Mein Heilung. – Daturi wird von Soldaten geprügelt. – Abreise nach Braunschweig. – Redegonda. – Der Erbprinz. – Der Jude. – Mein Aufenthalt in Wolfenbüttel. – Die Bibliothek. – Berlin. – Casalbigi und die Lotterie in Berlin. – Fräulein Bélanger.

Als es Zeit zum Abendessen war, kam der Doktor mit seiner Mutter und einer seiner Schwestern in mein Zimmer. Den wackeren Leuten stand die Menschenliebe auf den Gesichtern geschrieben; alle versicherten mir, sie würden mich auf das beste pflegen.

Nachdem die Damen sich wieder entfernt hatten, teilte der Doktor mir mit, nach welcher Methode er mich zu behandeln gedächte: Ein schweißtreibender Trank und Quecksilberpillen sollten mich von dem Gift befreien, das mich dem Grabe zutrieb; ich müßte jedoch eine strenge Diät innehalten und dürfte gar nicht geistig arbeiten. Ich versprach ihm pünktlichen Gehorsam gegen seine Gesetze, und er sagte mir, zu meiner Zerstreuung werde er selber mir zweimal wöchentlich die Zeitung vorlesen. Zugleich teilte er mir die Neuigkeit mit, daß die berüchtigte Pompadour gestorben sei.

So sah ich mich also zu einer Ruhe verdammt, die nach der Meinung meines Doktors unerläßlich war, wenn die Behandlung gelingen und ich meine Gesundheit wiedererlangen sollte. Es war eine harte Notwendigkeit; aber was ich am meisten fürchtete, waren nicht die Heilmittel und die Enthaltsamkeit, sondern die Langeweile; denn ich glaubte, daß diese mich töten würde. Ohne Zweifel teilte der Doktor meine Befürchtung; denn er bat mich, zu erlauben, daß seine Schwester mit zwei oder drei Freundinnen in meinem Zimmer arbeiten dürfe. Ich antwortete ihm, daß ich seinen Vorschlag mit Freuden annähme, obgleich ich mich schäme, mich so liebenswürdigen Mädchen in meinem kranken Zustande zu zeigen. Die Schwester war mir sehr dankbar für meine Gefälligkeit, wie sie es nannte; denn das von mir bewohnte Zimmer war das einzige, dessen Fenster nach der Straße hinausgingen, und wie ein jeder weiß, sehen junge Mädchen gern nach den Vorübergehenden aus. Unglücklicherweise wurde meine Gefälligkeit verhängnisvoll für Daturi. Der arme junge Mann, der keine weitere Erziehung genossen hatte, als eben ein Seiltänzer sie braucht, mußte sich natürlich langweilen, wenn er den ganzen Tag nur immer mit mir zusammen war. Sobald er daher sah, daß ich gute Gesellschaft hatte, glaubte er, ich könnte wohl die seinige entbehren, und ging nur noch darauf aus, sich zu amüsieren. Am dritten Tage brachte man ihn gegen Abend jämmerlich verprügelt nach Hause. Er war in eine Wachstube gegangen, um mit den Soldaten zu zechen; dabei hatte es Streit gegeben, und er war tüchtig durchgehauen worden. Er sah mitleiderregend aus: er war ganz von Blut überströmt, und ihm fehlten drei Zähne. Weinend erzählte er mir sein Abenteuer und bat mich, ihn zu rächen.

Ich schickte meinen Doktor zu General Bekw …., der sofort zu mir kam und mir sagte, er wisse nicht, was er dabei tun solle; er könne mir weiter keinen Dienst erweisen, als daß er den Kranken ins Lazarett schicke. Da Daturi keine Glieder gebrochen hatte, so war er in ein paar Tagen geheilt; ich schickte ihn mit einem Paß des Generals Salenmon nach Braunschweig. Die verlorenen Zähne schützten ihn vor der Gefahr, unter die Soldaten gesteckt zu werden. Das war immerhin ein Trost.

Die Kur meines jungen Doktors wirkte besser oder jedenfalls schneller, als er selber gedacht hatte; denn nach einem Monat war ich vollkommen wiederhergestellt, aber ich war dabei so mager, daß mein Anblick Schrecken erregte. Der Begriff, den ich den guten Leuten von mir hinterließ, entsprach durchaus nicht der Wirklichkeit. Man hielt mich für den geduldigsten Menschen, und die Schwester und ihre jungen Freundinnen sahen in mir die verkörperte Bescheidenheit; aber diese scheinbaren Tugenden rührten nur von meiner Krankheit her und von meiner niedergeschlagenen Stimmung. Um einen Menschen zu beurteilen, muß man sein Benehmen prüfen, wenn er gesund und frei ist; in Krankheit und Gefangenschaft ist er nicht mehr der gleiche.

Ich schenkte der Schwester ein schönes Kleid und gab dem Doktor zwanzig Louis. Alle beide schienen mir sehr zufrieden zu sein.

Am Tage vor meiner Abreise erhielt ich einen Brief von Frau du Rumain, die von meinem Freunde Baletti erfahren hatte, daß ich Geld brauchte, und mir einen Wechsel von sechshundert Gulden auf Amsterdam schickte. Sie sagte mir, ich möchte ihr den Betrag nach meiner Bequemlichkeit zurückgeben; sie ist jedoch gestorben, bevor ich die Schuld habe begleichen können.

Da ich nach Braunschweig fahren wollte, konnte ich dem Wunsch nicht widerstehen, über Hannover zu reisen, denn wenn ich an Gabriele dachte, liebte ich sie noch. Ich wollte mich nicht aufhalten, denn ich war nicht mehr reich; außerdem zwang meine Gesundheit mich noch, mich zu schonen. Ich wollte nur das reizende Mädchen überraschen, indem ich auf der Durchreise einen Besuch auf dem Gute machte, das ihre Mutter, wie sie mir gesagt hatte, in der Nähe von Stöcken besaß. Ich will nicht leugnen, daß auch die Neugier einen guten Anteil an diesem Plan hatte.

Ich hatte beschlossen, bei Tagesanbruch allein in meiner neuen Kalesche abzureisen: aber es stand in den Sternen geschrieben, daß es anders kommen sollte.

Der englische General lud mich schriftlich zum Abendessen ein, indem er hinzufügte, es würden Landsleute von mir dabei sein. Infolgedessen beschloß ich noch einen Tag zu bleiben; zugleich versprach ich dem Doktor, sehr nüchtern zu sein.

Man wird sich meine Überraschung denken können, als ich beim Eintritt in den Salon des Generals die Parmesanerin Redegonda und ihre abscheuliche Mutter sah. Diese erkannte mich nicht gleich; Redegonda aber nannte sofort meinen Namen und rief: »Mein Gott! Wie sind Sie mager geworden!«

Ich machte ihr ein Kompliment über ihre Schönheit, und sie verdiente es; denn die letzten achtzehn Monate hatten ihre Reize in eigentümlicher Weise entfaltet.

»Ich bin soeben erst einer schweren Krankheit entronnen,« sagte ich zu ihr, »und ich reise mit Tagesanbruch nach Braunschweig ab.«

»Wir auch!« rief sie, indem sie ihre Mutter ansah.

Der General freute sich, daß wir alte Bekannte waren, und machte die Bemerkung, daß wir ja zusammen reisen könnten.

»Das würde wohl schwerlich gehen,« versetzte ich lächelnd, »es müßte denn sein, daß die Frau Mutter ganz andere Grundsätze angenommen hätte, als ich früher an ihr kannte.«

»Ich bin immer noch die gleiche«, sagte die häßliche Mutter ziemlich grob.

Ich antwortete ihr nur durch einen verächtlichen Blick.

Der General hielt an einem kleinen Pharaotisch die Bank. Es waren zwei oder drei andere Damen und mehrere Offiziere anwesend, und man spielte mit kleinen Einsätzen. Er bot mir ein Buch an, das ich unter dem Vorwand ablehnte, ich spielte auf Reisen niemals.

Der General hielt sich jedoch noch nicht für geschlagen und sagte am Ende der Taille zu mir: »Aber, Chevalier, Ihr Grundsatz ist ungesellig! Sie müssen spielen!«

Mit diesen Worten zog der General aus seiner Brieftasche mehrere englische Banknoten und sagte: »Es sind dieselben, die Sie mir vor sechs Monaten in London gegeben haben. Nehmen Sie Revanche; es sind vierhundert Pfund Sterling!«

»Ich habe keine Lust, so viel zu verlieren,« antwortete ich ihm; »aber ich will fünfzig Pfund wagen, um Ihnen einen Gefallen zu tun.«

Zugleich zog ich meine Börse; es befanden sich dann zweihundert holländische Dukaten und der Wechsel, den die Gräfin du Rumain mir geschickt hatte.

Der General zog ab, und nach der dritten Taille hatte ich fünfzig Pfund gewonnen. Ich hörte auf, indem ich mich mit einem bescheidenen Gewinne begnügte, zumal da ich kalte Füße bekommen konnte, ohne gegen die Höflichkeit zu verstoßen.

In demselben Augenblick wurde gemeldet, daß das Essen angerichtet sei, und wir gingen in den Speisesaal.

Redegonda, die sehr gut französisch gelernt hatte, erheiterte alle Anwesenden. Sie war vom Herzog von Braunschweig als zweite Virtuosa engagiert worden und kam von Brüssel. Sie klagte darüber, daß sie die Reise in dem unglückseligen Postkarren machen müsse, in dem man so gräßlich unbequem säße, und sprach die Befürchtung aus, sie würde krank an ihrem Bestimmungsort ankommen.

Hierauf bemerkte der General: »Da ist ja der Chevalier Seingalt, der ganz allein in einem ausgezeichneten Wagen fährt.«

Redegonda lächelte.

»Wieviel Plätze hat Ihr Wagen?« fragte die Mutter mich. Der General nahm für mich das Wort und antwortete: »Nur zwei.«

»Dann ist es also nicht möglich; denn ich werde niemals meine Tochter ohne mich reisen lassen, ganz einerlei mit wem es ist.«

Ein allgemeines Gelächter, in das Redegonda einstimmte, machte die Mutter ein wenig verlegen; aber als gute Tochter sagte Redegonda: »Mama hat immer Angst, daß man mich ermordet!«

Unter tausend leichtfertigen Bemerkungen verging der Abend uns sehr angenehm; die junge Sängerin ließ sich nicht lange bitten, sondern setzte sich ans Klavier und sang uns einige reizende Lieder, für die sie wohlverdienten Beifall erntete.

Als ich gehen wollte, bat der General mich, bei ihm zu frühstücken; der Postkarren fahre erst mittags ab und ich sei diese Höflichkeit meiner schönen Landsmännin schuldig. Redegonda bat mich ebenfalls, indem sie mich an einige Vorfälle in Florenz und Turin erinnerte, obgleich sie mir keine Vorwürfe zu machen hatte. Ich gab nach; da ich aber der Ruhe bedurfte, so ging ich zu Bett.

Am anderen Morgen um neun Uhr verabschiedete ich mich vom Doktor und seiner braven Familie. Dann ging ich zu Fuß zum General, um bei ihm zu frühstücken, nachdem ich Befehl gegeben hatte, daß mein Wagen mich abholen solle, sobald er angespannt sei.

Eine halbe Stunde später kam Redegonda mit ihrer Mutter. Zu meiner großen Überraschung sah ich in ihrer Begleitung den Bruder, den ich in Florenz als Lohndiener gehabt hatte.

Als das Frühstück vorbei war, hielt mein Wagen vor der Tür. Ich machte dem General und der ganzen Gesellschaft, die den Saal verlassen hatte, um mich abfahren zu sehen, meine Reverenz. Redegonda ging mit mir hinunter; sie fragte mich, ob mein Wagen bequem sei, und stieg ein, wie wenn sie ihn versuchen wollte. Sofort nach ihr stieg auch ich ein, ohne mir jedoch das mindeste dabei zu denken. Der Postillon sieht, daß der Wagen besetzt ist, knallt mit der Peitsche und fährt im Galopp ab.

Redegonda lachte aus vollem Halse. Ich wollte dem Postillon zurufen, daß er halten solle; als ich aber das ausgelassene Mädchen in so reizender Heiterkeit sah, ließ ich ihn ruhig weiterfahren. Immerhin war ich entschlossen, ihn sofort umkehren zu lassen, wenn die Schöne mir sagen würde: »Jetzt ist’s genug.«

Diese Worte erwartete ich jedoch vergeblich, und wir waren bereits eine halbe Meile gefahren, als sie zu sprechen begann.

»Ich habe so gelacht! Und ich lache noch, wenn ich daran denke, wie meine Mutter diese Laune auslegen wird; denn ich hatte es mir vorher nicht überlegt, als ich in den Wagen stieg. Außerdem habe ich über den Postillon gelacht, der doch gewiß nicht auf Ihren Befehl mit mir losgefahren ist.«

»Dessen können Sie sicher sein.«

»Meine Mutter wird aber das Gegenteil glauben, und gerade darum finde ich es so komisch.«

»Es ist auch komisch, und ich bin sehr damit zufrieden, übrigens, meine liebe Redegonda, werde ich Sie nun mit mir nach Braunschweig nehmen, denn Sie werden in meinem Wagen viel besser aufgehoben sein als in solch einem scheußlichen Postkarren.«

»Es würde mich ja sehr freuen; aber das hieße doch den Spaß ein bißchen zu weit treiben. Wir werden beim ersten Pferdewechsel Halt machen und auf der Post warten.«

»Das steht in Ihrem Belieben; aber Sie werden mich entschuldigen, wenn ich mich darauf nicht einlasse.«

»Wie? Sie würden den Mut haben, mich ganz allein sitzen zu lassen?«

»Sie wissen, reizende Redegonda, daß ich Sie immer geliebt habe; daher bin ich denn auch bereit, Sie nach Braunschweig zu bringen – das wiederhole ich Ihnen!«

»Wenn Sie mich lieben, werden Sie warten und mich in die Arme meiner Mutter führen, die schon in Verzweiflung sein muß.«

Anstatt traurig zu werden, fing der junge Tollkopf zu lachen an. Als ich sie so lustig sah, beschloß ich, sie mit mir nach Braunschweig zu nehmen.

Auf der Station waren keine Pferde. Ich setzte mich mit dem Postillon ins Einvernehmen, und nachdem wir die Pferde sich hatten ausruhen lassen, fuhren wir wieder ab. Da die Wege entsetzlich waren, kamen wir erst mit Einbruch der Nacht bei der zweiten Station an.

Wir hätten dort übernachten können; ich wollte aber nicht angeführt werden, und da ich wußte, daß der Postkarren vor Mitternacht ankommen und daß dann die Mutter sich ihrer Tochter bemächtigen würde, so befahl ich frische Pferde und ließ Redegonda jammern und bitten, soviel sie wollte. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch und kamen in aller Frühe in Lippstadt an, wo ich trotz der unpassenden Stunde eine Mahlzeit auftragen ließ. Redegonda hatte ebenso, wie ich, Schlaf nötig, aber sie mußte sich fügen, als ich ihr schmeichelnd sagte, wir würden in Minden schlafen. Sie schalt nicht mehr, sondern lächelte; ich sah, daß sie wußte, was ihrer dort wartete. Sobald wir angekommen waren, aßen wir zu Abend und gingen dann wie Mann und Frau zu Bett. Wir waren fünf Stunden zusammen. Sie war vollkommen gut und ließ sich nur der Form wegen ein bißchen bitten.

Nach einer zu kurzen Nacht fuhren wir von Minden weiter bis Hannover, wo wir in einem ausgezeichneten Gasthof ganz vorzüglich aßen. Ich traf dort den Kellner, der in Zürich gewesen war, als ich die Solothurner Damen bei Tisch bedient hatte. Miß Chudleigh hatte in dem hannoverschen Gasthof mit dem Herzog von Kingston gespeist und war dann nach Berlin weitergefahren.

Wir bekamen für die Nacht ein herrliches französisches Bett und erwachten am anderen Morgen erst von dem Rasseln des Postkarrens. Redegonda wollte nicht in meinen Armen überrascht werden; sie klingelte schnell dem Kellner und befahl ihm, er solle die Frau, die mit dem Postkarten angekommen sei und ohne Zweifel zu ihr geführt werden wolle, nicht einlassen. Vergebliche Vorsicht – denn in dem Augenblick, wo der Kellner hinausging, traten Mutter und Sohn ein und ertappten uns in flagrante delitto.

Ich befahl dem Sohn, draußen zu warten, stand im Hemde auf und verschloß meine Tür. Die Mutter erging sich in bitteren Klagen gegen mich und ihre Tochter und drohte mir mit strafrechtlichen Verfolgungen, wenn ich sie ihr nicht herausgäbe.

Schließlich gelang es Redegonda, sie zu beruhigen, indem sie ihr die Geschichte erzählte. Die Mutter glaubte oder tat wenigstens so, als wenn sie glaubte, daß das Ganze ein Zufall sei; aber sie sagte zu ihr: »Ich will gern glauben, daß es sich so verhält; aber du kannst nicht leugnen, Spitzbübin, daß du bei ihm geschlafen hast.«

»Das ist allerdings etwas anderes, aber Sie wissen wohl, liebe Mama, daß man im Schlaf nichts Böses tut.«

Ohne ihr Zeit zur Antwort zu lassen, fiel sie ihr um den Hals, herzte und küßte sie und versprach ihr, im Postwagen mit ihr nach Braunschweig zu fahren.

Nachdem diese Vereinbarung getroffen war, zog ich mich an. Ich gab ihnen ein gutes Frühstück und reiste dann nach Braunschweig ab, wo ich einige Stunden vor ihnen ankam.

Redegonda benahm mir die Lust, den Besuch bei Gabriele zu machen, den ich mir vorgenommen hatte; außerdem hätte in dem Zustande, worin ich mich befand, mein Selbstgefühl viel zu leiden gehabt.

Sobald ich mich in einem guten Gasthaus eingerichtet hatte, ließ ich Daturi meine Ankunft melden. Er kam sofort, elegant gekleidet, und zeigte großen Eifer, mich dem prachtliebenden Signor Nicolini vorzustellen, dem Direktor des Stadt- und Hoftheaters. Dieser Nicolini war ein ausgezeichneter Theaterdirektor; er erfreute sich der vollsten Huld des freigebigen Fürsten, dessen Geliebte seine Tochter Anna war, und lebte in Braunschweig mit einem gewissen Luxus. Ich wurde mit großer Auszeichnung und Herzlichkeit von ihm empfangen. Er wollte mich durchaus bewegen, eine Wohnung in seinem schönen Hause anzunehmen; es gelang mir jedoch, mich dieser lästigen Einladung zu entziehen, ohne ihn durch meine Ablehnung zu kränken. Dagegen nahm ich seine Einladung zur Tafel an, die wegen seines ausgezeichneten Kochs und noch mehr wegen der liebenswürdigen Gesellschaft, die er jeden Tag bei sich versammelte, meiner Aufmerksamkeit sehr würdig war. Die Gaste zeichneten sich nicht durch Titel und Ordensbänder aus und hatten nicht jene servilen und zugleich hochmütigen Hofmanieren, die mir langweilig sind und jedes Vergnügen töten – sondern es waren talentvolle Herren und Damen, deren Vereinigung ein entzückendes Gemälde bot.

Ich war noch nicht ganz genesen, und ich war nicht reich; sonst hätte ich mich länger in Braunschweig aufgehalten; denn dieser Ort hatte viele Reize für mich.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft in Braunschweig kam Redegonda zu Nicolini, da sie wußte, daß ich bei ihm zu Mittag speisen würde. Wie es zuging, weiß ich nicht, aber alle Welt wußte, daß sie mit mir von Wesel nach Hannover gereist war, und jeder zog daraus die Schlüsse, die ihm beliebten.

Zwei Tage später kam der preußische Thronfolger von Potsdam an, um seine künftige Gemahlin zu besuchen; sie war die Tochter des regierenden Herzogs, und er heiratete sie im folgenden Jahre.

Der Hof gab prachtvolle Feste, und der Erbprinz, der jetzige regierende Herzog, erwies mir die Ehre, mich dazu einzuladen. Ich hatte Seine Hoheit am Tage nach seiner Aufnahme in die Londoner Bürgerschaft bei dem großen Picknick in Soho-Square kennen gelernt.

Es war zweiundzwanzig Jahre her, daß ich Daturis Mutter geliebt hatte. Ich war neugierig, welche Verwüstungen die Zeit an ihrer Schönheit angerichtet haben möchte, und suchte sie daher auf. Ich mußte jedoch bedauern, daß ich sie genötigt hatte, meinen Besuch anzunehmen; denn sie war sehr häßlich geworden. Sie wußte dies, und eine gewisse Scham malte sich auf ihren entstellten Zügen. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß eine Frau mit ausgeprägten Zügen gewöhnlich sehr schnell häßlich wird und dann schrecklich anzusehen ist.

Der Fürst hatte ein kleines, aber sehr gut ausgebildetes Heer von sechstausend Mann Infanterie. Es fand auf einer Ebene dicht bei der Stadt eine Revue über diese Truppen statt. Ich bekam Lust, mir dies Schauspiel anzusehen, und ging daher hin. Es regnete den ganzen Tag. Trotzdem waren viele vornehme Zuschauer da: viele Damen in schönen Toiletten, der ganze Adel und eine Menge Ausländer. Ich sah die ehrenwerte Miß Chudleigh, die mir die Ehre erwies, das Wort an mich zu richten und mich unter anderem fragte, seit wann ich London verlassen hätte. Miß Chudleigh war nur mit einem einfachen Kleide von indischem Musselin bedeckt und trug darunter nur ein Hemd, das offenbar von Batist war; der Regen hatte diese leichte Kleidung an ihren Körper angeklebt, so daß sie schlimmer als nackt aussah. Dies schien sie jedoch nicht verlegen zu machen. Die anderen Damen fanden unter eleganten Zelten Schutz vor der Sintflut.

Die Truppen, die das schlechte Wetter nichts anging, exerzierten und schossen zur Zufriedenheit der Kenner.

Da ich in Braunschweig nichts zu tun hatte, so gedachte ich mich nach Berlin zu begeben, um dort den Sommer angenehmer zu verbringen als in einer kleinen Stadt. Ich brauchte einen Überzieher und kaufte das Tuch dazu bei einem Juden, der sich erbot, mir Wechsel zu diskontieren, wenn ich welche hätte. Ich hatte den Wechsel bei mir, den die Gräfin du Rumain mir geschickt hatte, und da es mir bequem war, Gold dafür einzutauschen, so zog ich ihn aus meiner Brieftasche und gab ihn dem Israeliten. Er zahlte mir den Betrag aus, indem er den bei Wechseln auf die Bank von Amsterdam üblichen Abzug von zwei vom Hundert machte. Da der Wechsel an die Ordre des Chevalier von Seingalt ausgestellt war, girierte ich ihn mit diesem Namen.

Ich dachte schon nicht mehr an die Sache, als am anderen Morgen zu ziemlich früher Stunde derselbe Jude in mein Zimmer trat und mich aufforderte, ihm sein Geld zurückzugeben oder für den Wert meines Wechsels Sicherheit zu bestellen, bis mit der Post die Nachricht käme, ob mein Wechsel angenommen und bezahlt worden wäre.

Beleidigt über die Frechheit dieses Pilatus und sicher, daß mein Wechsel in Ordnung war, sagte ich ihm: »Sie haben nichts zu befürchten. Ich bitte Sie, mich in Ruhe zu lassen; ich werde durchaus keine Sicherheit stellen.«

»Ich verlange unbedingt mein Geld oder Sicherheit,« antwortete der Unverschämte, »sonst werde ich Sie verhaften lassen, denn Sie sind bekannt.«

Das Blut stieg mir in den Kopf; ich ergriff meinen Stock und gab ihm eine Tracht Prügel, die er sicherlich mehr als einen Tag gefühlt hat. Hierauf kleidete ich mich an und speiste bei Nicolini, ohne ein Wort von meinem Erlebnis zu sagen.

Am nächsten Tag machte ich einen Spaziergang vor der Stadt und begegnete dem Prinzen zu Pferde, nur von einem Reitknecht begleitet. Ich machte ihm meine Verbeugung; er ritt an mich heran und sagte: »Sie stehen also im Begriff abzureisen, Herr Chevalier.«

»Ich gedenke in etwa zwei oder drei Tagen abzureisen, gnädiger Herr.«

»Das habe ich heute früh von einem Juden gehört, der sich bei mir beklagt hat, weil Sie ihm Stockschläge gegeben haben. Er forderte eine Sicherstellung für einen Wechsel, gegen dessen Echtheit man ihm Bedenken erregt hat.«

»Gnädiger Herr, ich kann für meine Entrüstung nicht einstehen, wenn ein solcher Kerl zu mir kommt und mich in meinem eigenen Zimmer zu beleidigen wagt; aber ich weiß, daß meine Ehre mir verbietet, meinen Wechsel wieder zu nehmen oder Sicherheit zu bestellen. Der Unverschämte hat mir gedroht, er werde meine Abreise verhindern; aber ich weiß, daß nur ungerechte Willkür dem Verlangen dieses erbärmlichen Menschen nachkommen könnte.«

»Es wäre allerdings ungerecht; aber er hat eben Angst, seine hundert Dukaten zu verlieren.«

»Er wird sie nicht verlieren, gnädiger Herr, denn der Wechsel ist von einer ehrenwerten Person von hohem Range gezogen.«

»Das freut mich. Der Jude sagt, er würde Ihnen den Wechsel nicht diskontiert haben, wenn Sie nicht meinen Namen genannt hätten.«

»Das ist eine freche Fälschung der Wahrheit, gnädiger Herr: der Name Eurer Hoheit ist nicht aus meinem Munde gekommen.«

»Er sagt, Sie haben den Wechsel mit einem Namen giriert, der nicht der Ihrige ist.«

»Auch das ist falsch, gnädiger Herr; denn ich habe Seingalt unterzeichnet, und dieser Name ist mein eigener.«

»Kurz und gut, es handelt sich um einen geprügelten Juden, der angeführt zu sein glaubt. Der Kerl tut mir leid, und ich will es lieber verhindern, daß er nach Mitteln sucht, Sie zum Hierbleiben zu zwingen, bis er erfährt, daß Ihr Wechsel in Amsterdam eingelöst ist. Ich werde ihn noch heute morgen bei ihm einlösen lassen, denn ich bezweifle nicht, daß der Wechsel vollkommen gut ist. Sie können also abreisen, wann es Ihnen beliebt. Leben Sie wohl, Herr von Seingalt, ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise.«

Mit diesem Kompliment sprengte der Prinz davon, bevor ich Zeit gehabt hatte, ihm zu antworten.

Ich hätte ihm sagen können: indem er den Wechsel bei dem Juden einlöste, erweckte er den Glauben, daß er mir dadurch eine Gnade erwiese; zum großen Schaden meiner Ehre würde die ganze Stadt das glauben, wie der Jude; ich müßte ihm also dankbar sein, wenn er es nicht täte.

Aber es genügt nicht, ein Fürst zu sein, ein ausgezeichnetes Herz zu haben, freigebig und großmütig zu sein, wie der jetzige Herzog von Braunschweig es ist; man muß auch Takt und die nötigen Kenntnisse haben, um nicht das Zartgefühl eines Menschen zu verletzen, dem man ein unzweideutiges Zeichen von Achtung und Wohlwollen geben will. Dieser Fehler ist allen Prinzen gemein; er rührt von ihrer Erziehung her, die sie selten auf das Niveau des Lebens ihrer Mitmenschen erhebt oder, wenn man will, erniedrigt.

Hätte der Herzog von Braunschweig mich für einen unredlichen Menschen gehalten, so hätte er mich nicht schlechter behandeln können, als dadurch, daß er mir gewissermaßen andeutete, er verzeihe mir und nehme alle Folgen des von mir begangenen Schwindels auf sich. Dieser Gedanke ging mir im Kopf herum und ich sagte bei mir: »Vielleicht glaubt der Prinz dies wirklich. Warum mischt er sich in die Sache ein? Hat er etwa Mitleid mit dem Juden oder mit mir? Wenn mit mir, so fühle ich die Notwendigkeit, ihm eine Lehre zu geben, jedoch ohne ihn zu beschämen.«

Ich war sehr aufgeregt, denn mein Selbstgefühl war tief verletzt. Während ich langsam nach der Stadt zurückging, dachte ich über meine Lage nach, über das Benehmen des Herzogs und besonders über das Ende unseres Gesprächs. Ich fand seine Worte Gute Reise unter diesen Umständen höchst unangebracht; im Munde eines Prinzen, der bereits selber fast unumschränkter Regent war, erschien das Kompliment als ein Befehl zur Abreise, und darüber war ich entrüstet.

Der Gedanke ließ mich nicht los, und ich faßte endlich den Entschluß, den mir mein Selbstgefühl vorschrieb: weder abzureisen noch zu bleiben.

»Wenn ich bliebe,« sagte ich zu mir selber, »würde man das zugunsten des Juden auslegen; wenn ich abreiste, würde der Herzog denken, ich hätte mir sozusagen das Gnadengeschenk zunutze gemacht, das er mir dadurch erwiesen, daß er dem Juden fünfzig Louis bezahlen müßte, wenn mein Wechsel protestiert würde. Ich werde niemandem eine Genugtuung geben, die ich nicht schuldig bin.«

Nachdem ich diese Betrachtungen angestellt hatte, die mir sehr vernünftig zu sein schienen, obgleich mein Kopf damals noch nicht ganz gesund war, packte ich meinen Koffer, bestellte Pferde, aß gut zu Mittag, bezahlte meine Rechnung und fuhr, ohne mich von einem Menschen zu verabschieden, nach Wolfenbüttel. Ich wollte dort acht Tage zubringen, und war sicher, daß ich mich nicht langweilen würde, denn in Wolfenbüttel war die drittgrößte Bibliothek Europas, und ich hatte schon seit langer Zeit große Lust gehabt, sie näher zu untersuchen.

Der gelehrte Bibliothekar sagte mir bei meinem ersten Besuch mit großer Höflichkeit, die um so angenehmer wirkte, da sie ganz anspruchslos war: ein Mann werde den Auftrag erhalten, mir in der Bibliothek alle gewünschten Bücher zu bringen, außerdem aber werde man mir diese auch in meine Wohnung bringen, sogar die Handschriften, die den besonderen Reichtum dieses schönen Instituts bilden.

Ich verbrachte acht Tage in dieser Bibliothek, die ich nur verließ, um zum Essen und zum Schlafen in meinen Gasthof zu gehen. Ich kann diese acht Tage zu den glücklichsten meines Lebens zählen, denn ich war nicht einen Augenblick mit mir selber beschäftigt: ich dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, und mein Geist, der sich vollständig in die Arbeit versenkt hatte, konnte die Gegenwart nicht bemerken. Ich habe seitdem zuweilen gedacht, daß vielleicht das Leben der Seligen etwas Ähnliches sein könnte; heute sehe ich, daß nur einige ganz unbedeutende Umstände hätten zusammenzuwirken brauchen, damit ich in dieser Welt ein wahrer Weiser statt eines wahren Toren gewesen wäre; denn zur Schande fast meines ganzen Lebens muß ich hier eine Wahrheit kundgeben, die meine Leser kaum glauben werden: die Tugend hat für mich immer viel mehr Reize gehabt als das Laster, und wenn ich einmal schlecht war, so war ich es nur aus Leichtsinn und Übermut; dies werden allerdings viele Leute ohne Zweifel sehr tadelnswert finden. Aber was macht mir das aus! Der Mensch ist über seine innerlichen Gefühle und moralischen Handlungen hienieden nur sich selber und nach seinem Tode nur Gott Rechenschaft schuldig.

Ich brachte von Wolfenbüttel eine große Menge Notizen über die Ilias und die Odyssee mit, die man bei keinem Scholiasten findet und die nicht einmal der große Pope kannte. Man findet einen Teil derselben in meiner Übersetzung der Ilias; der Rest wird hier in Dux bleiben und wahrscheinlich verloren gehen; ich selber werde nichts verbrennen, nicht einmal diese Erinnerungen, obgleich ich oft daran denke. Ich sehe voraus, daß ich niemals den richtigen Augenblick finden werde.

Nach acht Tagen fuhr ich nach Braunschweig zurück, stieg wieder in demselben Gasthof ab und ließ gleich nach meiner Ankunft meinem Paten Daturi Bescheid sagen.

Zu meiner großen Freude vernahm ich, daß niemand auf den Gedanken gekommen war, ich hätte eine Woche fünf Meilen von Braunschweig verbracht. Daturi sagte mir, in der Stadt sei das Gerücht verbreitet, ich hätte vor meiner Abreise den Wechsel von dem Juden wieder zurückgenommen; denn man hätte seitdem nichts wieder davon gehört. Ich war jedoch sicher, daß inzwischen die Antwort von Amsterdam eingetroffen war und daß der Erbprinz ganz genau wußte, daß ich die Zeit meiner Abwesenheit in Wolfenbüttel verbracht hattte.

Daturi sagte mir, man erwarte mich zum Essen bei Nicolini. Darauf hatte ich gerechnet; denn ich hatte von keinem Menschen Abschied genommen. Bei diesem Essen erhielt ich nun eine reiche Genugtuung: wir waren beim Braten, als ein Lakai des Prinzen mit dem von mir geprügelten Juden eintrat. Der arme Mensch kam mit der demütigsten Miene auf mich zu und sagte: »Ich komme auf Befehl, um Sie, mein Herr, sehr um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ich die Echtheit Ihres Wechsels auf die Amsterdamer Bank angezweifelt habe. Ich bin dafür bestraft worden, indem ich die Provision verloren habe, die Sie mir bewilligt hatten.«

Ich antwortete ihm: »Ich wünschte, Sie hätten nur diese Strafe erhalten.«

Er machte mir eine tiefe Verbeugung, sagte, ich sei zu gütig, und ging hinaus.

In meinem Gasthof fand ich ein Briefchen von Redegonda, die mir die zärtlichsten Vorwürfe machte, daß ich während meines ganzen Aufenthaltes in Braunschweig sie nicht ein einziges Mal besucht hätte.

»Ich bitte Sie, bei mir in einem kleinen Häuschen zu frühstücken, das ich draußen vor der Stadt bewohne. Meine Mutter wird nicht dabei sein, wohl aber eine junge Dame, die Sie kennen, und die Sie, davon bin ich überzeugt, mit Vergnügen wiedersehen werden.«

Ich liebte Redegonda und hatte sie in Braunschweig nur darum vernachlässigt, weil ich mich nicht in der Laqe befand, ihr ein hübsches Geschenk machen zu können. Ich beschloß daher, ihrer Einladung Folge zu leisten, zumal da ich ein wenig neugierig war, was das für eine junge Dame sein möchte, von der sie sprach.

Pünktlich zur verabredeten Stunde fand ich mich ein. Redegonda war reizend; sie empfing mich in einem hübschen Salon im Erdgeschoß und hatte eine junge Virtuosa bei sich, die ich kurz vor meiner Einkerkerung unter den Bleidächern als Kind gekannt hatte. Ich tat, wie wenn ich sie mit Vergnügen wiedersähe, beschäftigte mich aber hauptsächlich nur mit Redegonda, der ich viele Komplimente über ihre hübsche Wohnung machte. Sie sagte mir, sie habe sie auf sechs Monate gemietet, benutze sie aber nicht zum Übernachten.

Nachdem wir den Kaffee getrunken hatten, wollten wir gerade ausgehen, um einen Spaziergang zu machen, als der Prinz eintrat, der sich mit einem angenehmen Lächeln bei Redegonda entschuldigte, daß er zufällig unsere Unterhaltung gestört habe.

Das Erscheinen des Prinzen klärte mich über die Stellung meiner liebenswürdigen Landsmännin auf, und ich begriff nun, warum sie in ihrem Briefe die Stunde meines Besuches so genau angegeben hatte. Redegonda hatte bereits die Eroberung des liebenswürdigen Fürsten gemacht, der stets galant war, aber im ersten Jahre seiner Ehe mit einer Schwester des Königs von England sich verpflichtet glaubte, auf diesen Abwegen der Liebe sein Inkognito zu wahren.

Wir gingen eine Stunde lang spazieren und unterhielten uns von London und Berlin, aber vom Wechsel und vom Juden wurde kein Wort gesprochen. Er war entzückt von meinem Lobe seiner Wolfenbüttler Bibliothek und lachte herzlich, als ich ihm sagte, ohne die geistige Nahrung würde ich infolge des schlechten Essens in meinem Gasthof um die Hälfte abgemagert sein.

Nachdem er seine Nymphe sehr freundlich gegrüßt hatte, verließ er uns, stieg wieder zu Pferde und sprengte davon.

Ich dachte nicht daran, Redegonda um neue Liebesbezeigungen zu bitten, sondern riet ihr im Gegenteil, dem Prinzen, den ihre Reize gefesselt hatten, treu zu bleiben; sie wollte jedoch nicht zugeben, daß irgendein Verhältnis bestehe, obwohl doch der Augenschein keine Täuschung zuließ. Das gehörte nun einmal zu ihrer Rolle, und ich nahm es ihr daher weiter nicht übel.

Nachdem ich den Rest des Tages in meinem Gasthof verbracht hatte, fuhr ich am anderen Morgen in aller Frühe ab.

In Magdeburg überbrachte ich einem Offizier einen Brief, den General Bekw…. mir für ihn gegeben hatte. Er zeigte mir die ganze Festung und behielt mich drei Tage bei sich. Ich genoß die Freuden der Tafel, der Liebe und des Spiels, aber ich war nüchtern, schonte meine Gesundheit und vermehrte meine Barschaft in bescheidener Weise, da ich mir bescheidene Grenzen gesetzt hatte.

Von Magdeburg fuhr ich geraden Weges nach Berlin, ohne mich in Potsdam aufzuhalten; denn der König war nicht da. Die erbärmlichen Wege auf dem preußischen Sandboden waren schuld, daß ich drei Tage brauchte, um achtzehn deutsche Meilen zurückzulegen. Preußen ist ein Land, wo Gewerbefleiß und Gold Wunder wirken könnten; aber ich bezweifle, daß man jemals ein wohlhabendes Land daraus machen wird.

Ich stieg im Hotel de Paris ab, wo ich alles so fand, wie es für meine Ansprüche und für meine Börse paßte. Die Inhaberin, Madame Rufin, war eine ausgezeichnete Wirtin von echt französischer Liebenswürdigkeit; sie hatte es verstanden, ihren Gasthof in guten Ruf zu bringen. Nachdem ich mich in einem sehr schönen Zimmer eingerichtet hatte, kam sie zu mir und fragte mich, ob ich zufrieden sei. Wir trafen genaue Abmachungen über alles. Sie hielt Table d’hôte, und die Gäste, die auf ihrem Zimmer aßen, zahlten das Doppelte.

»Diese Einrichtung«, sagte ich zu ihr, »mag für Sie bequem sein, mir aber paßt sie augenblicklich nicht. Ich will auf meinem Zimmer essen, aber nicht das Doppelte bezahlen; ich werde bezahlen, wie wenn ich an der Table d’hôte äße, stelle Ihnen jedoch frei, mir nur die Hälfte der Speisen auftragen zu lassen.«

»Ich bin damit einverstanden, aber unter der Bedingung, daß Sie mit mir zu Abend speisen; dies geht obendrein, und Sie werden bei meinem kleinen Souper nur liebenswürdige Freunde finden.«

Ich fand den Vorschlag so eigentümlich, daß ich beinahe laut herausgelacht hätte; da ich ihn aber zugleich sehr vorteilhaft fand, so nahm ich ihn an und dankte ihr so herzlich und freundschaftlich, wie wenn wir uns schon seit langen Jahren gekannt hätten.

Da ich an diesem Tage ruhebedürftig war, aß ich erst am nächsten Abend bei ihr. Frau Rufin hatte einen Mann, der die Küche besorgte, und einen Sohn; beide kamen niemals zum Abendessen. Als ich zum ersten Male daran teilnahm, fand ich einen alten Herrn, der sehr vernünftige Ansichten und ein sehr angenehmes Benehmen hatte; er wohnte in dem Zimmer neben mir und war ein Baron von Treidel. Seine Schwester hatte den Herzog von Kurland, Johann Ernst Birlen oder Biron, geheiratet. Dieser sehr liebenswürdige Baron wurde mein Freund und blieb es während der zwei Monate, die ich in Berlin verbrachte. Ferner fand ich einen Hamburger Kaufmann, Namens Greve, nebst seiner Frau, die er kurz vorher geheiratet hatte. Er war mit ihr nach Berlin gekommen, um ihr die Wunder des kriegerischen Hofstaats zu zeigen. Die junge Frau war ebenso liebenswürdig wie ihr Mann, und ich machte ihr eifrig, aber in allen Ehren, den Hof. Der vierte war ein sehr fröhlicher Herr, namens Noël; er war der einzige Koch Seiner Preußischen Majestät, die sehr große Stücke auf ihn hielt. Dieser Herr Noël kam nur selten zum Abendessen bei seiner Landsmännin und guten Freundin, denn sein Amt fesselte ihn an die Küche des Königs, der nicht wie ein Lukullus lebte: er hatte, wie gesagt, nur diesen einen Koch, und Noël hatte nur einen einzigen Gehilfen oder Küchenjungen.

Herr Noël, der Gesandte der französischen Republik im Haag, ist, wie man mir versichert hat, der Sohn dieses Kochs, der übrigens ein sehr liebenswürdiger Mann war. Beiläufig möchte ich bemerken, daß ich trotz meinem Abscheu vor dem französischen Direktorium es durchaus nicht übel finde, wenn ein verdienstvoller Mann, ohne Rücksicht auf seine Geburt, für die er ja nicht kann, zu Ämtern verwandt wird, die gewöhnlich nur den privilegierten Ständen offen stehen und oft genug von Dummköpfen verwaltet werden.

Ohne den Vater Noël, oder vielmehr ohne die Geschicklichkeit dieses Kochkünstlers, würde der berühmte atheistische Arzt Lamettrie nicht an einer Magenüberladung gestorben sein; denn die Pastete, von der er bei Lord Tyrconel im Übermaß aß, war von Noël zubereitet worden.

Lamettrie speiste oft bei Madame Rufin, und ich bedauerte sehr, daß er so früh gestorben war; denn ich hätte ihn gerne kennen gelernt, da er gelehrt und außerordentlich fröhlich war. Er starb lachend, obgleich man behauptet, daß es keine schmerzhaftere Todesart gebe als die infolge einer Magenüberladung. Voltaire sagte mir, er glaube nicht, daß es einen entschiedeneren Atheisten gegeben habe als Lamettrie, und jedenfalls keinen mit gründlicheren Kenntnissen; ich war davon überzeugt, nachdem ich seine Werke gelesen hatte. Der König von Preußen hielt in eigener Person in der Akademie die Leichenrede auf diesen Arzt und sagte: es sei nicht zu verwundern, daß Lamettrie nur die Materie habe gelten lassen; denn allen Geist, den es gebe, habe er selber besessen. Nur ein König kann sich in einer ernsten Leichenrede einen solchen Witz erlauben. Dies beweist aber zur Genüge, daß der große Mann als Redner kein Wort von dem glaubte, was er sagte. Übrigens war der große Friedrich niemals Atheist – er war Deist; darauf kommt es jedoch weniger an, da der Glaube an einen Gott niemals seine Lebensweise noch seine Handlungen beeinflußt hat. Man behauptet, ein Atheist, der sich mit Gott beschäftige, sei besser als ein Christ, der niemals an ihn denke. Ich möchte diese Frage nicht entscheiden.

Der erste Besuch, den ich in Berlin machte, galt Herrn Casalbigi, dem jüngeren Bruder dessen, mit dem ich mich im Jahre 1757 in Paris zusammengetan hatte, um dort Lotterien einzurichten. Dieser Casalbigi, den ich in Berlin traf, hatte Paris und seine Frau, die sogenannte Generalin La Motte, verlassen, um in Brüssel die Lotterie einzurichten. Dort hatte er zu luxuriös gelebt und im Jahre 1762 Bankerott gemacht, obgleich Graf Cobenzl alles aufgeboten hatte, um ihn zu halten. Er hatte fliehen müssen, war mit einer ziemlich guten Ausstattung nach Berlin gekommen und hatte sich dem König von Preußen vorgestellt. Da er gut zu sprechen wußte, gelang es ihm, den Herrscher zu überreden, die Lotterie in seinem Staate einzuführen, ihm die Leitung anzuvertrauen und ihm den Titel eines Staatsrats zu geben. Er versprach Seiner Majestät einen Jahresgewinn von mindestens zweihundeittausend Talern und verlangte für sich selber nur zehn Prozent von der Einnahme und die Kosten der Verwaltung.

Seit zwei Jahren war die Lotterie eingerichtet. Sie ging gut, denn bis dahin hatte noch keine unglückliche Ziehung stattgefunden. Der König war jedoch immer in Angst, weil er wußte, daß dieser Fall eintreten konnte. Um dieser Angst ein Ende zu machen, sagte er Casalbigi, er wolle die Lotterie nicht mehr auf seine eigene Rechnung führen; er überlasse sie ihm und begnüge sich in Zukunft mit hunderttausend Talern jährlich. Soviel kostete ihm sein italienisches Theater jährlich.

Ich machte bei Casalbigi meinen ersten Besuch gerade an dem Tage, wo der König ihm seinen Entschluß hatte mitteilen lassen. Nachdem wir von unseren früheren Beziehungen und von den Wechselfällen unseres Lebens gesprochen hatten, erzählte er mir von dem Ereignis, das ihm ganz unerwartet kam. Er sagte mir, die nächste Ziehung gehe noch für Rechnung des Königs; er müsse jedoch durch öffentliche Anschläge das Publikum davon in Kenntnis setzen, daß vom nächsten Ziehungstage an der König nichts mehr damit zu tun habe. Er brauche ein Grundkapital von zwei Millionen Talern; denn sonst werde die Lotterie nicht bestehen können, weil natürlich kein Mensch spielen würde, wenn er nicht die sichere Gewißheit hätte, daß er im Falle eines Gewinnes sein Geld erhalten würde. Er versprach mir zehntausend Taler jährlich, wenn es mir gelänge, den König zur Zurücknahme seines Entschlusses zu bewegen. Um mich zu ermutigen, erinnerte er mich daran, daß ich vor sieben Jahren gleich nach meiner Ankunft in Paris das Talent besessen hätte, den ganzen Rat der Militärschule von der Gewißheit des Gewinnes zu überzeugen. »Es ist ein deutliches Zeichen von den Göttern,« rief er, »und es ist kein Aberglaube, wenn ich annehme, daß der Schutzgeist der Lotterie Sie in diesem Augenblick nach Berlin geführt hat.«

Ich lachte über seine Illusionen und bedauerte ihn. Ich bewies ihm die Unmöglichkeit, jemanden zu überzeugen, der auf alle Gründe mit dem Gegengrunde antwortet: »Ich habe Furcht und ich will nicht mehr Furcht haben.«

Er bat mich, zum Essen zu bleiben, und stellte mich seiner Frau vor. Diese Vorstellung bereitete mir eine doppelte Überraschung: die erste, weil ich glaubte, daß die Generalin la Motte noch am Leben sei; die zweite, als ich in der neuen Frau Casalbigi Fräulein Bélanger erkannte. Ich richtete die üblichen Komplimente an sie und erkundigte mich dann nach ihrer Mutter. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und bat mich, nicht von ihrer Familie zu sprechen, denn sie würde mir nur Unglück mitzuteilen haben.

Ich hatte Frau Bélanger in Paris kennen gelernt; sie war die Witwe eines Börsenmaklers, hatte nur eine einzige Tochter und schien wohlhabend zu sein. Als ich nun diese ziemlich hübsche Tochter verheiratet sah und sich über ihr Schicksal beklagen hörte, war ich ein wenig in Verlegenheit; doch war meine Neugier ebenso groß. Nachdem Casalbigi mich instand gesetzt hatte, ein sehr günstiges Urteil über seinen Koch abzugeben, wollte er mir auch die Güte seiner Pferde und die Schönheit seines Wagens zeigen. Er bat mich, seine Gemahlin auf ihrer Spazierfahrt zu begleiten und dann zum Abendessen zu bleiben, denn das Abendessen sei seine beste Mahlzeit.

Als wir im Wagen saßen, fragte ich sie gesprächsweise, welcher glücklichen Fügung sie es verdanke, mit Casalbigi vermählt zu sein.

»Seine Frau lebt noch, ich habe also nicht das Unglück, seine Gattin zu sein, aber in Berlin hält mich jedermann dafür. Vor drei Jahren sah ich mich plötzlich meiner Mutter beraubt und von allen Mitteln entblößt; denn meine Mutter lebte von einer Leibrente. Da ich keine reichen Verwandten hatte, von denen ich Hilfe erwarten konnte, und eine solche Hilfe nicht um den Preis meiner Ehre erkaufen wollte, lebte ich zwei Jahre lang vom Verkauf der Möbel und anderer Sachen, die meiner verstorbenen Mutter gehört hatten. Ich wohnte bei einer guten Frau, die vom Sticken lebte. Ich lernte von ihr sticken und ging nur Sonntags aus, um die Messe zu besuchen. Ich wurde von Traurigkeit verzehrt, doch verlor ich die Hoffnung nicht. Je mehr mein kleines Vermögen zusammenschmolz, desto fester hoffte ich auf die Hilfe der Vorsehung; als ich aber meinen letzten Heller ausgegeben hatte, empfahl ich mich Herrn Brea aus Genua, den ich für unfähig hielt, mich zu täuschen. Ich mußte ihn bitten, mir eine Stellung als gewöhnliches Kammermädchen zu verschaffen, wofür ich die nötigen Fähigkeiten zu besitzen glaubte. Er versprach mir, sich damit zu beschäftigen, und nach fünf oder sechs Tagen machte er mir einen Vorschlag: er zeigte mir einen Brief von Casalbigi, den ich nie gekannt hatte, und der ihn beauftragte, ihm eine anständige junge Dame von guter Geburt und Erziehung und von angenehmem Gesicht nach Berlin zu schicken; er habe die Absicht, sie zu heiraten, sobald seine alte und krante Frau nicht mehr lebe. Da die gewünschte Person wahrscheinlich nicht reich sein werde, bat er Herrn Brea, ihr fünfzig Louis zu geben, um ihre Toilette in Ordnung zu bringen, und weitere fünfzig Louis, um mit einer Zofe nach Berlin zu reisen. Herr Brea hatte ferner Vollmacht, sich im Namen Casalbigis gesetzlich zu verpflichten, daß das Fräulein in Berlin als seine Gemahlin empfangen werden und als solche allen, die in seinem Hause verkehrten, vorgestellt werden sollte; außerdem sollte das Fräulein eine Kammerzofe nach ihrer eigenen Wahl haben, dazu Wagen und Pferde, angemessene Garderobe und monatlich eine gewisse Summe als Nadelgeld, worüber sie nach ihrem Belieben verfügen könnte. Er verpflichtete sich, sie nach einem Jahre freizulassen, wenn seine Gesellschaft ihr nicht gefiele; in diesem Falle würde er ihr hundert Louis geben, und sie könnte alle Ersparnisse und die von ihm geschenkten Sachen behalten. Wenn das Fräulein einverstanden wäre, so lange bei ihm zu bleiben, bis er sie heiraten könnte, würde er ihr zehntausend Taler verschreiben, die als ihr Heiratsgut zu gelten hätten; sollte er aber vorher sterben, so würde sie das Recht haben, sich diese zehntausend Taler von seiner Hinterlassenschaft auszahlen zu lassen.

»Mit allen diesen schönen Versprechungen wußte Brea mich zu überreden, mein Vaterland zu verlassen, um mich hier zu entehren; denn obgleich mir alle Welt die Ehre erweist, die man einer anständigen Frau zugesteht, so weiß man doch wahrscheinlich nur zu gut, was ich tatsächlich bin. Vor sechs Monaten bin ich hier angekommen, und ich war noch nicht einen Augenblick glücklich.«

»Aber hat er denn nicht die Abmachungen gehalten, die zwischen Ihnen und Brea vereinbart wurden?«

»Ich bitte um Verzeihung – eine erschütterte Gesundheit gestattet Casalbigi nicht, darauf zu hoffen, daß er seine Frau überleben werde; wenn er aber vor ihr stirbt, habe ich nichts; denn die zehntausend Taler, die er mir verschrieben hat, sind alsdann kein Heiratsgut. Er ist überschuldet und bei der Verteilung seiner Hinterlassenschaft werden seine anderen Gläubiger mir vorgehen. Außerdem ist er mir unerträglich, gerade weil er mich zu sehr liebt. Sie werden mich wohl verstehen. Er tötet sich bei Kleinem, und gerade das macht mich untröstlich.«

»Auf alle Fälle können Sie in sechs Monaten nach Paris zurückkehren oder sonst tun, was Sie wollen, sobald das Jahr des Vertrages abgelaufen ist. Sie werden hundert Louis erhalten und eine schöne Ausrüstung besitzen.«

»Dann werde ich mich gerade erst recht entehren, einerlei ob ich nach Paris zurückkehre oder ob ich hier bleibe. Ich bin recht unglücklich, soviel ist sicher, und der gute Brea ist schuld daran. Trotzdem kann ich es ihm nicht übel nehmen, denn er wußte ohne Zweifel nicht, daß sein Freund hier nur Schulden hat. Jetzt, da der König seine Garantie zurückziehen will, wird die Lotterie zusammenkrachen, und Casalbigis Bankerott wird die unausbleibliche Folge davon sein.«

In der Erzählung des armen Mädchens war nichts übertrieben, und ich mußte zugeben, daß sie zu beklagen war. Ich riet ihr, sie solle Casalbigis Verschreibung der zehntausend Taler zu verkaufen suchen; denn er könne dagegen nichts einzuwenden haben.

»Ich habe auch daran gedacht,« antwortete sie mir; »aber dafür würde ich einen Freund nötig haben, denn ich sehe voraus, daß ich den Schein nur mit großem Verlust werde verkaufen können.«

Ich versprach ihr, daran zu denken.

Beim Abendessen waren wir zu vieren. Der vierte war ein junger Mann, der bei der Lotterie in Paris, später in Brüssel angestellt gewesen war; er war Casalbigis Glücksstern nach Berlin gefolgt. Er war in die Bélanger verliebt, schien mir jedoch kein glücklicher Liebhaber zu sein.

Beim Nachtisch bat Casalbigi mich um meine Meinung über einen von ihm niedergeschriebenen Plan, den er veröffentlichen wollte, um sich die zwei Millionen zu verschaffen, deren er zur Aufrechterhaltung seines Kredits bedurfte.

Die Dame des Hauses zog sich zurück, damit wir ungestört beraten könnten. Diese Frau, die etwa vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, hatte alles, was nötig war, zu gefallen; sie glänzte zwar nicht durch ihren Geist, aber sie hatte ein weltgewandtes Benehmen, und das ist bei einer Frau mehr wert als Geist. Sie flößte mir durch ihr Vertrauen, das sie mir entgegenbrachte, nur Gefühle der Achtung und Freundschaft ein, und das war mir lieb.

Casalbigis Plan war kurz, aber klar und deutlich abgefaßt. Er lud alle Kapitalisten von öffentlich bekanntem Vermögen ein, nicht etwa in der Lotteriekasse einen Betrag in barem Gelde einzuzahlen, sondern mit ihren Namen für irgendeine beliebige Summe zu zeichnen, für die sie unzweifelhaft gut sein würden. Sollte der Fall eintreten, daß die Lotterie einen Verlust erlitte, so würde jeder im Verhältnis zur garantierten Summe seinen Anteil beizutragen haben, und in demselben Verhältnis würden die Gewinne unter allen Bürgen verteilt werden.

Ich versprach ihm, meine Bemerkungen zu seinem Plane ihm am nächsten Tage schriftlich mitzuteilen. Der Plan, den ich an die Stelle des seinigen setzte, lautete folgendermaßen:

1. Ein Grundkapital von einer Million müßte genügen.

2. Diese Million müßte in hundert Aktien zu je zehntausend Taler geteilt werden.

3. Jeder Aktionär müßte sich vor einem bestimmten Notar verpflichten, und dieser Notar müßte für die Aktien, das heißt für die Zahlungsfähigkeit des Aktionärs, bürgen.

4. Die Dividende würde stets am dritten Tage nach der Ziehung verteilt werden.

5. Im Falle eines Verlustes müßte der Aktionär den Betrag seiner Aktie ergänzen und zwar wieder vor dem Notar.

6. Ein Kassierer, der von vier Fünfteln der Aktionäre erwählt würde, müßte den Lotteriekassierer kontrollieren, in dessen Händen die baren Geldeinnahmen stets verblieben.

7. Die Gewinne würden am Tage nach der Ziehung ausbezahlt werden.

8. Am Tage vor der Ziehung würde der Kassierer der Lotterie das eingenommene bare Geld dem Kassierer der Aktionäre vorzählen; dieser würde die Kasse mit drei Schlüsseln verschließen. Einen von diesen würde er behalten, den zweiten bekäme der zweite Kassierer und den dritten der Direktor der Lotterie.

9. Einsätze würden nur für Auszug, Ambo und Terno angenommen; Quaterno und Quino würden unterdrückt, weil diese beiden Kombinationen zu große Verluste ermöglichen könnten.

10. Der Einsatz auf die drei Kombinationen: Auszug, Ambo und Terno dürfte nicht weniger als vier Groschen und nicht mehr als einen Taler betragen; die Annahmestelle würde vierundzwanzig Stunden vor der Ziehung geschlossen.

11. Der zehnte Teil der Einnahme würde Casalbigi als Generaldirektor der Lotterie gehören; dafür hätte er aber alle Verwaltungskosten zu übernehmen.

12. Er sollte das Recht haben, zwei Aktien zu besitzen, ohne daß ein Notar für seine Zahlungsfähigkeit bürgte.

Ich sah an Casalbigis Gesicht, daß mein Plan ihm nicht gefiel, und prophezeite ihm, daß er Aktionäre nur zu diesen Bedingungen oder zu noch weniger günstigen finden werde.

Er hatte aus der Lotterie eine Art Biribi gemacht; sein Luxus erregte Anstoß; man wußte, daß er überschuldet war, und der König mußte natürlich befürchten, daß früher oder später irgend eine Gaunerei vorfallen würbe, obwohl er einen Kontrolleur hatte, der rechnen konnte.

Die letzte Ziehung, die unter der Garantie des Königs stattfand, erregte die Heiterkeit der ganzen Stadt: denn die Lotterie verlor zwanzigtausend preußische Taler. Der König schickte den Betrag sofort seinem Geheimrat Casalbigi; er sollte, als er das Resultat der Ziehung vernommen hatte, laut aufgelacht und gesagt haben: »Ich hatte es ja vorausgesehen, und ich danke dem Zufall, daß ich so billig davon gekommen bin.«

Ich glaubte, zum Abendessen zum Direktor gehen zu müssen, um ihn zu trösten. Er war ganz bestürzt; denn er stellte die sehr natürliche, aber auch sehr unangenehme Betrachtung an, daß es infolge dieser unglücklichen Ziehung noch schwieriger sein werde, reiche Leute zu finden, die die Mittel für die Lotterie hergeben könnten. Es war das erste Mal, daß die Lotterie verlor, aber dieser Unfall konnte wirklich nicht ungelegener kommen.

Casalbigi verlor trotzdem nicht den Mut; gleich am nächsten Tage tat er neue Schritte und benachrichtigte das Publikum durch einen gedruckten Anschlag: Die Annahmestellen würden geschlossen bleiben, bis man neue Mittel beschafft habe, um die Spieler sicher zu stellen, die auch in Zukunft ihr Geld riskieren wollten.