Porträt der angeblichen Gräfin Piccolomini. – Streit, Zweikampf. – Ich sehe Esther und ihren Vater Herrn d’O. wieder. – Esther ist immer noch von der Kabbala begeistert; gefälschter Wechsel Piccolomims; Folgen. – Ich werde überfallen, und bin in Gefahr, ermordet zu werden. – Orgie mit zwei Paduanerinnen; Folgen davon. – Ich enthülle Esther ein großes Geheimnis. – Ich mache die Umtriebe des Betrügers St.-Germain zuschanden. – Seine Flucht. – Manon Baletti wird mir untreu; sie schreibt mir einen Brief, worin sie mir ihre Heirat meldet; meine Verzweiflung; Esther verbringt einen ganzen Tag mit mir. – Sie erhält Manons Porträt und meine Briefe an diese. – Heiratsgedanken.

Die angebliche Gräfin Piccolomini war eine schöne Abenteurerin – eine junge Römerin, groß, gut gewachsen, mit feurigen schwarzen Augen und einer blendend weißen Haut. Aber es war nicht jene natürliche Weiße, welche den Männern, die den ganzen Wert einer Haut von Atlas und Rosenblättern fühlen, so sehr gefällt; sondern es war jene künstliche Weiße, die man überall in Rom an der Haut der Kurtisanen bemerkt und die denen, die die Ursache kennen, so sehr mißfällt. Übrigens hatte sie einen schönen Mund, prachtvolle Zähne und wundervolle Haare vom schönsten Ebenholzschwarz, nach ihren fein geschwungenen schwarzen Augenbrauen zu schließen. Mit diesen Vorzügen verband sie ein gewinnendes Benehmen und einen Anstrich von Geist; aber ein gewisses Etwas blickte aus allem hervor, verriet die Abenteurerin und flößte mir eine Art von Abneigung gegen sie ein.

Da Frau von Piccolomini nur italienisch sprach, so hätte sie bei Tisch die Stumme spielen müssen, wenn nicht ein englischer Offizier, namens Walpole, sie nach seinem Geschmack gefunden und sich mit ihr unterhalten hätte. Dieser Engländer flößte mir Freundschaft ein, aber gewiß war dies keine Sympathie; denn wenn ich blind oder taub gewesen wäre, würde ich für Sir Walpole weder Haß noch Liebe empfunden haben; meine Gefühle für ihn waren nur durch Augen und Ohren entstanden.

Obgleich die schöne Piccolomini mir nicht gefallen hatte, begab ich mich doch mit dem großen Teil der Gäste nach dem Essen auf ihr Zimmer. Der Graf setzte sich zu einer Partie Whist nieder, und Walpole spielte mit der Gräfin, die ihn wie eine abgefeimte Gaunerin betrog, eine Partie Primiera. Walpole merkte es wohl, aber er bezahlte und lachte, weil es ihm gerade recht war. Als er etwa fünfzig Louis verloren hatte, bat er um Gnade, und die Gräfin lud ihn ein, sie ins Theater zu begleiten. Dies war dem liebenswürdigen Engländer sehr erwünscht; er nahm die Einladung an, und die Signora ging mit ihm ab, während ihr Gemahl seinen Whist weiter spielte.

Ich ging ebenfalls ins Theater, und der Zufall wollte es, daß ich im Parkett neben dem Grafen Tott saß, dem Bruder jenes Tott, der durch seinen Aufenthalt in Konstantinopel so berühmt wurde.

Wir wechselten einige Worte, und er teilte mir mit, daß er Frankreich wegen eines Duells verlassen hätte. Ein Mensch hatte ihn damit aufgezogen, daß er nicht an der Schlacht bei Minden teilgenommen hatte, und hatte gesagt, er sei absichtlich nicht zur rechten Zeit zu seinem Korps gestoßen. Er hatte ihm seine Tapferkeit bewiesen, indem er ihm einen Degenstich beibrachte – eine barbarische Weise, Recht zu behalten, aber damals wie heute eine beliebte Beweisführung. Er sagte mir auch, er habe kein Geld, und ich beeilte mich, ihm meine Börse zu öffnen; da aber, wie man sagt, eine Wohltat niemals verloren ist, so sprang er seinerseits mir bei, als wir uns fünf Jahre später in St. Petersburg trafen. Während eines Zwischenaktes bemerkte er die Gräfin Piccolomini und fragte mich, ob ich ihren Mann kenne.

»Ich kenne ihn nur wenig,« antwortete ich. »Aber wir wohnen zufällig in demselben Gasthof.«

»Er ist ein Erzgauner, und seine Frau ist nicht besser als er.«

Wie es schien, stand ihr Ruf in der Stadt schon fest.

Nach dem Theater ging ich allein nach meinem Gasthof zurück, wo der Kellner mir erzählte, daß Piccolomini in aller Eile mit seinem Kammerdiener abgereist wäre und nur ein kleines Köfferchen mitgenommen hätte. Die Ursache dieser überstürzten Abreise kannte er nicht; gleich darauf aber erschien die Gräfin, und die Kammerzofe flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie sagte mir, der Graf sei abgereist, weil er sich geschlagen habe; aber das komme sehr oft vor. Sie lud mich und Walpole zum Essen ein, und ihrem Appetit war es nicht anzusehen, daß sie so plötzlich von ihrem Gatten getrennt worden war.

Gegen Ende des Abendessens kam ein Engländer, der an der Whistpartie teilgenommen hatte, und sagte Walpole, der Italiener sei beim Mogeln ertappt worden; er habe es dem anderen Engländer gegenüber geleugnet, als er es ihm vorgeworfen habe, und sie seien miteinander hinausgegangen. Eine Stunde später war der Engländer mit zwei Degenstichen, einem im Vorderarm und dem anderen in der Schulter, in den Gasthof zurückgekehrt. Es war eine Lappalie.

Als ich am nächsten Tage von dem Grafen Affry, der mich zum Essen eingeladen hatte, in den Gasthof zurückkehrte, gab man mir einen Brief vom Grafen Piccolomini; er war von einem besonderen Boten überbracht worden und enthielt einen anderen Brief an seine Frau, der Graf bat mich, ihr den Brief zu übergeben, der seine Anweisungen enthielte, sie darauf nach Amsterdam zu begleiten und sie in die »Stadt Lyon« zu führen, wo er wohnte. Er erkundigte sich auch, wie der von ihm verwundete Engländer sich befände.

Der Auftrag kam mir komisch vor, und ich würde herzlich darüber gelacht haben, wenn ich auch nur die geringste Lust gehabt hätte, sein Vertrauen mir zunutze zu machen. Indessen ging ich doch zur Signora, die in ihrem Bett saß und mit Walpole Karten spielte. Sie las den Brief, sagte mir, sie könne erst am nächsten Tage reisen, und nannte mir die Stunde der Abfahrt, wie wenn damit die Sache erledigt wäre. Ich machte sie jedoch mit einem ziemlich ironischen Lächeln darauf aufmerksam, daß ich meiner Geschäfte wegen im Haag bleiben müßte und sie daher nicht begleiten könnte. Als Walpole den Stand der Dinge erfuhr, erbot er sich, mich zu vertreten; ich hatte dies erwartet, und die Schöne nahm sein Anerbieten an. Wirklich reisten sie am nächsten Tage ab, um in Leyden zu übernachten.

Zwei Tage später setzte ich mich zur Essenszeit mit der gewöhnlichen Gesellschaft, die durch zwei neu eingetroffene Franzosen vermehrt war, zu Tisch. Nach der Suppe sagte der eine von ihnen, jedenfalls in böser Absicht: »Der berühmte Casanova soll jetzt in Holland sein.«

»So?« sagte der andere; »es wäre mir sehr lieb, ihn zu treffen, um von ihm eine Erklärung zu verlangen, die ihm nicht angenehm sein würde.«

Ich sah den Menschen an und war gewiß, daß ich niemals etwas mit ihm zu tun gehabt hatte. Ich fühlte mir das Blut ins Gesicht steigen, beherrschte mich aber und fragte ihn in ruhigem Tone, ob er Casanova kenne.

»Ich muß ihn wohl kennen,« antwortete er in jenem selbstgefälligen Ton, der stets mißfällt.

»Nein, mein Herr, Sie kennen ihn nicht; denn dieser Herr Casanova bin ich.«

Ohne außer Fassung zu geraten und sogar mit frecher Miene antwortete jener: »Potzblitz! Sie irren sich ganz gewaltig, wenn Sie glauben. Sie seien der einzige Casanova auf der Welt.«

Die Antwort war geschickt und setzte mich ins Unrecht. Ich biß mir die Lippen und schwieg; aber ich fühlte mich beleidigt und war fest entschlossen, ihn zu zwingen, mir jenen Casanova zu finden, der in Holland sein sollte, und den er zu einer unangenehmen Auseinandersetzung nötigen wollte. Einstweilen mußte ich es mir gefallen lassen, mehreren Offizieren gegenüber, die mit uns am Tische saßen, eine traurige Figur zu spielen. Sie hatten die unpassenden Bemerkungen des jungen Windbeutels gehört und konnten glauben, daß es mir an Mut fehlte. Der Unverschämte mißbrauchte meine Lage und den Vorteil, in dem er sich scheinbar durch seinen Sieg befand, und schwatzte alles mögliche Zeug durcheinander. Er nahm sich sogar heraus, mich zu fragen, aus welchem Lande ich wäre.

»Ich bin Venetianer, mein Herr.«

»Also ein guter Freund der Franzosen; denn Ihre Republik steht ja unter dem Schutze Frankreichs.«

Diese Worte machten mich so ärgerlich, daß ich nicht mehr an mich halten konnte: in dem Tone, den man gebraucht, wenn man einen Unverschämten zurückweisen will, erwiderte ich ihm, die Republik Venedig sei mächtig genug, daß sie niemals von Frankreich oder irgendeiner anderen Macht sich beschützen zu lassen nötig gehabt habe; in den dreizehn Jahrhunderten ihres Bestehens habe sie Freunde und Verbündete gehabt, niemals aber Beschützer.

»Vielleicht werden Sie zur Entschuldigung Ihrer Unwissenheit mir antworten, daß es mehr als eine Republik Venedig auf dieser Welt gebe.«

Kaum hatte ich diese Rede beendet, als ein schallendes Gelächter aller Tischgäste mir das Leben wiedergab. Mein Windbeutel schien außer Fassung gebracht zu sein und biß sich nun seinerseits auf die Lippen; beim Nachtisch aber fand er zu seinem Unglücke die Sprache wieder. Die Unterhaltung flatterte wie gewöhnlich von einem Gegenstand zum anderen und kam auch auf den Grafen Albemarle. Die Engländer rühmten ihn und sagten, wenn er am Leben geblieben wäre, würde es keinen Krieg zwischen Frankreich und England gegeben haben. Dies war allerdings wahrscheinlich, aber doch nicht gewiß; denn es wird noch lange dauern, bis die beiden großen Nationen begreifen, daß sie alle beide ihren Vorteil dabei finden würden, wenn sie in gutem Einvernehmen lebten. Ein anderer Engländer lobte Albemarles Geliebte, Lolotte. Ich machte die Bemerkung, ich hätte diese reizende Dame bei der Frau Herzogin von Fulvi kennen gelernt, und keine habe mehr als sie Gräfin Eronville zu werden verdient. Graf Eronville, Generalleutnant und Schriftsteller, hatte sie kurz vorher geheiratet.

Kaum hatte ich dies gesagt, so sah mein Hasenfuß mich lachend an und sagte mir, Lolotte sei allerdings eine höchst verdienstvolle Person; er müsse das wissen, denn er habe bei der Pâris mit ihr geschlafen. Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten, Unwille und Zorn überwältigten mich. Ich ergriff meinen Teller, zeigte ihm dessen untere Seite und schickte mich an, ihm denselben an den Kopf zu werfen; dabei rief ich ihm zu: »Unverschämter Lügner!«

Er stand auf und stellte sich vor den Kamin, mit dem Rücken nach dem Feuer zu. An der Troddel, die an seinem Degengriff hing, erkannte ich, daß er Soldat war.

Die Anwesenden taten, als hätten sie das Vorgefallene nicht bemerkt; es wurde noch einige Augenblicke von diesem und jenem gesprochen; dann standen alle auf und gingen hinaus.

Mein Gegner sagte zu seinem Kameraden, sie würden sich im Theater wiedersehen; er blieb gegen das Kamingesimse gelehnt stehen. Ich blieb am Tisch sitzen, bis alle hinaus waren; als ich mich mit ihm allein sah, stand ich auf, sah ihn fest an, verließ den Saal und ging den Weg nach Scheveningen entlang. Ich war überzeugt, daß er mir folgen würde, wenn er Mut hätte. Als ich ein Stück vom Gasthof entfernt war, wandte ich den Kopf zurück und sah ihn in einer Entfernung von fünfzig Schritten mir nachkommen. Als ich im Walde war, machte ich an einem passenden Platze Halt und erwartete meinen Gegner. Er war noch zehn Schritte entfernt, als er schon den Degen zog, und ich konnte daher, ohne zurückzuweichen, ebenfalls blank ziehen, obgleich er schnell ging. Der Kampf dauerte nicht lang; denn sobald er im Bereiche meines Degens war, traf ihn mein gerader Stoß, der mir niemals versagt hat, und er wich schneller zurück, als er gekommen war. Er war oben an der rechten Brust verwundet; da aber zum Glück mein Degen stumpf und die Wunde ziemlich breit war, so blutete sie leicht. Ich senkte meinen Degen und eilte auf ihn zu; aber er brauchte meine Hilfe nicht und sagte mir, wir würden uns in Amsterdam wiedersehen, wenn ich dorthin ginge, und dann würde er sich Vergeltung verschaffen. Ich habe ihn erst nach fünf oder sechs Jahren in Warschau wieder gesehen, wo ich zu seinen Gunsten eine Sammlung veranstaltete. Ich erfuhr später, daß er Varnier heiße; ich weiß jedoch nicht, ob es derselbe ist, der unter dem niederträchtigen Robespierre Präsident des Konvents war.

Ich kam erst nach dem Theater nach Hause und hörte, daß der Franzose eine Stunde auf dem Zimmer mit dem Wundarzt zugebracht habe und dann mit seinem Kameraden nach Rotterdam abgereist sei. Das Abendessen war fröhlich, die Unterhaltung angenehm, und von dem Vorfall wurde kein Wort gesprochen; nur bemerkte eine englische Dame, ich weiß nicht mehr bei welcher Gelegenheit, ein Ehrenmann dürfe es nicht wagen, sich an einen Wirtshaustisch zu setzen, wenn er nicht trotz aller möglichen Vorsicht entschlossen sei, sich zu schlagen. Dies war zu jener Zeit sehr wahr; denn um eines übel aufgefaßten Wortes wegen mußte man den Degen ziehen und sich allen ärgerlichen Folgen eines Zweikampfes aussetzen oder mit Fingern auf sich zeigen lassen, selbst von Damen.

Da ich im Haag nichts mehr zu tun hatte, so reiste ich nach Tagesanbruch nach Amsterdam ab. Unterwegs traf ich auf der Station, wo ich zu Mittag speiste, Sir James Walpole; er erzählte mir, er sei am Tage vorher von Amsterdam wieder abgereist, eine Stunde nachdem er die schöne Gräfin ihrem Gatten übergeben habe. Er war ihr schon vollständig überdrüssig gewesen, da eine Frau, die mehr gab, als man von ihr verlangte, wenn man nur willig die Börse öffnete, ihm nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Gegen Mitternacht kam ich in Amsterdam an und stieg in der »Zweiten Bibel« ab. Esthers Nachbarschaft hatte meine Liebe zu dieser reizenden Person wieder erregt, und vor Ungeduld, sie wieder zu sehen, konnte ich nicht schlafen.

Gegen zehn Uhr ging ich aus und begab mich sofort zu Herrn d’O., der mich mit den herzlichsten Freundschaftsbeteuerungen empfing und mir liebenswürdige Vorwürfe machte, daß ich nicht bei ihm abgestiegen wäre. Als er erfuhr, daß ich meine Fabrik aufgegeben hatte, wünschte er mir Glück, daß ich sie nicht nach Holland verlegt hätte, wo ich mich zugrunde gerichtet haben würde. Ich sagte ihm nicht, daß es mir in Frankreich nicht viel besser gegangen wäre, denn dies lag nicht in meinem Plan. Er beklagte sich bitter über die Unredlichkeiten des französischen Hofes, wodurch er beträchtliche Verluste erlitten hätte; hierauf sagte er mir, ich möchte Esther aufsuchen.

Ich war so ungeduldig, sie zu sehen, daß ich mir dies nicht zweimal sagen ließ. Ich eilte zu ihr. Sobald dies reizende Mädchen mich erblickte, schrie sie vor Überraschung und Freude laut auf und stürzte sich in meine Arme, die sie mit zärtlicher Begeisterung empfingen. Ich fand sie größer geworden und reifer entwickelt; sie war köstlich. Kaum hatten wir Platz genommen, so beeilte sie sich, mir zu beweisen, daß sie von der Kabbala jetzt ebensoviel verstand wie ich. Sie sagte zu mir: »Sie ist das Glück meines Lebens, denn durch sie beherrsche ich den Willen meines Vaters und habe infolgedessen die Gewißheit, daß er mich niemals mit einem anderen verheiraten wird, als mit einem Manne meiner eigenen Wahl.«

»Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr ausgezeichneter Geist aus dieser eitlen Wissenschaft den einzigen Nutzen zieht, den sie herzugeben vermag; nämlich schwache Geister zu leiten. Aber Ihr Vater muß glauben, daß Sie dies Geheimnis von mir haben.«

»Ja, das glaubt er, und er sagte mir eines Tages, er verzeihe mir alle Opfer, die ich Ihnen vielleicht gebracht hätte, um Ihnen diese kostbare Kenntnis zu entlocken.«

»Er ist vielleicht weiter gegangen als wir, meine göttliche Esther.«

»Ich glaube es, lieber Freund, aber ich sagte ihm, ich hätte Ihnen diese Kenntnis entwendet, ohne irgendein Opfer zu bringen. Ich bin wie Sie eine antwortende Gottheit geworden, eine wahre Pythia, die aber nicht die Qualen des Dreifußes zu ertragen hat; denn ich bin überzeugt, daß Ihre Antworten nur aus Ihren Berechnungen entspringen.«

»Aber wenn Ihre Annahme richtig wäre, liebe Freundin, wie hätte ich dann sagen können, wo die Brieftasche lag, und wie hätte ich die Ankunft des Schiffes prophezeien können.«

»Die Brieftasche haben Sie selber durch das Loch gestoßen, nachdem Sie sie gefunden hatten; und das Eintreffen des Schiffes, mein Lieber, das haben Sie auf gut Glück geweissagt; aber da Sie eine ehrliche Seele haben, so sind Sie darum recht in Angst gewesen – gestehen Sie das nur! Ich für meine Person werde niemals so kühn sein, und wenn mein Vater mir Fragen von dieser Art vorlegt, sind meine Antworten stets dunkler als die einer Sibylle. Ich will nicht, daß er sein Vertrauen zu meinem Orakel verliert, und ich will mir nicht den Vorwurf machen müssen, die Ursache eines Unglückes zu sein, das mir selber sehr nahe gehen wird.«

»Wenn dieser Irrtum Sie glücklich macht, so muß ich Sie darin belassen, um so mehr da ich, meine liebe Esther, die Erhabenheit Ihres Talentes bewundere. Sie sind einzig!«

»An Ihrer Bewunderung liegt mir nichts,« antwortet sie mir etwas empfindlich, »ich wünsche ein aufrichtiges Geständnis.«

»Weiter kann ich nicht gehen.« Diese Worte, die ich im ernsten Tone sprach, machten Esther nachdenklich; aber es lag mir daran, meine geistige Überlegenheit ihr gegenüber nicht zu verlieren, und ich tat mir Gewalt an, um ihren Wunsch nicht zu erfüllen. Ich zerbrach mir den Kopf, um ihr irgendetwas zu prophezeien, was nicht allzu sinnfällig war; während ich darüber nachdachte, meldete man uns, daß wir bei Tische erwartet würden.

Wir waren vier zu Tische, und es schien mir, als ob der vierte in Esther verliebt wäre, denn er verwandte kein Auge von ihr. Er war der Lieblingsgehilfe des Vaters, der mit Vergnügen gesehen haben würde, wenn seine Tochter sich in ihn verliebt hätte; aber ich sah bald, daß er nicht die nötigen Eigenschaften besaß, um sie neugierig auf seine Person zu machen. Esther war während der ganzen Mahlzeit schweigsam, und wir sprachen von der Kabbala erst, als er sich entfernt hatte.

»Ist es möglich,« fragte Herr d’O. mich, »daß meine Tochter die Anwendung Ihres Orakels hat lernen können, ohne von Ihnen unterrichtet worden zu sein?«

»Ich habe dies bis heute stets für unmöglich gehalten; aber Esther hat mich überzeugt, daß ich mich geirrt hatte. Ich kann meine Wissenschaft keinem Menschen beibringen, ohne sie selber zu verlieren; denn der Eid, den ich selbst dem weißen Einsiedler ablegte, der sie mich lehrte, verbietet es mir bei dieser Strafe. Da Ihr Fräulein Tochter keinen solchen Eid abgelegt und die Wissenschaft aus sich selber gelernt hat, so kann sie sie nach freiem Belieben mitteilen, wem sie will.«

Die kluge Esther aber sagte schnell, die Zurückhaltung, die der weiße Einsiedler mir auferlegt hätte, wäre ihr durch ihr Orakel geboten worden; es wäre ihr nicht gestattet, das kabbalistische Geheimnis ohne Erlaubnis des Genius mitzuteilen, wenn sie nicht selber dessen Gebrauch verlieren wollte.

Ich las im tiefsten Grunde ihrer Seele und sah mit Freuden, daß sie sich wieder beruhigt hatte. Mochte ich sie belogen haben oder nicht, jedenfalls schuldete sie mir Dank, denn durch mich hatte sie ein Übergewicht über ihren Vater erlangt, das sie von seiner väterlichen Liebe nicht hätte erwarten dürfen. Sie sah jedoch, daß ich nur aus Höflichkeit gehandelt hatte, und wünschte, daß ich ihr dies unter vier Augen gestehen sollte.

Der brave Kaufmann, der von ganzer Seele an die Unfehlbarkeit unserer Orakel glaubte, stellte aus Neugier uns beiden die gleiche Frage, um zu sehen, ob wir miteinander übereinstimmten. Esther fand den Einfall Ihres Vaters sehr gut, denn sie wollte gerne wissen, ob nicht die eine Antwort schwarz und die andere weiß lauten würde. Herr d’O. schrieb seine Frage auf zwei Blätter und gab jedem von uns eins davon. Esther ging in ihr Zimmer, um ihre Berechnung zu machen; ich aber machte die meinige auf dem Tische, woran wir gegessen hatten, und in Gegenwart ihres Vaters. Sie war flink, denn sie trat schon wieder ein, bevor ich noch aus meiner Zahlenpyramide die Buchstaben ausgezogen hatte, aus denen sich meine Antwort zusammensetzen sollte; da ich jedoch wußte, was ich sagen sollte, so gab ich dem Vater meine Antwort, sobald ich das Orakel seiner Tochter in seinen Händen sah.

Herr d’O. fragte, ob er sich aller französischen Papiere, die er besäße, entledigen sollte, obgleich er durch den Verkauf Verlust haben würde.

Esthers Orakel antwortete: »Aufgeklärte Vorsicht säet, um mit Nutzen zu ernten, und hütet sich, die Pflanze vor der Ernte auszureißen; die deinige steht auf einem guten Boden.«

Die Antwort meines Orakels lautete: »Wenn Sie verkaufen, erwartet Sie Reue, denn ein neuer Generalkontrolleur wird vor Ablauf eines Jahres alles bezahlen.«

Esthers Antwort war im sibyllinischen Ton gehalten; ich bewunderte die geistige Schmiegsamkeit des reizenden Mädchens. Mein Orakel war den Verstandesgaben des wackeren Mannes angepaßt, der voll Entzücken zärtlich uns beide umarmte und hierauf Hut und Stock nahm und uns sagte, infolge der Übereinstimmung unserer Antworten werde er im Laufe des Jahres fünf- oder sechshunderttausend Franken gewinnen, indem er drei Millionen aufs Spiel setze. Hiergegen erhob seine Tochter Einspruch, indem sie versuchte, ihn durch einen Hinweis auf die Gefahr zu warnen; er aber war entschlossen wie ein Muselmann, küßte sie noch einmal und sagte zu ihr: »Das Orakel lügt nicht; und selbst wenn es mich diesmal täuschte, würde ich nur den vierten Teil meines Vermögens verlieren.«

Esther blieb mit mir allein zurück und war sehr erfreut über die Komplimente, die ich wegen ihrer schönen Antwort, wegen der Eleganz ihres kabbalistischen Stiles und wegen ihrer Kühnheit ihr machte; denn sie konnte nicht, wie ich, von den französischen Angelegenheiten Bescheid wissen.

»Ich danke Ihnen«, sagte sie zu mir, »daß Sie meine Antwort bekräftigt haben; aber gestehen Sie, Sie haben gelogen, um mir ein Vergnügen zu machen.«

»Ich gestehe es, da dies Sie glücklich macht; ich will Ihnen sogar sagen, daß Sie nicht nötig haben, nach einer höheren Vollendung zu streben, als Sie sie schon besitzen.«

»Mit anderen Worten: ich kann die höchste Vollendung nie erreichen! Sagen Sie mir die Wahrheit darüber.«

»Ich gebe es zu, denn es liegt mir daran, mir Ihren Beifall zu erringen.«

»Sie sind ein grausamer Mensch! Sie haben aber doch geantwortet, Frankreich werde dieses Jahr einen anderen Generalkontrolleur erhalten, und so bringen Sie sich in Gefahr, Ihr Orakel bloßzustellen. Das würde ich niemals wagen. Mein liebes Orakel! Ich liebe es zu sehr, um es einer solchen Beschämung auszusetzen.«

»Das beweist, daß ich nicht der Urheber des Orakels bin; aber, weil mein Orakel es mir gesagt hat, würde ich jede Wette eingehen, daß Silhouette entlassen werden wird.«

»Sie bringen mich zur Verzweiflung mit Ihrer Halsstarrigkeit, lieber Freund; denn ich werde erst glücklich sein, wenn ich sicher bin, das Orakel ebenso zu beherrschen wie Sie – weder mehr noch weniger! Und jetzt werden Sie nicht mehr sagen können, daß Sie die Orakel nicht nach Gutdünken machen. Ich bitte Sie, mich vom Gegenteil zu überzeugen.«

»Ich werde Ihnen zuliebe daran denken, meine teure Esther.«

So verbrachte ich den ganzen Tag mit dem reizenden Kinde, das in seinen eigenen Vorzügen sowohl wie in seinem großen Vermögen alles besaß, um mich glücklich zu machen, wenn nicht meine Liebe zur Unabhängigkeit stärker gewesen wäre als alle meine anderen Leidenschaften, und vor allen Dingen, wenn ich mich hätte entschließen können, mich für immer in Holland niederzulassen.

Ich habe im Laufe meines Lebens oft die Beobachtung gemacht, daß fast immer meine angenehmsten Augenblicke gleichsam die Vorläufer irgendeiner Unannehmlichkeit waren. Am Tage nach diesem köstlichen führte mein böser Geist mich in die »Stadt Lyon«. In diesem Gasthof wohnten Piccolomini und seine Frau, die ich von einer Bande von Gaunern und Taugenichtsen von gleicher Art umgeben fand. Sobald diese ehrenwerten Leute meinen Namen gehört hatten, eilten sie mir alle entgegen, einige, um mich zu begrüßen, andere, um mich wie ein Wundertier anzustaunen. Ein Chevalier de Sabi, welcher polnische Majorsuniform trug, behauptete, mich in Dresden gekannt zu haben; ein Baron von Wiedau, angeblich aus Böhmen stammend, teilte mir mit, sein Freund, der Graf von St.-Germain, sei im »Morgenstern« abgestiegen und habe sich sofort erkundigt, ob ich in Amsterdam sei. Ein pockennarbiger Klopffechter wurde mir als Chevalier de la Perine vorgestellt; ich erkannte in ihm sofort jenen Talvis, der dem Fürstbischof von Preßburg die Bank gesprengt und mir an demselben Abend hundert Louis geliehen hatte; es war derselbe Herr, dem ich einige Zeit vorher in Paris einen Degenstich verabfolgt hatte. Endlich war da noch ein anderer Italiener, namens Neri, der wie ein Kesselflicker von St.-Flour aussah und sich auch so benahm, abgesehen von der Ehrlichkeit; dieser sagte mir, er erinnere sich, mich eines Abends im »Musico« gesehen zu haben; dies war jene Lasterhöhle, wo ich die unglückliche Lucia getroffen hatte.

Unter allen diesen Halsabschneidern befand sich auch die angebliche Frau des Chevaliers Sabi, eine ziemlich hübsche Sächsin, die, so gut es eben ging, italienisch sprach und der Gräfin Piccolomini den Hof machte. Vor Ärger, mich in dieser ehrenwerten Gesellschaft zu sehen, biß ich mir in die Lippen, aber ich mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. Darum machte ich den Anwesenden eine höfliche Verbeugung, zog aus der Westentasche eine Rolle von hundert Louis und überreichte sie dem Herrn von und zu Perine-Talvis, indem ich ihm sagte, ich schätze mich glücklich, sie ihm mit bestem Dank zurückgeben zu können.

Meine Höflichkeit fand eine schlechte Aufnahme, denn dieser unverschämte Bediente steckte die Rolle ein und sagte zu mir, er erinnere sich wohl, mir in Preßburg die hundert Louis geliehen zu haben, darüber habe er eine andere, wichtigere Sache nicht vergessen.

»Und was ist das für eine Sache?« fragte ich ihn mit kühler und halb verächtlicher Miene.

»Sie sind mir noch Genugtuung mit dem Degen schuldig, wie Sie wohl wissen. Hier ist noch die Narbe von dem Knopfloch, das Sie mir vor sieben Jahren gemacht haben.«

Mit diesen Worten hatte das Männchen seine große Spitzenkrause geöffnet und zeigte die kleine Narbe dem Kreise der Anwesenden. Dieser mehr possenhafte als komische Auftritt schien alle Zungen gelähmt zu haben.

Ich erwiderte ihm: »Hier in Holland schlage ich mich nicht, weil Geschäfte sehr zarter Natur mir Zurückhaltung zur Pflicht machen; an jedem anderen Ort werde ich mich nicht weigern, Sie ein zweites Mal zu zeichnen, falls Sie dann noch Lust haben sollten, sich abermals mit mir zu messen. Hier aber bitte ich Sie mich in Ruhe zu lassen. Wollen Sie sich bitte merken, daß ich niemals ausgehe, ohne ein paar gute Freunde in der Tasche zu haben; sollten Sie Lust bekommen, mich anzugreifen, so würde ich Ihnen in berechtigter Notwehr eine Kugel durch den Kopf jagen.«

»Ich verlange nur meine Genugtuung mit dem Degen; aber ich will Ihnen Zeit lassen, Ihre Geschäfte zu erledigen.«

»Daran tun Sie klug.«

Piccolomini hatte schon ein Auge auf meine hundert Louis geworfen; er schlug vor, eine Pharaobank aufzulegen, und begann sofort abzuziehen. Die Klugheit hätte mich abhalten sollen, in so schlechter Gesellschaft mich am Spiel zu beteiligen; aber die Lust, meine Goldrolle wieder zu gewinnen, war stärker als meine Vernunft, und ich ließ mir ein Buch Karten geben. Im Handumdrehen verlor ich hundert Dukaten; aber hierdurch wurde ich nur noch aufgeregter, wie es ja gewöhnlich der Fall ist. Um meinen Verlust wieder auszuwetzen, blieb ich zum Abendessen; als ich nachher das Spiel wieder begann, war ich glücklicher und gewann mein verlorenes Geld wieder zurück. Ich war zufrieden, hiermit davongekommen zu sein, und opferte vernünftigerweise die hundert Louis, mit denen ich ja nur eine Schuld bezahlt hatte. Ich verlangte von Piccolomini Auszahlung, und dieser gab mir einen Wechsel, der von einem Handlungshause in Middelburg auf die Amsterdamer Bank gezogen war. Ich wollte ihn anfangs nicht annehmen, indem ich vorgab, daß das Inkasso mir Umstände machen würde; als er mir jedoch versprach, mir den Betrag am nächsten Morgen in bar auszahlen zu wollen, glaubte ich nachgeben zu müssen.

Ich beeilte mich, diese Räuberhöhle zu verlassen, nachdem ich Talvis ein Darlehen von hundert Louis abgeschlagen hatte, die er zur Revanche von mir entlehnen wollte. In seinem Verdruß über meine Weigerung und über den Verlust der von mir erhaltenen hundert Louis erlaubte er sich beleidigende Ausdrücke, die ich mit Verachtung hinnahm. Ich ging zu Bett, indem ich mir fest vornahm, einen solchen Ort nicht mehr zu betreten.

Trotzdem ging ich am nächsten Tage aus, um mir von Piccolomini den Betrag des Wechsels auszahlen zu lassen; unterwegs trat ich jedoch in ein Cafs ein, wo ich zufällig Teresas Freund Rigerboos traf, den der Leser bereits kennen gelernt hat. Nachdem wir uns umarmt und von Teresa gesprochen hatten, die damals in London war und dort sehr gute Geschäfte machte, zeigte ich ihm meinen Wechsel und erzählte ihm, wie ich dazu gekommen war. Er prüfte ihn aufmerksam und sagte mir dann: »Dieser Wechsel ist falsch. Der echte, dessen Abschrift dieser hier ist, wurde gestern eingelöst.« Als er sah, daß ich ihm dies nicht recht glauben wollte, fuhr er fort: »Kommen Sie mit; ich werde Sie überzeugen.«

Er führte mich zu einem ihm bekannten Kaufmann, und ich sah bei diesem den echten Wechsel, dessen Wert er am Tage vorher einem Unbekannten ausbezahlt hatte. Entrüstet bat ich Nigerboos, mich zu Piccolomini zu begleiten, der mir vielleicht den Betrag ohne Schwierigkeit auszahlen würde. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so könnte er mir als Zeuge dienen.

Wir begaben uns zu dem angeblichen Grafen, der mich höflich empfing und mich bat, ihm den Wechsel auszuhändigen; er wolle ihn sofort zu dem Kaufmann schicken, um den Betrag in Empfang zu nehmen. Rigerboos ergriff jedoch das Wort und sagte ihm, der Kaufmann werde den Wechsel nicht bezahlen, weil dieser nur eine Abschrift des am Tage vorher bezahlten sei. Piccolomini tat sehr erstaunt und sagte, das sei unmöglich; übrigens werde er der Sache auf den Grund gehen.

Ich antwortete ihm hierauf: »Gehen Sie ihr auf den Grund, soviel Sie Lust haben, aber geben Sie mir unterdessen fünfhundert Gulden.«

Nun erhob er die Stimme und rief: »Sie kennen mich! Ich bürge für den Betrag, und dies muß Ihnen genügen.«

»Dies könnte mir allerdings genügen, wenn ich wollte; aber ich verlange mein Geld.«

Seine Frau kam herein und mischte sich in unser Gespräch. Als jedoch auch sein Bedienter, ein Kerl mit einem Halsabschneidergesicht eintrat, packte Rigerboos mich kräftig am Arm, zog mich hinaus und sagte mir, sobald wir draußen an der Tür waren: »Kommen Sie mit, und lassen Sie mich machen.«

Er führte mich zu einem Herrn von edelstem Aussehen; es war der Polizeipräsident. Sobald er gehört hatte, worum es sich handelte, sagte er mir, ich möchte ihm den Wechsel dalassen und ihm nur angeben, wo ich an dem Tage speisen würde. Ich nannte ihm das Haus des Herrn d’O.; er erklärte, dies genüge ihm, und wir gingen.

Ich dankte Rigerboos und begab mich zu Esther, die mich mit zärtlichen Vorwürfen darüber empfing, daß ich mich den Tag vorher nicht bei ihr hatte sehen lassen. Dieser Empfang war schmeichelhaft für mich; ich fand sie reizend und sagte zu ihr: »Ich muß mich sehr in acht nehmen, Sie nicht jeden Tag zu besuchen; denn Ihre Augen üben auf mein Herz eine Herrschaft aus, der ich bald nicht länger mehr werde widerstehen können.«

»Gestatten Sie mir, dies nicht zu glauben, lieber Freund; aber da fällt mir ein: Haben Sie sich überlegt, wie Sie mich überzeugen wollen?«

»Auf welche Art wünschen Sie überzeugt zu sein?«

»Wenn Ihre Kabbala wirklich eine Intelligenz ist, die mit Ihrer eigenen nichts zu tun hat, so können Sie sie ja befragen, auf welche Weise Sie mir am besten meinen Irrtum benehmen können.«

»Ich finde Ihren Gedanken ausgezeichnet und verspreche Ihnen, mich damit zu beschäftigen.«

In diesem Augenblick kam ihr Vater von der Börse zurück, und wir gingen zu Tisch. Als wir beim Nachtisch saßen, kam ein Polizeigefreiter, der mir im Auftrag des Magistrats fünfhundert Gulden überbrachte, über deren Empfang ich ihm quittieren mußte.

Als der Mann wieder fort war, erzählte ich meinen Gastfreunden meine Erlebnisse vom Tage vorher und vom Morgen. Die schöne Esther machte mir Vorwürfe, daß ich eine so schlechte Gesellschaft ihr vorgezogen hätte, und sagte: »Strafe muß sein! Ich hoffe, Sie werden sich nicht weigern, mich heute Abend ins Theater zu begleiten, obgleich dort eine holländische Komödie aufgeführt wird, von der Sie kein Wort verstehen werden.«

»Ich werde das Vergnügen haben, mich an Ihrer Seite zu befinden, und dies genügt.«

Wirklich verstand ich vom ganzen Kauderwelsch der Schauspieler kein Wort und langweilte mich fürchterlich, denn Esther war zum Verzweifeln ernst.

Als wir wieder zu Hause waren, erzählte sie mir auf die anmutigste Art und mit erstaunlichem Gedächtnis das ganze Stück, als wollte sie mich für die Art von Frondienst entschädigen, den ich hatte leisten müssen. Hierauf speisten wir zur Nacht, und an diesem Abend war Gott sei Dank von Kabbala nicht mehr die Rede. Bevor wir uns trennten, nahmen Esther und ihr Vater mir das Versprechen ab, jeden Tag bei ihnen zu speisen, und ich verpflichtete mich, ihnen Bescheid zu geben, falls ich einmal daran verhindert sein sollte.

Am nächsten Morgen um acht Uhr, als ich noch im Schlafrock war, sah ich plötzlich Piccolomini vor mir stehen. Da er eingetreten war, ohne sich anmelden zu lassen, so erregte dies meinen Verdacht, und ich klingelte meinem Spanier, der augenblicklich erschien.

»Ich habe Ihnen etwas im geheimen zu sagen,« begann Piccolomini; »wollen Sie bitte den Mann herausgehen lassen.«

»Er versteht kein Wort Italienisch und kann daher bleiben.«

Leduc verstand alles.

»Gestern gegen Mittag,« sagte Piccolomini, »traten zwei Männer bei mir ein; sie hatten meinen Wirt bei sich, der ihnen als Dolmetscher diente. Der eine von ihnen fragte mich, ob ich bereit wäre, sofort einen falschen Wechsel von fünfhundert Gulden einzulösen, den ich Ihnen am Tage vorher gegeben hätte. Zugleich zeigte er mir diesen Wechsel, den er in der Hand hielt. Als ich nicht sofort antwortete, fügte er hinzu, ich müßte ohne Umschweife und ohne zu zögern ja oder nein sagen; dies hätte der Polizeipräsident befohlen. Da mir nichts anderes mehr übrig blieb, so bezahlte ich die fünfhundert Gulden. Es gelang mir jedoch nicht, den Wechsel herauszubekommen, denn der Mann ließ mir sagen, ich würde ihn erst erhalten, wenn ich angegeben hätte, von wem ich den Wechsel hätte, da es nach dem Handelsgesetz erforderlich wäre, den Fälscher zu verfolgen. Ich antwortete, es wäre mir unmöglich, diese Person zu bezeichnen, denn ich hätte den Wechsel von einem Fremden erhalten, der sich in mein Zimmer eingedrängt hätte, während ich zum Zeitvertreib eine kleine Pharaobank auflegte. Ich hätte angenommen, dieser Unbekannte wäre von irgendeinem Mitgliede unserer Gesellschaft eingeführt worden, hätte jedoch zu meiner Überraschung nach seinem Fortgehen erfahren, daß er allen Anwesenden vollkommen unbekannt wäre; hätte ich dies gewußt, so würde ich nicht nur den Wechsel nicht angenommen haben, sondern ich würde ihm nicht einmal erlaubt haben, sich am Spiel zu beteiligen. Hierauf sagte der zweite Beamte zu mir, ich sollte mich nur bemühen, diesen Unbekannten ausfindig zu machen; sonst würde man mir die Fälschung zuschreiben und das Gericht würde gegen mich einschreiten. Nach dieser Drohung entfernten sie sich. – Im Laufe des Nachmittags suchte meine Frau den Polizeipräsidenten auf, der sie höflich empfing. Nachdem er ihre Beschwerde angehört hatte, ließ er ihr durch den Dolmetscher antworten, es wäre seine Pflicht, den Urheber der Wechselfälschung zu entdecken, zumal da ein Verdacht auf die Ehre des Herrn Casanova fallen könnte; denn der Kaufmann könnte auch Sie verfolgen lassen, um festzustellen, wer seine Unterschrift gefälscht hätte, und Sie müßten sich natürlich an mich halten. – Sie sehen, in welcher Verlegenheit wir sind, und Sie müssen versuchen, uns herauszureißen. Sie haben Ihr Geld bekommen, und Sie haben Freunde. Lassen Sie diese einschreiten, und man wird von der Geschichte nicht mehr sprechen. Sie haben dasselbe Interesse daran wie ich.«

Ich antwortete ihm: »Ich kann mich mit der ganzen Geschichte nicht abgeben außer als Zeuge. Sie haben anerkannt, daß ich den Wechsel von Ihnen hätte, denn Sie haben ihn bezahlt; dies genügt mir. Ich möchte Ihnen gerne gefällig sein, aber ich sehe keine Möglichkeit dazu und wüßte wirklich nicht, was ich dabei tun könnte. Ich kann Ihnen nur den guten Rat geben: opfern Sie den niederträchtigen Gauner, der Ihnen den falschen Wechsel gegeben hat, oder, wenn Sie dies nicht können, so verschwinden Sie so schnell wie möglich, denn Sie könnten womöglich ins Zuchthaus kommen, wenn es Ihnen nicht noch schlechter geht.«

Er wurde wütend, drehte mir den Rücken und entfernte sich mit den Worten, ich würde es bereuen.

Mein Spanier begleitete ihn bis an die Treppe und sagte mir, als er wieder hereinkam, der Signor hätte mit Rache gedroht, und ich sollte lieber auf der Hut sein.

»Schon gut; aber halte den Mund!«

Indessen war ich ihm innerlich sehr dankbar für seinen Rat: übrigens hatte ich schon selber daran gedacht.

Ich kleidete mich an, um zu Esther zu gehen, die ich von der Göttlichkeit meines Orakels zu überzeugen hatte. Dies war eine sehr gewagte Sache einer Person gegenüber, die es mit ihrem durchdringenden Verstand aus eigener Kraft so weit gebracht hatte. Sie stellte mir folgende Aufgabe: »Ihr Orakel soll mir etwas enthüllen, was nur mir selber bekannt sein kann.« Ich durfte mich ganz gewiß nicht auf ein Wagnis einlassen, und da ich fühlte, daß es fast unmöglich war, ihren Wunsch zu befriedigen, so sagte ich ihr, das Orakel würde vielleicht irgendein Geheimnis offenbaren, dessen Kenntnis ihr unangenehm sein könnte.

»Das ist nicht möglich,« antwortete sie; »denn das Geheimnis darf ja nur mir allein bekannt sein.«

»Aber wenn das Orakel richtig antwortet, so wird das Geheimnis mir so gut bekannt sein wie Ihnen; und könnte es nicht doch vielleicht Ihnen peinlich sein, wenn ich es wüßte?«

»Sie können alles wissen; wenn übrigens das Orakel nicht bloß der Sklave Ihres Geistes ist, so steht es ja immer in ihrer Macht, zu entdecken, was Sie gerne wissen möchten.«

»Aber wissen Sie auch, ob die Gefälligkeit des Orakels nicht vielleicht ihre Grenzen hat?«

»Mein Freund, Sie suchen leere Ausreden! Beweisen Sie mir, daß ich mich irre, oder erklären Sie, daß ich von der kabbalistischen Wissenschaft ebensoviel verstehe wie Sie!«

Ich sah mich so in die Enge getrieben, daß ich nur noch wünschte, mich mit kriegerischen Ehren für besiegt erklären zu können. Plötzlich aber fiel mir ein glänzender Gedanke ein.

Mitten in dem Grübchen, das ihrem Kinn einen unbeschreiblichen Zauber verlieh, hatte Esther ein ganz schwarzes Mal, das ein wenig hervorragte und mit drei oder vier außerordentlich feinen Härchen geschmückt war, die seine Schönheit noch erhöhten. Diese Mäler, die wir im italienischen neo, nei nennen und die für gewöhnlich einem hübschen Gesicht neuen Reiz verleihen, wiederholen sich, wenn sie sich im Gesicht, am Halse, auf den Armen oder Händen befinden, auf den dem sichtbaren Teile des Körpers entsprechenden Gliedern. Ich wußte also, daß Esther ein ungefähr gleiches Mal wie auf dem Kinn auf einer gewissen Stelle haben mußte, die ein anständiges Mädchen nicht zeigt, und da sie, wie ich annehmen durfte, noch rein war, so kannte sie es wahrscheinlich selber nicht. »Ich werde sie«, sagte ich mir, »in das höchste Erstaunen setzen und meine Überlegenheit auf eine Art beweisen, daß der Gedanke der Gleichheit, den sie sich in den Kopf gesetzt hat, ihr für immer vergehen soll.«

Mit der ganzen Wichtigtuerei eines Auguren begann ich meine Pyramide zu bilden und gewann aus ihr folgende Worte:

»Schöne und keusche Esther, niemand weiß, daß Sie am Eingang des für die Liebe bestimmten Tempels genau solch ein Mal haben, wie das, welches Ihr schönes Kinn schmückt.«

Während ich arbeitete, stand Esther über den Tisch gebeugt und verfolgte alle meine Bewegungen. Da sie in der Tat die Wissenschaft vollkommen so gut beherrschte wie ich selber, bedurfte sie keiner Erklärung, denn sie übersetzte die Zahlen sofort, wie sie mir aus der Feder flossen. Sobald ich aus der Pyramide alle Zahlenkombinationen ausgezogen hatte, sagte sie mir ruhig, aber wirklich ergriffen, ich brauche ja nicht zu wissen, was das Orakel geantwortet habe, und werde ihr einen großen Gefallen tun, wenn ich ihr die Zahlen da lasse, es werde ihr Vergnügen machen, sie zu übertragen.

»Gerne, meine reizende Freundin! Um so lieber, da ich hierdurch Ihrem Zartgefühl die Mitteilung eines Geheimnisses erspare, das ich selber noch nicht recht kenne und das Sie vielleicht gerne mir unbekannt bleiben lassen möchten. Ich verspreche Ihnen sogar, daß ich niemals versuchen werde, es zu ergründen; es genügt mir, wenn Sie überzeugt sind.«

»Ich werde überzeugt sein, sobald ich festgestellt habe, daß es die Wahrheit spricht.«

»Glauben Sie, liebenswürdige Esther, daß die Bedeutung dieser Antwort mir unbekannt ist?«

»Ich werde Gewißheit darüber erlangen, wenn ich sehe, daß die Antwort die Wahrheit sagt; und wenn dies der Fall ist, so hat das Orakel gewonnen, denn die Sache ist so geheim, daß ich selber sie nicht kenne. Es kann Ihnen nichts daran liegen, sie zu erfahren; denn es ist eine Kleinigkeit, die Sie nicht interessieren kann. Aber es wird genügen, um mich zu überzeugen, daß Ihr Orakel von einer geistigen Kraft belebt ist, die mit derjenigen Ihres Geistes nichts gemein hat.«

In diesen Worten lag so viel Unschuld und Aufrichtigkeit, daß das Gefühl in mir die Oberhand über die Falschheit errang; ich vergoß Tränen, welche Esther nur zu meinem Vorteil deuten konnte. Diese Tränen entriß mir die Reue; und noch heute, nach so vielen Jahren, mache ich mir den Vorwurf, daß ich ein Geschöpf betrogen habe, das meiner Achtung in so hohem Maße würdig war und von mir zärtlich geliebt wurde. Schon damals machte ich es mir zum Vorwurf, aber Scham, eine klägliche falsche Scham, hielt mich ab, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich verabscheute mich selber, weil ich mich fähig fand, ein Wesen zu betrügen, nach dessen Achtung ich strebte.

Übrigens war ich doch nicht ganz sicher, richtig geraten zu haben; denn da es keine Regel ohne Ausnahme gibt und dieses Gesetz auch für die Natur gilt, so war es wohl möglich, daß ich mich blamieren würde. Esther mußte allerdings für den Augenblick überzeugt sein; aber es war nicht ausgeschlossen, daß ihre Überzeugung verschwand, wenn sie etwa durch Zufall entdeckte, daß die Übereinstimmung der Mäler auf dem menschlichen Körper etwas Natürliches und Notwendiges ist. Sollte dieser Fall eintreten, so mußte ich mich auf die Verachtung des reizenden Kindes gefaßt machen. Aber was ich auch befürchten mochte – ich hatte die Täuschung zu weit getrieben; es war mir unmöglich zurückzuweichen.

Ich verließ Esther, um Herrn Rigerboos einen Besuch zu machen und ihm für seine Bemühungen beim Polizeipräsidenten zu danken. Er sagte mir, ich hätte in Holland von Piccolomini nichts zu befürchten, aber er riet mir, zur Vorsicht stets Pistolen bei mir zu tragen. Er sagte ferner zu mir: »Ich stehe im Begriff, an Bord eines Schiffes, das ich mit den Trümmern meines Vermögens befrachtet habe, nach Batavia zu segeln. Bei dem Zustande, worin sich meine Angelegenheiten befinden, schien dieser Entschluß mir der vernünftigste zu sein. Ich habe die Ladung nicht versichert, um nicht meinen Gewinn zu schmälern, der im Falle des Gelingens sehr beträchtlich sein muß. Wenn ich gekapert werde oder Schiffbruch erleide, gedenke ich den Verlust des Schiffes nicht zu überleben, und so kann ich auf keinen Fall etwas verlieren.«

Der arme Rigerboos sagte mir dies lachend, aber sicherlich hatte die Verzweiflung einen großen Anteil an seinem Entschluß; denn man verliert nicht Vermögen und Leben ohne Bedauern, wenn man nicht starke Gründe hat, beides zu verachten. Meine liebe Teresa Trenti, welche Rigerboos stets unsere Dame nannte, hatte nicht wenig dazu beigetragen, ihn zugrunde zu richten. Sie befand sich damals in London, wo sie gute Geschäfte machte; so schrieb sie uns wenigstens. Sie nannte sich nicht mehr Trenti, sondern Cornelis; dies war, wie ich später erfuhr, der wirkliche Name unseres Rigerboos. Wir verbrachten eine Stunde damit, an diese eigentümliche Frau zu schreiben, da wir die Gelegenheit benutzen wollten, daß jemand, dem Rigerboos eine Empfehlung an sie mitgab, nach England reiste. Als wir fertig waren, machten wir eine Schlittenfahrt auf der Amstel, die seit einigen Tagen zugefroren war. Dieses Lieblingsvergnügen der Holländer, das man mit einem Dukaten die Stunde bezahlt, ist nach meinem Geschmack das langweiligste von der Welt, wenn es sich nicht etwa darum handelt, eine Reise sehr schnell zu machen; aber Reisen ist kein Vergnügen, wenn es kein bestimmtes Ziel zu erreichen gilt. Nachdem wir uns die Gesichter erfroren hatten, tranken wir Sillery, um uns zu erwärmen, und aßen Austern dazu; dann liefen wir von einem Musico ins andere, nicht etwa um lasterhafte Genüsse zu suchen, sondern nur, weil wir nichts besseres anzufangen wußten, aber es stand, wie es scheint, geschrieben, daß mir irgendein Unglück zustoßen sollte, sooft ich eine derartige Ausschreitung der angenehmen Gesellschaft Esthers vorzöge.

Ich weiß nicht mehr, aus welchem Anlaß beim Eintritt in ein Musico Rigerboos mich ziemlich laut bei meinem Namen nannte. In demselben Augenblick trat eine von jenen Frauen, die man stets an solchen Orten findet, auf mich zu und sah mich scharf an. Obgleich das Zimmer ziemlich schlecht beleuchtet war, erkannte ich doch die unglückliche Lucia, die ich ein Jahr zuvor an einem ähnlichen Orte getroffen hatte, ohne von ihr wiedererkannt zu werden. Ich tat, als ob ich sie nicht kenne, und drehte mich um, denn ihr Anblick war mir lästig; aber sie rief mich mit trauriger Stimme, erinnerte mich an die alten Zeiten und wünschte mir Glück, daß ich mich in glänzenden Verhältnissen befände, während sie mir in solcher Lage vor Augen treten müßte. Da ich sah, daß ich ihr nicht ausweichen konnte – denn es wäre eine grausame Härte gewesen, sie zurückzuweisen –, so rief ich Rigerboos und bat ihn, mit mir in ein Zimmer nach oben zu gehen, wo das Mädchen uns mit einer Erzählung ihrer Erlebnisse unterhalten würde.

Lucia war eigentlich nicht häßlich geworden, aber sie war abscheulich, weil ihre Züge auf frühere Schönheit schließen ließen; deshalb war sie ekelhaft. Seit unserer Bekanntschaft in Paseano hatten neunzehn Jahre des Elends, der Ausschweifung und der Erniedrigung sie zum verworfensten und gemeinsten Geschöpf gemacht, das man sich denken kann. Sie erzählte uns lang und breit ihre Geschichte, die man ohne große Kunst in wenigen Zeilen wiedergeben kann.

Der Läufer l’Aigle war mit ihr nach Triest gegangen, wo sie niedergekommen war; hierauf hatte er ein halbes Jahr lang von dem Handel mit ihrer Schönheit gelebt. Dann nahm ein Schiffskapitän, der in sie verliebt war, sie und l’Aigle, der für ihren Gatten galt, mit nach Zante. Dort wurde der Läufer Soldat; vier Jahre darauf desertierte er. Da sie nun allein war, so lebte sie sechs Jahre lang von ihrem Körper; als aber die Ware in ihrem Preise sank und sie nur noch kleine Kundschaft fand, so reiste sie mit einer jungen Griechin nach England. Ein englischer Seeoffizier behandelte diese wie seine Frau, verließ sie aber, als er ihrer satt war, und stieß sie auf die Londoner Straßen. Nachdem sie sich zwei oder drei Jahre lang in den britischen Kloaken herumgetrieben hatte, kam Lucia nach Holland, wo sie Kupplerin wurde, da sie mit ihrem eigenen Leibe kein Geschäft mehr machen konnte; dies war das notwendige Ende der Laufbahn, in die das Schicksal sie geschleudert hatte. Lucia war erst dreiunddreißig Jahre alt, aber sie war ausgemergelt, und Frauen sind immer so alt, wie sie aussehen.

Während sie in einem den Umständen angemessenen Ton ihre Geschichte erzählte, leerte sie zwei Flaschen Burgunder, die ich hatte kommen lassen, und von denen mein Freund und ich keinen Tropfen anrührten. Zum Schluß sagte sie uns, sie lebe jetzt von dem Verdienst zweier hübscher Mädchen, die sie zu Hause hätte und die ihr die Hälfte von ihren ganzen Einnahmen abgeben müßten.

Rigerboos fragte sie zum Scherz, ob diese schönen Mädchen im Musico wären.

»Nein, sie sind nicht hier und werden niemals hierher kommen; denn sie sind adelig, und ihr Oheim, unter dessen Aufsicht sie stehen, ist ein venetianischer Edelmann.«

Bei diesen Worten mußte ich unwillkürlich laut auflachen; Lucia aber sagte, ohne außer Fassung zu geraten, sie könne nur wiederholen, was jene ihr gesagt hätten; wenn wir uns übrigens davon überzeugen wollten, so fänden wir sie ganz in der Nähe in einem Hause, das sie für sie gemietet hatte; wir könnten sie in aller Sicherheit besuchen, denn ihr Onkel wohne in einem anderen Stadtteil.

»Wie? Er wohnt nicht bei seinen adeligen Nichten?«

»Nein; er kommt nur zum Essen; dann erkundigt er sich nach den Besuchen, die sie gehabt haben, und nimmt ihnen ihren ganzen Verdienst ab.«

»Vorwärts!« rief Rigerboos; »sehen wir sie uns einmal an!«

Da ich selber sehr große Lust hatte, mir adelige Venetianerinnen anzusehen, die ein so sehr schönes Handwerk trieben, so sagte ich Lucia, sie möchte uns zu ihnen führen. Ich wußte recht wohl, daß diese angeblichen adeligen Mädchen nur Gaunerinnen sein konnten und daß ihr adeliger Herr Onkel ein Schuft sein mußte; aber das Schicksal wollte es nun einmal so.

Wir fanden zwei hübsche junge Mädchen. Lucia stellte mich als Venetianer vor, und sie waren ganz außer sich vor Entzücken, daß sie einen Menschen sahen, mit dem sie sprechen konnten. Ich bemerkte sofort, daß sie keine Venetianerinnen, sondern aus dem Paduanischen waren, denn sie sprachen die mir sehr gut bekannte Mundart der dortigen Gegend. Ich sagte ihnen dies, und sie gaben es zu. Ich fragte sie nach dem Namen ihres Oheims, aber sie antworteten mir, wie ich erwartet hatte, daß sie aus höheren Rücksichten diesen verschweigen müßten. »Nun, wir brauchen ihn ja nicht zu wissen«, sagte Rigerboos, und damit bemächtigte er sich ohne Umstände des Mädchens, das ihm am besten gefiel. Lucia ließ Schinken, Austern, eine Pastete und eine Menge Flaschen kommen; hierauf zog sie sich auf ihr Zimmer zurück.

Ich hatte nicht die geringste Lust zu Ausgelassenheiten, aber Rigerboos war zum Scherzen aufgelegt. Seine Schöne spielte die Prüde; er lachte sie aus, ich lachte ebenfalls, und nach dem üblichen Brauch wurden die Mädchen bald zahm; wir gingen von der einen zur anderen und bald waren sie in dem Zustande, worin Eva sich befand, bevor unsere neugierige Ältermutter das Bedürfnis nach einem Feigenblatt empfand. Nachdem wir eine Stunde mit solchen wollüstigen Spielen verbracht hatten, bezahlten wir. Jedes Mädchen bekam vier Dukaten außer der Zeche, und Lucia erhielt außerdem sechs Louis. Dann gingen wir.

Ich war in sehr schlechter Laune, weil ich der tierischen Natur nachgegeben hatte, und legte mich zu Bett. Am anderen Morgen erwachte ich spät und in verdrießlicher Stimmung, teils wegen der Orgie der letzten Nacht – denn die Ausschweifungen erniedrigen die Seele nicht nur, sondern machen sie auch traurig – teils weil ich Esther vernachlässigt hatte, die mir ohne Zweifel mein Ausbleiben übel genommen hatte. Ich mußte mich beeilen, sie zu beruhigen; übrigens war ich gewiß, daß es mir an Entschuldigungsgründen nicht fehlen würde und daß sie diese gerne würde gelten lassen. Ich zog meinen Schlafrock an, klingelte meinem Diener Leduc und schickte ihn fort, um mir Kaffee zu holen. Kaum war er hinausgegangen, so öffnete sich die Tür, und ich sah Perine und jenen Wiedau erscheinen, der sich bei Piccolomini für einen Freund des Zauberers St.-Germain ausgegeben hatte.

Ich saß auf dem Bettrande und war eben dabei, meine Strümpfe anzuziehen.

Ich hatte drei schöne Zimmer in dem Gasthof, aber nach hinten hinaus, wo mich kein Mensch hätte hören können, und wenn ich noch so laut gerufen hätte. Der Klingelzug befand sich am anderen Ende des Zimmers, und Leduc konnte frühestens in zehn Minuten zurückkommen. Ich schwebte daher in der höchsten Gefahr, ermordet zu werden, ohne mich verteidigen zu können.

Dies alles bedachte ich in weniger als einer Minute. Ich sah kein anderes Rettungsmittel als ruhig zu bleiben und keine Bewegung zu machen. Ich fragte daher: »Was wünschen Sie von mir, meine Herren?«

Wiedau ergriff das Wort und sprach:

»Graf Piccolomini hat, um den unangenehmen Folgen Ihrer Anzeige zu entgehen, sich entschlossen, zu sagen, daß er den falschen Wechsel von uns hat, und er hat uns dies vorher mitgeteilt. Um uns der Verfolgung zu entziehen, sind wir genötigt, uns unverzüglich davonzumachen, und wir haben keinen Heller. Wir sind in Verzweiflung.«

»Und was kann ich dabei machen, meine Herren?«

»Geben Sie uns sofort vierhundert Gulden – nicht mehr, aber auf der Stelle. Die werden uns genügen. Wenn Sie sich weigern, werden wir zu Fuß entfliehen, zuvor aber bemächtigen wir uns aller Sachen, die wir hier sehen. Und hiermit werden wir Sie überreden.«

Mit diesen Worten zogen sie alle beide ein Pistol aus der Tasche und schlugen auf mich an.

»Gewalt ist unnötig,« sagte ich zu ihnen; »diese könnte Ihnen nur verderblich werden. Hier haben Sie hundert Dukaten – mehr als sie verlangen. Gehen Sie! Gute Reise! Aber ich rate Ihnen, mein Zimmer zu verlassen, bevor mein Bedienter zurückkommt.«

Wiedau nahm die Rolle mit zitternder Hand und steckte sie in die Tasche, ohne sie zu prüfen; aber la Perine, der freche Gauner, trat auf mich zu, lobte den Edelmut meines Benehmens und fiel mir um den Hals, um mich zu umarmen. Ich stieß ihn zurück, jedoch ohne Schroffheit, und sie entfernten sich. Ich war sehr zufrieden, so billig davongekommen zu sein.

Aus diesem Hinterhalt errettet, klingelte ich, nicht um die Räuber zu verfolgen, sondern um mich in aller Eile anzukleiden. Ich sagte zu Leduc von dem Vorgefallenen kein Wort, ebensowenig zu meinem Wirt. Nachdem ich meinen Spanier zu Herrn d’O. geschickt hatte, um mich zu entschuldigen, daß ich an diesem Tage nicht die Ehre haben könnte, bei ihm zu speisen, ging ich zum Polizeipräsidenten. Ich mußte bis zwei Uhr warten, bis ich ihn zu sprechen bekam. Der wackere alte Herr sagte mir, nachdem er die ausführliche Schilderung meines Mißgeschicks gehört hatte, er werde sein Möglichstes tun, um die Räuber verhaften zu lassen; doch verhehlte er mir seine Befürchtung nicht, daß es schon zu spät sein möchte.

Ich benutzte die Gelegenheit, um ihm zu sagen, daß Piccolomini bei mir gewesen sei, und teilte ihm mit, welches Ansinnen er unter Drohungen an mich gestellt hätte. Er dankte mir und versprach mir für Ordnung der Angelegenheit zu sorgen, aber er riet mir, auf alle Fälle vorsichtig auf meiner Hut zu sein und mich zu verteidigen, falls ich angegriffen werden sollte, bevor er sich hätte vergewissern können, daß meine Feinde nicht imstande wären, etwas gegen mich zu unternehmen.

Ich ging schnell nach Hause, denn ich fühlte mich krank. Ein sehr bitterer Geschmack im Munde war für mich ein Zeichen von der Umwälzung, die alle diese Erschütterungen in meinem Leibe hervorgebracht hatten; aber ich kannte das Heilmittel dagegen. Ich trank eine starke bittere Limonade und gab infolgedessen eine Menge Galle auf; dadurch wurde ich völlig gesund.

Gegen Abend ging ich zu Esther. Sie war ernst und schien sich gekränkt zu fühlen. Als sie aber meine Blässe sah, belebte sich ihr Auge und sie fragte mich im Tone zärtlichster Teilnahme, ob ich krank sei. Ich antwortete ihr, ich hätte mich sehr unwohl gefühlt und Medizin eingenommen; jetzt aber sei ich wieder ganz gesund. Um ihre Besorgnisse zu zerstreuen, setzte ich hinzu: »Sie werden das beim Abendessen sehen, reizende Esther; denn ich bin seit dem gestrigen Mittagessen nüchtern.«

Im Grunde log ich nicht, indem ich dies sagte; denn ich hatte bei den Paduanerinnen nur ein paar Austern gegessen.

In ihrer Freude, die sie kaum in Schranken halten konnte, forderte das reizende Mädchen mich auf, sie zu umarmen. Ich tat dies mit Freuden, obwohl ich mich einer solchen Huld unwürdig fand.

»Ich will Ihnen eine große Neuigkeit mitteilen,« lief sie. »Ich bin sicher, daß Sie nicht der Urheber Ihres Orakels sind oder daß Sie wenigstens, wie ich, es nur dann sind, wenn Sie es sein wollen. Die Antwort, die das Orakel mir gab, ist richtig; sie ist so richtig, daß sie geradezu göttlich ist, denn sie hat mir ein Geheimnis enthüllt, das keinem Menschen bekannt sein konnte, da es mir selber unbekannt war. Sie können sich nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich mich unter ziemlichen Schwierigkeiten von der Wahrheit überzeugte! – Sie besitzen einen Schatz! Ihr Orakel ist unfehlbar; aber da es dies ist, so kann es auch niemals lügen, und das meinige sagt mir, daß Sie mich lieben. Ich bin ganz froh darüber, lieber Freund, denn Sie sind der Mann meines Herzens. Aber Sie müssen mir einen noch viel stärkeren Beweis Ihrer Liebe ablegen, und wenn Sie mich wirklich lieben, so können Sie mir meine Bitte nicht abschlagen. Da! Lesen Sie Ihre Antwort! Ich bin überzeugt. Sie kennen sie nicht. Hierauf werde ich Ihnen sagen, was Sie tun müssen, um mich vollkommen glücklich zu machen.«

Ich tat, als ob ich das Orakel läse und küßte die Worte, worin es hieß, daß ich sie liebte. Hierauf sagte ich: »Es freut mich sehr, daß das Orakel Sie so leicht überzeugt hat, aber – ich bitte Sie um Verzeihung – ich muß Ihnen sagen, es scheint mir unglaublich, daß Sie es bis auf den heutigen Tag nicht gewußt haben!«

Sie antwortete mir errötend, es würde mir nicht unmöglich erscheinen, wenn es mir gestattet wäre, mich durch den Augenschein zu überzeugen. Hierauf kam sie auf den Beweis meiner Liebe zu sprechen, den sie von mir verlangte, und sagte mir, ich müßte ihr mein Geheimnis mitteilen. »Sie lieben mich,« rief sie, »darum kann es Ihnen nicht schwer fallen, ein junges Mädchen glücklich zu machen, das einmal Ihre Frau sein wird und deren Gebieter sie sein werden. Mein Vater wird unserer Verbindung zustimmen, und wenn ich Ihre Frau bin, werde ich von Herzen gern alles tun, was sie wollen. Wir werden uns sogar an einem anderen Ort niederlassen, wenn Sie darauf Wert legen. Aber zu diesem Zweck müssen Sie mich lehren, wie ich auf jede beliebige Frage eine Antwort finden kann, ohne sie zuvor in meinem Gehirn schmieden zu müssen.«

Esther flößte mir mit jedem Augenblick zärtlichere Gefühle ein; ich ergriff ihre Hände und küßte sie feurig, aber ehrfurchtsvoll, indem ich zu ihr sagte: »Sie wissen, göttliche Esther, ich bin in Paris durch mein Wort gebunden. Manon steht Ihnen sicherlich nach; trotzdem aber bin ich gezwungen, ihr gegenüber zu halten, was ich ihrer Mutter versprochen habe.«

Esther seufzte und senkte das Haupt auf die Brust. Ihr Kummer tat mir leid; aber welche Entschuldigung hätte ich angeben können? Ich konnte sie doch unmöglich lehren, das Orakel auf eine andere Art anzuwenden als auf die ihr ebensogut wie mir bekannte. Denn überlegen war ich ihr nur an Schlauheit und an Welterfahrung.

Einige Tage darauf meldete man mir am Morgen ziemlich früh, als ich noch nicht angezogen war, einen Mann, der sich für einen Offizier ausgab, dessen Name mir aber völlig unbekannt war. Ich ließ ihm sagen, ich sei nicht zu sprechen, und da mein Spanier fortgegangen war, so drehte ich den Schlüssel in meiner Tür um. Die letzten Vorgänge hatten mich mißtrauisch gemacht, und ich wollte keine Besuche mehr annehmen, wenn ich allein war. Meine beiden Räuber hatten alle Bemühungen der Polizei zu vereiteln gewußt, und Piccolomini war verschwunden; aber ich wußte, daß in Amsterdam noch eine Menge Leute von demselben Gelichter waren, und hielt darum Vorsicht für geboten.

Kurze Zeit darauf kam Leduc zurück und brachte mir einen in schlechtem Italienisch geschriebenen Brief. Er sagte mir, dieser sei ihm von einem Offizier gegeben worden, der auf Antwort warte. Ich öffnete ihn und las den Namen des Offiziers, den man mir kurz vorher angemeldet hatte. Er schrieb, wir seien Bekannte, aber er könne mir seinen Namen nur mündlich sagen und sei nur gekommen, um mir eine wichtige Mitteilung zu machen.

Ich befahl Leduc, ihn eintreten zu lassen, selber aber bei der Türe stehen zu bleiben. Ich sah einen recht schön gewachsenen Mann von etwa vierzig Jahren, in der Uniform eines Offiziers von ich weiß nicht welcher Armee, der eine richtige Galgenphysiognomie hatte.

»Was wünschen Sie von mir?« fragte ich ihn sofort nach seinem Eintreten.

»Mein Herr, wir haben uns vor etwa sechzehn Jahren in Cerigo gekannt, und ich bin hocherfreut über die Gelegenheit, unsere Bekanntschaft zu erneuern.«

Ich erinnerte mich nun, daß ich auf Cerigo mich nur wenige Augenblicke aufgehalten hatte, als ich den Bailo nach Konstantinopel begleitete, und nahm an, daß er einer von den beiden Unglücklichen sein mußte, denen ich ein Almosen gegeben hatte. Ich fragte ihn: »Sind Sie jener, der sich mir gegenüber für den Sohn eines Grafen Poccini in Padua ausgab, obwohl es im Paduanischen überhaupt einen Grafen dieses Namens nicht gibt?«

»Ich bewundere Ihr ausgezeichnetes Gedächtnis,« sagte er zuversichtlichen Tones; »jawohl, der bin ich.«

»Und was können Sie wohl von mir zu wünschen haben?«

»Das kann ich Ihnen in Gegenwart Ihres Bedienten nicht sagen.«

»Mein Bedienter versteht nicht italienisch; Sie können ruhig sprechen. Übrigens werde ich ihn hinausgehen lassen.«

Ich sagte Leduc, er sollte sich im Vorzimmer aufhalten. Als er hinausgegangen war, sagte der angebliche Paduanische Graf zu mir, ich sei bei seinen Nichten gewesen und habe sie als Kurtisanen behandelt; hierfür verlange er Genugtuung von mir.

Aller dieser Belästigungen satt, ergriff ich schnell meine Pistolen, schlug auf ihn an und befahl ihm, sich augenblicklich zu entfernen. Leduc trat ein, und der dritte Räuber verschwand mit den Worten: er werde mich schon zu finden wissen.

Es war eine schmähliche Sache; um Gerechtigkeit zu erlangen, hätte ich dem Polizeipräsidenten alles erzählen müssen. Ich glaubte um meiner Ehre willen schweigen zu müssen und sprach über den Vorfall nur mit Rigerboos, dem ich alles anheimstellte. Dieser hatte nicht wie ich Rücksichten zu nehmen; er tat die notwendigen Schritte, und Lucia erhielt den Befehl, die angeblichen adeligen Nichten fortzuschicken. Aber nun kam das arme Frauenzimmer zu mir und jammerte unter strömenden Tränen, sie geriete durch dieses Unglück in das scheußlichste Elend; ich schenkte ihr einige Dukaten, und sie ging getröstet von dannen. Ich bat sie, sich nicht wieder bei mir sehen zu lassen.

Alles was ich fern von Esther tat, schlug mir zum Unheil aus, und ich fühlte, daß ich, um glücklich zu sein, mich nicht von ihr hätte entfernen dürfen; aber ich wurde von meinem Stern oder vielmehr von meiner Unbeständigkeit fortgerissen.

Drei Tage darauf kam der hinterlistige Major Sabi zu mir und sagte mir, ich möchte auf meiner Hut sein, denn ein venetianischer Offizier, der von mir beschimpft zu sein behaupte, sage zu jedem, der es hören wolle, ich hätte ihm Genugtuung verweigert und er hätte daher das Recht, mich zu ermorden.

»Und ich,« antwortete ich, »ich hätte das Recht, ihn als einen entsprungenen Galerensträfling, dem ich als solchen ein Almosen gegeben habe, und als einen Menschen verhaften zu lassen, der unberechtigterweise die Uniform eines Offiziers trägt und dadurch den ganzen Stand entehrt. Wie kann ich übrigens Mädchen beschimpft haben, die in einem Bordell leben, und die ich weit über ihr Verdienst bezahlt habe?«

»Wenn es so ist, haben Sie ja vollkommen recht, aber der arme Teufel ist in Verzweiflung; er möchte abreisen und besitzt keinen Gulden. Ich rate Ihnen, ihm noch einmal ein Almosen zu geben; damit wird alles in Ordnung sein. Vierzig Gulden werden Sie nicht ärmer machen, und Sie werden dadurch von einem unangenehmen Feinde befreit.«

»Von einem sehr unangenehmen – das gebe ich zu.«

Ich erklärte mich endlich bereit, ihm die vierzig Gulden zu schenken, und gab sie ihm in einem Kaffeehause, wo ich nach Verabredung mit dem Major ihn antraf. Der Leser wird sehen, wo ich vier Monate später diesen üblen Burschen wiederfand.

Wenn ich heute, bei kaltem Mute und nach so langer Zeit, an alle die Unannehmlichkeiten zurückdenke, die mir während meines kurzen damaligen Aufenthaltes in Amsterdam zustießen, während ich doch dort so glücklich hätte sein können, dann muß ich anerkennen, daß wir fast immer selber die Ursache alles Unglückes sind, das uns trifft, und aller Leiden, über die wir so ungerechterweise uns beklagen. Wenn ich diese Zeit noch einmal durchleben könnte, würde ich dann weise sein? Ja, wenn ich nicht Ich wäre!

Herr d’O. lud mich ein, mit ihm in der Bürgermeisterloge zu speisen; eine außerodentliche Gunst, denn gegen alle Regeln der Freimaurerei wurden stets nur die vierundzwanzig Mitglieder zugelassen, aus denen die Loge bestand, und diese vierundzwanzig Maurer waren die reichsten Millionäre der Börse. »Ich habe Sie angemeldet,« sagte Herr d’O. zu mir, »und um Sie würdig zu empfangen, wird die Loge in französischer Sprache eröffnet werden.« Die Herren nahmen mich in der Tat ganz ausgezeichnet auf, und ich hatte das Glück, ihnen so sehr zu gefallen, daß ich einstimmig zum überzähligen Mitgliede für die ganze Zeit meines Amsterdamer Aufenthaltes erklärt wurde. Als wir uns entfernt, sagte Herr d’O. mir, ich hätte mit einer Gesellschaft soupiert, die über ein bares Kapital von dreihundert Millionen verfügen könnte.

Am nächsten Tage bat der wackere Holländer mich um die Gefälligkeit, eine Frage zu beantworten, auf die das Orakel seiner Tochter eine zu dunkle Antwort gegeben hätte. Esther forderte mich ebenfalls dazu auf, und ich bat ihn, mir die Frage zu nennen. Sie lautete:

»Ich wünsche zu wissen, ob das Individuum, das mir und meinen Teilhabern ein Geschäft von großer Tragweite vorschlägt, wirklich der Freund des Königs von Frankreich ist.«

Es war für mich nicht schwer zu erraten, daß es sich um den Grafen von St.-Germain handelte. Herr d’O. wußte nicht, daß ich ihn kannte, und ich hatte nicht vergessen, was Graf Affry mir gesagt hatte. Ich dachte bei mir selber: das ist eine schöne Gelegenheit, mein Orakel glänzen zu lassen und meiner schönen Esther etwas zu denken zu geben. Ich ging sofort an die Arbeit, baute meine Pyramiden und schrieb über die vier Schlüssel die Buchstaben O.S.A.D., um einen besonders tiefen Eindruck zu machen. Hierauf zog ich die Antwort aus, indem ich mit dem vierten Schlüssel D. begann. Sie lautete:

»Der Freund verleugnet. Der Befehl wird unterzeichnet. Man bewilligt. Man lehnt ab. Alles verschwindet. Verschiebe.«

Ich tat, wie wenn ich meine Antwort sehr dunkel fände; Esther aber stieß einen Ruf der Überraschung aus und fand, die Antwort sei in einem außerordentlichen Stil gehalten, aber sehr vielsagend. Herr d’O. rief freudetrunken: »Kinder, die Antwort ist für mich vollkommen klar, das Orakel ist göttlich! Das Wort Verschiebe betrifft mich; dies verstehe ich wohl, lieber Freund. Sie und meine Tochter sind sehr geschickt, das Orakel sprechen zu lassen; ich aber verstehe besser als Sie beide, es zu deuten. Ich werde mich allem widersetzen. Es handelt sich um nichts Geringeres, als um die Hergabe von hundert Millionen gegen die Verpfändung der französischen Krondiamanten. Der König möchte dieses Geschäft abschließen, ohne daß seine Minister sich hineinmischen, ja, ohne daß sie überhaupt etwas davon erfahren. Ich bitte Sie, mit keinem Menschen darüber zu sprechen.«

Er ging hinaus.

»O!« rief Esther, sobald wir allein waren; »diesmal bin ich aber sicher, daß die Antwort unabhängig von Ihrem Willen ist! Bei allem, was Ihnen heilig ist – sagen Sie mir, was bedeuten diese vier Buchstaben, und warum wenden Sie sie für gewöhnlich nicht an?«

»Ich wende sie nicht an, reizende Esther, weil die Erfahrung mich gelehrt hat, daß sie für gewöhnlich nicht notwendig sind; da aber diese Überschriften beim Aufbau der Pyramiden eigentlich vorgeschrieben sind, so glaubte ich, bei diesem mir wichtig erscheinenden Anlaß sie nicht fortlassen zu dürfen.«

»Was bedeuten sie?«

»Es sind die Anfangsbuchstaben der geheiligten Namen der vier Hauptintelligenzen der Erde.«

»Was sind dies für Namen?«

»Es ist nicht erlaubt, sie auszusprechen, aber wer die Wissenschaft des Orakels empfangen will, muß sie wissen.«

»Ach, lieber Freund, betrüge mich nicht! Ich glaube dir alles, und du würdest einen Mord begehen, wenn du ein so reines Vertrauen wie das meinige mißbrauchtest!«

»Ich betrüge dich nicht, teure Esther.«

»Du müßtest mir also diese heiligen Namen sagen, wenn du mich die Kabbala lehren wolltest?«

»Gewiß, und ich kann sie nur dem enthüllen, den ich zu meinem Erben machen werde. Die Verletzung dieser Vorschrift ist mit der Strafe völligen Vergessens bedroht, und diese Drohung, das wirst du zugeben, liebe Esther, ist wohl danach angetan, mich von solcher Verletzung abzuhalten.«

»Ich gebe es zu. Ich Unglückliche! Und Ihre Erbin wird ohne Zweifel Ihre Manon sein.«

»Nein; Manons Geist ist nicht für diese Art von Wissen geschaffen.«

»Sie müssen sich aber doch zugunsten irgendeines Menschen entscheiden, denn Sie sind sterblich. Wenn Sie wollen, wird mein Vater sein Riesenvermögen mit Ihnen teilen, ohne Sie zur Heirat mit mir zu verpflichten.«

»Was haben Sie da gesagt, Esther! Glauben Sie denn, die Bedingung, Sie besitzen zu müssen, könnte mir jemals mißfallen?«

Nach einem köstlichen Tage, den ich beinahe den glücklichsten meines ganzen Lebens nennen könnte, verließ ich abends die allzu reizende Esther und ging nach Hause.

Drei oder vier Tage später trat Herr d’O. in Esthers Zimmer ein, wo er uns beide mit der Berechnung von Pyramiden beschäftigt fand. Ich lehrte sie, die kabbalistischen Kombinationen zu allen Schlüsseln zu verdoppeln, zu verdreifachen und zu vervierfachen. Herr d’O. lief mit großen Schritten im Zimmer hin und her und schlug sich vor die Stirn, wie wenn er außer sich wäre. Überrascht und beinahe erschrocken, ihn in einem solchen für ihn so ungewöhnlichen Zustand zu sehen, sprangen wir auf. Er umarmte uns leidenschaftlich und zwang uns beinahe auch uns zu umarmen, was wir sehr gerne taten.

»Aber was bedeutet denn dies alles, mein lieber Papa? Sie überraschen uns über alle Maßen.«

»Setzt euch neben mich, meine lieben Kinder, und hört auf euren Vater und besten Freund. Ich erhalte soeben einen Brief von einem der Sekretäre Ihrer Hochmögenden; er schreibt mir, der französische Gesandte habe im Namen meines königlichen Herrn bei den Generalstaaten die Auslieferung des Herrn Grafen von St.-Germain beantragt, und man habe ihm geantwortet, die Auslieferung werde gemäß dem Wunsche Seiner Allerchristlichsten Majestät stattfinden, sobald es gelungen sei, sich der Person des angeblichen Grafen zu bemächtigen. Man habe erfahren, daß der Herr von St.-Germain im »Morgenstern« wohne, und habe, dem Versprechen gemäß, um Mitternacht Polizeibeamte hingeschickt. Man habe jedoch den Vogel ausgeflogen gefunden. Der Wirt habe erklärt, der Graf sei bei Einbruch der Nacht mit der Post in der Richtung nach Nymwegen abgereist. Man habe ihn verfolgen lassen, hege jedoch nur geringe Hoffnung, ihn einzuholen. Man wisse nicht, wie er von dem gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe Wind bekommen können.«

»Man weiß nicht,« fuhr Herr d’O. lachend fort, »aber jeder errät, daß ohne Zweifel Herr Calcoen, eben jener, der an mich geschrieben hat, dem Freunde des Königs von Frankreich einen Wink gegeben hat, man werde ihn um Mitternacht in Haft nehmen, wenn er sich nicht vorher aus dem Staube mache. Er war natürlich nicht so dumm, einen so nützlichen Rat nicht zu befolgen. Die Regierung hat dem Herrn Grafen d’Affry geantwortet: man bedauere recht sehr, daß Seine Exzellenz so lange gezögert habe, die Verhaftung und Auslieferung des Herrn von St.-Germain zu verlangen, und der Herr Botschafter wird von dieser Antwort nicht überrascht sein, denn sie lautet genau so wie die Antworten, die man stets in solchen Fällen gibt. Die Weisheit des Orakels ist bestätigt worden, und ich wünsche mir Glück, eine richtige Ahnung gehabt zu haben, denn wir waren im Begriff, ihm eine Abschlagszahlung von hunderttausend Gulden zu machen, die er nach seiner Behauptung sofort nötig hatte. Er hatte uns als Pfand den schönsten Diamant der Krone gegeben, und dieses Pfand ist uns verblieben. Aber wir werden ihm den Diamanten wiedergeben, sobald er ihn von uns wieder zurückverlangt, es sei denn, daß der Gesandte Anspruch darauf erheben läßt. Ich habe niemals einen so schönen Stein gesehen. – Jetzt, Kinder, begreift ihr, welchen unermeßlichen Dank ich eurem Orakel schulde. Ich werde auf die Börse gehen und mich der Dankbarkeit erfreuen, welche Mitbeteiligte mir aussprechen werden. Ich werde für den klügsten, scharfsinnigsten und bestunterrichteten Mann in ganz Holland gelten.

Euch verdanke ich diese Ehre, meine lieben Freunde, aber ich mache mir gar kein Gewissen daraus, mich mit diesen Pfauenfedern zu schmücken. – Mein lieber Casanova, ich hoffe, Sie speisen bei uns. Nach Tisch werde ich Sie bitten, Ihr unbegreifliches Wesen zu befragen: ob wir gut tun, zu erklären, daß wir den prachtvollen Solitär besitzen, oder ob wir besser schweigen, bis er uns abverlangt wird.«

Nach dieser schönen Rede umarmte der Papa uns abermals und ging.

»Lieber Freund,« sagte Esther, indem sie mir um den Hals fiel, »hier bietet sich dir schönste Gelegenheit, mir einen großen Beweis deiner Freundschaft zu liefern. Er wird dir nichts kosten, mir aber wird er eine unendliche Ehre und Freude sein.«

»Befiehl, meine Esther, befiehl! Du kannst unmöglich glauben, daß ich dir etwas verweigern soll, was mir nichts kosten wird, während ich im Gegenteil mich glücklich schätzen würde, dir mein Leben opfern zu dürfen.«

»Mein Vater wünscht, daß du ihm nach Tisch sagst, ob man den Besitz des Diamanten bekannt geben oder ob man lieber schweigen soll, bis er zurückgefordert wird. Wenn er diese Bitte wiederholt, so sage ihm, er möge sich an mich wenden, und erbiete dich, das Orakel ebenfalls zu befragen, falls meine Antwort dunkel sein sollte. Mache jetzt gleich auf der Stelle die Berechnung; ich werde dann aus meiner Pyramide dieselbe Antwort hervorgehen lassen. Mein Vater wird mich um so mehr lieben, wenn er sieht, daß mein Wissen mit dem deinigen übereinstimmt.«

»Teure Esther! Warum kann ich nicht tausendmal mehr tun, um dir deine Liebe und meine Ergebenheit zu erweisen. Ans Werk! – Du sollst, liebe Freundin, selber die Frage stellen, die Pyramide bilden und mit eigener Hand die machtvollen vier Buchstaben darüber schreiben. Gut! Beginne das Ausziehen der Antwort mit dem göttlichen Schlüssel!«

Niemals war ein Schüler gelehriger. Als alles vorbereitet war, ließ ich sie nach meinem Belieben Additionen und Subtraktionen vornehmen, und sie fand zu ihrem höchsten Erstaunen folgende Antwort: »Schweigen notwendig; ohne Schweigen allgemeine Verspottung. Diamant wertlos; einfacher Glasfluß.«

Ich glaubte, sie werde vor Freude toll werden. Sie lachte sich halb tot. »Was für eine Antwort! Wie wundervoll! Wie? Der Diamant ist falsch, und ich werde sie belehren, welche Dummheit sie begangen haben, sich so etwas vormachen zu lassen? Durch mich wird mein Vater dieses wichtige Geheimnis erfahren! Dies übertrifft alle meine Erwartungen; kaum kann ich meine Freude beherrschen. Wieviel verdanke ich dir doch, du reizender, du wundervoller Mann! Natürlich wird man sich beeilen, die Tatsache feststellen zu lassen, und wenn man findet, daß der berühmte Diamant nur eine glänzend gelungene Nachbildung ist, dann wird das Konsortium meinen Vater anbeten, denn es wird begreifen, wie lächerlich es sich gemacht haben würde, wenn es hätte eingestehen müssen, daß ein listiger Gauner es betrogen hat. Kannst du, lieber Freund, mir diese Pyramide überlassen?«

»Ich überlasse sie dir sehr gerne; aber, liebe Esther, sie wird dich nicht klüger machen.«

Der Vater kam nach Hause; wir speisten, und nach dem Essen gab es eine wirklich komische Szene, als der wackere Herr d’O. durch das Orakel seiner Tochter erfuhr, daß der Stein falsch wäre. Er schrie laut auf, erklärte die Sache für unmöglich und bat mich schließlich, dieselbe Frage zu beantworten, denn er sei fest überzeugt, daß seine Tochter sich geirrt, oder vielmehr, daß das Orakel sich über sie lustig gemacht hätte.

Ich machte mich ans Werk, und meine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Als er sah, daß sie mit der Antwort seiner Tochter übereinstimmte, obgleich sie anders ausgedrückt war, hegte er keinen Zweifel mehr an Esthers Wissenschaft. Er gab sofort den angeblichen Diamanten zur Prüfung und empfahl den Mitbeteiligten zu schweigen, bis sie Gewißheit hätten. Dieser Rat war übrigens zwecklos; denn obwohl die Beteiligten nicht darüber sprachen, war die Geschichte doch allgemein bekannt; man sagte sogar, was man in solchen Fällen gewöhnlich sagt, die Geprellten seien nicht nur halb geprellt worden, und Graf St.-Germain hätte die hunderttausend Gulden eingesackt. Das war aber falsch.

Meine Esther war ganz stolz; aber sie war nicht zufrieden, denn durch diesen Erfolg wuchs nur ihr Wunsch, die Wissenschaft ebenso vollkommen zu beherrschen, wie nach ihrer Meinung ich sie beherrschte.

Bald darauf erfuhr man, St.-Germain habe sich in Emden nach England eingeschifft und sei dort eingetroffen. Ich werde auf den berühmten Betrüger noch zurückkommen.

In diesen Tagen trat eine Wendung anderer Art ein, durch die ich beinahe auf die allerdümmste Art und Weise gestorben wäre.

Es war am Weihnachtstag, und ich war ziemlich früh aufgestanden und befand mich in froherer Stimmung als für gewöhnlich. Nach dem Glauben der alten Weiber bedeutet dies stets, daß etwas Trauriges sich ereignen wird; ich war aber solchen Vorurteilen nicht sehr zugänglich und dachte damals so wenig wie heute daran, in meiner fröhlichen Stimmung eine üble Vorbedeutung zu erblicken. Dieses Mal bestätigte jedoch der Zufall den Aberglauben. Ich empfing aus Paris einen Brief und ein dickes Paket; beide waren von Manon. Ich öffnete den Brief und glaubte vor Schmerz zu sterben, als ich folgende Worte las:

»Seien Sie vernünftig und empfangen Sie mit kaltem Blute die Nachricht, die ich Ihnen zu geben habe. Das Paket enthält alle Ihre Briefe und Ihr Bildnis. Schicken Sie mir das meinige zurück, und wenn Sie meine Briefe aufbewahrt haben, so erweisen Sie mir die Liebe und verbrennen Sie sie. Ich rechne auf Ihre Ehrenhaftigkeit. Denken Sie nicht mehr an mich. Mir wird die Pflicht die Verbindlichkeit auferlegen, mein Möglichstes zu tun, um Sie zu vergessen, denn morgen um diese Stunde werde ich die Gattin des königlichen Hofarchitekten und Akademiemitgliedes Blondel sein. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie nach Ihrer Rückkehr nach Paris die Güte haben, so zu tun, als ob Sie mich nicht kennen, falls der Zufall eine Begegnung herbeiführen sollte.«

Als ich diesen Brief gelesen hatte, war ich wie betäubt; länger als zwei Stunden war es mir unmöglich, einen Gedanken zu fassen. Ich ließ Herrn d’O. sagen, ich fühlte mich unwohl und würde den ganzen Tag das Zimmer hüten. Als ich mich ein bißchen ruhiger fühlte, öffnete ich das Paket. Mein Bild war das erste, was mir in die Hände fiel. Ich sah es an, und ich war in einer so fürchterlichen Stimmung, daß ich in diesem Augenblick eine wütende und drohende Miene zu sehen glaubte, obgleich mein Gesicht lachend und fröhlich dargestellt war. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb zwanzig Briefe, in denen ich die Ungetreue mit Vorwürfen und Drohungen aller Art überhäufte; aber sowie sie halb oder ganz fertig waren, zerriß ich diese Briefe.

Gänzlich niedergeschmettert und kraftlos, bemühte ich mich, eine Tasse Fleischbrühe zu trinken, und legte mich dann mit einem Fieberanfall zu Bett, mich nach einem Schlaf sehnend, der aber nicht kam. Tausend Pläne kreuzten sich in meiner kranken Phantasie; einen nach dem anderen verwarf ich, um immer wieder neue auszudenken. Diesen Blondel, den ich nicht kannte, wollte ich meiner Wut opfern, um ihn dafür zu strafen, daß er mir ein Weib geraubt hatte, auf dessen Besitz ich allein ein Recht zu haben glaubte und das man als meine Gattin ansah. Ich wollte die Ungetreue bestrafen, indem ich ihr den Mann raubte, den sie mir vorgezogen hatte. Ich klagte ihren Vater an, fluchte ihrem Bruder, da sie den Schimpf, der mir in so heimtückischer Weise angetan wurde, vor mir geheim gehalten hatten.

Den ganzen Tag und die ganze Nacht verbrachte ich in dieser Art von Fieberwahn; am nächsten Morgen war ich noch schwächer als am Tage vorher und ließ daher Herrn d’O. sagen, es wäre mir nicht möglich, an diesem Tage auszugehen. Hierauf begann ich Manons Briefe wiederzulesen; ich gab ihr die tollsten Beinamen und versuchte, wie am Tage vorher, ihr zu schreiben; aber es gelang mir nicht, einen Brief zustande zu bringen, wie ich ihn wünschte. Der leere Magen und die Erregung meiner Sinne, welche betäubende Dünste in mein Gehirn aufsteigen ließen, machten mich einige Augenblicke meine Schmerzen vergessen, die sich aber bald um so heftiger wieder einstellten.

Gegen drei Uhr besuchte der gute Herr d’O. mich und lud mich ein, mit ihm nach dem Haag zu reisen, wo am Tage darauf, zum St. Johanneswinterfest, alle angesehenen Freimaurer von ganz Holland sich versammeln sollten, um das Ordensfest zu feiern. Als er aber den Zustand sah, worin ich mich befand, drang er nicht weiter in mich.

»Was ist denn das für eine Krankheit, mein lieber Casanova?« fragte er mich.

»Ein großer Kummer, aber bitte sprechen Sie nicht davon.«

Er verließ mich beinahe ebenso betrübt, wie ich selber war, und bat mich, Esther zu besuchen. Aber sie kam mir am nächsten Morgen zuvor, denn gegen neun Uhr sah ich sie mit ihrer Gouvernante eintreten. Ihr Anblick tat mir wohl. Erstaunt über mein verstörtes Aussehen fragte sie mich, was denn das für ein Kummer sei, dessen meine Philosophie nicht Herrin werden könne; ihr Vater habe ihr davon erzählt.

»Setzen Sie sich neben mich, teure Esther, und gestatten Sie mir aus dieser Sache, die mir so tief zum Herzen geht, ein Geheimnis zu machen. Der große Arzt, die Zeit, und mehr noch Ihre Unterhaltung werden eine Heilung bewirken, die ich von meiner Vernunft nicht erwarten darf. Solange wir von anderen Dingen sprechen, liebe Freundin, werde ich nicht an das Unglück denken, das mir das Herz zerreißt.«

»Wohlan, mein Freund, kleiden Sie sich an und verbringen Sie den Tag bei mir; ich werde alles aufbieten, um Sie zu zerstreuen.«

»Ich bin sehr schwach, liebe Esther, denn seit drei Tagen genieße ich nur ein wenig Fleischbrühe oder Schokolade.«

Bei diesen Worten sah ich ihr schönes Antlitz sich entfärben und einige Tränen ihren Augen entrollen.

Nach einem kurzen Schweigen setzte sie sich an meinen Schreibtisch, nahm eine Feder und schrieb einige Zeilen, die sie mir brachte. Sie lauteten:

»Lieber Freund, wenn eine große Summe Geldes, außer derjenigen, die mein Vater Ihnen schuldig ist, Ihren Kummer zu verscheuchen oder nur zu lindern imstande ist, so kann ich Ihr Arzt sein, und Sie werden mich wirklich glücklich machen, wenn Sie mein Anerbieten annehmen.«

Ich ergriff ihre Hände, die ich zärtlich küßte, und sagte: »Nein, meine teure, großmütige Esther, nicht Gold ist es, was mir fehlt; dessen habe ich genug, und sollte es mir daran fehlen, so würde ich vertrauensvoll und freundschaftlich Sie darum bitten. Was ich brauche und was niemand mir geben kann, das ist die Geistesstärke, um einen Entschluß zu fassen.«

»Aber dies wäre ja gerade der Fall, sich an Ihr Orakel zu wenden.«

Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten.

»Wie können Sie lachen?« rief sie. »Nach den Regeln der gesunden Vernunft zu urteilen, kann dem Orakel, wie mich dünkt, ein Heilmittel für Ihr Leiden nicht unbekannt sein.«

»Ich lachte, mein Engel, weil mir der komische Einfall kam, das Orakel durch Sie befragen zu lassen. Ich werde es nicht um Rat fragen, denn ich fürchte, es könnte nur ein Heilmittel anraten, das schlimmer wäre, als das Leiden, das mich quält.«

»Aber, lieber Freund, es stände doch stets in Ihrer Macht, keinen Gebrauch davon zu machen.«

»Ja, gewiß, es steht uns frei zu handeln oder nicht; aber eine Unterlassung wäre ein Verstoß gegen die Ehrfurcht, die ich dem Orakel schulde.«

Esther wußte nicht, was sie sagen sollte, und schwieg einige Augenblicke; endlich fragte sie mich, ob es mir Freude machen würde, wenn sie den ganzen Tag bei mir bliebe. Die Freude, die dieser Vorschlag mir verursachte, war zu sichtbar, als daß sie sie nicht hätte bemerken sollen. Ich antwortete ihr, wenn sie zum Essen bleiben wollte, würde ich aufstehen und drei Gedecke auflegen lassen; ohne Zweifel würde sie mir Mut machen, etwas zu essen.

»Nun, so werde ich denn Kabeljau machen, den Sie so sehr lieben,« rief sie fröhlich. Sie befahl die Tragstühle wegzuschicken und ging zur Wirtin, um eine leckere Mahlzeit und einen Weingeistkochapparat zu bestellen, den sie nötig hatte, um ihre kleinen Gerichte am Tische selbst zubereiten zu können.

Esther war ein Schatz, von einer Vollkommenheit wie ein Engel. Und sie war bereit, mir anzugehören, unter der Bedingung, daß ich ihr meine Wissenschaft mitteilte, die sich doch nicht mitteilen ließ. Da ich durch den Gedanken, daß ein köstlicher Tag mir bevorstehe, mich erleichtert fühlte, so sah ich, daß ich Manon würde vergessen können, und ich war darüber hocherfreut. Ich stand auf, und Esther war überglücklich, als sie bei ihrem Wiedereintreten mich angezogen fand. »Lieber Freund,« sagte sie zu mir, »setzen Sie Ihrer Güte die Krone auf und lassen Sie sich frisieren und ankleiden, wie wenn Sie auf einen Ball gehen wollten.«

»Dies ist eine lächerliche Laune, aber sie gefällt mir, weil sie dir Vergnügen machen wird.«

»Sie wird auch dir Vergnügen machen,« sagte sie mit bezaubernder Anmut.

Ich klingelte Leduc und sagte ihm, ich wolle frisiert und angekleidet werden, wie wenn ich zum Ball ginge. »Wähle mir den Anzug, der mir am besten steht.«

»Nein,« rief Esther, »ich selber werde ihn aussuchen.«

Leduc öffnete den Koffer, und während sie nach ihrem Belieben darin herumwühlte, rasierte und frisierte er mich. Esther war in fröhlichster Laune über ihre Beschäftigung, bei der sie sich von ihrer Gouvernante helfen ließ. Sie legte auf mein Bett ein Spitzenhemd und von meinen Röcken denjenigen, der ihrem Geschmack am meisten zusagte. Dann trat sie nahe an mich heran, wie wenn sie sehen wollte, ob Leduc mich auch ordentlich frisierte, und sagte: »Ein Täßchen Fleischbrühe wird Ihnen gut tun, lieber Freund; lassen Sie sich welche kommen; das Mittagessen wird Ihnen um so besser schmecken.« Ich befolgte ihren von der zärtlichsten Teilnahme eingegebenen Rat und befand mich wohl dabei. Das reizende Wesen übte einen so wohltuenden Einfluß auf mich aus, daß ich allmählich zu fühlen glaubte, als ob ich Manon nicht liebe, sondern im Gegenteil sie hasse. Dies machte mir Mut und vollendete meine Heilung; wenn ich aber heute die verschiedenen Gefühle prüfe, die ich damals empfand, so glaube ich zu erkennen, daß Manon viel mehr meine Eitelkeit als meine Liebe verletzt hatte.

Ich befand mich unter den Händen meines Kammerdieners, das Gesicht nach dem Kaminfeuer gekehrt; obwohl ich Esther nicht sehen konnte, so erheiterte mich der Gedanke, daß sie in meinen Sachen herumkramte. Plötzlich stand sie mit traurigem Gesicht vor mir. Sie hielt einen Brief in der Hand. Es war das verhängnisvolle Schreiben Manons.

»Bin ich strafbar?« fragte sie schüchtern, »daß ich die Ursache Ihres Schmerzes entdeckt habe?«

Ich war anfangs ein wenig verlegen, dann aber sah ich sie mit einem beifälligen Blick an und sagte: »Nein, nein, teure Esther! Beklagen Sie Ihren Freund und sprechen wir nicht mehr davon.«

»Ich kann also zu Ende lesen?«

»Gewiß, mein Herz, wenn Ihnen das Spaß macht; mir liegt nichts mehr daran, und Sie werden mich um so mehr beklagen.«

Alle Briefe der ungetreuen Manon Baletti lagen zusammen mit den meinigen, nach dem Datum geordnet, auf meinem Nachttisch. Ich zeigte sie Esther, die mit einer Art Gier sie zu lesen begann.

Als ich wie zu einer Hoffestlichkeit gekleidet war, ging Leduc hinaus, und wir waren allein, denn die gute Gouvernante, die am Fenster saß und eine Spitze häkelte, kümmerte sich niemals um uns.

Esther sagte mir, noch niemals hätte ihr etwas soviel Vergnügen gemacht, wie das Lesen dieser Briefe.

»Diese verfluchten Briefe, die dir so sehr gefallen, liebe Esther, werden an meinem Tode schuld sein.«

»An Ihrem Tode, lieber Freund? Nein, ich hoffe, ich werde Sie heilen.«

»Ich wünsche es; aber nach dem Essen wirst du mir helfen, sie alle zu verbrennen, auch den, der mir dies anbefiehlt.«

»Sie verbrennen! Mein Freund, schenken Sie sie mir lieber. Ich verspreche Ihnen, sie mein ganzes Leben lang aufzubewahren.«

»Sie gehören Ihnen, Esther; morgen werde ich sie Ihnen bringen.«

Die Zahl dieser Briefe betrug mehr als zweihundert, und die kürzesten waren vier Seiten lang. Hoch erfreut, sie in ihrem Besitz zu sehen, sagte sie mir, sie wolle sie sofort zusammenpacken und werde glücklich sein, sie am Abend mit nach Hause zu nehmen.

»Werden Sie,« fragte sie mich, »Ihrer Ungetreuen ihr Bild zurückschicken?«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Schicken Sie es nur zurück; denn sie ist nicht würdig, daß Sie ihr die Ehre erweisen, es zu behalten. Ich bin überzeugt, Ihr Orakel würde Ihnen denselben Rat geben. Wo ist dieses Porträt? Wollen Sie es mir zeigen?«

Ich hatte das Bild im Innern einer goldenen Tabaksdose; aber ich hatte es Esther niemals gezeigt, weil ich befürchtet hatte, sie könnte Manon schöner finden als sich selber, und annehmen, ich zeigte es ihr nur aus Eitelkeit, und dies könnte sie beleidigen. Aber da sie selber den Wunsch aussprach, es zu sehen, so beeilte ich mich, die Kassette zu öffnen, worin es sich befand, und gab es ihr.

Eine andere als Esther hätte Manon häßlich gefunden oder wenigstens Mängel an ihr zu entdecken gesucht; Esther aber lobte sie, fand sie sehr schön und sagte nur, es sei schade, daß in einem so schönen Körper eine so häßliche Seele wohne.

Manons Anblick brachte Esther in Zug; sie bat mich, ihr alle Bilder zu zeigen, welche Frau Manzoni mir aus Venedig geschickt hatte. Es waren nackte Figuren dabei, aber Esther war rein, und ihr Geist war zu aufgeklärt, um sich zu Zierereien herbeizulassen, die nur Prüden anstehen, denen das Verständnis für das Natürliche abgeht. O’Morphi gefiel ihr sehr, und ihre Geschichte, die ich ihr mit allen Einzelheiten erzählte, erschien ihr sehr merkwürdig. Das Bildnis der schönen Nonne M.M., erst im Nonnenkleide und dann als Venus, erregte ihre Heiterkeit; sie sprach den lebhaftesten Wunsch aus, auch ihre Geschichte kennen zu lernen; aber ich schlug ihr dies ab.

Als es Zeit zum Mittagessen war, wurde uns eine ausgezeichnete Mahlzeit aufgetragen, und wir verbrachten zwei köstliche Stunden damit, uns an Speise und Trank zu erquicken und uns zu unterhalten. Mir war es, wie wenn ich durch ein Wunder vom Tode zum Leben auferstanden wäre, und Esther war überaus froh, mein Arzt gewesen zu sein. Bevor wir vom Tische aufstanden, sagte ich ihr, ich würde gleich am nächsten Tage Manons Bild an deren Gemahl schicken; aber ihr ausgezeichnetes Herz gab ihr bald ein Mittel ein, mir davon abzuraten, was ihr nicht schwer wurde.

Als wir nämlich gleich nachher vor dem hellflackernden Kaminfeuer saßen und plauderten, nahm sie Papier, errichtete die Pyramiden und schrieb die Schlüsselbuchstaben O.S.A.D. darüber. Sie fragte das Orakel, ob ich recht daran tun würde, das Bild dem Gatten zu übersenden, oder ob es edelmütiger und schicklicher sein sollte, es der ungetreuen Manon zurückzuschicken. Während des Rechnens sagte sie mir oft mit einem lieblichen Lächeln: »Ich habe die Antwort nicht vorbereitet; Sie können es mir glauben.« Ich tat, als glaubte ich ihr, und wir lachten wie zwei Auguren, die sich ungesehen von aller Welt begegnen. Die Antwort lautete, ich müsse das Bild zurückschicken, aber an die, die es mir gegeben habe; es an den Mann zurückzuschicken, wäre eine tadelnswerte Handlungsweise, die eines Ehrenmannes unwürdig wäre.

Ich stimmte der Antwort zu und küßte zwanzigmal die Pythonissa. Ich versprach ihr, der Vorschrift des Orakels pünktlich zu folgen; aber ich fügte hinzu, ich sähe mit Befriedigung, daß ich sie nicht in der Wissenschaft zu unterweisen brauchte, denn sie beherrschte sie bereits ebenso vollkommen wie derjenige, der sie erfunden hätte.

Ich sagte die Wahrheit; aber Esther lachte, und da sie fürchtete, ich könnte es allen Ernstes glauben, gab sie sich die allergrößte Mühe, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

An solchen Tändeleien hat die Liebe ihre Freude; auf solche Weise wächst sie und wird in kurzer Zeit riesengroß.

»Wäre es allzu neugierig von mir,« sagte Esther, »wenn ich Sie fragte, wo Ihr Porträt ist? Manon schreibt Ihnen in ihrem Briefe, sie sende es Ihnen zurück, aber ich habe es nicht gesehen.«

»In meinem ersten Verdruß habe ich es fortgeworfen, ich weiß nicht mehr wohin. Sie begreifen, daß so ein Ding, das mir mit Verachtung zurückgeschickt wird, mir nicht angenehm sein kann.«

»Suchen wir es, lieber Freund, ich möchte es sehen.«

Wir fanden es bald auf meiner Kommode unter einem Haufen von Büchern. Esther betrachtete es lange und sagte, es sei sprechend ähnlich.

»Ich würde es Ihnen anbieten, liebe Freundin, wenn ein solches Geschenk Ihrer würdig wäre.«

»Ei! welches wertvollere Geschenk könnten Sie wohl machen?«

»Sie wollen es wirklich annehmen, Esther, obgleich es bereits in andere Hände gekommen ist?«

»Dadurch wird es in meinen Augen nur um so wertvoller.«

Wir mußten uns endlich trennen, aber wir hatten einen Tag verbracht, den man köstlich nennen kann, wenn man das Glück in gegenseitiger Zufriedenheit und ohne Beimischung einer heftigen oder stürmischen Leidenschaft sucht. Um zehn Uhr ging sie, nachdem sie von mir das Versprechen empfangen hatte, daß ich den ganzen nächsten Tag bei ihr verbringen würde.

Nach einem ununterbrochenen neunstündigen Schlaf erhob ich mich frisch und vollkommen gesund. Ich eilte zu Esther; sie schlief noch, aber ihre Gouvernante weckte sie trotz meinen dringenden Bitten, sie noch schlummern zu lassen.

Sie empfing mich, im Bette sitzend, mit dem angenehmsten Lächeln, und indem sie auf meinen umfangreichen, auf dem Nachttisch liegenden Briefwechsel mit Manon zeigte, sagte sie, sie habe mit Teilnahme bis zwei Uhr morgens darin gelesen. Das reizende Mädchen sah entzückend aus. Ein hübsches Batisthäubchen, mit hellblauen Bändern und mit Spitzen besetzt, zierte ihr reizendes Gesicht, und ein leichtes Tuch von indischem Musselin, das sie in aller Eile über ihren Elfenbeinnacken geworfen hatte, verbarg mir nur zur Hälfte ihren Alabasterbusen, dessen Form einen Praxiteles beschämt haben würde. Sie erlaubte mir, von ihren Rosenlippen hundert Küsse zu pflücken, die immer feuriger wurden, da der Anblick so vieler Reize nicht dazu angetan war, mich abzukühlen; aber ihre schönen Hände verteidigten hartnäckig zwei Halbkugeln, welche meine Hände mit brennender Begier zu ergreifen suchten.

Ich setzte mich neben sie und versicherte ihr mit inniger Überzeugung, daß ihre göttlichen Reize und ihr überlegener Geist sehr geeignet wären, mich alle Manons der ganzen Erde vergessen zu lassen.

»Ist sie denn auch am ganzen Leibe schön, Ihre Manon?«

»Ich weiß es nicht, liebe Esther, denn da ich nicht ihre Gatte geworden bin, so habe ich mich nicht davon überzeugen können.«

»Ich lobe Ihre weise Verschwiegenheit,« sagte sie lächelnd; »diese ziemt sich für einen zartfühlenden Mann.«

»Ich habe von ihrer Amme erfahren, daß sie vollkommen tadellos gewachsen ist, und daß kein Fleck, kein Mal die Weiße ihrer Haut beeinträchtigt.«

»Von mir müssen Sie wohl einen anderen Begriff haben?«

»Ja, meine Esther, denn das Orakel hat mir das große Geheimnis enthüllt, das Sie kennen zu lernen wünschten. Dies hindert mich aber nicht, zu glauben, daß Sie überall vollkommen schön sind.«

Hierbei machte ich einen Schnitzer, der beinahe zu meiner Schande ausgeschlagen wäre, denn ich fügte hinzu: »Wenn ich Ihr Gatte würde, könnte ich die Berührung dieses Males leicht vermeiden.«

»Sie glauben also,« sagte sie errötend, und mit einem etwas gekränkten Tone, »Sie glauben also, daß Sie bei einer Berührung etwas bemerken würden, was Ihre Begierden vermindern könnte?«

Diese Frage, die mich vollständig entlarvte, brachte mich in größte Verwirrung. Ich vergoß Tränen darüber und bat sie in einem Tone so aufrichtiger Reue um Verzeihung, daß sie aus Mitgefühl ihre Tränen mit den meinigen vermischte. Unsere Vertraulichkeit wurde dadurch noch größer, denn als ich ihre Tränen mit meinen Lippen getrocknet hatte, entflammte uns in einem Augenblick dasselbe Feuer, und hätte nicht die Klugheit lauter gesprochen als unsere Begierden, so wäre ohne Zweifel in diesem Augenblick alles vollbracht worden. So hatten wir nur eine süße Entzückung, die uns an die süßen Genüsse denken ließ, welche wir uns verschaffen konnten, sobald wir wollten. Drei Stunden gingen schnell dahin! Sie bat mich, in ihr Arbeitszimmer zu gehen, damit sie Zeit hätte, sich anzukleiden; hierauf gingen wir miteinander herunter und speisten mit dem armen Sekretär, der sie anbetete. Sie liebte ihn nicht, und es mußte ihm sehr unangenehm sein, mich so vertraut mit ihr zu sehen.

Den ganzen Rest des Tages verbrachten wir in vertraulichen Gesprächen, wie man sie führt, wenn zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts, die zu untrennbarer Vereinigung für einander geschaffen zu sein glauben, die ersten Grundlagen innigster Freundschaft gelegt sind. Auch im Salon durchglühte uns das Feuer der Liebe, aber wir waren hier nicht so frei, wie im Schlafzimmer. In der Luft des Schlafzimmers eines geliebten Weibes liegt ein so intimer Reiz, ein so balsamischer Duft, eine so wollüstige Ausdünstung, daß ein Liebhaber, der zwischen dem Himmel und diesem Ort der Wonne zu wählen hätte, nicht einen Augenblick schwanken würde.

Wir trennten uns, das Herz von Glück geschwellt, mit dem Ausruf: »Auf morgen!«

Ich war in Esther wirklich verliebt; denn in meinen Empfindungen für sie war etwas Sanfteres, Ruhigeres, und doch zugleich Lebhafteres als jene Sinnenliebe, die niemals frei von einer stürmischen Erregung ist. Ich war fest überzeugt, sie dahin bringen zu können, daß sie mich heiratete, ohne von mir zu verlangen, sie eine Wissenschaft zu lehren, die ich nicht lehren konnte. Ich bereute es, sie nicht bei dem Glauben gelassen zu haben, daß ihre Wissenschaft der meinigen gleich wäre; denn es dünkte mich unmöglich, sie davon zu überzeugen, daß ich sie getäuscht hatte, ohne zugleich in ihr eine Entrüstung zu erregen, die stärker sein würde, als ihre Liebe zu mir. Esther war das einzige Weib, um das ich Manon vergessen konnte, die mir bereits dessen, was ich für sie hatte tun wollen, unwürdig zu sein schien.

Als Herr d’O. von seiner Reise zurückkam, speiste ich mit ihm zusammen. Er hatte mit Vergnügen vernommen, daß seine Tochter mich geheilt hatte, indem sie einen ganzen Tag bei mir zubrachte. Als wir allein waren, sagte er uns, er habe im Haag gehört, daß der Graf St.-Germain das Geheimnis besitze, Diamanten zu machen, die sich von echten nur durch das Gewicht unterschieden – was nach Herrn d’O.s Meinung genügte, um ihm ein glänzendes Vermögen einzubringen. Ich würde ihm großen Spaß gemacht haben, wenn ich ihm alles hätte erzählen können, was ich über diesen Scharlatan wußte.

Am nächsten Abend führte ich Esther ins Konzert; sie sagte mir: »Morgen werde ich mein Zimmer nicht verlassen; da können wir in aller Gemächlichkeit über unsere Heirat sprechen.«

Es war der letzte Tag des Jahres 1759.