Paulinens Geschichte. – Mein Glück. – Ihre Abreise.

Ich bin die einzige Tochter des unglücklichen Grafen X…., den Carvalho Oeiras nach dem den Jesuiten zugeschobenen Anschlag auf das Leben des Königs im Gefängnis sterben ließ. Ich weiß nicht, ob mein Vater schuldig, oder ob er ein unschuldiges Opfer einer Privatrache war; aber soviel weiß ich, daß der tyrannische Minister es nicht gewagt hat, ihm den Prozeß zu machen oder sein Vermögen zu konfiszieren; ich bin daher im Besitz desselben, kann aber Einkünfte davon nur beziehen, wenn ich wieder in meine Heimat zurückkehre.

Meine Mutter ließ mich in einem Kloster erziehen, dessen Äbtissin ihre Schwester war; diese hielt mir alle möglichen Lehrer, unter anderen auch einen gelehrten Italiener aus Livorno, der mich in sechs Jahren alles lehrte, was ich nach seiner Ansicht wissen durfte. Ich fand ihn stets bereit, meine Fragen zu beantworten, soweit sie nicht die Religion betrafen; aber ich muß gestehen, daß seine Zurückhaltung in dieser Hinsicht mir durchaus nicht mißfiel, sondern im Gegenteil ihn mir noch lieber machte, denn er ließ es sich angelegen sein, mein Urteil zu bilden, und gab meinem Geist Nahrung, indem er mich lehrte, selber nachzudenken und zu urteilen.

Als ich achtzehn Jahre alt war, nahm mein Großvater mich aus dem Kloster, obgleich ich erklärt hatte, ich würde mit Vergnügen solange bleiben, bis sich die Gelegenheit böte, mich zu verheiraten. Ich hing mit zärtlicher Liebe an meiner Tante, die seit dem Tode meiner guten Mutter alles aufbot, um mir den doppelten Verlust, den ich erlitten hatte, weniger schmerzlich zu machen. Mein Austritt aus dem Kloster war für mein ganzes Leben entscheidend, und da er nicht auf meinen Willen erfolgt war, so habe ich ihn nicht zu bereuen gehabt.

Mein Großvater brachte mich zu seiner Schwägerin, der Marchesa X…. mo, die mir die Hälfte ihres Palastes einräumte. Man gab mir auch eine Hausdame, eine Gesellschafterin, Kammerzofen, Pagen und Bediente, die alle unter dem unmittelbaren und ausschließlichen Befehl der Hausdame standen, einer Adeligen, die zum Glück eine rechtliche und sehr gute Frau war.

Ein Jahr nach meinem Eintritt in die Welt kam mein Großvater zu mir und sagte mir in Gegenwart meiner Hausdame, Graf Fl…. bewerbe sich um mich für seinen Sohn, der an demselben Tage aus Madrid eintreffen solle.

»Was haben Sie ihm geantwortet, mein lieber Papa?«

»Daß diese Heirat dem ganzen Adel nur angenehm sein könne und gewiß die Billigung des Königs und der ganzen königlichen Familie finden werde.«

»Aber, lieber Großpapa, weiß man denn auch gewiß, daß ich dem Grafen gefalle, und andererseits, daß ich ihn nach meinem Geschmack finde?«

»Daran zweifelt man nicht, liebes Kind, und braucht sich also nicht damit zu beschäftigen.«

»Aber ich, Großpapa, kann wohl daran zweifeln, und in meinem Interesse liegt es, daran zu denken. Wir werden also sehen.«

»Ihr werdet euch vor dem Abschluß der Heirat sehen, aber an dem Zustandekommen der Vermählung kann dies nichts mehr ändern.«

»Ich wünsche es, ich hoffe es sogar, lieber Großpapa; aber wir wollen es nicht verschwören, sondern abwarten.«

Als mein Großvater fortgegangen war, sagte ich meiner Hausdame, ich sei fest entschlossen, meine Hand nur dem Manne zu geben, dem ich mein Herz schenken würde; und das würde ich nur tun, nachdem ich den Charakter des Betreffenden geprüft hätte und zu der Überzeugung gekommen wäre, daß er mich glücklich machen könnte. Meine Hausdame antwortete mir nicht, und als ich sie bestimmte, mir ihre Meinung zu sagen, antwortete sie mir, in einer so zarten Angelegenheit müsse sie sich Schweigen zur Pflicht machen. Dies sagte mir klar und deutlich, daß sie meine Ansicht billigte, oder wenigstens glaubte ich dies.

Gleich am nächsten Tage suchte ich meine Tante, die Äbtissin, auf. Sie hörte mich mit gütiger Teilnahme an und sagte mir dann, es sei zu wünschen, daß der Graf mir gefalle und daß ich seine Eroberung mache. Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre, so würde die Heirat wahrscheinlich doch zustande kommen; denn sie glaube zu wissen, daß dieser Plan von der Prinzessin von Brasilien herrühre, die den Grafen Fl. begünstige.

Obgleich diese Nachricht mich sehr betrübte, war es mir doch lieb, daß ich sie erfahren hatte; sie bestärkte mich nur in meinem Entschluß, mich nur zu verheiraten, wenn die Partie nach meinem eigenen Wunsch wäre.

Nach vierzehn Tagen kam Graf Fl. mit seinem Vater. Mein Großvater stellte ihn mir vor; mehrere Damen waren dabei zugegen. Vom Heiraten war nicht die Rede, aber man ließ den jungen Herrn viel von fremden Ländern und von den Sitten und Gebräuchen anderer Völker erzählen. Ich hörte alles mit der größten Aufmerksamkeit an und tat selber fast nicht ein einziges Mal den Mund auf. Da ich wenig Welterfahrung, besaß, konnte ich über den Bewerber nicht durch Vergleichung urteilen; aber es schien mir unmöglich zu sein, daß er wirklich Ansprüche darauf machte, einer Frau zu gefallen, und daß ich ihm jemals angehören könnte. Er war ein anmaßender Spötter, ein schlechter Spaßmacher, albern, dumm und fromm bis zum Aberglauben und Fanatismus, Außerdem – und das ist in dem Auge jedes Weibes wichtig – war er häßlich, schlecht gewachsen und dermaßen eitel, daß er sich nicht schämte, in spöttischer und verächtlicher Weise von mehreren galanten Abenteuern zu erzählen, die er in Frankreich und Italien gehabt haben wollte.

Voller Hoffnung, ihm nicht gefallen zu haben, ging ich nach Hause; denn ich hatte mich nicht liebenswürdig gegen ihn gezeigt; ein achttägiges Schweigen bestärkte mich in dieser angenehmen Meinung. Aber meine Täuschung wurde mir gar bald genommen. Meine Großtante lud mich zum Essen ein; ich fand den Dummkopf und dessen Vater anwesend, und mein Großvater stellte mir den Sohn als meinen künftigen Gatten vor und bat mich, den Tag festzusetzen, um den Heiratevertrag zu unterschreiben. Da ich entschlossen war, lieber mein Todeseurteil zu unterzeichnen, so antwortete ich ziemlich höflich, aber in sehr lautem und festem Ton: ich würde den Tag bestimmen, wenn ich mich entschlossen hätte, mich zu verheiraten; aber dazu wäre Zeit nötig. Beim Essen ging es sehr still her; ich öffnete den Mund nur zu einsilbigen Antworten, wenn ich durchaus nicht umhin konnte, auf unmittelbare Fragen zu erwidern, die von den anderen Gästen, außer dem mir ekelhaften Dummkopf, an mich gerichtet wurden. Nach dem Kaffee entfernte ich mich, indem ich nur meine Tante und meinen Großvater grüßte.

Abermals verflossen mehrere Tage, ohne daß ich jemanden sah, und ich begann schon zu hoffen, daß ich den jungen Herrn von jeder weiteren Bewerbung um meine Person abgeschreckt hätte; da ließ meine Hausdame mir sagen, Vater Freire sei im Vorzimmer und wünsche mit mir zu sprechen. Ich ließ ihn eintreten; er war der Beichtvater der Prinzessin von Brasilien, und nach einigen einleitenden Redensarten sagte er mir, die Prinzessin habe ihn beauftragt, mir zu meiner bevorstehenden Heirat mit dem Grafen Fl. Glück zu wünschen.

Ohne mir irgendwelche Überraschung anmerken zu lassen, antwortete ich ihm, ich sei für die Güte Ihrer Königlichen Hoheit gebührend dankbar; aber es sei noch nicht fest entschieden, denn ich denke noch nicht daran, mich zu verheiraten.

Der Priester war ein feiner Höfling; er sagte mir mit einem halb gütigen, halb spöttischen Lächeln, ich habe das Glück, mich in dem schönen Alter zu befinden, wo ich an nichts zu denken brauche, da ich diese Sorge meinen mich liebenden Verwandten überlassen könne. Meine Entscheidung sei also eine reine Formsache, die sich in einem Augenblick erledigen lasse.

Ich antwortete ihm nur durch ein ungläubiges Lächeln, das er trotz seiner Mönchsschlauheit für Verlegenheit eines jungen Mädchens halten konnte.

Da ich voraussah, daß man mich hartnäckig verfolgen würde, fuhr ich gleich am nächsten Tags mit meiner Hausdame zu meiner Tante, der Äbtissin, die mir in meiner Verlegenheit einen Rat nicht verweigern konnte. Dieser Rat sollte jedoch nur die äußeren Formen betreffen, denn ich erklärte ihr von Anfang an meinen festen Entschluß, lieber zu sterben, als jemals meine Einwilligung zur Heirat mit einem mir widerwärtigen Menschen zu geben.

Die gute Nonne antwortete mir, man habe ihr den Grafen vorgestellt; sie habe ihn allerdings ebenfalls unleidlich gefunden, befürchte aber doch, man werde Mittel finden, mich trotz meinem Widerwillen zu dieser Vereinigung zu zwingen.

Diese Antwort machte auf mich einen solchen Eindruck, daß es mir nicht möglich war, noch ein Wort über die Sache zu sagen; ich sprach daher bis zum Ende meines Besuches von allen möglichen anderen Dingen. Kaum aber war ich wieder zu Hause, so faßte ich, nur der Stimme meiner Verzweiflung folgend, und ohne einen Menschen zu Rate zu ziehen, den seltsamsten Entschluß: ich schloß mich in mein Zimmer ein und schrieb an den Henker meines unglücklichen Vaters, den unbarmherzigen Oeiras. Ich setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und flehte ihn um seine Fürsprache beim König an. Ich schrieb ihm, er sei mir diese schuldig, denn er habe mich zur Waise gemacht und dadurch vor Gott die Verpflichtung auf sich genommen, mein Beschützer zu sein. Ich wünsche, daß er mich vor der Ungnade der Prinzessin von Brasilien beschütze, und daß man mir die Freiheit lasse, über meine Hand nur zugleich mit meinem Herzen zu verfügen.

Ich setzte zwar bei Pombal keine Menschlichkeit voraus, aber ich konnte doch annehmen, daß auch er ein Menschenherz hätte, und daß ich dieses rühren könnte; übrigens glaubte ich durch meine feste und entschlossene Sprache seine Teilnahme zu erregen und durch meinen ungewöhnlichen Schritt seinem Stolz zu schmeicheln. Ich war überzeugt, daß er sich bemühen werde, mir Gerechtigkeit zu verschaffen, um mir zu beweisen, daß er gegen meinen Vater nicht ungerecht gewesen sei. Wie man sehen wird, täuschte ich mich nicht; obgleich ich noch ein ganz junges Mädchen war, Menschen und Welt nicht kannte, hatte mein Instinkt mir das richtige gesagt.

Zwei Tage, nachdem ich meinen Brief durch einen Pagen hatte bestellen lassen, kam ein Abgesandter Pombals zu mir und ließ mich um die Ehre einer geheimen Unterredung bitten. Er sagte mir, Oeiras lasse mir vertraulich raten, ich solle allen denen, die mir zu dieser Heirat zureden würden, antworten: ich würde mich nicht eher entscheiden, als bis man mich davon überzeugt hätte, daß Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin von Brasilien diese Heirat wünschte. Der Minister ließ mich um Entschuldigung bitten, daß er mir nicht schriftlich antworte; er habe zwingende Gründe, so zu handeln; aber ich könne mich auf ihn verlassen.

Nachdem der Bote das gesagt hatte, machte er mir eine tiefe Verbeugung und entfernte sich, ohne mir Zeit zu einer Antwort zu lassen. Übrigens hatte mich, das muß ich gestehen, der Anblick dieses jungen Boten stumm gemacht. Ich kann den Eindruck nicht beschreiben, den er auf meinen Geist machte; aber ich muß sagen, daß er den größten Einfluß auf mein Verhalten geübt hat und ohne Zweifel auch auf mein ganzes übriges Leben üben wird.

Die Botschaft des Ministers benahm mir alle Unruhe; denn er konnte in solcher Weise nie zu mir gesprochen haben, wenn er nicht die Gewißheit hatte, daß die Prinzessin sich nicht mehr um die Heirat bekümmern würde. Ich überließ mich nun völlig dem neuen Gefühl, das mich beherrschte. Aber so stark dies Gefühl auch war, es würde sich ohne Zweifel verwischt haben, wenn es nicht jeden Tag neue Nahrung erhalten hätte. Als ich fünf oder sechs Tage später dem jungen Boten in der Kirche begegnete, erkannte ich ihn kaum; von diesem Augenblick an jedoch traf ich ihn überall: auf der Promenade, im Theater, in den Häusern, wo ich Besuche machte. Wenn ich aus dem Wagen steigen oder wieder einsteigen wollte, stets war er da, um mir seine Hand zu reichen. Ich gewöhnte mich dermaßen daran, ihn zu sehen und an ihn zu denken, daß ich unruhig wurde, wenn ich ihn einmal nicht in der Kirche fand; ich verspürte dann eine Leere, die mich unglücklich machte.

Fast alle Tage sah ich die Grafen Fl. bei meiner Großtante; da aber von einer Heirat zwischen uns nicht mehr die Rede war, so sah ich sie ohne Verdruß wie ohne Vergnügen. Ich hatte ihnen verziehen, aber ich war nicht glücklich. Das Bild des jungen Boten, dessen Name und Rang mir immer noch unbekannt waren, verfolgte mich ohne Unterlaß, und ich errötete über meine Gedanken, obgleich ich mir selber keine Rechenschaft darüber abzulegen wagte.

In diesem Geisteszustand befand ich mich, als eines Morgens der Klang einer mir unbekannten Stimme mich in das Zimmer meiner Kammerjungfer lockte. Ich sah auf einem Tisch Spitzen ausgebreitet und trat heran, ohne auf ein junges Mädchen zu achten, das dabei stand und mir eine Verbeugung machte. Als ich nichts davon nach meinem Geschmack fand, sagte sie, sie werde am nächsten Tage eine neue Auswahl bringen. Ich warf einen Blick auf sie und sah zu meiner Überraschung vor mir das Gesicht des Jünglings, der Tag und Nacht meine Gedanken beschäftigte. Ich zweifelte jedoch, daß er es wirklich sei, und dachte, ich könne auch durch eine zufällige Ähnlichkeit getäuscht sein. Es beruhigte mich etwas, daß das Mädchen mir größer vorkam. Außerdem erschien eine solche Kühnheit mir doch unwahrscheinlich. Das Mädchen packte die Spitzen wieder zusammen und entfernte sich, ohne mir ins Gesicht zu sehen; dies vermehrte meinen Verdacht.

»Kennen Sie dieses Mädchen?« fragte ich in gleichgültigem Ton meine Kammerjungfer. Sie antwortete mir: »Ich sehe sie heute zum ersten Mal.«

Ich glaubte dies nicht, aber ich ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

Fortwährend mußte ich an diese Ähnlichkeit denken, und da ich mir beinahe lächerlich vorkam, bemühte ich mich, diesen Gedanken zu verjagen, zugleich aber beschloß ich, mit dem Mädchen zu sprechen, wenn es wiederkommen sollte, und es zu entlarven, wenn mein Verdacht begründet wäre. Ich sagte mir, vielleicht sei sie eine Schwester des jungen Mannes, in den ich mich verliebt hätte; sie könne also wohl unschuldig sein, und wenn dies der Fall wäre, würde es mir vielleicht weniger schwer werden, von meiner Leidenschaft zu genesen. Ein junges Mädchen, das über Herzensangelegenheiten nachdenkt, legt einen großen Weg zurück, ohne es zu merken, besonders, wenn sie niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann, und der sie vor falschen Schritten zu bewahren vermag, zu denen sich so reiche Gelegenheit bietet.

Die angebliche Modistin kam pünktlich mit einem Kasten voll Blonden und Spitzen. Unverzüglich ließ ich sie in mein Zimmer eintreten, sobald man sie mir meldete. Ich wollte sie nötigen, mich anzusehen, und redete sie daher an. Sofort bemerkte ich, daß ich unzweifelhaft das Wesen vor mir hatte, dem alle meine Gedanken gehörten, und das eine Macht über mich ausübte, die mich völlig bezwang. Ich war so bewegt, daß ich nicht imstande war, auch nur eine einzige von den Fragen an ihn zu richten, die ich mir vorher zurecht gelegt hatte. Außerdem war meine Jungfer anwesend, und die Befürchtung, mich in ihren Augen bloßzustellen, hielt mich, wie ich glaube, ebenso stark zurück wie meine Aufregung. Mechanisch begann ich einige Blonden auszusuchen. Als ich aber meine Zofe hinausgeschickt hatte, um meine Börse zu holen, fiel plötzlich die falsche Spitzenhändlerin mir zu Füßen und rief in leidenschaftlichem und doch ehrerbietigem Tone:

»Entscheiden Sie, ob ich leben oder sterben soll, Madame! Sie erkennen mich!«

»Ja, ich erkenne Sie, und ich kann Sie nur für wahnsinnig halten.«

»Ja, ich bin es vielleicht, Madame; aber ich bin wahnsinnig vor Liebe und Verehrung: ich bete Sie an.«

»Stehen Sie auf. Meine Kammerjungfer kommt gleich wieder.«

»Sie kennt mein Geheimnis.«

»Wie? Sie haben gewagt… ?«

Er stand auf. Die Kammerjungfer trat ein und zählte ihm mit größter Ruhe sein Geld auf. Er warf die auf dem Tisch herumliegenden Spitzen in den Kasten, machte mir eine tiefe Verbeugung und ging.

Es wäre natürlich gewesen, wenn ich nach seinem Fortgehen mit meiner Kammerfrau gesprochen hätte; noch natürlicher aber wäre es gewesen, wenn ich sie auf der Stelle fortgeschickt hätte. Ich hatte nicht den Mut dazu, und über meine Schwäche werden nur strenge Sittenrichter sich wundern, die das Herz eines jungen Mädchens nicht kennen, und die ohne Wohlwollen der Lage gegenüberstehen, worin ich mich befand: jung, verliebt und nur auf mich selber angewiesen.

Da ich nicht sofort getan hatte, was strenge Pflicht mir sofort geboten hätte, wenn ich mich mit ruhiger Überlegung nur nach dieser gerichtet hätte, so sah ich bald, daß es zu spät war. Wie man ja stets leicht Trostgründe zu finden weiß, wenn man sich selber in eine unangenehme Lage gebracht hat, so überredete ich mich, ich könnte so tun, wie wenn ich nicht wüßte, daß meine Kammerjungfer das Geheimnis kannte. Ich beschloß also, nichts zu sagen; ich hoffte, ich würde den kecken Jüngling nicht wiedersehen, und die Sache würde damit erledigt sein.

Dieser Entschluß war jedoch nur einer augenblicklichen verdrießlichen Regung entsprungen. Denn als vierzehn Tage vergangen waren, ohne daß ich dem jungen Manne auf den Spaziergängen oder im Theater oder an den sonstigen Orten begegnete, wo ich ihn früher getroffen hatte, wurde ich traurig und träumerisch, obgleich ich darüber errötete, daß ein Gefühl, dessen Gegenstand meiner vielleicht nicht würdig war, mich so völlig unterjochte. Ich brannte vor Verlangen, seinen Namen zu erfahren, und diesen konnte mir nur meine Kammerjungfer sagen, denn ich konnte natürlich nicht zu Oeiras gehen und diesen fragen. Ich verabscheute meine Kammeriungfer und errötete, wenn ich sie vor mir sah. Ich bildete mir ein, sie wisse, daß ihr Vergehen mir bekannt sei, und sie habe Spaß an meiner Zurückhaltung. Andererseits fürchtete ich, diese Zurückhaltung könnte ihr einen unziemlichen Begriff von meiner Ehre geben. Mit einem Wort, ich befürchtete, sie könnte glauben, daß ich den Jüngling liebte, und der bloße Gedanke an diesen Verdacht, der mir schimpflich schien, brachte mich auf. Der allzu kühne junge Mensch erschien mir mehr beklagenswert als tadelnswert; denn ich dachte nicht daran, daß er sich für geliebt halten könnte; ich fühlte mich daher genügend dadurch gerächt, daß er glauben würde, ich müßte ihn verachten.

Aber so dachte ich nur in den Augenblicken, wo meine Eitelkeit stärker war als meine Liebe, und diese Augenblicke waren von kurzer Dauer; denn bald rächte die Verzweiflung ihn an meinem Stolz: da ich ihn nicht mehr sah, so bildete ich mir ein, er habe beschlossen, nicht mehr an mich zu denken, und habe mich vielleicht schon vergessen.

Ein Zustand so heftiger Gemütsbewegung kann nicht sehr lange dauern; denn wenn kein äußerer Anlaß die Ruhe des gequälten Geistes wiederherstellt, so macht dieser bald eine Anstrengung aus sich selber heraus, um das verlorene Gleichgewicht wiederzufinden.

Als die Verräterin mir eines Tages ein Spitzentuch umlegte, das ich von der falschen Modistin gekauft hatte, sagte ich zu ihr: »Was ist denn eigentlich aus dem Mädchen geworden, von dem ich diese Spitzen gekauft habe?«

Ich stellte diese Frage ohne vorherige Überlegung; sie war eine Eingebung meines guten oder meines bösen Geistes.

Meine Kammerjungfer war ebenso schlau wie ich naiv gewesen war. Sie antwortete mir, die Modistin habe ohne Zweifel deshalb nicht wiederzukommen gewagt, weil sie befürchtet habe, ich hätte ihre Verkleidung bemerkt.

»Selbstverständlich habe ich diese bemerkt; aber es wundert mich nicht wenig, daß Sie wissen, daß unter dieser Verkleidung sich ein junger Mann verbarg.«

»Madame, ich glaubte nichts zu tun, was Ihnen mißfallen könnte; denn ich kannte ihn persönlich.«

»Wer ist er?«

»Graf von Al…., den Sie ohne Zweifel wiedererkannt haben; denn Sie haben ihn vor ungefähr vier Monaten in diesem selben Zimmer empfangen.«

»Das ist wahr; es ist sogar möglich, daß ich ihn wiedererkannt habe; aber ich wünsche zu wissen, warum Sie gelogen haben, als ich Sie fragte, ob Sie dies Mädchen kennen?«

»Madame, ich habe gelogen, um Sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Außerdem habe ich befürchtet, Sie würden ärgerlich darüber sein, daß ich die Maske kannte.«

»Sie hätten mir mehr Ehre angetan, wenn Sie das Gegenteil angenommen hätten. Als Sie in Ihrem Zimmer waren, befahl ich ihm sofort zu gehen; ich sagte ihm, seine Handlungsweise sei ein Wahnsinn und er müsse befürchten, daß Sie ihn vor mir auf den Knien fänden. Da sagte er mir: Sie seien in das Geheimnis eingeweiht!«

»Wenn es ein Geheimnis ist, so gestehe ich es; aber ich sah die ganze Sache als einen Spaß ohne Bedeutung an.«

»Ich will diese Möglichkeit nicht bestreiten; ich aber habe der Sache eine solche Bedeutung beigelegt, daß ich, um Sie nicht fortjagen zu müssen, beschlossen habe, darüber zu schweigen, wie wenn ich nichts gesehen hätte.«

»Ich hatte mir eingebildet, Madame, diese Maskerade könne Ihnen nur Spaß machen; da ich nun aber erfahre, daß Sie sie ernst genommen haben und böse darüber sind, so bin ich wirklich in Verzweiflung, mir gewissermaßen vorwerfen zu müssen, daß ich meine Pflicht verletzt habe.«

Wie schwach ist ein Frauenherz, wenn die Liebe es eingenommen hat! Ich sah in dieser Erklärung, die mir die ganze Größe des von meiner Dienerin begangenen Fehlers hätte enthüllen müssen, nur eine volle Rechtfertigung. Allerdings machte sie mein Herz ruhig, und das war damals viel, aber mein Geist fand trotzdem noch nicht jene Ruhe, deren er bedurfte. Ich wußte, daß es einen jungen Grafen Al…. gab, der aus sehr gutem Hause stammte, aber gar kein Vermögen hatte. Er hatte weiter nichts als den Schutz des Minister und Aussicht auf eine gute Anstellung. Der Gedanke, daß der Himmel mich vielleicht dazu bestimmt hätte, die Ungerechtigkeit des Glücks wieder auszugleichen, wiegte mich zuweilen in süße Träume, und dann ertappte ich mich dabei, zu finden, daß meine Kammerjungfer mehr Geist hätte als ich, indem sie den gewagten Schritt des Grafen als eine Eulenspiegelei ansähe, die die Liebe entschuldigen müsse. Ich ging sogar so weit, mein gewissenhaftes Zartgefühl lächerlich zu finden und es nur für Prüderie zu halten. Ich war mehr verliebt, als ich selber glaubte, und das kann meine übrige Auffassung verzeihlich machen: ich hatte keinen Menschen, dem ich mich hätte anvertrauen können, keinen Menschen, der mich hätte leiten oder beraten können.

Aber nach solchen tröstlichen Gedanken kamen andere von düsterer Art. Es war die Kehrseite der Medaille. Mein Geist glich einem ebbenden und flutenden Meere, das bald ruhig, bald bewegt war. Da der Graf anscheinend beschlossen hatte, mich nicht mehr zu sehen, so mußte ich annehmen, daß er entweder sehr beschränkten Geistes, oder daß seine Liebe sehr gering war. Dies schmerzte mich mehr als alles andere, denn eine solche Annahme demütigte mich. Ich sagte zu mir selber: wenn der Graf es übel genommen hat, daß sein Wagnis mir als die Handlungsweise eines Wahnsinnigen vorkam, so ist er ganz gewiß nicht zartfühlend und verständig, also auch meiner Zärtlichkeit nicht würdig.

Während ich mich in dieser grausamen Ungewißheit befand, dem Schlimmsten, was es auf der Welt gibt, nahm meine Kammerjungfer es auf sich, dem Grafen zu schreiben, er könne sie in der gleichen Verkleidung besuchen; sie sei überzeugt, ich werde ihre Kühnheit nicht tadeln.

Er folgte ihrem Rat, und eines schönen Morgens trat die schlaue Zofe bei mir ein und sagte mir lachend, die falsche Modistin sei mit allerlei Tand in ihrem Zimmer. Diese Nachricht regte mich sehr auf; doch gelang es mir, mich zu beherrschen, so daß ich meine Aufregung wenigstens zum Teil verbergen konnte, und ich lachte wie sie, obgleich die Sache mir durchaus nicht lächerlich vorkam.

»Soll ich sie hereinkommen lassen, Madame?«

»Bist du verrückt?«

»Soll ich sie fortschicken?«

»Nein, ich werde selber kommen und mit ihr sprechen.«

An diesem Tage begann unsere große Liebesgeschichte. Während meine Kammerjungfer aus und ein ging, hatten wir vollauf Zeit, uns zu verständigen und uns gegenseitig alle gewünschten Erklärungen abzugeben. Ich gestand ihm offen, daß ich ihn liebe; aber ich machte ihm begreiflich, daß die Klugheit von mir verlange, ihn zu vergessen, weil es nicht wahrscheinlich wäre, daß meine Verwandten jemals ihre Einwilligung zu unserer Verbindung geben würden. Er dagegen erklärte mir, der Minister habe beschlossen, ihn unverzüglich nach England zu schicken, und er werde an Verzweiflung sterben, wenn er nicht die Hoffnung mitnehmen könne, mich eines Tages zu besitzen. Denn er liebe mich zu sehr, um sich darein fügen zu können, daß er ohne mich leben solle. Er bat mich, ihm zu erlauben, daß er mich zuweilen in seiner Verkleidung aufsuchen dürfe. Obgleich ich ihm nichts verweigern zu dürfen glaubte, wandte ich doch ein, daß wir uns dadurch großen Gefahren aussetzen könnten.

»Mir genügt es,« rief er feurig und voller Zärtlichkeit, »daß ich nichts für Sie zu befürchten habe: meine Besuche können niemals Ihnen zugeschrieben werden, sondern stets nur Ihrer Kammerjungfer.«

»Aber mir genügt es, daß ich um Sie in Furcht sein müßte; denn schon Ihre Verkleidung ist ein Verbrechen; Ihr guter Ruf würde darunter leiden, und das wäre kein gutes Mittel, uns der Erfüllung unserer Wünsche näher zu bringen.«

Obgleich ich diese Einwendungen machte, sprach doch mein Herz zu seinen Gunsten, außerdem wußte er seine Sache so beredt zu vertreten, er versprach mir, so vorsichtig zu sein, daß ich ihm schließlich sagte, er könne sicher sein, daß ich ihn stets mit dem größten Vergnügen sehen werde.

Graf Al…. war zweiundzwanzig Jahre alt und ist kleiner als ich; er ist schlank und gut gewachsen, so daß er in seiner Verkleidung als Frau schwer zu erkennen war; auch ist seine Stimme sehr sanft. Er weiß Bewegungen und Benehmen einer Frau täuschend nachzuahmen; er hat sehr schwachen Bartwuchs und ist so schön, daß mehr als eine Frau gern damit einverstanden sein würde, ihm ähnlich zu sehen.

So kam denn also der Graf fast drei Monate lang jede Woche drei- oder viermal; wir trafen uns stets im Zimmer meiner Vertrauten, und fast immer war diese zugegen. Aber wenn wir auch volle Freiheit gehabt hätten, so würde er doch niemals auch nur die geringste Rücksichtslosigkeit begangen haben; denn er befürchtete zu sehr, mir zu mißfallen. Heute glaube ich, daß diese gegenseitige Zurückhaltung mächtig dazu beigetragen hat, die Glut anzufachen, die uns verzehrte; denn wenn wir an den nahe bevorstehenden Augenblick der Trennung dachten, kam Traurigkeit über uns, und wir versanken in einen stummen Schmerz. Trotzdem aber dachten wir gar nicht daran, irgendeinen Entschluß zu fassen, um uns glücklich zu machen. Unsere Liebe machte uns stumpfsinnig, indem sie unseren Geist zu Boden drückte. Wir schmeichelten uns mit der Hoffnung, daß der Himmel irgendein Wunder tun oder daß der Augenblick der Trennung niemals erscheinen würde; oder wir hielten uns die Gedanken daran absichtlich fern. So war denn der Augenblick plötzlich ganz unversehens und natürlich viel zu früh da: wir wußten nicht, ob wir einen Entschluß fassen sollten oder nicht.

Eines Morgens kam der Graf früher als gewöhnlich und teilte mir unter Tränen mit, der Minister habe ihm am Tage vorher einen Brief an den portugiesischen Gesandten in London, Herrn de Saa, gegeben; ein zweiter offener Brief sei an den Kapitän einer Fregatte gerichtet, die von Ferrol erwartet werde und die nach einem Aufenthalt von wenigen Stunden nach England weitersegeln solle. In diesem zweiten Brief befahl der Minister dem Kapitän, den Grafen Al…. an Bord zu nehmen, ihn nach England zu bringen und ihn mit Auszeichnung zu behandeln.

Mein armer Liebhaber war völlig vernichtet; Tränen erstickten seine Stimme, und sein Kopf befand sich in einem Zustande, daß er keine zwei Gedanken miteinander verbinden konnte. Ich sah nur seinen Schmerz und meine Liebe, und da er selber nicht handeln konnte, so faßte ich augenblicklich den kühnen Plan, mit ihm als sein Bedienter zu reisen, oder noch besser ihn als seine Frau zu begleiten, damit ich mein Geschlecht nicht zu verbergen brauchte. Als ich ihm meinen Plan mitteilte, war er von freudiger Überraschung wie geblendet. Das Übermaß des Glückes versetzte ihn in eine solche Aufregung, daß er nicht imstande war, über eine so wichtige Sache nachzudenken, sondern alles meinem Willen überließ. Wir verabredeten, am nächsten Tage ausführlicher darüber zu sprechen, und trennten uns dann.

Da ich voraussah, daß es mir vielleicht Schwierigkeiten machen würde, mein Haus in Frauenkleidung zu verlassen, so beschloß ich, mich als Mann zu verkleiden; da ich aber als solcher nur als Kammerdiener meines Geliebten auftreten konnte, so überlegte ich mir, daß ich im Falle einer stürmischen Seefahrt Strapazen ausgesetzt sein würde, die über die Kräfte einer zarten Frau gehen würden. Infolgedessen kam ich auf den Gedanken, selber den Herrn zu spielen, falls etwa der Kapitän den Grafen nicht persönlich kennen sollte; indem ich diesen Plan weiter ausdachte, widerstrebte es mir jedoch, meinen Geliebten als Diener auftreten zu sehen, und ich beschloß daher, ihn für meine Frau auszugeben. Sobald wir in England an Land gestiegen sind, sagte ich bei mir selber, werden wir uns heiraten, und dann legt ein jedes wieder die Kleider seines Geschlechtes an. Durch unsere eheliche Verbindung wird der Makel unserer Flucht getilgt; vielleicht wird man meinen Liebhaber anklagen, mich entführt zu haben; aber man entführt eine junge Dame doch nicht ohne ihre Einwilligung, und es ist nicht anzunehmen, daß Graf Oeiras mich verfolgen wird, weil ich seinen Günstling glücklich gemacht habe. Um bis zum Eintreffen meiner Einkünfte leben zu können, wird der Verkauf meiner Diamanten, über die ich verfügen kann, uns genügende Mittel geben.

Als ich am nächsten Tage dem Grafen diesen seltsamen Plan mitteilte, konnte oder wollte er nichts dagegen einwenden. Das einzige Hindernis war nach seiner Meinung die Möglichkeit, daß der Kapitän des erwarteten Kriegsschiffes ihn persönlich kannte. Dies schien ihm jedoch nicht wahrscheinlich zu sein, und wir mußten das Wagnis eben auf uns nehmen. Wir machten ab, daß er mir die nötigen Kleider für meine neue Rolle sofort besorgen solle.

Ich sah meinen Liebhaber erst drei Tage darauf bei Einbruch der Nacht wieder. Ihm war von der Admiralität mitgeteilt worden, daß die Fregatte von Ferrol angekommen sei und an der Mündung des Tajo liege; der Kapitän werde sofort wieder absegeln, wenn er an Bord komme; er sei nur an Land gegangen, um seine Depeschen zu überbringen und vom Marineministerium neue Befehle zu erhalten. Graf Al…. werde daher aufgefordert, um Mitternacht an einem bestimmten Ort zu sein, wo eine Schaluppe ihn erwarten werde, um ihn an Bord zu bringen.

Da ich fest entschlossen war, so brauchte ich nichts mehr zu wissen als den Ort, wo wir uns treffen sollten. Ein Unwohlsein vorschützend, schloß ich mich in mein Zimmer ein, packte die allernotwendigsten Sachen und das kostbare Juwelenkästchen in ein Köfferchen, zog Männerkleider an und verließ den Palast auf einer Treppe, die nur für die Dienstboten bestimmt war. Ich wurde nicht einmal von dem Türhüter bemerkt, als ich die Schwelle meines Palastes überschritt.

Etwa hundert Schritte vom Hause erwartete mich der Graf, der befürchtet hatte, ich könnte mich vielleicht verirren. Es war für mich eine angenehme Überraschung, als er meinen Arm nahm und mir gleichzeitig sagte: Ich bin’s. An dieser einfachen und natürlichen Vorsicht erkannte ich, daß er Verstand hatte; denn da er meine Entschlossenheit noch nicht kannte, hatte er gefürchtet, mich zu erschrecken, wenn er mich berührte, ohne sich zu erkennen zu geben. Wir gingen zusammen in ein Haus, wo er seinen Koffer hatte, und in einer halben Stunde war er vollständig umgezogen. Als alles fertig war, holte ein Packträger unser geringes Gepäck, und wir gingen ans Ufer des Flusses, wo die Schaluppe bereits auf uns wartete. Es war elf Uhr, als wir vom Ufer abstießen. Da ich glaubte, daß mein Schmuckkästchen in seiner Tasche sicherer sei als in meinem Koffer, so gab ich es ihm. Geduldig warteten wir auf die Ankunft des Kapitäns. Gegen Mitternacht kam er mit seinen Offizieren; er trat auf mich zu und sagte mir, er habe Befehl, mich mit Auszeichnung zu behandeln. Ich dankte ihm herzlich für seinen Empfang und stellte ihm hierauf meine Frau vor. Er begrüßte diese ehrerbietig und sagte ihr, er sei entzückt, eine liebenswürdige Landsmännin an Bord zu haben, der wir gewiß eine glückliche Fahrt zu verdanken haben würden. Er war zu galant, um es auffällig zu finden, daß der Minister, der ihm den Grafen so angelegentlich empfohlen hatte, nichts davon erwähnt hatte, daß dessen Gemahlin an der Reise teilnehmen sollte.

In einer kleinen Stunde waren wir auf der Fregatte, die drei Meilen seewärts auf der Reede lag; sobald wir an Bord waren, ließ der Kapitän die Segel setzen. Er führte uns in eine Kajüte, die für ein Kriegsschiff recht bequem war, und entfernte sich dann, nachdem er uns gebeten hatte, uns einzurichten, so gut wir könnten.

Als wir allein waren, dankten wir dem Himmel, daß alles so gut abgegangen war. Wir gingen nicht zu Bett, sondern verbrachten den ganzen Rest der Nacht damit, über den kühnen Schritt uns zu unterhalten, den wir getan oder vielmehr erst begonnen hatten, der aber nach unserer Meinung ein ebenso glückliches Ende haben mußte, wie der Anfang gewesen war. Als der Morgen dämmerte, freuten wir uns, daß Lissabon nicht mehr in Sicht war. Da wir der Ruhe bedürftig waren, warf ich mich auf eine Bank, während der Graf sich in eine breite Hängematte legte. Wir blieben beide in unseren Kleidern.

Kaum hatten wir ein wenig zu schlummern begonnen, so wurden wir von der Seekrankheit befallen, die uns drei Tage lang nicht einen Augenblick Ruhe ließ. Am vierten Tage konnten wir uns kaum noch aufrecht halten; der Hunger quälte uns dermaßen, daß wir alle Selbstbeherrschung aufbieten mußten, um uns von allzu gierigem Essen zurückzuhalten, das uns leicht eine ernstliche Krankheit hätte zuziehen können. Zum Glück für uns hatte der Kapitän einen reichen Vorrat von guten Sachen, und die Mahlzeiten, die wir erhielten, waren sehr gut und lecker zubereitet. Mein Liebhaber, der unter der Seekrankheit noch mehr litt als ich, benützte gerne diesen Vorwand, um die Kajüte nicht zu verlassen; der Kapitän kam nur ein einziges Mal, um ihm einen Besuch zu machen. Wir konnten diese Zurückhaltung nur einer übergroßen Höflichkeit zuschreiben; denn bei uns ist es einem Manne erlaubt, eifersüchtig zu sein, ohne für lächerlich zu gelten. Ich selber war fast den ganzen Tag auf Deck; die frische Luft tat mir wohl, und ich unterhielt mich damit, mit meinem Fernrohr die Gegenstände zu beobachten, die man in der Ferne entdecken konnte.

Am siebenten Tage unserer Fahrt zitterte mir das Herz, wie von einem Vorgefühl von Unglück, als man mir sagte, ein Kriegsschiff, das wir in ziemlich weiter Entfernung bemerkten, sei eine Korvette, die einen Tag nach uns in See gegangen sein müsse, die aber als Schnellseglerin zwei oder drei Tage vor der Fregatte in England ankommen werde.

Obgleich die Überfahrt von Lissabon nach England sehr lange dauert, da man fast das ganze Atlantische Meer zu durchsegeln hat, so kamen wir doch, dank einem leichten Winde, den wir beständig im Rücken hatten, schon am vierzehnten Tage ans Ziel und warfen mit Tagesanbruch im Hafen von Plymouth den Anker aus.

Der Offizier, den der Kapitän an Land schickte, um die Erlaubnis zur Ausschiffung der Passagiere einzuholen, kam gegen Abend wieder an Bord und überbrachte ihm Briefe. Nachdem er einen davon mit ganz besonderer Aufmerksamkeit gelesen hatte, rief der Kapitän mich beiseite und sagte zu mir:

»Dieser Brief ist vom Grafen Oeiras, der mich bei meinem Kopfe dafür verantwortlich macht, daß eine junge, portugiesische Dame mein Schiff nicht verläßt, falls sie sich darauf befinden sollte, es sei denn, daß sie mir persönlich bekannt wäre. Er befiehlt mir, sie nach Lissabon zurückzubringen, nachdem ich einige Aufträge ausgeführt haben werde, die mich noch etliche Tage hier zurückhalten müssen. Auf der Fregatte befindet sich weder eine Frau noch ein Mädchen, mit Ausnahme der Frau Gräfin, Ihrer Gemahlin. Beweisen Sie mir, daß sie wirklich Ihre Frau ist, und ich setze ihrer Landung durchaus kein Hindernis entgegen; sonst aber darf ich, wie Sie begreifen werden, gegen die Befehle des Ministers nicht ungehorsam sein.«

»Sie ist meine Frau«, erwiderte ich ihm kaltblütig. »Da ich jedoch auf etwas Derartiges nicht gefaßt gewesen bin, so habe ich nicht ein einziges Papier bei mir, das Sie davon überzeugen könnte.«

»Das tut mir leid, denn nun wird sie mit mir nach Lissabon zurückfahren, übrigens können Sie sich darauf verlassen, daß sie, gemäß dem ausdrücklichen Befehle des Herrn Ministers, mit aller erdenklichen Ehrerbietung behandelt werden wird.«

»Aber, Herr Kapitän, die Frau ist doch untrennbar von ihrem Gatten!«

»Das gebe ich Ihnen zu, aber ich kann gegen die von meinem Vorgesetzten empfangenen Befehle nichts machen, übrigens hindert Sie ja nichts, auf der Korvette nach Lissabon zurückzufahren. Sie werden vor uns dort sein.«

»Warum kann ich nicht auf dieser Fregatte zurückfahren?«

»Weil ich ausdrücklichen Befehl habe, Sie an Land zu setzen. Da fällt mir ein: warum ist in dem Brief, der mir befiehlt, Sie nach England zu bringen, kein Wort von Ihrer Frau gesagt? Wenn Madame nicht die Person ist, die der Minister sucht, so können Sie sich darauf verlassen, daß man sie Ihnen wieder nach London schicken wird.«

»Werden Sie mir gestatten, noch einmal mit ihr zu sprechen?«

»Gern, aber nur in meiner Gegenwart.«

Mir blutete das Herz, indessen galt es gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ich suchte den Grafen auf, redete ihn meine liebe Frau an und verkündete ihm den grausamen Befehl, der uns trennen wollte. Ich fürchtete, er würde sich verraten, aber er besaß die Kraft, sich zu beherrschen, und antwortete mir, uns bliebe nichts anderes übrig, als uns zu unterwerfen, da wir ja sicher sein könnten, in einigen Monaten uns wiederzusehen.

Ich konnte ihm in Gegenwart des Kapitäns nichts sagen, als was alle Welt hören durfte. Ich beschränkte mich daher darauf, ihm mitzuteilen, daß ich von London aus unverzüglich an die Äbtissin schreiben werde, daß er in Lissabon diese zu allererst aufsuchen müsse, und daß er von ihr meine Adresse erfahren werde. Ich hütete mich wohl, mein Schmuckkästchen von ihm zu verlangen, denn der Kapitän hätte möglicherweise geglaubt, es in Verwahrung nehmen zu müssen, da ein so reicher Schatz von Diamanten ihn auf die Vermutung bringen konnte, meine angebliche Frau wäre vielleicht irgendein reiches Fräulein, das ich entführt hätte. Wir mußten uns gänzlich unserem Schicksal überlassen. Weinend umarmten wir uns, und der Kapitän, der durch und durch ein Ehrenmann war, weinte ebenfalls, als er den Grafen zärtlich zu mir sagen hörte: »Legen Sie Ihr Glück und das meinige in die Hände dieses würdigen Kapitäns; wir wissen ja, daß wir uns auf einander verlassen können!«

Der Koffer des Grafen wurde in die Schaluppe gebracht, und da ich nicht wagte, meine Reisetasche an mich zu nehmen, so besaß ich bei meiner Ankunft am Lande weiter nichts als eine Ausrüstung von Männerkleidern, deren ich mich nicht hätte bedienen können, selbst wenn ich meine Verkleidung noch hätte fortsetzen wollen.

Auf dem Zollamt erfuhr ich, was ich besaß: Schreibhefte, Bücher, Briefe, Wäsche, einige Anzüge, einen Degen, zwei Paar Pistolen, von denen ich das eine sofort in meine Tasche steckte. Hierauf ließ ich mich nach einem Gasthof führen, dessen Wirt mir sofort bei meinem Eintritt sagte: wenn ich am nächsten Morgen nach London reisen wolle, werde ich nur ein Pferd zu bezahlen haben.

»Wer sind die Personen, die einen Begleiter wünschen?«

»Ich werde Sie mit ihnen zu Abend essen lassen, wenn Sie es wünschen.«

Ich nahm das Anerbieten an und fand einen Geistlichen der Hochkirche und zwei Damen, deren Benehmen es mir angenehm erscheinen ließ, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen. Ich hatte das Glück, ihnen ebenfalls zu gefallen, und am nächsten Tage kamen wir bei guter Zeit in London an und stiegen am Strand in einem Gasthof ab. Dort aß ich nur zu Mittag und machte mich sofort auf die Suche nach einer Wohnung, die mit meinen Mitteln und mit der von mir zu beobachtenden Lebensweise in Einklang stünde. Ich besaß nur fünfzig Lisbonninen und einen Ring von ungefähr gleichem Werte.

Ich nahm ein Zimmer im dritten Stock eines Hauses, dessen Wirtin mir wegen ihres guten und ehrbaren Gesichtes gefiel. Da ich weder Erfahrung noch Empfehlungen an irgendeinen Menschen besaß, konnte ich mich nur auf Gott und auf meinen guten Willen verlassen und mußte mein Schicksal der Freundlichkeit meiner Mitmenschen anheim stellen. Die Frau gefiel mir, und ich nahm bei ihr ein Zimmer zu zehn Schilling wöchentlich. Ich bat sie, mir sofort behilflich zu sein, um mich sauber, aber ohne jeden Luxus meinem Geschlecht gemäß zu kleiden; denn in meinen Männerkleidern wagte ich nicht mehr auszugehen.

Schon am nächsten Tage sah ich mich mit allem versehen, was ein armes Mädchen braucht, das weder blenden noch überhaupt die Blicke seiner Mitmenschen auf sich ziehen will. Da ich gut genug englisch sprach, um nicht als Ausländerin zu erscheinen, so wußte ich, wie ich mich zu benehmen hatte, um keine Unannehmlichkeiten befürchten zu müssen. Obgleich meine Wirtin eine recht gute Frau war, bemerkte ich doch bald, daß ihr Haus nicht ganz meiner Lage entsprach; denn die Ordnung meiner Angelegenheit konnte lange Zeit dauern, und wenn mir das Geld ausgegangen wäre, hätte ich mich unglücklich gefühlt. Ich beschloß also, das Haus zu verlassen. Da ich meine eigene Herrin war, so hatte ich keine Besuche empfangen; aber ich konnte es nicht verhindern, daß den ganzen Tag Neugierige an meine Türe kamen; es kamen immer mehr, je weiter die Nachricht bekannt wurde, daß ich keine Besuche empfinge. Es verkehrten zu viele Menschen in diesem Hause. Da es nicht weit von der Börse lag, so wimmelte die Straße von jungen Menschen, und mehrere Herren, die im ersten Stock zu Mittag aßen, versuchten alles mögliche, um mich von meiner sogenannten Traurigkeit zu heilen, obgleich ich durchaus nicht so tat, wie wenn ich solcher Heilung bedürftig wäre.

Ich beschloß, wöchentlich nur eine Guinee auszugeben, und da mein Ring vollkommen nutzlos für mich war, so entschloß ich mich, ihn zu verkaufen, aber unter der Bedingung, daß ich den Wert nur in Teilzahlungen nach und nach erhielte. Ein alter Händler, der nebenan wohnte, und für dessen Redlichkeit meine Wirtin einstand, schätzte meinen Ring auf hundertundfünfzig Guineen und bat mich, ihm das Vorkaufsrecht zu geben, wenn ich keinen besseren Preis fände. Ich hielt den Ring nicht für so weltvoll und überließ ihm denselben unter der Bedingung, daß er mir monatlich vier Guineen auszahlen solle, und daß ich ihn für dieselbe Zahl von Guineen, die ich empfangen haben würde, zurückkaufen könnte, wenn ich dazu vor der völligen Bezahlung imstande wäre.

Das bare Geld, das ich bei mir hatte und noch jetzt besitze, wollte ich behalten, um auf dem Landwege nach Lissabon zurückkehren zu können, sobald man mir schreiben würde, daß ich mich unbesorgt dort wieder sehen lassen könnte. Ich hatte unter der Seekrankheit so sehr gelitten, daß ich mich nicht entschließen konnte, noch einmal eine solche Fahrt zu machen.

Ich teilte meine Verlegenheit meiner braven Wirtin mit, die noch jetzt meine Freundin ist. Sie half mir eine andere Wohnung suchen; aber ich war genötigt, eine Magd anzunehmen, um meine kleinen Einkäufe zu besorgen, da ich mich nicht entschließen konnte, außer dem Hause zu essen. Hieraus entsprangen für mich lauter Unannehmlichkeiten und Verdrießlichkeiten, denn ich fand nichts als Spitzbübinnen. Da ich nun nicht mehr als einen Schilling täglich ausgeben wollte, so konnte ich begreiflicherweise nicht über die kleinen Diebstähle hinwegsehen, an die diese elenden Frauenzimmer so gewöhnt sind, daß sie es als Ehrensache ansehen, beim kleinsten Einkauf ein Extraprofitchen für sich zu machen.

Die nüchterne Lebensweise, die ich mir zur Pflicht gemacht hatte, griff mich so an, daß ich von Tag zu Tag abmagerte, denn ich lebte beinahe nur von Wasser und Brot. Ich sah jedoch keine Möglichkeit, mir so bald etwas Besseres gönnen zu dürfen. Da fiel zufällig mein Blick auf Ihr eigenartiges Aushängeschild. Ich lachte bei mir selber darüber, aber mich trieb eine unwiderstehliche Gewalt oder auch vielleicht die Neugier, die, wie wir gestehen müssen, unserer Frauennatur innewohnt, und ich konnte nicht der Lust widerstehen, mit Ihnen zu sprechen. Instinktmäßig suchte ich ein Mittel, meine Lage zu verbessern, ohne meine Ausgaben zu vermehren.

Als ich nach Hause kam, fand ich bei meiner Wirtin eine Nummer des Advertiser, worin der Herausgeber über das soeben von mir gelesene Schild seine Scherze machte. Er sagte, der Herr des Hauses sei ein Italiener, der sich offenbar vor einem Angriff nicht fürchte. Da ich meinerseits glaubte, daß ich eine Gewalttätigkeit nicht werde zu befürchten brauchen, so faßte ich den Mut, das Wagnis zu bestehen. Ich fühle jedoch, daß ich sehr anmaßend gewesen bin, und daß es süß sein kann, Angriffen keinen Widerstand zu leisten. Da ich von einem Italiener, einem klugen und rechtschaffenen Manne, erzogen worden bin, so habe ich stets eine große Vorliebe für Ihre Nation gehabt. – Meine schöne Portugiesin war mit ihrer Erzählung zu Ende. Nach einer kleinen Pause sagte ich zu ihr: »Ihre kleine Geschichte, meine Gnädige, hat mir viel Spaß gemacht; es ist ja ein richtiger Romanstoff.«

»Das glaube ich auch, und er würde den Vorzug haben, ein historischer Roman zu sein. Mich freut am meisten, daß Sie meine Erzählung haben anhören können, ohne sich zu langweilen.«

»Falsche Bescheidenheit, Madame! Ihre Erzählung hat mir nicht nur sehr gefallen, sondern seitdem ich weiß, daß Sie Portugiesin sind, fühle ich mich sogar mit Ihrer Nation völlig wieder ausgesöhnt.«

»Sie liebten uns also nicht?«

»Ich hatte einen Groll auf euch, weil ihr vor zweihundert Jahren euren Virgil habt im Elend sterben lassen.«

»Camoens! Aber vor uns haben die Griechen das Unrecht begangen, ihren Homer so sterben zu lassen.«

»Das ist wahr; aber das Unrecht des einen entschuldigt nicht das Unrecht des anderen.«

»Das gebe ich zu; aber wie können Sie Camoens so hoch schätzen, wenn Sie nicht portugiesisch verstehen?«

»Ich las eine Übersetzung in lateinischen Hexametern, die so schön waren, daß ich Virgil zu lesen glaubte.«

»Ist das auch wahr?«

»Ich kann Ihnen nichts vorlügen.«

»Nun, so gelobe ich hiermit, daß ich lateinisch lernen will!«

»Dieses Gelübde ist Ihres Geistes würdig; aber Sie müssen von mir diese schöne Sprache lernen. Ich will in Portugal leben und sterben, wenn Sie mir Ihr Herz versprechen.«

»Mein Herz! Warum habe ich nicht zwei! Seitdem ich Sie kenne, liebe ich mich selber weniger, denn ich befürchte sehr, unbeständig zu sein.«

»Ich werde mich damit begnügen, nur so geliebt zu werden, wie wenn ich Ihr Vater wäre; nur müssen Sie mir erlauben, zuweilen meine Tochter an mein Herz drücken zu dürfen. Bitte, fahren Sie in Ihrer Geschichte fort; das Wesentliche haben Sie mir noch zu erzählen. Was ist aus Ihrem Liebhaber geworden? Und was taten Ihre Verwandten, als Ihre Flucht ihnen bekannt wurde?«

Am dritten Tage nach meiner Ankunft in dieser Riesenstadt schrieb ich meiner Tante, der Äbtissin, einen langen Brief, worin ich ihr ausführlich und wahrheitsgemäß alles schilderte, was mir begegnet war. Ich bat sie, meinen Gatten zu beschützen und mir zu helfen, meinen Entschluß durchzusetzen: ich würde nicht früher nach Lissabon zurückkehren, als bis sie mir versichert hätte, daß meiner Heirat keine Hindernisse mehr bereitet würden und daß ich, als Herrin meines Vermögens, offen vor aller Welt mit dem Gatten meiner Wahl leben könnte. Zugleich bat ich sie, mich über alles auf dem Laufenden zu halten und ihre Briefe an meine Wirtin zu adressieren, indem sie der Adresse nur die Worte hinzufügte: »für Miß Pauline.«

Ich ließ meinen Brief über Paris und Madrid gehen; das ist zu Lande der nächste Weg; ich erhielt daher die Antwort erst nach drei Monaten. In ihrem Brief schrieb meine Tante mir, die Fregatte, die mich nach London gebracht habe, sei erst seit wenigen Tagen wieder in Lissabon. Sofort nach seiner Ankunft habe der Kapitän dem Minister geschrieben: die einzige Dame, die er bei seiner Ankunft in England an Bord gehabt habe, befinde sich noch bei ihm; denn er habe sie wieder zurückgebracht, trotz dem Einspruch des Grafen Al…., der ihm erklärt habe, daß die Dame seine Gemahlin sei. Zum Schluß seines Briefes bat der Kapitän seine Exzellenz, ihm nähere Verhaltungsmaßregeln zu geben, an welchen Ort er besagte Dame zu bringen habe.

Der Minister Oeiras zweifelte nicht daran, daß ich diese angebliche Gemahlin sei, und befahl dem Kapitän, mich in das Kloster meiner Tante zu bringen und ihr einen Brief zu übergeben, den er ihm zugleich schicke. In diesem Brief schrieb er meiner Tante, er sende ihr ihre Nichte und bitte sie, diese bis auf weiteren Befehl in guter Hut zu halten. Meine Tante war sehr überrascht; aber ihre Überraschung wäre noch größer gewesen, wenn sie nicht wenige Tage vorher bereits meinen Brief empfangen hätte. Sie dankte dem Kapitän und führte die angebliche Nichte in ein Zimmer, in das sie sie einschloß. Hierauf schrieb sie dem Grafen Oeiras: Gemäß dem Befehle Seiner Exzellenz habe sie vom Kapitän eine Person empfangen, die für ihre Nichte gelte; da jedoch diese Person ein als Frau verkleideter Mann sei, so könne sie diesem nicht länger Zuflucht in ihrem Kloster geben und bitte daher Ihre Exzellenz, dieser Verlegenheit sobald wie möglich ein Ende zu machen.

Nachdem die Äbtissin diesen eigenartigen Brief an den Minister abgeschickt hatte, machte sie dem Grafen Al…. einen Besuch. Er warf sich ihr zu Füßen, meine gute Tante aber hob ihn sofort auf und zeigte ihm meinen Brief. Sie teilte ihm mit, daß sie an den Minister habe schreiben müssen und daß man ihn ohne Zweifel nach wenigen Stunden an einen anderen Ort bringen werde. Der Graf brach in Tränen aus, flehte die würdige Äbtissin an, sich unserer gemeinsamen Angelegenheiten anzunehmen, und übergab ihr mein Schmuckkästchen, das meine Tante bereitwillig in Verwahrung nahm. Bevor sie ging, versprach sie ihm noch, mir alles zu berichten.

Da der Minister sich auf einem seiner Güter befand, erhielt er den Brief der Oberin erst am nächsten Tage. Er beeilte sich, ihr seine Antwort persönlich zu überbringen. Meine Tante überzeugte Seine Exzellenz mit leichter Mühe, daß es von größter Wichtigkeit sei, die Sache geheim zu halten, da durch die Verletzung des Klosterbannes ihre Ehre ernstlich bedroht sei. Sie gab dem stolzen Minister den Brief, den sie von mir erhalten hatte, und teilte ihm mit, daß der ehrenwerte junge Mann ihr meinen Schmuck übergeben habe. Der Graf dankte der Äbtissin für die Offenheit, womit sie ihn in die ganze Angelegenheit eingeweiht habe, und bat sie lachend um Verzeihung, daß er ihr einen hübschen Jungen zur Gesellschaft geschickt habe.

»Es ist von allergrößter Wichtigkeit,« sagte Seine Exzellenz, »daß die Sache geheim bleibt, und um dessen sicher zu sein, dürfen wir keinen Dritten ins Vertrauen ziehen. Ich werde Sie daher in eigener Person von der falschen Nichte befreien und diese auf der Stelle in meinem Wagen mitnehmen.«

Meine Tante nahm die Exzellenz beim Wort und holte den jungen Eingesperrten. Dieser stieg in den Wagen, der vor der Tür hielt, und fuhr mit dem Minister ab. Die gute Äbtissin sagte mir, von diesem Augenblick an habe sie nichts mehr erfahren. Ganz Lissabon spreche von meiner Geschichte, aber man füge noch einen Umstand hinzu, der die Sachlage ganz wesentlich verändere und den Grafen Oeiras ohne Zweifel höchlichst ergötzen müßte: man sage nämlich, der Minister habe mich zuerst der Äbtissin anvertraut, habe sich aber dann später meiner bemächtigt und halte mich verborgen; man kenne jedoch nicht den Ort, wo er mich eingesperrt halte.

Man glaubt also, daß Graf Al…. in London ist und daß ich mich in der Gewalt des Ministers befinde, dem die Skandalchronik wahrscheinlich zärtliche Gefühle für mich zuschreibt. Ohne Zweifel ist Seine Exzellenz über meinen Aufenthalt hier in London vollkommen unterrichtet, denn er weiß meinen Namen und meine Adresse und es fehlt ihm sicherlich nicht an Spionen.

Auf den Rat meiner Tante habe ich vor einigen Monaten dem Grafen Oeiras geschrieben: ich sei bereit, nach Lissabon zurückzukehren, wenn Seine Exzellenz mir eigenhändig schreiben wolle, daß sofort nach meiner Rückkehr in die Heimat Graf Al…. vor der Öffentlichkeit mein Gatte werden solle, und daß niemand über mein Tun und Lassen Rechenschaft fordern dürfe, selbst nicht unter dem Vorwande der Freundschaft. Werden diese Bedingungen mir nicht bewilligt, so, habe ich dem Minister erklärt, sei ich entschlossen, niemals London zu verlassen, wo die Gesetze mir völlige Freiheit verbürgen. Ich erwarte jeden Augenblick seine Antwort, und ich habe kaum einen Grund, anzunehmen, daß sie den von mir kundgegebenen Wünschen entgegen sein wird; denn unter allen Umständen kann mich kein Mensch meiner Einkünfte berauben, und ich brauche mir daher aus der Gunst des Hofes nichts zu machen; aber auch abgesehen davon bin ich überzeugt, daß Oeiras sich glücklich schätzen wird, mir seinen Schutz zu gewähren, täte er es auch nur, um das Odium zu mildern, das ihm infolge des Todes meines Vaters anhaftet.

Pauline machte mir kein Geheimnis aus den Namen der Personen, die in dieser Geschichte vorkommen; aber sie lebt vielleicht noch, und ihr Andenken ist mir immer noch zu teuer, als daß ich mich der Gefahr aussetzen möchte, ihr Mißfallen zu erregen, indem ich diese Namen nenne, obgleich diese Erinnerungen wahrscheinlich nicht dazu bestimmt sind, zu meinen Lebzeiten das Licht der Welt zu erblicken. Um die Wahrheit des von meiner schönen Portugiesin Erzählten zu bestätigen, genügt es mir, daß ihre Geschichte allen Einwohnern von Lissabon recht gut bekannt ist, und daß die Mitspielenden, die in dieser Komödie auftreten, lauter Leute sind, deren Dasein in Portugal keinem Menschen ein Geheimnis ist.

Ich lebte mit der schönen Pauline in inniger Eintracht; von Tag zu Tag fühlte ich meine Liebe zu ihr wachsen und flößte ich ihr zärtlichere Gefühle ein. Aber wie nun meine Liebe wuchs und immer unwiderstehlicher wurde, magerte ich sichtlich ab, verlor Ruhe, Schlaf und Appetit: ich wäre an meiner Sehnsucht zugrunde gegangen, wenn ich sie nicht hätte befriedigen können. Pauline dagegen blühte auf und wurde jeden Tag schöner.

Eines Tages sagte ich zu ihr: »Wenn mein Leiden dazu dient, Ihre Reize zu vermehren, so müssen Sie dafür sorgen, daß ich nicht sterbe: denn ein Toter leidet nicht mehr.«

»Sie glauben, Ihr Leiden sei eine Folge des Gefühls, das ich Ihnen einflöße?«

»Daran kann ich nicht zweifeln.«

»Ich will gern glauben, daß etwas Wahres an Ihrer Behauptung ist; aber glauben Sie mir, ein so süßes Gefühl kann nicht an Ihrer Abmagerung und an Ihrer Schlaflosigkeit schuld sein. Ich schreibe mit gutem Grunde Ihre Veränderung der sitzenden Lebensweise zu, die Sie führen, seitdem ich in Ihrem Hause bin. Wenn Sie mich lieben, müssen Sie mir einen Beweis davon geben: machen Sie einen Spazierritt!«

»Ich kann Ihnen nichts abschlagen, schöne Pauline! Und nachher?«

»Nachher? Da werden Sie mich dankbar finden, werden guten Appetit haben und werden schlafen.«

»Schnell ein Pferd, schnell meine Stiefel!«

Ich küsse ihr die Hand – denn weiter war ich noch nicht bei ihr – und reite nach Kingston hinaus. Da das Traben mir unangenehm ist, so setze ich mein Pferd in Galopp. Plötzlich stürzt es, und ich liege vor der Tür des Herzogs von Kingston auf dem Pflaster. Miß Chudleigh stand gerade am Fenster, und als sie mich alle Vier von mir strecken sah, stieß sie einen lauten Schrei aus, wie eine erste Regung des Gefühls ihn so leicht einer Frau entreißt. Als ich infolge dieses Schreies meinen Kopf umwandte, erkannte sie mich und schickte mir sofort einen ihrer Leute zu Hilfe. Sobald ich wieder aufrecht stand, wollte ich zu ihr gehen, um ihr meinen Dank auszusprechen, aber es war mir unmöglich, mich von der Stelle zu rühren. Man trug mich in ein Zimmer des Erdgeschosses und zog mir die Stiefel aus. Ein Kammerdiener, der zugleich Chirurg war, untersuchte mich und stellte fest, daß ich den Knöchel verrenkt hätte, und daß ich acht Tage lang mich vollkommen ruhig verhalten müßte.

Die junge Miß sagte mir sofort, wenn ich bei ihr bleiben wolle, könne ich der sorgfältigsten Pflege sicher sein. Ich dankte ihr lebhaft, sagte aber, ich wolle ihr keine Umstände machen, und sprach den Wunsch aus, nach meinem Hause gebracht zu werden. Sofort gab sie mit reizender Anmut alle nötigen Befehle, und bald hatte ein bequemer Wagen mich nach Hause gebracht. Es war mir unmöglich, die beiden Bedienten, die mich begleiteten, zur Annahme eines Geldgeschenkes zu bewegen; ich erkannte darin jene zartfühlende Gastfreundschaft, die man den Engländern zur Ehre anrechnet. Sie verdienen auch dieses Lob in mancher Hinsicht, obgleich andererseits Egoismus einer der hervorstechendsten Züge ihres Nationalcharakters ist.

Zu Haufe angekommen, legte ich mich sofort ins Bett und ließ einen Wundarzt rufen, der über die angebliche Verrenkung herzlich lachte.

»Ich wette, es ist nur eine einfache Verstauchung, und ich wünschte, der Fuß wäre gebrochen, um Ihnen zeigen zu können, was ich kann.«

»Ich bin entzückt, daß ich Ihr Talent nicht auf eine solche Probe zu stellen brauche, und ich werde die beste Meinung von Ihnen haben, wenn Sie mich recht schnell wieder herstellen.«

Zu meinem Erstaunen sah ich Pauline nicht. Man sagte mir, sie habe sich in einer Sänfte forttragen lassen, und ich empfand darüber beinahe Eifersucht, obgleich ein beleidigender Verdacht mir fern blieb. Zwei Stunden darauf trat sie endlich ganz aufgeregt bei mir ein; die alte Hausmeisterin hatte ihr gesagt, ich hätte ein Bein gebrochen und es sei bereits ein Arzt eine volle Stunde bei mir gewesen.

»Ich Unglückselige!« rief sie, indem sie an mein Bett eilte, »an diesem Unglück bin ich schuld!«

Kaum hatte sie dies gesagt, so erbleichte sie und sank beinahe ohnmächtig an meine Seite. »Göttliches Weib!« rief ich, indem ich sie in meine Arme schloß, »es ist nichts… eine einfache Verstauchung.«

»Dummes altes Weib! Wie weh hat sie mir getan! Aber Gott sei gelobt! Fühlen Sie mein Herz.«

»Oh! Ich fühle es mit Entzücken! Glücklicher Sturz!«

Meine Lippen auf die ihrigen pressend fühlte ich mit Entzücken, wie unsere Küsse ineinander verschmolzen, und ich segnete meine glückliche Verstauchung.

Nach diesem ersten Ergusse unseres Glücksgefühles sah ich Pauline lachen.

»Worüber lachen Sie, entzückende Freundin?«

»Über die Spitzbüberei der Liebe, die schließlich doch immer triumphiert.«

»Wo waren Sie?«

»Ich war bei meinem Alten, um meinen Ring einzulösen, und ich schenke ihn Ihnen, damit Sie eine Erinnerung an mich haben.«

»O, meine Pauline, ein bißchen Liebe wäre mir viel lieber als dieser schöne Solitär.«

»Sie haben den Diamanten und meine Liebe. Bis zu meiner Abreise, die nur zu bald erfolgen wird, werden wir als zwei zärtlich liebende Gatten miteinander leben und die Hochzeit werden wir heute Abend feiern, indem wir hier an Ihrem Bette speisen; denn die Verstauchung und ich, mein süßer Freund, verbieten Ihnen, es zu verlassen.«

»Ach, meine liebe Pauline, was für holde Worte aus Ihren Lippen! Welch ein Glück verkünden Sie mir! Nein, ich würde es nicht ertragen, wenn ich es nur in Aussicht hätte. Gestatten Sie mir, daran zu zweifeln, bis ich die volle Wirklichkeit genieße!«

»Gern, mein Freund, wenn Sie das wollen; aber Ihr Zweifel darf nur ganz leicht sein, sonst könnte er mir Unrecht tun. Ich war es müde, so mit Ihnen zusammenzuleben und durch meine Liebe sie unglücklich zu machen. Darum beschloß ich, Ihnen anzugehören, als ich Sie zu Pferde steigen sah. Infolgedessen ging ich während Ihrer Abwesenheit schnell fort, um meinen Ring einzulösen, und nun will ich nicht mehr Ihre Arme verlassen, bis der verhängnisvolle Brief, den ich aus Lissabon erwarte, mich Ihnen entreißen wird. Seit acht Tagen lebe ich in beständiger Furcht; denn diesen Brief, den ich so sehr ersehnt habe, fürchte ich jetzt eintreffen zu sehen.«

»Wenn doch der Kurier unterwegs seines Briefsackes beraubt würde.«

»Solches Glück werden wir nicht haben.«

Da Pauline noch immer neben meinem Bett stand, bat ich sie, in meine Arme zu kommen; denn ich starb vor Verlangen, ihr die lebhaftesten Zeichen meiner Zärtlichkeit zu geben.

»Nein, mein Freund! Die Liebe schließt ja nicht die Vorsicht aus, und wie Sie sehen, steht die Türe offen.«

Sie holte den Ariosto und las mir das Abenteuer Ricciardettos mit der spanischen Prinzessin Fiordespina vor – die schönste Episode des fünfundzwanzigsten Gesanges dieses schönen Gedichtes, das ich auswendig wußte. Sie stellte sich vor, daß sie die Prinzessin und ich Ricciardetto sei.

Ihr machte der Gedanke Spaß:

che il ciel l’abbia concesso,
bradamante cangiato in miglior sesso …

Verwandelt ruht dann neben ihr der echte
Genoß, und zwar von besserem Geschlechte.

Dann kam sie an die Stanze:

Ie belle braccia al collo indi mi getta,
E dolcemente stringe, e baccia in bocca:
Tu buoi pensar se allora la saeta
Dirizza Amor, se in mezzo al cor mi tocca.

Der schöne Arm umschlingt mich alldieweile;
Sie drückt mich hold und küßt mich in den Mund.
Du magst dir denken, wie von Amors Pfeile
Die Spitze mir im tiefsten Herzen stund.

Sie wünschte eine Erklärung über das bacciar in bocca und über die Liebe, die in diesem Augenblick Ricciardettos Pfeil aufrichtete; ich gab ihr eine ausführliche Erläuterung und überraschte sie, indem ich sie plötzlich ebensolchen Pfeil berühren ließ wie jenen, von dem Ariosto spricht. Sie wurde darüber böse. Dies war auch ganz in der Ordnung; aber ihr Zorn konnte nicht lange dauern, und sie lachte laut auf, als sie an die Verse kam:

Io il veggo, io il sento, e a pena vero parmi:
Sento in maschio da femina mutarmi.

Kaum glaub ich’s, doch ich seh’s, ich fühl’s am Leibe:
Ich wandle mich zum Mann aus einem Weibe.

Und weiter:

Cosi le dissi, e feci ch’ella stessa
Trovò con man la verità espressa.

Ich sag’s und führ die Hand dem lieben Kinde,
Damit es selbst die volle Wahrheit finde.

Sie war erstaunt, daß Rom nicht dieses Gedicht verboten hätte, das, wie sie sagte, von Schmutzereien wimmelte.

»Ich glaube. Sie irren sich, meine liebe Pauline; was Sie Schmutzereien nennen, sind nur poetische Freiheiten, und mit solchen ist Rom nicht geizig.«

»Das ist ein frecher Witz, der Ihnen die Zensur der Kirche auf den Hals hetzen und Sie selber auf den Scheiterhaufen der heiligen Inquisition bringen könnte. Aber was nennen Sie denn Schmutzereien?«

»Dinge, die Ekel erregen, nicht aber solche, die gefallen.«

»Sie haben eine eigentümliche Logik. Aber bei dem augenblicklichen Zustande meines Herzens kann ich sie nicht bekämpfen; ich finde es scherzhaft, daß Ariosto von den Frauen aller anderen Nationen gerade eine Spanierin wählte, um ihr den seltsamen Geschmack zuzuschreiben, der sie gerade in den als Weib verkleideten Bradamante sich verlieben ließ.«

»Die Glut des Klimas hat ihn veranlaßt, ein glühendes Temperament und infolgedessen einen perversen Geschmack anzunehmen.«

»Die Dichter sind Narren, die sich alles Mögliche erlauben, was ihren Neigungen schmeichelt!«

Wir setzten die Vorlesung und das Gespräch fort, und ich glaubte, die Schäferstunde habe geschlagen, als sie an die Stelle kam:

Io senza scala in su la rocca salto,
E lo stendardo piantovi di botto
E la nemica mia mi caccio sotto.

Und ohne Leiter in das Schloß ich drang.
Dort pflanz‘ ich stolz mein Banner auf beim Siege,
Als ich die Feindin glücklich niederkriege.1

Ich wollte sofort die Szene dramatisch mit ihr darstellen, aber sie sagte mir mit jenem feinen Zartgefühl der Frauen, das diese so trefflich als Stachel anzuwenden wissen: »Mein lieber Freund, Sie könnten Ihr Übel verschlimmern; ich bitte Sie, mäßigen Sie sich, bis Ihre Verstauchung geheilt ist.«

»Müssen wir denn meine Heilung abwarten, um unsere Ehe zu vollziehen!«

»Ich glaube ja; denn wenn ich mich nicht irre, können Sie das Werk nicht ohne eine gewisse Bewegung vollbringen…«

»Sie irren sich, köstliche Pauline! Aber selbst wenn es so wäre! Verlassen Sie sich darauf, ich würde nicht bis morgen warten, und wenn es mir das Bein kosten sollte! Übrigens werden Sie sehen, daß es Mittel gibt, um den Zweck ziemlich leicht zu erreichen, ohne mein Übel zu verschlimmern. Sind Sie überzeugt? Sagen Sie es mir; denn Ihre Ängstlichkeit beunruhigt mich.«

»Ich weiß nicht… Ich schäme mich …«

»Aber, mein Herz, müssen Sie nicht über solche Gewissensbedenken erröten? Diese passen doch wirklich nicht für Ihren Geist!«

»Nun, so wollen wir doch wenigstens die Kerzen auslöschen; in einer Minute gehöre ich Ihnen.«

»Wenn es denn nicht anders sein kann! Allerdings beraubt die Abwesenheit des Lichtes mich großen Genusses. Also schnell die Kerzen aus!«

Ganz mit unserem künstlichen Licht beschäftigt, achtete meine reizende Portugiesin nicht darauf, daß der Mondschein das Zimmer hell erleuchtete und daß meine Musselinvorhänge kein genügendes Hindernis boten, um mir den Anblick der entzückendsten Formen zu entziehen, besonders in der Stellung, die sie zufällig angenommen hatte. Wäre Pauline eine Kokette gewesen, so hätte ich glauben können, dieses ganze Manöver sei absichtlich berechnet gewesen, um meine Glut zu steigern. Aber sie hatte dies nicht nötig. Endlich hielt ich sie in meinen Armen, und wir versanken in ein ungewöhnliches Schweigen, das durch keine andere Bewegung als durch einen innigen Druck und durch keinen anderen Laut als durch das leise Geräusch unserer Küsse unterbrochen wurde. Bald war unsere Vereinigung vollständig, und ihre Seufzer, ihre glühende Hingabe bewiesen mir, indem sie mir ihre Erstlinge darbrachte, daß ihr Liebesbedürfnis das meinige noch übertraf. Ich bewahrte genügende Selbstbeherrschung, um nicht zu vergessen, daß ich ihre Ehre schonen mußte. Sie war darüber sehr erstaunt; denn sie gestand mir, sie habe an eine solche Ausflucht nicht gedacht, sondern sich mir ohne Hintergedanken hingegeben und sei bereit gewesen, die Folgen auf sich zu nehmen, die sie für unvermeidlich gehalten habe. Ich machte sie glücklich, indem ich ihr das Geheimnis erklärte.

Bis zu diesem Augenblick hatte die Liebe allein mich belebt, aber nach dem blutigen Opfer fühlte ich mich von Achtung und Dankbarkeit durchdrungen. Ich sagte ihr mit überströmendem Herzen, ich fühle die ganze Größe meines Glückes und sei bereit, ihr mein Leben zu opfern, um sie von der Beständigkeit meiner Zärtlichkeit zu überzeugen.

Beglückt durch das Gefühl der Sicherheit, das ich ihr einzuflößen verstanden hatte, überließ Pauline sich der ganzen Glut ihres südlichen Temperamentes, und ich hielt ihr tapfer stand; wir wirkten jedoch so eifrig, daß uns schließlich die Erschöpfung übermannte und daß das letzte Opfer nicht ganz vollzogen werden konnte. Wir überließen uns einem friedlichen und tiefen Schlaf. Ich erwachte zuerst. Strahlende Sonne erleuchtete das Zimmer, und ich betrachtete lange Paulinen, die an meiner Seite lag. Auf meinen Ellbogen gestützt, stieß ich unwillkürlich einen tiefen Seufzer aus, als ich dies entzückende Weib in meinem Besitz sah, den einzigen Sprößling einer erlauchten Familie, die erste Schönheit Portugals, die sich mir in Liebe ergeben hatte und die ich leider nur kurze Zeit besitzen durfte. Pauline erwachte, und ihr Blick, leuchtend und sanft wie der erste Strahl einer Frühlingssonne, ruhte voll Vertrauen und Liebe auf mir.

»Woran denkst du, mein süßer Freund?«

»Ich suche mich zu überzeugen, daß mein Glück nicht ein Traum ist; und wenn es Wirklichkeit ist, so wünsche ich zu sterben, bevor ich dich verliere. Ich bin der glückliche Sterbliche, dem du einen unermeßlichen Schatz geschenkt hast, dessen ich mich unwert fühle, obgleich ich dich unbeschreiblich liebe.«

»Mein Freund, du bist meiner ganzen Hingebung und meiner ganzen Liebe würdig, wenn du mich noch achten kannst.«

»Dich nicht mehr achten! Pauline, könntest du daran zweifeln?«

»Nein, lieber Freund, ich glaube an deine Zärtlichkeit, und ich bin sicher, daß ich es niemals zu bereuen haben werde, Vertrauen zu dir gehabt zu haben.«

Nachdem wir das süßeste Opfer noch einmal erneut hatten, stand Pauline auf. Mit einem anmutigen Lachen machte sie die Bemerkung, daß sie sich jetzt nicht mehr in meiner Gegenwart schäme.

Plötzlich aber ging sie vom Scherz zu tiefsinnigen Betrachtungen über und sagte: »Lieber Freund, wenn das Verschwinden der Scham eine Wirkung erworbenen Wissens ist, woher kommt es, daß unser erstes Urelternpaar sich erst schämte, nachdem es wissend geworden war?«

»Das weiß ich nicht, angebetete Freundin; aber sage mir, ob du jemals diese Frage an deinen gelehrten italienischen Lehrer gerichtet hast, von dem du mir erzähltest?«

»Hm – ja!«

»Was hat er dir geantwortet?«

»Sie hätten sich geschämt, nicht weil sie genossen hätten, sondern weil sie ungehorsam gewesen wären; indem sie die Körperteile bedeckten, die sie verführt hätten, glaubten sie, den begangenen Fehltritt verleugnen zu können. Was man auch sagen mag, ich bin der Meinung, daß Adam viel mehr Schuld hatte als Eva.«

»Wieso?«

»Weil Adam das Verbot von Gott selber erhalten hatte, während Eva es nur von Adam vernommen haben konnte.«

»Ich glaube, alle beide empfingen das Verbot unmittelbar von Gott.«

»Du hast also nicht die Schöpfungsgeschichte gelesen?«

»Du machst dich über mich lustig.«

»Dann hast du sie also schlecht gelesen; denn es steht darin klar und deutlich, daß Gott die Eva schuf, nachdem er Adam verboten hatte, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu essen.«

»Ich finde es seltsam, daß unsere Bibel-Ausleger diesen Umstand nicht hervorgehoben haben, denn er scheint mir sehr wichtig zu sein.«

»Die Theologen sind eben Betrüger; sie sind fast alle Feinde unseres Geschlechts.«

»O, was das anbelangt, so geben sie sehr oft Beweise vom Gegenteil.«

»Bitte, laß uns davon nicht mehr sprechen! Aber mein Lehrer war ein ehrlicher Mann.«

»War er Jesuit?«

»Ja, aber von der kurzen Robe.«

»Was heißt das?«

»Darüber wollen wir ein anderes Mal sprechen.«

»Schön, meine Liebe; wir werden dann sehen, wie die Begriffe: Jesuit und ehrlicher Mann sich miteinander vertragen können.«

»Es gibt Ausnahmen von allen Regeln.«

Meine Pauline war eine tiefe Denkerin, und da sie sehr an ihrer Religion hing, so beschäftigte sie sich mehr damit als ich. Ich hätte diesen ihren Vorzug niemals kennen gelernt, wenn sie nicht meine Bettgenossin geworden wäre. Ich habe mehrere Frauen von solcher Geistesanlage gekannt: um die Höhe ihres Geistes, die Erhabenheit ihrer Seele zu erkennen, muß man sie zuerst dahin bringen, sich der Verdammnis zu ergeben; wenn einem dies gelingt, ist man ihres vollen Vertrauens sicher, denn sie haben kein Geheimnis mehr vor dem Sieger, der sie zu erobern wußte. Hauptsächlich aus diesem Grunde liebt das schwache und reizende Geschlecht die Tapferen und verachtet die Feigen. Allerdings sieht man zuweilen, wie Feiglinge anscheinend bevorzugt werden; aber dies sind Erfolge, die sie nur ihrer Schönheit oder einer Weiberlaune verdanken: die Frauen treiben ihren Spaß mit ihnen, und wenn ein Tapferer dem Feigling den Stock zu kosten gibt, sind sie die ersten, die darüber lachen.

Nach der köstlichsten Nacht, die die Liebe mir verschafft hatte und die mir die süßeste zu sein schien, die der liebe Gott mir jemals gewährt hat, beschloß ich, mein Haus nicht mehr zu verlassen, solange Pauline noch in London bleiben würde.

Das reizende Weib wich nicht einen Augenblick von meiner Seite, abgesehen von der kurzen Zeit, die sie brauchte, um am Sonntag die Messe zu hören. Ich verschloß meine Tür vor aller Welt, selbst vor dem Jünger Äskulaps, denn meine Verstauchung heilte von selbst. Ich beeilte mich, die liebenswürdige Miß Chudleigh von meiner schnellen Heilung in Kenntnis zu setzen; infolgedessen schickte sie nun nicht mehr zweimal täglich zu mir, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, wie sie es bis dahin getan hatte.

Pauline war nach unserem Liebeskampf auf ihr Zimmer gegangen und kam erst zum Mittagessen wieder herunter. Aber wie strahlte sie da vor Schönheit! Ich glaubte, eine Nereide zu sehen oder vielmehr einen Engel. Ihr Gesicht, das durch ihr Darben zu bleich geworden war, hatte jene Farbe von Lilien und Rosen angenommen, die immer ein Zeichen von Jugend und Gesundheit sind, und auf ihrem Antlitz lag ein Ausdruck von Zufriedenheit und Glück, den ich unermüdlich bewundern mußte.

Da wir beide unsere Bildnisse zu besitzen wünschten, schrieb ich an Martinelli, er möchte mir den besten Maler von London schicken; er sandte mir einen Juden zu, dem seine Aufgabe trefflich gelang. Ich ließ mein Bild in einen Ring fassen, und dies war das einzige Geschenk, das Pauline von mir annehmen wollte, der ich mich doch nur um so reicher gefühlt hätte, wenn sie alles angenommen hätte, was ich besaß.

So verbrachten wir drei Wochen in einem Übermaß von Glück, das keine Feder beschreiben könnte. Ich war vollkommen wieder hergestellt; wir erfreuten uns einer ausgezeichneten Gesundheit, und unsere Liebe war voll Wollust und Gefühl. In jedem Augenblicke des Tages und der Nacht gehörten wir einander an, und da unsere Begierden stets befriedigt wurden und stets wieder von neuem erwachten, so befanden wir uns auf dem Höhepunkt des Glückes. Wir hatten keine Zeit, an die Zukunft zu denken, und vielleicht erhöhte dieser Umstand noch unsere Seligkeit. Mit einem Wort, ich glaube, es ist schwer, sich eine richtige Vorstellung von der Lage zweier Menschen zu machen, denen alle leiblichen Genüsse im Überfluß zu Gebote stehen und die kein Bedenken darin stört; die ganz in der Gegenwart leben und deren Gedanken keine Furcht vor der Zukunft beschäftigt; die durch sich selber und durch alles, was sie angeht, glücklich sind und deren Glück verhundertfacht wird durch die Genüsse, die sie sich unaufhörlich gegenseitig verschaffen. In solcher Lage befand ich mich damals, befand sich meine göttliche Pauline.

Jeden Tag entdeckte ich an meiner Geliebten Eigenschaften, die sie mir immer lieber machten: ihr Geist und ihr glücklicher Charakter waren ein unerschöpflicher Schatz; denn die Natur hatte sie mit moralischen Eigenschaften noch besser bedacht als mit körperlicher Schönheit, und einer ausgezeichneten Erziehung, die ihre Intelligenz gekräftigt hatte, verdankte sie eine außerordentliche Entwicklung aller ihrer Geistesgaben. Pauline hatte außer ihrer weiblichen Schönheit, Anmut und Sanftmut auch jenen festen und stolzen Charakter und den weiten Gesichtskreis, die nur höchstbegabten Männern eigen sind. Schon begann sie zu hoffen, der verhängnisvolle Brief, der sie zurückrufen sollte, werde gar nicht kommen, und Graf Al…. existierte in ihrer Erinnerung nur noch wie ein bedeutungsloser Traum; sie sagte mir manchmal, sie begreife nicht, wie ein hübsches Gesicht eine so materielle Macht ausüben könne, daß es aller Vernunft zum Trotz eine tiefe Neigung hervorrufe. »Ich fühle zu spät,« sagte sie, »daß nur der Zufall eine Vereinigung glücklich machen kann, die durch eine solche animalische Wirkung zustande kommt.«

Der erste August war ein verhängnisvoller Tag für sie und für mich. Pauline empfing aus Lissabon zwei Briefe, die ihr keinen Vorwand übrig ließen, um ihre Rückreise zu verzögern, und ich erhielt aus Paris die Nachricht, daß Frau von Urfé tot sei. Frau du Rumain schrieb mir: zufolge der Aussage ihrer Kammerfrau hätten die Ärzte erklärt, die Marquise habe sich selber umgebracht, indem sie eine zu große Menge einer von ihr als Panacee bezeichneten Flüssigkeit eingenommen habe. Man habe ein Testament gefunden, das nach dem Irrenhause schmecke: sie vermache ihr ganzes Vermögen dem ersten Sohn oder der ersten Tochter, die sie gebären werde; denn sie behaupte, schwanger zu sein.

Mich hatte sie zum Vormund des erwarteten Kindes bestellt, was mir sehr schmerzlich war, denn über eine solche Geschichte mußte ganz Paris mindestens eine Woche lang lachen. Die Gräfin du Châtelet, ihre Tochter, hatte sich ihres ganzen unbeweglichen Vermögens und ihres Portefeuilles bemächtigt, worin man zu meinem großen Erstaunen vierhunderttausend Franken gefunden hatte. Ich war von diesem Schlage wie betäubt, aber ich suchte meinen Schmerz und meine Reue über der Teilnahme zu vergessen, die die beiden Briefe meiner Pauline in mir erregten. Der eine war von ihrer Tante, der andere vom Grafen Oeiras, der sie aufforderte, sobald wie möglich auf dem See- oder Landwege nach Lissabon zurückzukehren, und ihr versicherte, sie werde sofort nach ihrer Ankunft in den Besitz ihres Vermögens gelangen und könne den Grafen Al… offen vor aller Welt heiraten. Er schickte ihr einen Sichtwechsel über zwanzig Millionen Reis. Ich hatte über den geringen Wert dieser Münze niemals nachgedacht und war daher außer mir; aber Pauline sagte mir lachend, der Wert betrage nur zweitausend Pfund Sterling. Immerhin erlaubte diese Summe ihr, wie eine Herzogin zu reisen. Der Minister riet ihr, den Seeweg zu benutzen, sie brauche in diesem Fall ihren Wunsch nur dem Herrn de Saa zu erkennen zu geben, der den Auftrag habe, eine portugiesische Fregatte, die sich augenblicklich in einem der englischen Häfen befinde, ihr zur Verfügung zu stellen. Pauline wollte weder von der Seefahrt noch von Herrn de Saa etwas wissen; kein Mensch sollte glauben können, daß sie zur Rückreise genötigt gewesen sei. Sie war ärgerlich, daß Oeiras ihr die Anweisung geschickt hatte, weil sie daraus sah, daß der Minister sich dem Glauben hingab, sie befinde sich in mißlichen Umständen. Es gelang mir allerdings ohne Mühe, ihr diese Sache im richtigen Lichte darzustellen, und sie gab schließlich zu, daß das Vorgehen des Ministers zartfühlend sei; denn er schrieb ihr nicht, daß er ihr mit der Anweisung ein Geschenk mache; dies würde sie allerdings beleidigt haben.

Pauline war reich und hatte eine große Seele. Dies geht schon daraus hervor, daß sie mich genötigt hatte, ihren Ring anzunehmen, als sie sich sozusagen im Elend befand; ganz gewiß rechnete sie niemals auf meine Börse, obgleich sie überzeugt war, daß ich sie niemals würde verlassen haben. Ich bin sicher, daß sie mich für sehr reich hielt, und ich tat allerdings nichts, woraus sie auf das Gegenteil hätten schließen können.

Wir verbrachten den Tag und sogar die Nacht sehr traurig. Am nächsten Morgen sprach Pauline zu mir mit jenem auserlesenen Feingefühl und mit jener Überzeugungskraft, die nur einem großen Charakter eigen sind:

»Wir müssen uns trennen, mein lieber Freund, und uns zu vergessen suchen; meine Ehre verlangt, daß ich sofort nach meiner Ankunft in Lissabon die Frau des Grafen Al…. werde. Denn alle Welt muß glauben, daß ich mich ihm bereits hingegeben habe; sobald ich aber mich dem Grafen gelobt habe, ist es meine Pflicht, ihm mein Herz wie meine Person ungeteilt zu geben. Dies wird mir nicht schwer werden; denn es ist mir nicht möglich, mir vorzustellen, daß ich auf andere Art glücklich sein könnte, und sobald ich dich nicht mehr sehe, wird mein Pflichtgefühl die Oberhand gewinnen; denn was man wirklich will, muß man auch können. Meine erste Liebe, die du beinahe verwischt hast, wird wieder die alte Gewalt erlangen, sobald ich dich verlassen habe, und ich bin überzeugt, daß ich meinen Gatten lieben werde, denn er ist gut, sanft und liebenswürdig; dies habe ich in den wenigen Tagen, die wir zusammen verlebten, wohl erkennen können.

Nach dieser Vorrede, mein lieber Freund, will ich dir nun sagen, worum ich dich bitten muß und was du mir gewähren mußt, sei es auch nur als eine Gnade: versprich mir, niemals nach Lissabon zu kommen, wenn ich dir nicht die Erlaubnis gebe. Ich hoffe, ich brauche dir nicht die Gründe zu sagen; du darfst es nicht wagen, den Frieden meiner Seele zu stören; denn wenn ich schuldig würde, müßte ich zugleich auch unglücklich werden, und du, der du mich so zärtlich liebst, wirst gewiß nicht das Werkzeug meines Unglücks werden wollen. Ach glaube mir, ich stelle mir vor, ich sei deine Gattin gewesen; sobald wir getrennt sind, werde ich mir einbilden, ich sei Witwe und reise nach Lissabon, um dort eine andere Ehe einzugehen.«

Unter strömenden Tränen schloß ich sie in meine Arme und versprach ihr Gehorsam.

Pauline antwortete dem Minister Oeiras und ihrer Tante, der Äbtissin, sie werde im Laufe des Oktobers in Lissabon eintreffen; sobald sie in Spanien sei, werde sie ihm weitere Nachricht geben. Da sie über die nötigen Mittel verfügte, kaufte sie einen Reisewagen, und nahm eine Kammerjungfer durch Vermittlung der braven Frau, bei der sie im Anfange ihres Londoner Aufenthaltes gewohnt hatte.

Die letzte Woche, die sie mit mir zubrachte, verging mit diesen Reisevorbereitungen. Als besondere Gunst bewilligte sie mir, daß Clairmont sie bis nach Madrid begleiten durfte. Sie sollte mir sofort nach ihrer Ankunft in der spanischen Hauptstadt diesen treuen Diener zurückschicken; aber das Schicksal hatte beschlossen, daß ich ihn nicht wiedersehen sollte, und ich gestehe, dies war einer der schlimmsten Streiche, die es mir in meinem Leben gespielt hat.

Wir verbrachten die letzten acht Tage in Bitternis und Wonne. Wir sahen uns an, ohne zu sprechen; wir sprachen, ohne zu wissen, was wir sagten. Wir vergaßen, uns zu Tisch zu setzen und zu essen; wir gingen zu Bett und hofften, wir würden vor Liebe und Schmerz nicht schlafen können; aber wir täuschten uns. Eine Lethargie, die durch die Erschöpfung unserer Sinne hervorgerufen war, versenkte uns in einen tiefen Schlaf, und wenn wir in inniger Verschlingung erwachten, schilderten tiefe Seufzer und feurige Küsse den wirklichen Zustand unserer Seelen.

Pauline konnte mir und sich das Glück nicht versagen, daß ich sie bis Calais begleitete. Wir reisten am zehnten August ab und hielten uns in Dover nur solange auf, wie notwendig war, um den Wagen auf ein Paketboot bringen zu lassen. Vier Stunden später landeten wir in Calais, wo Pauline, um ihre Witwenschaft zu beginnen, mich bat, in einem Zimmer zu schlafen, das von dem ihrigen getrennt war. Am zwölften August reiste sie ab. Mein armer Clairmont ritt voran, und sie hatte beschlossen, nur bei Tage zu reisen.

Meine Trennung von Pauline hat eine große Ähnlichkeit mit der schmerzlichen Trennung von Henriette, die ich fünfzehn Jahre früher in Genf durchmachen mußte. Auffallend ist die Charakterähnlichkeit dieser beiden unvergleichlichen Frauen, die nur in der Art ihrer Schönheit voneinander verschieden waren. Vielleicht war dies nötig, damit ich mich in die zweite ebenso leidenschaftlich verlieben konnte, wie ich mich in die erste verliebt hatte. Beide waren klug und verständig, beide waren tiefe Denkerinnen, und nur eine verschiedene Erziehung hatte bewirken können, daß die eine heiterer war, mehr Talente und weniger Vorurteile hatte als die andere. Pauline hatte den edlen Stolz ihrer Nation, sie hatte einen Hang zum Ernst, und die Religion war für sie Herzenssache; außerdem übertraf sie Henriette an verliebter Glut und an Neigung zum Liebesgenuß. Ich war mit beiden glücklich, weil ich reich war; sonst hätte ich weder die eine noch die andere überhaupt gekannt. Ich habe sie vergessen, weil wir Menschen alles vergessen; aber wenn ich mir die Erinnerung an sie zurückrufe, finde ich, daß der Eindruck, den Henriette auf mich machte, doch der tiefere war – ohne Zweifel nur deshalb, weil ich damals erst zweiundzwanzig Jahre alt war, während ich in London bereits siebenunddreißig zählte. Je älter ich werde, desto mehr fühle ich, wie das Alter unsere Eindrucksfähigkeit abstumpft, und desto mehr bedauere ich, daß ich nicht das Geheimnis habe finden können, die Jugend festzuhalten, diese glückliche Zeit süßer Einbildungen. Ohnmächtiges Bedauern! Wir müßten enden, wie wir beginnen, oder wir müßten die von der Natur aufgestellte Ordnung umstoßen, das heißt, damit beginnen, womit wir endigen. Noch einmal – ohnmächtiges Bedauern!

Ich schiffte mich am selben Tage wieder ein und hatte eine sehr unangenehme Überfahrt. Trotzdem hielt ich mich in Dover nicht auf, und sobald ich in London angekommen war, schloß ich mich in düsterster Stimmung in einem wirklich britannischen »Spleen« in mein Zimmer ein, um darüber nachzudenken, wie ich Pauline vergessen könnte. Jarbe brachte mich zu Bett. Dieser Jarbe war ein braver Junge, den ich für die Zeit von Clairmonts Abwesenheit in meinen persönlichen Dienst genommen hatte. Als er am nächsten Morgen in mein Zimmer trat, brachte er eine schauderhafte Naivität vor, über die ich bald darauf aber doch lachen mußte.

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »die Alte läßt Sie durch mich fragen, ob sie das Schild wieder aushängen soll?«

»Das elende Weib! Sie will wohl, daß ich sie in der Wut erwürge?«

»Aber mein Gott, mein Herr, sie hängt sehr an Ihnen; und als sie Sie so traurig gesehen hat, da hat sie gedacht…«

»Sage ihr, sie soll sich’s nicht wieder einfallen lassen, derartige Gedanken zu haben, und du…«

»O – ich, Herr, werde alles tun, was Sie wollen.«

»Laß mich zufrieden!«

  1. Ich entnehme die Übersetzungen der Verse der bei Georg Müller erschienenen zweibändigen Ariost-Ausgabe von Alfons Kißner. Das herrlich ausgestattete Werk ist eine wahre Herzensfreude für jeden Bücherliebhaber.