um ihre Niederlage zu rechtfertigen. Ein Liebhaber hat die Pflicht, die geliebte Frau zu nötigen, daß sie sich auf Gnade und Ungnade ergibt; dann wird die Liebe ihn niemals schuldig finden können. Gemäß dieser Folgerung, die ich ganz naiv in die Farbe meiner Leidenschaft und meines Interesses kleidete, konnte Clementina mir einen unbedingten Widerstand nur dann entgegensetzen, wenn sie mich nicht liebte, und ich fühlte mich verpflichtet, sie auf die Probe zu stellen. In diesem Gedanken bestärkte mich das Bedürfnis, aus der Aufregung herauszukommen, in die sie mich versetzt hatte; denn ich wußte, daß ich bald genesen würde, wenn ich sie unbeweglich fände. Zugleich aber erschien dieses Mittel mir abscheulich, und der Gedanke, Clementina nicht mehr lieben zu sollen, kam mir ebenso abgeschmackt wie grausam vor.

Nachdem ich eine sehr unruhige Nacht verbracht hatte, stand ich in aller Frühe auf und ging zu ihr, um ihr guten Morgen zu sagen. Sie schlief noch, aber die Gräfin Eleonora war beim Ankleiden. Sie sagte zu mir: »Meine Schwester hat bis drei Uhr morgens gelesen. Jetzt, da sie so viele Bücher hat, wird sie ganz verrückt werden. Wir wollen ihr doch einen Streich spielen! Legen Sie sich auf jene Seite neben sie; wir werden über ihre Überraschung lachen, wenn sie aufwacht.«

«Aber glauben Sie, daß sie die Sache scherzhaft nehmen wird?«

»Sie kann sie doch nur von der lächerlichen Seite auffassen; Sie sind ja angekleidet.«

Die Gelegenheit war zu verführerisch, die Aufforderung zu beruhigend; ich warf meinen Schlafrock ab und streckte mich, meine Nachtmütze auf dem Kopf, ganz leise auf Eleonoras Platz aus und deckte mich bis zum Halse zu. Die Schwester lachte, ich aber fühlte ein sehr heftiges Herzklopfen. Ich war nicht imstande, dem Streich jenen scherzhaften Anstrich zu geben, der allein ihn als unschuldig erscheinen lassen konnte. Ich wünschte, daß es noch recht lange dauern würde, bis sie erwachte, damit ich Zeit hätte, mich zu beruhigen, um ein lustiges Gesicht machen zu können.

Seit fünf Minuten befand ich mich in dieser Lage, als Clementina halb erwachte. Sie drehte sich zu mir um, ohne jedoch die Augen zu öffnen, streckte den Arm aus und gab mir in der Meinung, ihre Schwester zu berühren, einen Gewohnheitskuß; hierauf schien sie in dieser Stellung wieder einzuschlafen. Ich hätte sie sicherlich noch lange so liegen lassen; denn ihr warmer Atem berührte meine Lippen und gab mir einen Vorgeschmack von Ambrosia. Aber Eleonora konnte nicht mehr an sich halten; sie lachte laut heraus, so daß ihre Schwester erwachen mußte. Trotzdem merkte sie, daß sie mich in ihren Armen hielt, erst dann, als sie ihre Schwester vor dem Bett stehen und aus allen Kräften lachen sah.

»Das ist ein hübscher Streich,« sagte Clementina, ohne sich zu rühren, »und ich bewundere euch alle beide.«

Diese friedfertige Aufnahme meines Scherzes versetzte mich in meine natürliche Stimmung; von Selbstvertrauen wieder belebt, hatte ich nunmehr Selbstbeherrschung genug, um meine Rolle gut spielen zu können. »Auf diese Weise,« sagte ich, »habe ich von meiner schönen Hebe einen Kuß bekommen.«

»Ich glaubte ihn meiner Schwester zu geben. Es ist der Kuß, den Amaryllis dem Myrtill gab.«

»Das ist einerlei. Der Kuß hat seine Wirkung geübt, und Iolas ist verjüngt.«

»Meine liebe Eleonora, was du den guten Iolas hast machen lassen, geht zu weit; denn wir lieben uns, und ich träumte von ihm.«

»Es geht nicht zu weit,« sagte die Schwester, »denn dein Iolas ist ja vollkommen bekleidet. Sieh doch nur!«

Mit diesen Worten riß daß ausgelassene junge Mädchen die Decke von mir ab, um sie zu überzeugen; aber die Bewegung ihres Armes war zu stark gewesen, und sie entblößte Clementina, die einen leisen Schrei ausstieß und schnell mir zu verbergen suchte, was meine Blicke im Nu verschlungen hatten. Ich hatte alles gesehen, aber nur so, wie man jene Blitze sieht, die schneller durch die Luft fahren als jener Pfeil, der Helvetien frei machte; ich hatte das Gesimse und den Fries des Altars der Liebe gesehen, auf dem ich zu sterben wünschte.

Clementina deckte sich wieder zu, und Eleonora ging hinaus. Ich aber lag, den Kopf auf die eine Hand gestützt, schweigend und unbeweglich da und betrachtete den Schatz, den ich begehrte und dessen ich mich doch nicht zu bemächtigen wagte.

Endlich brach ich das Schweigen und sagte: »Meine liebe Hebe, Sie sind sicherlich schöner als jene, die an der Tafel der Götter den Nektar einschenkte. Ich habe gesehen, was Hebe bei ihrem Fall sehen ließ, und wäre ich Jupiter gewesen, ich hätte sicherlich anders gehandelt als er.«

»Sardini hat mir gesagt, Jupiter habe meine Schutzherrin fortgeschickt; um sie zu rächen, sollte ich jetzt Jupiter fortschicken.«

»Das gebe ich zu, mein Engel; ich aber bin Iolas, Ihr eigenes Werk. Ich bete Sie an und suche Begierden zu ersticken, die mich foltern.«

»Sie haben diesen schlechten Streich mit Eleonora verabredet.«

»Nein, mein Herz, es bestand nicht die geringste Verabredung. Der Zufall hat alles gefügt, ich bin hereingekommen, um Ihnen guten Morgen zu sagen; denn ich glaubte, Sie seien schon wach. Sie schliefen noch, und Ihre Schwester kleidete sich an. Ich betrachtete Sie, und da kam Eleonora auf den Einfall, ich sollte mich auf ihren Platz legen, damit wir bei Ihrem Erwachen über Ihr Erstaunen lachen könnten. Ich muß ihr dankbar sein für einen Einfall, den ich mir zunutze machen mußte, weil ich Sie liebe. Aber die Schönheiten, die sie mich hatte sehen lassen, übertreffen die Vorstellung, die ich mir von Ihnen machte. Wird meine reizende Hebe mir ihre großmütige Verzeihung versagen?«

»Nein; ich verzeihe, da der Zufall alles so gefügt hat. Aber es ist sonderbar, daß man unwillkürlich auf die Person eines Menschen neugierig wird, den man zärtlich liebt.«

»Diese Neugier ist höchst natürlich, meint göttliche Denkerin. Man könnte sogar die Liebe als eine mächtige Neugier betrachten, wenn es gestattet wäre, die Neugier zum Range einer Leidenschaft zu erheben. Aber Sie sind nicht neugierig auf mich?«

»Nein, denn Sie würden mir vielleicht nicht gefallen, und dieser Gefahr will ich mich nicht aussetzen; denn ich liebe Sie und bin entzückt von den Gefühlen, die bei mir zu Ihren Gunsten sprechen.«

»Ich fühle wohl, daß dies möglich ist, und daß ich mir folglich große Mühe geben muß, um diese Vorteile zu erhalten.«

»Sie sind also mit mir zufrieden?«

»Unaussprechlich! Ich bin ein ziemlich guter Baumeister und finde, daß Sie mit einer göttlichen Regelmäßigkeit gebaut sind.«

»Das freut mich, mein lieber Iolas, aber enthalten Sie sich jede Berührung! Um Ihr Urteil zu fällen, möge es Ihnen genügen, mich gesehen zu haben.«

»Ach! Gerade das Gefühl muß die Irrtümer der Augen berichtigen; denn durch das Gefühl überzeugt man sich von der Glätte und dem elastischen Widerstand. Erlauben Sie mir, diese beiden Lebensquellen zu küssen. Ich ziehe sie den hundert der Kybele vor und bin nicht eifersüchtig auf Attys.«

»Sie täuschen sich, lieber Freund; Sardini sagte mir, die Diana von Ephesus habe diese Brüste gehabt.«

Wie hätte ich nicht lachen sollen, da ich in einem solchen Augenblicke Clementinas Munde solche mythologische Gelehrsamkeit entströmen sah. Kann die Liebe auf eine solche Episode gefaßt sein? Kann sie sie fürchten oder vorhersehen? Nein; sie ist nicht natürlich oder zum mindesten sehr selten. In der Lage, in der ich mich befand, indem meine Hand einen Alabasterbusen drückte, mußte in Clementina die Leidenschaft des Wissens mächtiger sein als die Leidenschaft der Liebe, wenn sie nicht dem Feuer der Begierde unterliegen sollte. Ich fand indessen ihre Gelehrsamkeit durchaus nicht unangenehm, sondern faßte sie vielmehr als ein gutes Vorzeichen auf. Ich sagte ihr, sie habe recht, und aus literarischer Dankbarkeit dachte sie nicht daran, meinem Munde zu wehren, daß er sich eines kaum erblühenden Knöspchens bemächtigte, dessen Purpur die Pole ihrer beiden alabasternen Halbkugeln so wundervoll krönte.

»Du saugst vergeblich, teurer Iolas; es ist unfruchtbarer Boden. Geh zu meiner Schwester! Aber du schluckst ja etwas hinunter?«

»Ja, die Quintessenz meines eigenen Kusses.«

»Es ist wohl möglich, daß auch ein Teilchen von mir selber dabei ist, denn du hast mir eine Wonne bereitet, die ich nie zuvor gefühlt habe.«

»Teure Hebe, du machst mich überglücklich!«

»Das freut mich; aber mir scheint, der Kuß auf den Mund ist bei weitem vorzuziehen.«

»Ganz gewiß; denn bei diesem findet Gegenseitigkeit statt. Die Wonne erhöht sich für jeden um die ganze Summe der Wonne, die er dem andern mitteilt.«

»Lehre und Beispiel! Grausamer Lehrer! Mach ein Ende, lieber Freund; es ist zu süß! Amor sieht uns zu und lacht über unsere Verwegenheit.«

»Warum, liebe Freundin, zögern wir noch, ihm einen Sieg zuzugestehen, der uns nur glücklich machen kann?«

»Dieses Glück ist nicht sicher. Nein, bitte, tun Sie es nicht! Lassen Sie Ihre Arme hier oben! Wenn Küsse uns töten können, wollen wir uns töten! Aber laß uns anderer Waffen nicht bedienen!«

Nach einem langen ebenso süßen wie grausamen Kampf hielt sie zuerst inne. Mich mit flammensprühenden Augen ansehend, bat sie mich, sie allein zu lassen.

Es ist unmöglich, die Aufregung zu beschreiben, in der ich mich befand: ich machte mir Vorwürfe, daß ich mir eines traurigen Vorurteils wegen Zwang auferlegt hatte, und ich weinte vor Wut. Nachdem ich meine Glut durch eine Abwaschung gedämpft hatte, die mir niemals so notwendig gewesen war, kleidete ich mich an und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Ich fand sie mit Schreiben beschäftigt.

»Ich bin froh, daß Sie wieder gekommen sind,« sagte sie zu mir; »ich fühle mich von einer Begeisterung beseelt, die ich nie zuvor empfunden habe. Ich will in Versen den Sieg besingen, den wir errungen haben.«

»Ein trauriger Sieg, den die Liebe verabscheut, weil er ein Schimpf für sie ist, und den die Natur hassen muß.«

»Sie werden poetisch. Lassen Sie uns alle beide schreiben: ich, um den Sieg zu feiern, Sie aber, um ihn zu schelten. Aber, lieber Freund, Sie sehen ja traurig aus!«

»Ich leide; da Sie jedoch die männliche Körperbildung nicht kennen, so können Sie den Grund nicht wissen.«

Clementina antwortete mir nicht; aber ich bemerkte, daß ihr die Sache zu Herzen ging. Ich litt einen dumpfen, aber starken Schmerz an jenem Teil, den ich dem Vorurteil zuliebe gefangen gehalten hatte, während Natur und Liebe verlangt hätten, daß er seine volle Freiheit bekäme. Nur die Ruhe des Schlafes konnte das Gleichgewicht wieder herstellen.

Wir gingen zum Mittagessen hinunter, aber ich rührte fast keine Speise an. Ich war keiner Aufmerksamkeit fähig und hörte daher zerstreut Herrn Vigi seine Übersetzung vorlesen, die er mitgebracht hatte; ich vergaß sogar die Höflichkeit in dem Grade, daß ich ihm nicht einmal ein Kompliment machte. Nachdem ich sodann den Grafen, meinen Freund, ersucht hatte, für mich eine Pharaobank aufzulegen, bat ich um Erlaubnis, zu Bett gehen zu dürfen. Niemand konnte die Natur meines Unwohlseins erraten, nur Clementina konnte sie wohl vermuten.

Ich schlief vier Stunden; hierauf stand ich auf und beschrieb in Danteschen Terzinen die Geschichte der Krankheit, die ich dem traurigen Siege verdankte.

Zur Zeit des Abendessens kam Clementina mit einem Bedienten, brachte mir einen leckeren Imbiß und sagte mir, daß die Bank gewonnen habe. Dies war das erstemal; denn ich hatte immer so abgezogen, daß ich verlieren mußte. Ich aß mit ziemlich gutem Appetit, aber traurig und schweigsam. Als ich fertig war, wünschte Clementina mir gute Nacht und sagte, sie wolle an ihrem Gedicht weiter arbeiten.

Ich war zum Dichten aufgelegt; von meinem Gegenstande ganz erfüllt, vollendete ich mein Gedicht und schrieb es ins Reine, bevor ich zu Bett ging. Am nächsten Morgen kam Clementina in aller Frühe zu mir und gab mir ihre Verse. Ich las diese mit Vergnügen; aber die Freude, die ich ihr durch meine Lobsprüche bereitete, war mindestens ebenso groß wie meine eigene.

Nachdem ich die Schönheit ihrer Gedanken von allen Selten hervorgehoben hatte, kam mein eigenes Gedicht an die Reihe, und ich bemerkte gar bald, welchen tiefen Eindruck die Schilderung meiner Leiden auf sie machte. Schwere Tränen standen in ihren schönen Augen, aber durch diese Tränen hindurch sprühten zärtliche Blitze. Ich hatte das Glück, sie schließlich sagen zu hören: wenn sie diese physischen Wirkungen gekannt hätte, so würde sie sich anders benommen haben.

Nachdem ich eine Tasse Schokolade mit ihr getrunken hatte, bat ich sie, sich unentkleidet neben mich zu legen und mich ebenso zu behandeln wie ich sie am Tage vorher behandelt hätte, damit sie ebenfalls das Martyrium zu erleiden hätte, das ich in meinen Versen besungen hätte. Sie lächelte und ergab sich meinen Bitten, aber unter der Bedingung, daß ich nichts gegen sie unternehme.

Diese Bedingung war grausam; es war aber doch schon ein Anfang vom Sieg, und deshalb mußte ich mich ihrem Willen unterwerfen. Ich hatte keine Ursache, über meine Gefügigkeit zu klagen; denn ich konnte den Despotismus genießen, den sie als Herrin meines ganzen Körpers über mich ausübte, und konnte mich an der Qual freuen, die sie ausstehen mußte, weil ich nicht einen gleichen Despotismus über sie ausübte und weil sie ihren Augen den Anblick der Reichtümer versagen mußte, über die ihre Hände verfügten. Vergebens forderte ich sie auf, sich zu befriedigen, ihren Begierden nichts zu versagen; sie behauptete fortwährend, sie wünsche nichts weiter als was sie bereits tue. »Unmöglich!« sagte ich zu ihr, »kann in diesem Augenblick Ihr Genuß dem meinigen gleichkommen.« Aber ihr scharfer Geist wußte sofort eine Antwort darauf; sie erwiderte: »Dann wäre es doch ungerecht, wenn Sie sich darüber beklagen wollten.«

Die Prüfung war indessen doch zu stark gewesen, um nicht entscheidend zu sein. Sie erhob sich ganz entflammt von meiner Seite, gab mir einen jener Küsse, die alle Zweifel beseitigen, und ging hinaus, indem sie zu mir sagte, sie sei jetzt überzeugt, daß man in der Liebe alles haben müsse oder nichts.

Wir verbrachten den Tag mit Lesen, Essen, Spazierengehen und mit fröhlichen, zweideutigen, ernsten Unterhaltungen; leider konnte ich jedoch nicht bemerken, daß unsere Liebe so große Fortschritte machte, wie die Probe vom Morgen anscheinend mir versprach. Clementina wollte das Gegenteil von jener Umschrift auf der Medaille des Aristipp bedeuten, worin es in bezug auf die Lais hieß: Ich besiege sie, aber sie besiegt mich nicht; sie wollte meine liebende Herrin sein, aber mich nicht ihren liebenden Herrn sein lassen. Ich beklagte mich freundlich darüber, aber damit kam ich nicht weiter.

Zwei oder drei Tage später schlug ich ihr in Gegenwart ihrer Schwester vor, sie solle mich an ihrer Seite schlafen lassen. Dies ist das Auskunftsmittel, das man einer Nonne, einer Witwe oder einem mannbaren Mädchen vorschlägt, die aus Furcht vor den Folgen nichts von der Liebe wissen wollen, und dieses Mittel glückt fast immer, wenn der, der es vorschlägt, geliebt wird. Ich zog aus meiner Tasche ein Päckchen feine englische Überzieher und erklärte ihr deren Anwendung. Sie nahm sie und untersuchte sie genau. Nachdem sie aber sehr darüber gelacht hatte, rief sie, diese Dinger seien abscheulich, ekelhaft, skandalös, und ihre Schwester stimmte ein. Vergebens wollte ich diese Vorwürfe zurückweisen, indem ich auf die Beruhigung aufmerksam machte, die sie verschafften; sie behauptete jedoch, die Überzieher seien nicht sicher, es könne leicht vorkommen, daß sie platzten. Um mich hiervon zu überzeugen, steckte sie den Finger in einen von den Überziehern und stieß so stark, daß er mit einem Knall zerriß. Notgedrungen mußte ich mich also ergeben; ich steckte meine Instrumente wieder ein, und sie sagte mir noch, dieses Mittel flöße ihr Abscheu ein.

Ich wünschte den beiden Mädchen gute Nacht und entfernte mich in ziemlicher Verwirrung. Indem ich über Clementinas eigentümlichen Widerstand nachdachte, gelangte ich zu der Überzeugung, daß sie nur deshalb so standhaft sein könnte, weil ich ihr nicht genug Liebe eingeflößt hätte. Ich beschloß daher, diese Liebe durch ein unfehlbares Mittel zu steigern: ihr nämlich neue Vergnügungen zu verschaffen, ohne dabei auf die Geldausgabe zu sehen. Ich wußte nichts Besseres zu tun, als mit der ganzen Familie nach Mailand zu fahren und ihnen bei meinem Pastetenbäcker ein prachtvolles Bankett zu geben. Ich überlegte mir folgendes: Ich werde die ganze Familie hinführen, ohne vorher ein Wort davon zu sagen, als bis wir unterwegs sind; denn wenn ich sagte, daß ich nach Mailand wollte, würde möglicherweise mein Freund sich verpflichtet fühlen, seiner Spanierin Bescheid zu geben, um ihr seine Schwägerinnen vorzustellen, und dies würde mir ganz und gar nicht passen. Ich dachte, dieser Ausflug müßte den drei Schwestern sehr verführerisch erscheinen, da sie Mailand noch niemals gesehen hatten. Meine Phantasie zeigte mir diesen Plan in immer schönerem Lichte, und ich beschloß, diesen Ausflug mit allem Glänze auszustatten, der sich mit meinen Absichten vereinigen ließ.

Kaum war ich erwacht, so schrieb ich an Zenobia, sie solle drei Kleider von den schönsten Lyoner Seidenstoffen für drei junge Damen von Stande kaufen. Ich schickte ihr die Maße und schrieb ihr ganz genau vor, wie die Kleider besetzt werden sollten. Das von mir für die verheiratete Gräfin bestimmte sollte von perlgrauem Atlas und reich mit Valencienner Spitzen besetzt sein. Ich fügte meinem Briefe eine Anweisung auf Herrn Greppi bei, den ich bat, er möchte ihr einen Mann mitgeben, um alles zu bezahlen, was sie kaufen würde. Ich befahl ihr, die drei Kleider nach meiner Privatwohnung zu bringen und sie dort auf meinem Bett auszubreiten. Ferner legte ich einen Brief an meinen Pastetenbäcker bei, worin ich eine Mahlzeit für acht Personen bestellte und ihm einschärfte, daß er keine Kosten sparen sollte. Zenobia sollte sich am bestimmten Tage bei dem Pastetenbäcker einfinden, um die drei Damen zu bedienen, die mit mir kommen würden. Meinen Brief ließ ich durch Clairmont nach Mailand bringen, ohne daß ein Mensch etwas davon erfuhr.

Vor dem Mittagessen war Clairmont bereits zurück; er brachte mir ein Briefchen von Zenobia, die mir versicherte, es solle alles nach meinen Wünschen gemacht werden. Beim Nachtisch wandte ich mich an die Gräfin und sagte zu ihr, ich wünsche ihr ein Mittagessen in derselben Art wie seinerzeit in Lodi zu geben, aber unter zwei Bedingungen: erstens, daß niemand erführe, wohin wir gingen, bis wir im Wagen säßen; zweitens, daß wir nach dem Essen wieder in die Wagen stiegen, um zum Schlafen in Sant‘ Angelo zu sein.

Anstandshalber sah die Gräfin, bevor sie antwortete, ihren Gemahl an; dieser aber ließ sich nicht lange bitten, sondern rief, er sei zur Fahrt bereit, und wenn ich auch die ganze Familie entführen wolle.

»Also gut!« sagte ich. »Wir werden morgen früh um acht Uhr abfahren, und Sie brauchen sich um nichts zu bekümmern; die Wagen werden bereit stehen.«

Ich glaubte, den guten Domherrn nicht von der Teilnahme an unserem Ausflug ausschließen zu dürfen, nicht nur, weil er der Gräfin Ambrogio sehr angelegentlich den Hof machte, sondern auch, weil er ein eifriger Spieler geworden war und jeden Abend verlor, so daß eigentlich er die Kosten des Festes bestritt. Er verlor an diesem selben Abend dreihundert Zechinen auf Wort und war genötigt, mich um eine Frist von drei Tagen zu bitten. Ich antwortete ihm, mein ganzes Vermögen stehe zu seiner Verfügung.

Als die Gesellschaft sich trennte, reichte ich meiner Hebe den Arm und begleitete sie und ihre Schwester in ihre Zimmer. Wir hatten die »Mehrheit der Welten« von Fontenelle zu lesen begonnen, und ich glaubte, wir würden vor dem Schlafengehen damit fortfahren; als ich jedoch diesen Vorschlag machte, sagte Clementina, sie wolle zu Bett gehen, da sie am andern Morgen schon so früh aufstehen müsse.

»Sie haben recht, meine liebe Hebe: legen Sie sich zu Bett; unterdessen werde ich Ihnen etwas vorlesen.«

Da sie nichts hiergegen einzuwenden hatte, so nahm ich den Ariosto und las, so gut ich nur konnte, die Geschichte von der spanischen Prinzessin Fiordespina, die sich in Bradamante verliebt hatte. Ich glaubte, diese reizende Geschichte würde Clementina in Feuer und Flammen setzen; aber ich irrte mich: sie war verdrießlich, ebenso ihre Schwester Eleonora.

»Was haben Sie denn, liebes Herz? Hat Ricciardetto Ihnen vielleicht mißfallen?«

»Nein, er hat mir im Gegenteil sehr gefallen, und an Stelle der Prinzessin hätte ich mich ebenfalls in ihn verliebt; aber wir werden diese ganze Nacht nicht schlafen, und daran sind Sie schuld.«

»Ich? Was habe ich denn getan?«

»Ach – nichts. Aber Sie könnten uns glücklich machen, indem Sie uns einen großen Beweis Ihrer Freundschaft gäben.«

»Sprechen Sie! Worum handelt es sich? Gibt es denn etwas, was ich nicht Ihnen zu Gefallen gern tun würde, wenn es in meiner Macht stände? Mein Leben, ja sogar mein Wille gehören Ihnen. Sie sollen schlafen.«

»Nun, so vertrauen Sie uns an, wohin wir morgen fahren.«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich es Ihnen im Augenblick der Abfahrt sagen würde?«

»Ja, aber das genügt uns nicht. Wir werden vor Verlangen sterben, es schon heute zu wissen. Wir können unsere Neugier nicht bezwingen, und wenn Sie unseren Wunsch nicht befriedigen, werden wir die ganze Nacht nicht schlafen und dann werden wir morgen den ganzen Tag verdrießlich sein und abscheulich aussehen,«

»Dies würde mich tief betrüben; aber ich bezweifle, daß es Ihnen möglich ist, jemals abscheulich auszusehen.«

»Zweifeln Sie an unserer Verschwiegenheit? Übrigens kann das Geheimnis nicht bedeutend sein.«

»Allerdings nicht, es hat durchaus keine Bedeutung. Aber es ist ein Ordensgeheimnis.«

»Es ist abscheulich, daß Sie mir meine Bitte abschlagen.«

»Si, liebe Hebe, wie könnte ich Ihnen eine Bitte abschlagen? Ich gestehe sogar, es ist unartig von mir, daß ich Sie so lange warten lasse. Also hören Sie: ich gebe Ihnen morgen ein Mittagessen in meiner Wohnung.«

»In Ihrer Wohnung? Aber wo denn?«

»Ihre Frage ist berechtigt: in Mailand.«

»In Mailand! In Mailand! Oh, welches Glück!«

Indem sie diese Worte mit ungemessener Freude wiederholten, sprangen sie aus dem Bett, fielen mir ohne jede Toilettenförmlichkeit um den Hals, bedeckten mich mit Küssen, preßten mich in ihre Arme und setzten sich hierauf auf meinen Schoß.

»Niemals haben wir Mailand gesehen!« riefen sie fortwährend alle beide; »niemals haben wir einen so sehnlichen Wunsch gehabt, als diese herrliche Stadt zu sehen. Wie oft sind wir errötet, wenn wir gestehen mußten, daß wir sie nie gesehen hatten!«

»Dieser Ausflug macht mich glücklich,« sagte Hebe; »aber mein Glück trübt sich bei dem Gedanken, daß wir nichts sehen werden; denn Sie haben uns das harte Gesetz auferlegt, sofort nach dem Essen zurückzufahren. Das ist doch barbarisch! Kann man fünfzehn Miglien fahren, nur um in Mailand zu speisen, und dann denselben Weg zurückfahren, gewissermaßen um die Verdauung zu erleichtern! Zum mindesten müßten wir doch unsere Schwägerin besuchen.«

»Ich habe alle eure Einwendungen vorausgesehen, liebe Kinder; unk dies ist eben der Grund, warum ich die Sache geheim halten wollte. Aber die Partie ist nun einmal so angeordnet. Gefällt sie Ihnen nicht? Dann sprechen, befehlen Sie!«

»Wie sollte sie uns mißfallen, teuerer Iolas? Die Partie ist so, wie Sie sie sich ausgedacht haben, reizend, selbst wenn sie uns noch einiges zu wünschen übrig lassen sollte; vielleicht würde sie sogar durch den Grund der Beschränkung, wenn wir ihn kennten, noch einen neuen Reiz erhalten.«

»Das ist wohl möglich, meine göttliche Hebe; aber für heute kann dieser Grund für Sie keine Bedeutung haben, und ich darf ihn Ihnen nicht sagen.«

»Wir werden auch die Unbescheidenheit nicht so weit treiben, Sie danach zu fragen.«

Mit diesen Worten umarmte sie mich freudetrunken von neuem; Eleonora aber sagte, sie wolle schlafen, damit sie am nächsten Morgen recht munter sei. Dies war das beste, was sie tun konnte. Denn da ich fühlte, daß das Schäferstündchen nahte, so befeuerte ich Clementinas Küsse durch die Glut der meinigen, und von Freude und Liebe entflammt, dachte sie nicht mehr daran, meinen kühnen Angriffen Widerstand zu leisten. Bald war ich ganz in den Tempel eingedrungen, den zu betreten ich so heiß begehrt hatte. Stumm vor Glück und Wollust, teilte Hebe mein Entzücken, mein überschwengliches Glück und vermischte ihre Tränen wonniger Seligkeit mit denen, die ich im Übermaß der Lust vergoß.

Nachdem wir zwei Stunden in dieser wonnigen Selbstvergessenheit verbracht hatten, ging ich freudetrunken zu Bett, ungeduldig dem nächsten Tag entgegensehend, um die Liebesszene noch vollständiger und in einer bequemeren Lage zu wiederholen.

Um acht Uhr waren wir alle am Frühstückstisch versammelt; aber trotz allen meinen Anstrengungen und trotz der glücklichen Stimmung, worin sich meine Lebensgeister befanden, gelang es mir nicht, auch nur einen Schimmer von Heiterkeit auf die Gesichter meiner Gäste zu locken; Herren und Damen waren nachdenklich; die Neugier fraß an ihnen. Clementina und ihre junge Schwester wagten nicht, ihre innere Befriedigung zu zeigen, und stimmten in dieses Konzert der Schweigsamkeit ein. Ich hatte meine innere Freude daran.

Clairmont hatte alle meine Anordnungen aufs beste ausgeführt. Als er uns meldete, daß die Wagen vorgefahren seien, lud ich meine Gäste ein, hinunterzugehen. Man folgte mir schweigend. Ich brachte die Gräfin Ambrogio und Clementina in meinem Wagen unter; die letztere hatte den Säugling auf dem Schoß. Nachdem ich hierauf Eleonora und die drei Herren im zweiten Wagen hatte Platz nehmen lassen, rief ich lachend: »Nach Mailand!«

»Nach Mailand! Nach Mailand!« wiederholten alle Gäste stürmisch. »Bravo!«

Clairmont ritt auf einem guten Pferde uns voraus, und wir fuhren ab. Clementina spielte die Erstaunte; ihre Schwester strahlte vor Freude, sah aber zugleich ein wenig überrascht aus, wie wenn das unerwartete Ereignis ihr Anlaß zu Bedenken gäbe. Da wir jedoch in aller Muße darüber plaudern konnten, so bemerkte ich bald, daß ihre Sorgen verschwunden waren, und nun herrschte unter uns dreien vollkommene Fröhlichkeit. Auf halbem Wege hielten wir in einem Dorfe an, um die Pferde verschnaufen zu lassen, und stiegen alle aus.

Ich hatte einige Zweifel, daß meinem Freunde, dem Grafen, die Partie vielleicht nicht so ganz recht sein konnte; aber zu meiner Befriedigung sah ich, daß alle einverstanden waren und sich mit meinem Streich abgefunden hatten.

»Was wird meine Frau sagen?« fragte der Graf mich.

»Nichts, denn sie wird nichts davon erfahren. Auf alle Fälle werde ich der einzige Schuldige sein. Sie werden bei mir speisen, in einer Wohnung, die ich inkognito gemietet habe, seit ich in Mailand bin; denn, mein lieber Freund, Sie haben gewiß begriffen, daß die Wohnung bei Ihnen mir nicht genügen konnte, da der Platz bereits besetzt war.«

»Und Zenobia?«

»Ja, mein Lieber, Zenobia ist ein sehr leckerer Bissen, aber sie war doch kein täglich Brot für mich.«

»Sie sind ein Glücksmensch!«

»Ich bemühe mich, glücklich zu sein.«

»Lieber Mann,« sagte die Gräfin Ambrogio, »seit zwei Jahren gehst du mit dem Plan um, mir Mailand zu zeigen. Der Herr Chevalier hat nur eine Viertelstunde über den Plan nachgedacht, und schon sind wir unterwegs.«

»Da hast du recht, liebe Freundin; aber nach meinem Plan sollten wir einen Monat dort verbringen.«

»Wenn Sie einen Monat bleiben wollen,« sagte ich zu ihm, »so übernehme ich alles.«

»Ich danke Ihnen, mein werter Herr! Sie sind ein außerordentlicher Mensch.«

»Sie erweisen mir, Herr Graf, weit mehr Ehre, als ich verdiene. An mir ist weiter nichts Außerordentliches, als daß ich leicht finde, was wirklich leicht ist.«

»Das kann wohl sein; aber Sie werden zugeben, daß die Schwierigkeiten entweder aus dem Standpunkt hervorgehen, von dem aus man die Verhältnisse betrachtet, oder aus der Lage, worin man sich befindet.«

»Das gebe ich zu.«

Als wir wieder eingestiegen waren, sagte die Gräfin zu mir:

»Gestehen Sie, Herr Chevalier, daß Sie ein glücklicher Mensch sind.«

»Ich bestreite das nicht, liebenswürdige Gräfin. Aber mein Glück hängt von meiner Gesellschaft ab; wenn Sie mich aus der Ihrigen verweisen würden, wäre ich unglücklich.«

»Sie sind nicht der Mann, den man hinausweisen würde.«

»Dies ist ein sehr freundliches Kompliment.«

»Sagen Sie: ein sehr wahres.«

»Es macht mich glücklich, daß Sie das sagen. Aber man würde mich für einen anmaßenden Laffen halten, wenn ich selber es sagte.«

So erheiterten wir die Fahrt durch tausend liebenswürdige und galante Bemerkungen, besonders auf Kosten des Domherrn, der die Gräfin gebeten hatte, bei mir ein gutes Wort einzulegen, daß ich ihm erlauben möchte, sich auf eine halbe Stunde zu entfernen.

»Ich muß«, hatte er zu ihr gesagt, »einer Dame einen Besuch machen, deren gute Meinung von mir unwiderruflich dahin sein würde, wenn sie erführe, daß ich in Mailand gewesen wäre, ohne ihr meine Aufwartung zu machen.«

»Sie müssen sich, hochwürdiger Herr,« hatte die liebenswürdige Dame ihm geantwortet, »der allgemeinen Bedingung unterwerfen; rechnen Sie also nicht auf meine Verwendung.«

»Wir kamen in Mailand Schlag zwölf Uhr an und stiegen vor dem Hause des Pastetenbäckers ab. Die Frau bat die Gräfin, ihr ihren Säugling anzuvertrauen, indem sie ihr, um ihren Widerstand zu besiegen, einen wundervollen Busen zeigte, der dafür zeugte, daß sie halten würde, was sie versprach. Diese Szene mütterlicher Gastfreundschaft spielte sich am Fuße der Treppe ab, und die Gräfin nahm das Anerbieten mit einer Anmut und Würde an, die mich bezauberten. Es war eine entzückende Episode, die der Zufall herbeigeführt hatte, um die meinem Geist entsprungene Komödie zu verschönen. Alle schienen glücklich zu sein, ich aber war es mehr als alle anderen, und ich fühlte dies. Das Glück ist an und für sich lediglich Einblldungssache; um glücklich zu sein, muß man sich für glücklich halten. Ich gebe jedoch zu, daß die Umstände, die unseren Geist in die geeignete Stimmung versetzen, oftmals nicht von uns abhängen, während dagegen ungünstige Umstände gewöhnlich das Ergebnis unserer eigenen Handlungen sind.

Nachdem die Gräfin meinen Arm genommen, führte ich die Gesellschaft in meine Wohnung, die von Sauberkeit glänzte. Ich sah Zenobia, wie ich es erwartet hatte, aber zu meiner angenehmen Überraschung erblickte ich neben ihr Croces Geliebte, schön wie eine Liebesgöttin. Ich tat jedoch, wie wenn ich sie nicht kennte. Sie war sehr gut angezogen, und ihr Gesicht, von dem der Ausdruck der Traurigkeit entschwunden war, den es getragen hatte, als ich sie zum ersten Male sah, hatte etwas so Verführerisches an sich, daß es mir nach dem ersten Eindruck, den ein schönes Gesicht immer auf mich macht, beinahe leid tat, sie in diesem Augenblick bei mir zu sehen.

»Das sind zwei sehr hübsche Mädchen«, sagte die verheiratete Gräfin. »Wer sind Sie, meine jungen Damen?«

»Wir sind«, antwortete Zenobia, »die sehr ergebenen Dienerinnen des Herrn Chevalier und sind hierher gekommen, um die Ehre zu haben, Sie zu bedienen.«

Zenobia hatte auf ihre eigene Verantwortung die schöne Marseillerin mitgebracht, die bereits anfing, italienisch zu sprechen, und die mich mit einem scheuen Blick ansah, weil sie fürchtete, ich könnte es übelnehmen, daß sie ohne meinen Befehl gekommen wäre. Ich glaubte, sie beruhigen zu müssen, und sagte ihr daher, ich sei erfreut, daß sie Zenobia begleitet habe. Diese Worte waren Balsam für ihr Herz. Ihre Stirn erheiterte sich, und ihre Schönheit erhielt dadurch neuen Glanz. Das schöne junge Mädchen konnte nicht lange unglücklich sein, denn es war unmöglich, sie zu sehen, ohne eine lebhafte Teilnahme für sie zu fühlen. Ein Empfehlungsbrief, der von der Hand der Grazien auf die Schönheit geschrieben ist, wird niemals unter Protest zurückgewiesen; denn wer Augen und ein Herz hat, bezahlt bei Sicht.

Meine freundlichen Dienerinnen nahmen den drei Damen die Mäntel ah und folgten ihnen in mein Schlafzimmer, wo die drei schönen Kleider auf einem Tische ausgebreitet lagen. Ich kannte nur das mit Spitzen besetzte, zartgraue Atlaskleid, weil ich nur dieses besonders bezeichnet hatte. Die Gräfin, die vor ihren beiden Schwestern eintrat, bemerkte es zuerst und rief, indem sie näher trat: »Was für ein schönes Kleid! Wem gehört es denn, Herr von Seingalt? Sie müssen es doch wissen!«

»Selbstverständlich, gnädige Frau. Es gehört Ihrem Herrn Gemahl, der damit tun mag, was er will. Ich hoffe, wenn er es Ihnen schenkt, werden Sie ihm nicht den Schimpf antun, es zurückzuweisen. Sehen Sie, Herr Graf, dieses Kleid gehört Ihnen, und ich schieße mir eine Kugel durch den Kopf, wenn Sie mir nicht die Ehre erweisen, es anzunehmen.«

»Wir haben Sie zu lieb, um Sie zu einer Verzweiflungstat treiben zu wollen. Dieser Zug ist ebenso edel wie neu; er ist Ihrer würdig. Ich empfange also Ihr schönes Geschenk mit der einen Hand und gebe es mit der andern an die, der es gebührt. Denn ich spiele bei dieser Gelegenheit die Rolle eines Reflexspiegels.«

»Wie, mein lieber Mann, dieses prachtvolle Kleid gehört mir? Wem soll ich danken? Allen beiden. Ich will mich unbedingt für die Mahlzelt damit schmücken.«

Die beiden anderen Kleider waren nicht so reich, aber, glänzender, und ich freute mich innig, als ich sah, wie die Augen meiner Clementina sich auf das längere hefteten. Eleonora ihrerseits bewunderte das Kleid, das, wie sie erriet, für sie bestimmt war. Das erste war von herrlichem, apfelgrün und rosarot gestreiftem Atlas und mit Federblumen von bestem Geschmack verziert; das zweite, ebenfalls von Atlas, war himmelblau mit tausend Blümchen und mit Mignonettesspitzen besetzt, die eine sehr schöne Wirkung übten. Zenobia sagte, ohne mich zu fragen, zu Clementina, das erstere sei für sie.

»Woher wissen Sie denn das?«

»Gnädiges Fräulein, es ist das längere, und Sie sind die größere.«

»Da haben Sie recht. Es ist also mein?« fragte sie, indem sie sich zu mir wandte.

»Wenn ich hoffen darf, daß Sie es anzunehmen geruhen.«

»Daran kann nicht der geringste Zweifel sein, Iolas; ich werde es sofort anziehen.«

Eleonora sagte, ihr Kleid sei das schönste, und sie sterbe vor Verlangen, sich damit geschmückt zu sehen.

»Gut!« rief ich überglücklich. »Wir werden Sie allein lassen, damit Sie sich in aller Bequemlichkeit anziehen können. Diese beiden Damen sind dazu da, um Sie zu bedienen.«

Ich ging mit den beiden Brüdern und dem Domherrn hinaus und bemerkte, daß diese ganz betroffene Gesichter machten. Ohne Zweifel dachten sie über die Verschwendung eines Spielers nach, dem das Geld nichts kostete. Ich versuchte nicht, sie zum Sprechen zu bringen, denn da es meine Leidenschaft war, Leute in Erstaunen zu setzen, konnte ihr Erstaunen mir nur angenehm sein. Ich gestehe, es war ein Gefühl zügelloser Eitelkeit, das mich den Menschen meiner Umgebung überlegen machte; wenigstens glaubte ich dies, und das genügte mir. Ich würde jeden verachtet haben, der es gewagt hätte, mir zu sagen, man mache sich über mich lustig; trotzdem ist es wohl möglich, daß man mir damit nur die Wahrheit gesagt hätte.

Da ich von wirklicher Freude beseelt war, so teilte ich diese bald meinen Gästen mit. Ich umarmte herzlich den Grafen Ambrogio, indem ich ihn um Verzeihung bat, daß ich es gewagt hätte, seinen Angehörigen einige kleine Geschenke zu machen, und ich dankte seinem Bruder, daß er mir dies ermöglicht hatte. »Ich bin bei Ihnen so außerordentlich gut aufgenommen,« setzte ich hinzu, »daß ich mir nicht das Glück versagen konnte, Ihnen ein wenig meine Dankbarkeit dafür zu bezeigen.«

Bald kamen die schönen Gräfinnen, strahlend in ihrem Putz und in ihrer Freude. Sie sagten zu mir: »Es ist unmöglich, daß Sie uns nicht Maß genommen haben; nur wissen wir nicht, wie Sie das hätten machen sollen.«

»Das Spaßhafteste dabei ist,« rief die älteste von den Schwestern, »daß Sie mein Kleid so haben machen lassen, daß man es nach Bedürfnis weiter machen kann, ohne den Schnitt zu ändern. Aber was für ein prachtvoller Besatz! Der ist viermal so viel wert als das Kleid.«

Clementina konnte nicht vom Spiegel fortfinden. Sie bildete sich ein, ich hätte ihr mit den Farben rot und grün die Attribute der jungen Hebe beilegen wollen. Die jüngste Schwester behauptete immerzu, ihr Kleid sei das schönste.

Hocherfreut über die Zufriedenheit meiner schönen Damen, bat ich die Gäste, zu Tisch zu gehen. Wir hatten alle einen ausgezeichneten Appetit, und man trug uns eine vortreffliche Mahlzeit von Fleisch und Fastenspeisen auf. Alles war köstlich; die Krone des Mahles aber war ein Korb Austern aus dem Arsenal von Venedig, den mein Pastetenbäcker dem Haushofmeister des Herzogs von Modena wegzukapern gewußt hatte. Wir schwelgten darin. Wir vertilgten dreihundert Stück, denn unsere Damen waren Lecker und der Domherr unersättlich, und wir befeuchteten sie mit einer Menge Flaschen Champagner. Wir blieben drei Stunden bei Tisch, tranken, sangen und scherzten nach Herzenslust, denn wir waren alle von gleicher Fröhlichkeit beseelt. Während dieser ganzen Zeit warteten uns meine immer willigen Dienerinnen auf, deren Reize es mit denen der sie bewundernden Damen aufnehmen konnten.

Gegen Ende der Mahlzeit trat die schöne Pastetenbäckerin fröhlichen Gesichtes mit bloßem Busen ein und reichte der Gräfin ihr Kind, das sich an ihrer Brust festgesogen hatte. Es war eine Theaterszene. Die Freude der liebenswürdigen Mutter äußerte sich in einem Aufjauchzen, als sie ihr Kind sah, und die Pastetenbäckerin strahlte vor Stolz darüber, daß sie vier Stunden lang den einzigen Sprößling einer so erlauchten Familie besessen hatte. Bekanntlich hat die Phantasie, die auf die Männer so stark wirkt, daß man sie für die Schöpferin des Genius halten könnte, auf die Frauen einen Einfluß, der sich gar nicht berechnen läßt. Diese Frau war einfach und gut, wie es im allgemeinen alle Frauen aus dem Volke sind, wenn nicht Laster und Elend sie verderben und herabwürdigen; wer weiß, ob nicht meine Pastetenbäckerin sich einbildete, ihren eigenen Sprößling zu adeln, indem sie ihre Brust einem jungen Grafen bot? Solche Ideen sind natürlich unsinnig, aber gerade darum macht das Volk sie sich zu eigen.

Wir verbrachten noch eine Stunde damit, Kaffee und Punsch zu trinken; hierauf zogen die Gräfinnen wieder ihre Kleider an, in denen sie am Morgen gekommen waren. Zenobia packte die drei Kleider in Schachteln und ließ diese an meinen Wagen festbinden.

Croces Geliebte benutzte einen günstigen Augenblick, um mir unter vier Augen zu sagen, sie sei mit Zenobia sehr zufrieden, und um mich zu fragen, wann wir abreisen würden.

Ich drückte ihr die Hand und sagte: »Sie werden spätestens vierzehn Tage nach Ostern in Marseille sein.«

Zenobia, die ich gleich zu Anfang heimlich befragt hatte, hatte mir gesagt, die junge Marseillerin sei ein sehr liebenswürdiges und anständiges Mädchen, und es würbe ihr sehr leid tun, wenn sie sich von ihr trennen müsse. Ich gab ihr zwölf Zechinen zum Dank für ihre Bemühungen.

Mit allem sehr zufrieden, bezahlte ich dem wackeren Pastetenbäcker eine recht starke Rechnung: ich bemerkte dabei, daß wir mehr als zwanzig Flaschen Champagner getrunken hatten. Allerdings hatten wir fast gar keinen anderen Wein getrunken, da meine drei Damen eine ganz besondere Vorliebe für diesen Saft hatten.

Ich liebte, ich wurde geliebt, ich war gesund, ich hatte viel Geld, ich verschwendete es zu meinem Vergnügen und ich war glücklich. Dies sagte ich mir gern und lachte dabei über die dummen Moralisten, die behaupten, es gäbe kein wahrhaftes Glück auf Erden. Und grade dieses Wort: »auf Erden« erregt meine Heiterkeit: wie wenn es möglich wäre, das Glück anderswo zu suchen! Mors ultims linea rerum est! Ja, der Tod ist die letzte Zeile im Buche des Lebens; er ist das Ende von allem, denn mit dem Tode hört der Mensch auf, Sinne zu haben; aber ich bin weit entfernt, zu behaupten, daß der Geist das Schicksal der Materie teilt. Man darf nur behaupten, was man positiv kennt, und bei den letzten Grenzen des Möglichen muß der Zweifel beginnen.

Ja, ihr verdrießlichen und unklugen Moralisten, es gibt Glück auf Erden, sogar viel Glück, und jeder hat seinen Teil daran. Es ist nicht dauernd, nein, das ist es allerdings nicht; es entschwindet, kehrt zurück und entschwindet von neuem nach jenem Naturgesetz, das für alles Geschaffene gilt: der Bewegung, der ewigen Umwälzung der Menschen und Dinge. Vielleicht übersteigt die Summe der Übel, die eine Folge unserer körperlichen und geistigen Unvollkommenheit sind, für jedes einzelne Individuum die Summe des Glückes. Das alles ist wohl möglich, aber es folgt nicht daraus, daß es nicht Glück, und zwar viel Glück gibt. Wenn es kein Glück auf Erden gäbe, wäre die Schöpfung eine Mißgeburt, und Voltaire hätte recht gehabt, unseren Planeten die Latrine des Weltalls zu nennen; ein schlechter Witz, der nur eine Ungereimtheit oder vielmehr überhaupt nur ein Ausbruch galliger Dichterlaune ist. Ja, es gibt Glück und viel Glück! Das wiederhole ich heute, da ich es nur noch in der Erinnerung kenne. Diejenigen, die aufrichtig bekennen, daß sie das Glück empfinden, sind würdig, es zu besitzen; seiner unwürdig aber sind jene, die es leugnen, obwohl sie es genießen, und diejenigen, die es vernachlässigen, obwohl sie es sich verschaffen könnten. Ich habe mir in diesen beiden Beziehungen keinen Vorwurf zu machen.

Es war sieben Uhr, als wir meine hübsche Wohnung verließen, um nach dem Schloß des Grafen zurückzukehren, wo wir um Mitternacht ankamen. Die Fahrt war so köstlich, daß der Weg uns kurz erschien. Der Champagner, der Punsch und das Vergnügen hatten meine beiden Gefährtinnen erhitzt, und dank der Dämmerung konnte ich mir glückliche Zerstreuungen verschaffen, über welche sie keineswegs böse waren; ich liebte jedoch Clementina zu sehr, um den Spaß mit ihrer reizenden Schwester weiter als bis zu den Fingerspitzen zu treiben.

Sobald wir aus dem Wagen gestiegen waren, wünschten wir einander gute Nacht, und ein jeder begab sich in sein Zimmer, nur ich nicht; denn ich verbrachte mit Clementina Stunden jener köstlichen Wollust, deren Erinnerung sich nie verwischt.

»Glaubst du, mein süßer Freund,« sagte das reizende Mädchen zu mir, »daß ich nach deiner Abreise noch glücklich sein kann?«

»Meine liebe Hebe, ich weiß, daß wir in den ersten Tagen beide unglücklich sein werden; aber allmählich wird die Ruhe uns zurückkehren; die Philosophie wird unsere Liebe nicht auslöschen, sondern die Bitternis des Scheidens köstlich süß machen.«

»Eine köstlich süße Bitternis! Ich glaube nicht, daß die Philosophie ein solches Wunder wirken kann. Ich weiß wohl, mein liebenswürdiger Sophist, du wirst dich leicht mit deinen Fräuleins trösten. Glaube übrigens nur nicht, daß ich eifersüchtig bin. Ich wäre mir selber ein Greuel, wenn ich mich eines so niedrigen Gefühls für fähig halten könnte. Aber ich würde mich ebensosehr verachten, wenn ich imstande wäre, mich mit jenen Mitteln zu trösten, die du ganz gewiß anwenden wirst.«

»Ich wäre in Verzweiflung, wenn du dies glauben könntest.«

»Es ist nur natürlich.«

»Jene Fräuleins, wie du dich ausdrückst, sind nicht dazu angetan, dich zu ersetzen, und können mich nicht beschäftigen. Die größere von den beiden ist die Frau eines Schneiders, und die andere ist ein anständiges Mädchen aus Marseille. Ein unglückseliger Freund von mir hat sie verführt und dann entführt, und ich habe mich erboten, sie nach ihrer Heimatstadt Marseille zurückzubringen. Du wirst in Zukunft und bis zu meinem Tode das einzige Weib sein, das meine Seele beherrscht; sollte es mir je begegnen, daß ich, von meinen Sinnen hingerissen, eine Frau, die mich verführt hat, in meine Arme schließe, so wird dich bald die Reue wegen einer Untreue rächen, woran meine Seele keinen Teil haben wird.«

»Ich bin sicher, daß ich niemals eine derartige Reue verspüren werde. Aber ich begreife nicht, wie du an die Möglichkeit, mir untreu zu werden, denken kannst, da du mich so liebst, wie du mich liebst, mich in deinem Besitze hast und in deine Arme pressest!«

»Ich glaube nicht an diese Untreue, aber ich setze sie als möglich voraus.«

»Ich sehe in diesem Falle keinen großen Unterschied zwischen Glauben und Voraussetzung.«

Was sollte ich auf diese Einwürfe antworten? Clementina hatte recht, obgleich sie sich irrte; aber dieser Irrtum entsprang aus ihrer Liebe. Die meinige war durchaus nicht von einer Glut, die mich hätte verhindern können, eine mögliche, ja sogar unausbleibliche Treulosigkeit vorauszusehen. Ich urteilte nur darum richtiger als sie, weil ich nicht zum ersten Male verliebt war. Wenn aber meine Leser das gleiche durchgemacht haben, wie die meisten von ihnen es sicherlich getan haben, so werden sie wissen, in welche Verlegenheit einen Liebenden solche Worte aus dem Munde einer Frau versetzen, die er für immer glücklich machen möchte. Da weiß auch der Schlagfertigste nicht, was er sagen soll, und kann nur durch Küsse und Tränen antworten.

»Willst du mich mit dir nehmen?« fragte sie mich; »ich bin bereit, dir zu folgen, und ich werde glücklich sein. Wenn du mich liebst, mußt du über dein eigenes Glück hocherfreut sein. Laß uns einander glücklich machen, lieber Freund!«

»Ich kann deine Familie nicht entehren.«

»Findest du mich unwürdig, deine Frau zu werden?«

»Du bist eines Thrones würdig; ich aber bin nicht wert, ein solch herrliches Weib zu besitzen. Ich muß dir sagen, daß ich auf dieser Welt nichts habe als mein Geld, das ich morgen verlieren kann. Für mich allein fürchte ich keine Schicksalsschläge, aber ich würde mir das Leben nehmen, wenn du irgendeiner Entbehrung ausgesetzt wärest, nachdem du dein Schicksal mit dem meinigen verknüpft hättest.«

»Woher mag es wohl kommen, daß es mir unmöglich scheint, du könntest jemals mit mir unglücklich werden, und daß ich überzeugt bin, du kannst nur mit mir wirklich glücklich werden? Deine Liebe gleicht nicht der meinen, wenn du weniger Vertrauen zu ihr hast als ich.«

»Mein Engel, wenn ich weniger Vertrauen habe als du, so liegt es daran, daß ich eine grausame Lebenserfahrung besitze, die du nicht hast, und die mich für die Zukunft zittern läßt. Wird die Liebe beunruhigt, so verliert sie an Stärke, was sie an Vernunft gewinnt.«

»Grausame Vernunft! So müssen wir uns also entschließen, uns zu trennen?«

»Es muß sein, liebes Herz. Es ist eine grausame Notwendigkeit, aber mein Herz wird bei dir bleiben. Wenn ich auch scheide, so bete ich dich doch an, und wenn mir das Glück in England günstig ist, wirst du mich nächstes Jahr hier wiedersehen. Ich werde ein Landgut kaufen, wo du willst, und es dir an unserem Hochzeitstage schenken; dann werden unsere Kinder und die schönen Wissenschaften uns beglücken.«

»Oh, welch angenehme Zukunft! Welch ein Traum! Warum kann ich nicht mit diesem Traum einschlafen, um erst an dem Tage zu erwachen, wo er sich erfüllen wird, oder beim Erwachen zu sterben, wenn er nicht in Erfüllung gehen soll! Aber, lieber Freund, was soll ich tun, wenn du mich schwanger zurückläßt?«

»Dies, meine göttliche Hebe, hast du nicht zu befürchten. Hast du nicht bemerkt, daß ich dich geschont habe?«

»Geschont? Das verstehe ich nicht, aber ich kann es mir wohl vorstellen und danke dir dafür. Ach, vielleicht wäre es besser, du hättest keine Vorsicht beobachtet; denn du bist nicht geboren, mich unglücklich zu machen, und wenn du ein Pfand unserer gegenseitigen Zärtlichkeiten hinterlassen hättest, so würdest du Mutter und Kind nicht verleugnet haben.«

»Du beurteilst mich richtig, liebe Freundin. Solltest du bemerken, daß, trotz meinen Vorsichtsmaßregeln, dein Leib sich rundet, was du vor Ablauf von zwei Monaten merken wirst, so schreibe mir. Mag dann meine Lage sein wie sie will, ich werde die Frucht unserer Liebe legitimieren, indem ich dir meinen Namen und meine Hand gebe. Allerdings wirst du durch diese Namensänderung eine Mißheirat eingehen; aber du wirst deshalb weniger glücklich sein?«

»Nein, nein! Dein Name und deine Hand sind für mich das höchste Ziel des Ehrgeizes. Nein, niemals werde ich bereuen, daß ich mich ohne Rückhalt dir hingegeben habe.«

»Du machst mich überglücklich!«

»Meine ganze Familie liebt dich; alle sagen, du seiest glücklich und verdienest dein Glück. Wie sie dich loben, lieber Freund! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mein Herz vor Freude pocht, wenn ich in deiner Abwesenheit solche Bemerkungen höre. Wenn man mir sagt, ich liebe dich, so antworte ich: ich bete dich an; und du weißt, ich lüge nicht.«

Mit solchen Gesprächen füllten wir während der letzten fünf oder sechs Nächte, die wir miteinander verbrachten, die Pausen zwischen unseren Liebesekstasen aus. Ihre Schwester, die neben uns lag, schlief oder tat wenigstens so, wie wenn sie schliefe. Wenn ich von ihr ging, legte ich mich zu Bett; spät stand ich auf und verbrachte dann den ganzen Tag mit ihr, entweder allein oder in ihrer Familie. Welch köstliches Leben! Ist es möglich, daß ein Mensch, der sein eigener Herr, der unabhängig ist wie der Adler in den Lüften, sich entschließen kann, ein solches Glück aufzugeben? Heute begreife ich es nicht.

Das Glück hatte es gefügt, daß ich dem guten Domherrn das ganze Geld abgewann, das ich die Familie hatte gewinnen lassen. Niemals achtete ich auf deren Spiel; nur Clementina allein machte sich niemals meine Unaufmerksamkeit zunutze; aber die beiden letzten Tage nötigte ich sie, sich an meiner Bank zu beteiligen, und da der Domherr beständig unglücklich war, so gewann sie etwa hundert Zechinen. Der gute Mönch verlor tausend Zechinen, von denen siebenhundert in der Familie blieben. Das war eine gute Bezahlung für die Gastfreundschaft, die ich genossen hatte, und daß ein Mönch die Kosten bestritt, war um so anerkennenswerter, mochte er auch ein Ehrenmann sein.

Die letzte Nacht, die ich ganz mit meiner reizenden Gräfin zubrachte, war sehr traurig: wir wären vor Schmerz gestorben, hätten wir nicht die unerschöpfliche Wollust der Liebe genossen. Niemals wurde eine Nacht besser angewandt! Tränen des Schmerzes wechselten unaufhörlich mit Tränen der Liebe, und ich erneuerte neunmal das Opfer auf dem Altar des Gottes, der meine Kräfte in demselben Maße ersetzte, wie der Genuß sie erschöpfte. Blut und Tränen überströmten das Heiligtum; Priester und Opfer waren erschöpft, und doch riefen die Begierden: noch einmal! Wir mußten uns mit einer Anstrengung losreißen, die ebenso schmerzhaft war, wie unsere achtstündige Vereinigung süß gewesen war.

Eleonora benutzte einen Augenblick, wo wir der Ermüdung nachgebend in doppelter Verschlingung eingeschlafen waren, um leise aufzustehen und uns allein zu lassen. Wir waren ihr dankbar dafür und bewunderten ihre Freundschaft und ihre Entsagung; doch mußten wir gestehen, daß sie entweder sehr unempfindlich war oder daß sie als Zeugin unserer köstlichen Liebeskämpfe sehr hatte leiden müssen. Ich verließ Clementina, damit sie ihre Abwaschungen vomehmen könnte, deren sie ohne Zweifel sehr bedurfte, und kleidete mich selber an.

Als wir zusammen zum Frühstück herunterkamen, sahen wir aus wie zwei Sterbende; besonders Clementina mußte durch ihre Augen verraten werden. Aber man schonte uns. Ich konnte nicht lustig sein, wie ich es gewöhnlich war, aber man fragte mich nicht nach dem Grunde. Ich versprach ihnen, Nachricht zu geben und im nächsten Jahre wiederzukommen. Ich habe ihnen auch geschrieben, doch gab ich es auf, als das Unglück, das mich in London zu Boden schmetterte, mir die Hoffnung raubte, sie jemals wiederzusehen.

Ich habe sie in der Tat nicht wiedergesehen, aber ich habe Clementina niemals vergessen können. Als ich sechs Jahre später aus Spanien zurückkam, erfuhr ich, daß sie in glücklicher Ehe mit dem Marchese N. lebte, den sie drei Jahre nach meiner Abreise geheiratet hatte. Ich weinte Freudentränen über diese Nachricht. Sie hatte damals zwei Söhne; der jüngere von ihnen, jetzt siebenundzwanzig Jahre alt, ist Hauptmann in österreichischen Diensten. Welche Freude würde es mir sein, ihn zu sehen! Als ich von Clementinas Glück hörte, kam ich, wie gesagt, aus Spanien und war unglücklich. Ich war auf der Reise nach Livorno, wo ich mein Glück zu machen hoffte; auf der Fahrt durch die Lombardei war ich nur vier Miglien von einem Landsitz entfernt, wo diese anbetungswürdige Frau mit ihrem Gatten sich aufhalten mußte. Aber ich hatte nicht den Mut, sie aufzusuchen, und vielleicht tat ich recht daran.

Doch zurück zu meiner Erzählung!

Ich war Eleonoren dankbar für ihre Güte und wollte dies gern zum Ausdruck bringen. Ich zog von meinem Finger einen sehr schön von Diamantenrosetten umgebenen geschnittenen Onyx, worauf der Gott des Schweigens dargestellt war, und benützte einen günstigen Augenblick, um sie beiseite zu ziehen und ihr den Ring an den Zeigefinger zu stecken, bevor sie Zeit hatte, ein Wort zu sagen. Ich drückte ihr schweigend die Hand.

Als es Zeit war, hinunter zu gehen, um in meinen Wagen zu steigen, schickte die ganze Familie sich an, mich zu begleiten. Da füllten meine Augen sich mit Tränen. Ich suchte Clementina; sie war verschwunden. Ich tat, wie wenn ich etwas in meinem Zimmer vergessen hätte, und ging in die Schlafkammer meiner Hebe. Ich fand sie in einem entsetzlichen Zustande: ihr Schluchzen erstickte sie. Ich schloß sie in meine Arme und vermischte meine Tränen mit den ihrigen. Sie konnte kein Wort hervorbringen. Ich legte sie auf ihr Bett, drückte einen letzten Kuß auf ihre zitternden Lippen und riß mich los von diesem Ort, wo ich so süße und so schmerzliche Erinnerungen zurückließ.

Nachdem ich allen, auch dem guten Domherrn, der sich zum Abschied eingefunden hatte, meinen Dank ausgesprochen und sie alle umarmt hatte, flüsterte ich Eleonoren ins Ohr, sie möchte schnell zu ihrer Schwester gehen, und sprang in den Wagen, worin mein lieber Graf bereits saß. Wir sprachen kein Wort miteinander, sondern schliefen während der ganzen Fahrt, bis Clairmont vor dem Hause den Wagenschlag aufmachte. Wir fanden den Marchese Triulzi bei der Spanierin, die uns nicht erwartete; der liebenswürdige Stellvertreter meines Freundes ließ schnell ein Mittagessen für vier Personen holen. Zu meiner nicht geringen Überraschung wußten sie, daß wir in Mailand diniert hatten, und die Gräfin hatte große Lust, uns ihren Verdruß fühlen zu lassen, weil wir ihr unseren Besuch nicht gemeldet hätten. Zum Glück beschwichtigte der Marchese, der nie um eine Ausrede verlegen war, die schöne Dame, indem er ihr sagte, es sei nur Zartgefühl von meiner Seite gewesen, denn ich habe ihr die Mühe ersparen wollen, ein Mittagessen für so viele Personen herzurichten.

Bei Tisch erklärte ich, daß ich sehr bald nach Genua abreisen würde; zu meinem Unglück bot mir der Marchese einen Empfehlungsbrief an die berühmte Kokette Signora Isolabella an; die Gräfin versprach mir einen anderen an ihren Verwandten, den Bischof von Tortona.

Ich war in Mailand gerade zur rechten Zeit angekommen, um von meiner Teresa Abschied zu nehmen, die nach Palermo abreisen wollte. Ich sprach mit ihr von den Wünschen Don Cesarinos und bemühte mich nach Möglichkeit, sie zu bestimmen, ihn seiner Neigung folgen zu lassen. Sie antwortete mir: »Ich lasse ihn in Mailand; ich weiß, wo seine Leidenschaft entstanden ist, und ich werde mich niemals bereit finden lassen, seinen Wünschen in dieser Richtung nachzugeben. Übrigens hoffe ich, daß er bei meiner Rückkehr seine Ansichten geändert haben wird.«

Sie täuschte sich: mein Sohn änderte sich nicht, und in fünfzehn Jahren werden meine Leser mehr von ihm erfahren.

Nachdem ich mit Greppi abgerechnet hatte, nahm ich Wechsel auf Marseille und eine Anweisung von zehntausend Franken auf Genua, wo ich nach meiner Meinung nicht viel Geld nötig haben konnte. Trotz meinem Glück im Spiel reiste ich von Mailand mit tausend Zechinen weniger ab als ich bei meiner Ankunft gehabt hatte. Ich hatte allerdings auch außerordentlich viel Geld ausgegeben.

Alle meine Nachmittage verbrachte ich bei der schönen Marchesa Q.; bald war ich mit ihr allein, bald war ihre Base anwesend. Aber mein Herz war noch voll von der Erinnerung an Clementina, und darum schien mir die junge Marchesa nicht mehr dieselbe zu sein wie vor drei Wochen.

Ich hatte keinen Grund, dem Grafen A. B. ein Geheimnis daraus zu machen, daß ich das Fräulein aus Marseille mitnahm. Ich ließ daher von Clairmont ihr Köfferchen abholen und bezahlte der schönen Zenobia die kleinen Auslagen, die sie gemacht hatte. Am Tage meiner Abreise kam um acht Uhr morgens das Fräulein, sauber gekleidet zu mir.

Ich küßte der Gräfin, die nach meinem Leben getrachtet hatte, die Hand und dankte ihr für ihre liebenswürdige Gastfreundschaft, der ich, wie ich sagte, es verdankte, daß ich in so guter Gesellschaft von Mailand abreise. Hierauf dankte ich dem Grafen, der mich wiederholt seiner ewigen Dankbarkeit versicherte, und reiste ab. Wir schrieben den 20. März des Jahres 1763. Ich bin niemals wieder nach dieser prächtigen Hauptstadt zurückgekehrt.

Die junge Dame, die ich aus Achtung vor ihr und ihrer Familie Crosin nennen will, war reizend. Sie hatte einen edlen Anstand, welcher Achtung einflößt und einen Ton der Zurückhaltung, der auf eine sorgfältige Erziehung schließen ließ. Als ich sie so neben mir sitzen sah, wünschte ich mir Glück, daß ich keine Gefahr für mich sah, mich in sie zu verlieben; der Leser aber ahnt wohl schon, daß ich mich irrte. Ich sagte Clairmont, daß ich sie für meine Nichte ausgeben wolle, und befahl ihm, sie mit aller erdenklichen Rücksicht zu behandeln.

Da ich niemals Gelegenheit gehabt hatte, sie zum Sprechen zu bringen, so wünschte ich vor allen Dingen festzustellen, wes Geistes Kind sie sei, und obwohl ich nicht im geringsten die Absicht hatte, ihr den Hof zu machen, so empfand ich doch das Bedürfnis, ihr Freundschaft einzuflößen und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Die Wunde, die meine letzte Liebe meinem Herzen geschlagen hatte, blutete noch; darum freute ich mich, daß ich imstande war, die junge Marseillerin ihrem Vater zurückzugeben, ohne mir einen Zwang aufzuerlegen und ohne etwas bereuen zu müssen. Ich freute mich im voraus meiner in Aussicht stehenden guten Handlung und bildete mir etwas darauf ein, soviel Selbstbeherrschung zu besitzen, daß ich mit einem sehr hübschen Mädchen zusammenleben konnte, ohne einen anderen Wunsch zu verspüren, als das heroische Interesse, sie vor der Schande zu bewahren, in die sie hätte versinken können, wenn sie die Reise ganz allein hätte machen müssen oder wenn sie nicht das Glück gehabt hätte, mir zu begegnen, nachdem ihr Verführer sie verlassen hatte. Sie fühlte denn auch dies alles und sagte zu mir: »Ich bin überzeugt, Herr de la Croix hätte mich niemals verlassen, wenn er Ihnen nicht in Mailand begegnet wäre.«

»Ich bewundere Sie, mein Fräulein, teile jedoch keineswegs die gute Meinung, die Sie von ihm haben. In meinen Augen hat Croce geradezu als schlechtes Subjekt gehandelt, um es nicht stärker auszudrücken; denn so anziehend Sie auch sind, konnte er doch nicht mit Bestimmtheit auf mich rechnen. Ich will nicht sagen, daß er Sie verächtlich behandelt hat, denn möglicherweise wurde er von der Verzweiflung fortgerissen; so viel aber ist gewiß, da er Sie in solcher Weise verlassen konnte, so liebte er Sie nicht mehr.«

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Als er sich ohne Mittel sah, mußte er mich verlassen oder sich das Leben nehmen.«

»Weder das eine noch das andere. Er mußte alles was Sie haben, verkaufen und Sie nach Marseille zurückbringen. Sie konnten mit geringen Kosten nach Genua gelangen und von dort wären Sie auf dem Wasserwege nach Marseille gereist. Croce hat darauf gerechnet, daß ihr hübsches Gesicht mir Teilnahme einflößen werde, und er hat sich nicht geirrt; aber Sie begreifen wohl, welcher Gefahr er Sie ausgesetzt hat. Glauben Sie mir, mein Fräulein, wenn man wirklich liebt, ist schon der bloße Gedanke daran unerträglich. Sie werden sich nicht beleidigt fühlen, wenn ich Ihnen eine Wahrheit gestehe: hätten Sie nicht, als Sie mich um einen Besuch baten, einen tiefen Eindruck auf meine Sinne gemacht, so hätte ich für Sie nur eine mitleidige Teilnahme empfunden, und solche Teilnahme veranlaßt nicht eben zu großen Opfern. Aber ich habe unrecht, daß ich Croce tadele; dies ist Ihnen peinlich, denn ich sehe klar und deutlich, daß Sie ihn lieben.«

»Das gebe ich zu. Ich beklage ihn. Was mich selbst betrifft, so beklage ich nur mein grausames Geschick. Ich werde ihn nicht mehr sehen, aber ich werde auch keinen Menschen mehr lieben, denn mein Entschluß steht fest: ich werde mich in ein Kloster zurückziehen, um dort meinen Fehltritt zu sühnen. Mein Vater hat ein ausgezeichnetes Herz; er wird mir verzeihen. Ich war ein Opfer der Liebe; mein Wille war nicht frei. Von Croce verführt, hatte ich die Vernunft verloren; aber ich muß mich allein dafür bestrafen, daß ich nicht gegen die Täuschung meiner Sinne auf der Hut gewesen bin. Wenn ich übrigens reiflich darüber nachdenke, sehe ich in meiner Handlungsweise kein Verbrechen, sondern nur einen Fehltritt.«

»Sie wären also von Mailand mit Croce fortgegangen, wenn er es Ihnen gesagt hätte? Sie wären sogar zu Fuß gegangen?«

»Verlassen Sie sich darauf! DaS wäre ja meine Pflicht gewesen; aber er liebte mich zu sehr, als daß er mich dem beschwerlichen und elenden Leben, das er vor sich sah, hätte aussetzen mögen.«

»Er sah es nicht vor sich, sondern war schon mitten darin. Ich bin überzeugt: wenn Sie ihn in Marseille finden, werden Sie wieder zu ihm gehen.«

»Oh nein, niemals! Mit meiner Vernunft erlange ich allmählich meine Freiheit wieder, und der Tag wird kommen, da ich Gott danken werde, ihn ganz und gar vergessen zu haben.«

Die Aufrichtigkeit des jungen Mädchens gefiel mir, und da ich die Macht der Liebe kannte, so beklagte ich sie aufrichtig. Sie erzählte mir zwei Stunden lang ausführlich die ganze Geschichte ihrer unglücklichen Leidenschaft, und da sie gut erzählte, so machte sie mir Vergnügen, und ich begann Geschmack an ihr zu finden.

Mit Einbruch der Nacht kamen wir in Tortona an; ich beschloß, dort zu übernachten, und befahl Clairmont, uns ein Abendessen nach meinem Geschmack herrichten zu lassen. Bei Tisch entfaltete meine angebliche Nichte einen Geist, über den ich sehr erstaunt war. Auch bot sie mir im Essen die Spitze, denn sie hatte einen ausgezeichneten Appetit; das Glas in der Hand, konnte sie es mit jedem gleichaltrigen jungen Mädchen aufnehmen. Sie war lustig, aber anständig, scherzte im Ton der guten Gesellschaft und war entzückend, weil sie nicht mehr von ihrem Liebhaber sprach. Als wir von Tisch aufstanden, sagte sie bei irgendeiner Gelegenheit ein so treffendes und pikantes Scherzwort, daß ich laut auflachen mußte und daß sie mich vollends eroberte. Ich umarmte sie mit überströmendem Gefühl, und da ich auf ihrem reizenden Munde einem Kuß begegnete, der ebenso heiß war wie mein eigener, so fühlte ich, daß die Liebe sich allen Ernstes einmischte. Weil ich in meiner stürmischen Liebesglut keine Zeit hatte, meine Worte abzuwägen, fragte ich sie, ob es ihr recht wäre, wenn wir uns mit einem einzigen Bett begnügten.

Als ich diese Einladung ohne alle Umschweife vorbrachte, malten Überraschung und Furcht sich auf ihrem Antlitz, und mit ernster Miene, aber in jenem Tone der Unterwürfigkeit, die alle Begierden tötet, antwortete sie mir: »Ach, Sie sind der Herr und haben zu befehlen! Wenn aber die Freiheit ein kostbares Gut ist, so ist sie es besonders in der Liebe.«

»Von Gehorsam oder auch nur Gefälligkeit ist gar nicht die Rede, mein Fräulein. Sie haben mir Liebe eingeflößt; aber wenn Sie dieses Gefühl nicht teilen, so kann ich es in seiner Geburt ersticken. Wie Sie sehen, haben wir hier zwei Betten; Sie können nach Ihrem Belieben wählen.«

»Dann werde ich mich also in dieses da legen; sollte aber darum Ihre gütige Teilnahme für mich sich vermindern, so würde mich dies unglücklich machen.«

»Nein, nein! Fürchten Sie das nicht, reizende Französin! Sie werden mich Ihrer Achtung nicht unwürdig finden. Gute Nacht; lassen Sie uns gute Freunde sein!«

Ihr Bett stand hinter einem Wandschirm. Sie wünschte mir gute Nacht und legte sich dann in vollem Vertrauen zu Bett; denn wie ich einige Tage darauf von ihr selber erfuhr, hatte sie sich völlig entkleidet.

Am nächsten Tage schickte ich in der Frühe dem Bischof den Brief, den die Gräfin mir gegeben hatte.

Als ich eine Stunde darauf mit meiner Nichte beim Frühstück saß, kam ein alter Priester und lud mich nebst der Dame, die in meiner Gesellschaft wäre, zum Mittagessen ein. In dem Brief der Gräfin stand nichts von einer Dame; aber der Prälat war Spanier und sehr höflich; darum fühlte er, daß ich meine wirkliche oder angebliche Nichte nicht allein in einem Gasthof lassen konnte und daher seine Einladung nicht angenommen haben würde, wenn er nicht zugleich mit mir auch sie gebeten hätte. Wahrscheinlich hatte Monsignore ihre Anwesenheit durch seine Lakaien erfahren, die in Italien eine Art von freiwilligen Spionen sind und ihren Herren die Skandalchronik der Stadt hinterbringen. Schließlich braucht ja doch ein Bischof noch etwas besseren Zeitvertreib als sein Gebetbuch, seitdem die apostolischen Tugenden unmodern geworden und veraltet sind. Kurz und gut, ich nahm die Einladung an und bat den abgesandten Priester, Seiner Gnaden meine Ehrfurcht zu vermelden. Meine Nichte war in reizender Laune und behandelte mich, wie wenn ich keinen Grund gehabt hätte, darüber empfindlich zu sein, daß sie ihr Bett dem meinigen vorgezogen. Dies gefiel mir, denn bei kaltem Blute sah ich wohl ein, daß sie sich erniedrigt haben würde, wenn sie anders gehandelt hätte. Ich war nicht einmal gereizt, was doch unter solchen Umständen sonst natürlich ist. Selbstgefühl und vielleicht auch Vorurteil machen es einer geistvollen Frau zur Pflicht, sich den Wünschen eines Liebhabers nicht eher zu ergeben, als bis er annehmen darf, daß er sie durch seine Aufmerksamkeiten verführt hat. Ich hatte sie so ganz leichthin eingeladen, mein Bett zu teilen; aber ich hätte dies nicht getan, wäre ich nicht durch die Dünste des Pomad und des Champagners umnebelt gewesen, mit denen wir die von dem Wirt uns vorgesetzten Speisen reichlich befeuchtet hatten. Die Einladung des Bischofs hatte ihr geschmeichelt, aber sie wußte nicht, ob ich dieselbe auch für sie angenommen hätte, und sie fühlte sich vor Freude beinahe in den Himmel erhoben, als ich ihr ankündigte, daß wir zusammen zum Essen gehen würden. Sie machte sich zurecht und kleidete sich für eine Reisende sehr gut. Zum Mittag holte der Wagen Seiner bischöflichen Gnaden uns ab.

Ich sah vor mir einen hochgewachsenen Prälaten, denn er war um zwei Zoll größer als ich; trotz seinen achtzig Jahren war er frisch, gut auf den Beinen und in jeder Beziehung stattlich, obgleich ernst wie ein spanischer Grande. Er empfing uns mit einer Liebenswürdigkeit, die viel von der ausgesuchten Höflichkeit der Franzosen an sich hatte. Als meine Nichte ihm die Hand küssen wollte, zog der Prälat dieselbe freundlich zurück und reichte ihr das prachtvolle Kreuz von Amethysten und Brillanten, das er um den Hals trug. Sie küßte es herzlich und sagte dabei: »Das liebe ich.« Dabei warf sie mir einen Seitenblick zu, und dieser Scherz, der eine Anspielung auf Croce enthielt, überraschte mich.

Wir setzten uns zu Tische, und ich fand in dem Bischof einen liebenswürdigen und gelehrten Mann. Wir waren zu neun, denn außer vier Priestern, die ich für seine täglichen Tischgenossen hielt, hatte Monsignore zwei junge Kavaliere eingeladen, die meiner Nichte alle Aufmerksamkeiten erwiesen, wie sie in der guten Gesellschaft üblich sind; sie erwiderte diese wie eine Dame, die an solchen Ton gewöhnt ist. Ich bemerkte, daß der Bischof, der sehr oft das Wort an sie richtete, nicht ein einziges Mal ihr hübsches Gesicht ansah. Monsignore kannte die Gefahr und setzte als vernünftiger Greis sich ihr nicht aus. Nach dem Kaffee verabschiedeten wir uns und um vier Uhr fuhren wir von Tortona ab, um in Novi zu übernachten.

Während dieser kurzen Nachmittagsfahrt belustigte meine schöne Marseillerin mich durch tausend liebenswürdige und geistreiche Bemerkungen. Beim Abendessen brachte ich das Gespräch auf den Bischof und dann auf die Religion, um einmal zu sehen, was für Grundsätze sie hätte. Als ich in ihr eine gute Christin fand, fragte ich sie, wie sie sich den zweideutigen Scherz habe erlauben können, als sie das Kreuz des Prälaten küßte.

»Daran waren nur der Zufall und die Gelegenheit schuld«, antwortete sie. »Die Zweideutigkeit ist unschuldig, denn ich hatte die Anspielung nicht vorher überlegt; hätte ich Zeit zum Nachdenken gehabt, so würde der schlechte Witz nicht aus meinem Munde gekommen sein.«

Ich tat, wie wenn ich ihr glaubte, denn schließlich war es möglich, daß sie aufrichtig war. Das Mädchen hatte viel Geist, und die Begierden, die sie mir einflößte, wurden immer feuriger; aber meine Eitelkeit hielt die Liebe im Zaum. Als sie zu Bett ging, vermied ich es, sie zu umarmen; da sie jedoch keinen Bettschirm hatte, so entkleidete sie sich erst, als sie glaubte, daß ich eingeschlafen wäre. Am nächsten Tage kamen wir gegen Mittag in Genua an.

Pogomas hatte für mich eine Privatwohnung gemietet und mir deren Adresse gesagt. Ich stieg dort ab und fand vier sehr gut möblierte Zimmer in schöner Lage; sie waren in jeder Beziehung komfortabel, wie die Engländer sagen, die sich so gut auf alle Annehmlichkeiten des Lebens verstehen. Nachdem ich ein gutes Mittagessen bestellt hatte, ließ ich Pogomas von meiner Ankunft in Kenntnis setzen.