Meine Abreise von Zürich. – Komisches Erlebnis in Baden. – Solothurn. – Herr von Chavigny. – Herr und Frau von ***. – Ich spiele Komödie. – Ich stelle mich krank, um mein Glück zu beschleunigen.

Herr Ott stellte mir seine beiden Söhne vor, junge Leute, die wie Prinzen erzogen waren. In der Schweiz ist ein Gastwirt nicht immer ein Mann ohne Bedeutung. Mancher macht ein so gutes Haus wie anderswo ein Mann der besten Gesellschaft; jedes Land hat seine Sitten. Der Gastwirt führt bei Tisch den Vorsitz und glaubt sich nicht zu erniedrigen, wenn er seine Tafelgäste bezahlen läßt. Er hat recht. Erniedrigend ist nur das Laster. Ein Schweizer Wirt nimmt nur deshalb den ersten Platz bei Tisch ein, um aufzupassen, daß alle gut bedient werden. Wenn er einen Sohn hat, sitzt dieser nicht etwa gleich dem Vater zu Tisch, sondern er wartet auf, die Serviette über dem Arm. In Schaffhausen stand der Sohn meines Wirtes, ein Hauptmann bei der Reichsarmee, hinter meinem Stuhl, um mir die Teller zu wechseln, während sein Vater an der Spitze der Tafel saß.

An jedem anderen Orte würde er sich haben bedienen lassen, aber in seinem Hause glaubte er sich zu ehren, indem er andere bediente, und er hatte recht.

Dies sind nun einmal die Ansichten der Schweizer, worüber einige oberflächliche Köpfe sich lustig machen, aber sehr mit Unrecht. Allerdings verhindert ihre Ehre und viel gerühmte Redlichkeit die Schweizer nicht, die Fremden zu schinden. Sie verstehen dies ebensogut wie die Holländer; aber die Leichtsinnigen, die sich schinden lassen, lernen bald, daß man die Preise vorher vereinbaren muß; dann wird man gut behandelt und zahlt vernünftige Preise. Durch diese Vorsicht schützte ich mich in Basel gegen den berüchtigten Schinder Imhoff, im Gasthof zu den »Drei Königen«.

Herr Ott machte mir ein Kompliment über meine Verkleidung als Kellner und sagte mir, er bedaure, daß er mich nicht meines Amtes habe walten sehen, aber er lobte mich, daß ich den Scherz nicht beim zweiten Abendessen wiederholt hätte. Nachdem er mir für die seinem Hause erwiesene Ehre gedankt hatte, bat er mich, ich möchte ihm nicht die Ehre abschlagen, wenigstens einmal vor meiner Abreise an seinem Tische zu speisen. Ich antwortete ihm, ich würde mit Vergnügen noch an demselben Tage bei ihm speisen; ich tat das und wurde wie ein großer Herr bewirtet.

Wie der Leser sich wohl denken kann, hatte der letzte Blick meiner schönen Amazone nicht das Feuer gelöscht, das ihr erster Anblick in meinem Herzen entzündet hatte. Er hatte im Gegenteil die Flamme stärker angefacht, indem er in mir die Hoffnung erweckte, daß es mir gelingen könnte, sie näher kennen zu lernen. Ich beschloß also nach Solothurn zu gehen, um das Abenteuer zu einem glücklichen Ende zu führen. Ich nahm einen Kreditbrief auf Genf und schrieb an Frau von Urfé, sie möchte mir einen sehr dringlichen Empfehlungsbrief für den französischen Gesandten Herrn de Chavigny schicken. Um sie zur Eile zu bewegen, sagte ich, es wäre für mich im Interesse unseres Ordens sehr notwendig, mit diesem Diplomaten genau bekannt zu werden. Ich bat sie, mir ihre Briefe postlagernd nach Solothurn zu schicken. Ich schrieb auch an den Herzog von Württemberg, der mir niemals geantwortet hat. Er mußte allerdings meinen Brief sehr bitter finden.

In Zürich besuchte ich auch noch ein paar mal die Alte, mit der Giustiniani mich bekannt gemacht hatte; aber obgleich ich allen Anlaß hatte, in bezug auf das Körperliche völlig befriedigt zu sein, unterhielt ich mich doch nur schlecht, da meine Nymphen nur die Schweizer Mundart sprachen, die eine harte Abart der deutschen Sprache ist. Ich habe stets gefunden, daß ohne das Vergnügen der Sprache das Vergnügen der Liebe diesen Namen nicht verdient; ich kann mir keinen dümmeren Genuß vorstellen, als den mit einer Stummen, wäre sie auch sonst schön wie die Göttin von Amathunt.

Kaum von Zürich abgereist, mußte ich in Baden schon Halt machen, um meinen Wagen ausbessern zu lassen, den Herr Ott mir besorgt hatte. Ich hätte gegen elf Uhr weiterreisen können; da ich jedoch erfuhr, daß eine junge polnische Dame, die in Einsiedeln ihre Andacht verrichten wollte, an der Wirtstafel speisen würde, so blieb ich aus Neugier. Aber ich kam nicht auf meine Kosten, denn ich fand an ihr nichts, was eines Opfers würdig gewesen wäre.

Während man gleich nach dem Essen meinen Wagen anspannte, kam die recht hübsche Tochter des Wirtes in den Speisesaal und forderte mich auf, mit ihr einen Walzer zu tanzen. Es war ein Sonntag. Plötzlich trat der Vater ein, und die Tochter lief hinaus.

»Mein Herr,« sagte der Spitzbube von einem Bauern zu mir, »Sie sind verurteilt, einen Louis Buße zu zahlen.«

»Warum?« .

»Weil Sie an einem Feiertage getanzt haben.«

»Gehen Sie zum Kuckuck – ich werde nicht bezahlen.«

»Sie werden bezahlen!« sagte er, und dabei hielt er mir ein großes Plakat vor, das ich nicht lesen konnte.

»Ich lege Berufung ein.«

»An wen, mein Herr?«

»An den Richter des Ortes.«

Er ging hinaus. Eine Viertelstunde darauf meldete man mir, der Richter erwarte mich in einem Nebenzimmer. Ich dachte bei mir selber, in diesem Lande seien doch die Richter sehr höflich; als ich aber das Zimmer betrat, sah ich meinen Spitzbuben mit einer Perücke und einem Mantel ausstaffiert.

»Mein Herr,« sagt das Chamäleon zu mir, »ich bin der Richter.«

»Richter und Partei, wie ich sehe.«

Er schreibt etwas, bestätigt die frühere Verurteilung und verurteilt mich außerdem, sechs Franken für die Kosten zu bezahlen.

»Aber wenn mich Ihre Tochter nicht verführt hätte, würde ich nicht getanzt haben; sie ist ebenso schuldig wie ich.«

»Sehr richtig, mein Herr, hier ist ein Louis für sie.«

Mit diesen Worten zieht er einen Louis aus der Tasche, legt ihn auf seinem Schreibtisch neben sich und sagt zu mir: »Jetzt Ihren Louis.«

Ich fing an zu lachen, bezahlte und verschob meine Abreise bis zum anderen Morgen.

In Luzern besuchte ich auf der Durchreise den apostolischen Nuntius, der mich zum Essen einlud, und in Freiburg die junge und galante Frau des Grafen Affry, bei der ich einige Augenblicke verbrachte. Etwa zehn Meilen vor Solothurn hatte ich einen eigentümlichen Anblick.

Ich hatte in einem Dorf Halt gemacht, um dort zu übernachten. Im Gasthof hatte ich mich des Wundarztes bemächtigt, den ich dort antraf; ich lud ihn zum Abendessen ein und machte mit ihm in Erwartung desselben einen Spaziergang. Die Nacht brach herein, als ich in einer Entfernung von etwa hundert Schritt einen Mann bemerkte, der gewandt an der Mauer eines Hauses emporkletterte und in einem Fenster des ersten Stockes verschwand.

»Sehen Sie, ein Dieb«, sagte ich dem Chirurgen.

Er fing an zu lachen und sagte: »Dieser Brauch muß Ihnen wunderbar erscheinen,; aber er ist in mehreren Gegenden der Schweiz üblich. Der Mann, den Sie eben sahen, ist ein verliebter junger Bauer, der die Nacht bei seiner Zukünftigen verbringen will. Morgen früh verläßt er sie verliebter denn je; denn sie wird ihm sicherlich die letzte Gunstbezeigung nicht gewähren. Wäre sie schwach genug, seinen Begierden nachzugeben, so würde er sie wahrscheinlich nicht heiraten, und dann wäre es schwer für sie, einen anderen Mann zu finden.«

Ich fand in Solothurn auf der Post einen Brief von Frau d’Urfé, und in diesem einen anderen von dem Herzog de Choiseul für den Botschafter Herrn von Chavigny. Er war versiegelt; aber der Name des Ministers, der ihn geschrieben hatte, stand unter der Adresse. Ich nahm einen Lohnwagen, zog ein Hofkleid an und fuhr zum Botschafter. Da Seine Exzellenz nicht zu Hause war, hinterließ ich den Brief und meine Karte. Es war ein Feiertag; ich ging zum Hochamt, und zwar – ich will es gestehen – weniger um dort Gott zu suchen, als in der Hoffnung, meine Amazone zu finden. Ich sah mich jedoch in meiner Erwartung getäuscht.

Nach dem Gottesdienst machte ich einen Spaziergang; hierauf ging ich in meinen Gasthof zurück, wo ich einen Offizier vorfand, der mich im Auftrag des Botschafters zum Essen einlud.

Frau d’Urfé schrieb mir in ihrem Brief, sie wäre eigens nach Versailles gefahren und hätte durch Vermittelung der Frau von Grammont einen Empfehlungsbrief für mich erhalten, wie ich ihn nur wünschen könnte. Dies war mir angenehm, denn ich gedachte, in Solothurn als Mann von Bedeutung aufzutreten. Ich hatte viel Gold und ich wußte, daß man mit diesem glücklichen Metall die blödesten wie die hellsten Augen blendet. Herr von Chavigny war dreißig Jahre vorher Gesandter in Venedig gewesen; ich wußte eine Menge Anekdoten, bei denen er eine Rolle gespielt hatte, und ich war ungeduldig, ihn kennen zu lernen, um zu sehen, wie er mir nützlich werden könnte.

Zur bezeichneten Stunde folgte ich der Einladung und fand alle Leute des Botschafters in der großen Livree; ich erblickte hierin ein günstiges Vorzeichen. Ich wurde angemeldet und bemerkte, daß ein Page, sobald ich erschien, beide Flügel der Tür öffnete. Ein schöner Greis kam mir entgegen, richtete die liebenswürdigsten Worte an mich und stellte mir alle Anwesenden vor, die im Kreise herum standen. Dann stellte er mit einer feinen Wendung eines alten Hofmannes sich so, als ob er sich meines Namens nicht entsinne, zog den Brief des Herzogs von Choiseul aus der Tasche und las laut die Stelle vor, in welcher der Minister ihm ans Herz legte, mich mit der größten Auszeichnung zu empfangen. Er wies mir einen Lehnsessel zu seiner Rechten an und richtete mehrere Fragen an mich, auf die ich zu antworten hatte, daß ich nur zu meinem Vergnügen reise und daß die schweizerische Nation in mehreren Beziehungen allen anderen vorzuziehen sei.

Das Essen wurde aufgetragen, und Seine Exzellenz wies mir den Ehrenplatz zu seiner Rechten an. Wir waren sechzehn bei Tisch, und hinter jedem Gast stand ein langer Lakai in der Livree des Gesandten. Im Lauf des Gesprächs ergriff ich eine passende Gelegenheit, ihm zu sagen, daß man in Venedig noch mit der wärmsten Liebe von ihm spreche.

Er antwortete mir hierauf: »Ich werde mich stets der Freundlichkeiten erinnern, die man mir während meines ganzen Aufenthaltes in der schönen Stadt erzeigt hat; aber nennen Sie mir doch bitte die Personen, die noch von mir sprechen; sie müssen sehr alt sein.«

Auf diese Frage hatte ich nur gewartet. Ich kannte durch Herrn von Malipiero Geschichten, die sich während der Regentschaft zugetragen und ihm großen Kummer gemacht hatten, und Herr von Bragadino hatte mir von seiner Liebschaft mit der berühmten Stringhetta erzählt.

Seine Exzellenz hatte einen ausgezeichneten Koch; aber über dem Vergnügen, ihn zu unterhalten, vergaß ich das Essen. Ich wußte alles, was ich ihm erzählte, so fein zu würzen, daß das Vergnügen, das ich ihm dadurch verschaffte, auf seinem Gesicht geschrieben stand. Als wir von Tische aufgestanden waren, schüttelte er mir die Hand und sagte mir, er habe noch nie so angenehm gespeist, solange er in Solothurn sei. »Meine venetianischen Galanterien«, setzte der liebenswürdige Greis hinzu, »haben mich verjüngt, indem sie mich an recht süße Augenblicke erinnern.« Er umarmte mich und bat mich, während meines ganzen Aufenthaltes in Solothurn mich als einen Angehörigen seiner Familie zu betrachten.

Nach dem Essen sprach er viel von Venedig, pries die dortige Regierung und sagte schließlich, in keiner Stadt der Welt könne man besser essen, vorausgesetzt, daß man sich gutes Öl und ausländische Weine zu verschaffen wisse. Gegen fünf Uhr lud er mich ein, mit ihm eine Spazierfahrt in einem Vis-à-vis zu machen. Er stieg zuerst ein, und nötigte mich dadurch den Rücksitz einzunehmen.

Wir stiegen bei einem hübschen Landhause ab, wo man uns mit Gefrorenem bewirtete. Auf der Rückfahrt sagte er mir, er habe jeden Abend zahlreiche Gesellschaft, und sofern es nur angenehm sei, hoffe er, ich werde ihm die Ehre erweisen, daran teilzunehmen; er werde sein Möglichstes tun, damit ich mich nicht langweile. Ungeduldig erwartete ich den Abend, denn es schien nur unmöglich zu sein, daß meine schöne Amazone nicht ebenfalls käme. Dies war jedoch eine vergebliche Hoffnung; ich sah allerdings mehrere Damen kommen, davon waren aber die meisten häßlich und alt, nur wenige leidlich und nicht eine einzige hübsch.

Die Spielpartien wurden verteilt, und ich fand mich an einem Tische mit einer jungen Blonden und mit einer ziemlich alten, aber geistvollen Häßlichen. Ich langweilte mich beim Spiel und verlor fünf- oder sechshundert Marken, ohne den Mund zu öffnen. Nachdem abgerechnet worden war, sagte die Häßliche zu mir, ich sei drei Louis schuldig.

»Drei Louis, Madame?«

»Jawohl, mein Herr; die Marke gilt zwei Sous, Sie haben vielleicht geglaubt, wir spielten um Heller?«

»Im Gegenteil, gnädige Frau; ich habe geglaubt, es ginge um Franken, denn ich spiele niemals niedriger.«

Sie antwortete auf diese Prahlerei nichts, schien aber beleidigt zu sein. Als ich nach der langweiligen Spielpartie mich wieder im Saale befand, musterte ich mit einem prüfenden Blick alle Damen, fand jedoch die Gesuchte nicht. Ich wollte mich gerade entfernen, als ich zwei Damen bemerkte, die mich aufmerksam betrachteten. Ich erkannte sie auf den ersten Blick; es waren zwei von den Begleiterinnen meiner schönen Amazone, die ich in Zürich zu bedienen die Ehre gehabt hatte. Ich drückte mich, indem ich so tat, wie wenn ich sie nicht erkannt hätte.

Am nächsten Tage kündigte ein Offizier des Botschafters mir den Besuch seiner Exzellenz an. Ich sagte ihm, ich würde nicht ausgehen, bevor ich die Ehre gehabt hätte, ihn zu empfangen, und ich beschloß auf der Stelle, mich bei ihm nach dem zu erkundigen, was mir so sehr am Herzen lag. Wie man sehen wird, ersparte er mir die Mühe.

Ich empfing Herrn von Chavigny aufs allerbeste; nachdem wir vom Regen und guten Wetter gesprochen hatten, sagte er lächelnd, er habe mir etwas furchtbar Dummes zu sagen, bitte mich aber überzeugt zu sein, daß er selber kein Wort davon glaube.

»Ich höre, gnädiger Herr.«

»Zwei Damen, die Sie gestern Abend bei mir gesehen haben, ließen sich nach Ihrem Fortgehen in mein Kabinett führen, um mir zu sagen, ich möchte auf meiner Hut sein, denn Sie wären der Kellner des Gasthofes, wo sie in Zürich gewohnt hätten. Sie behaupteten, Sie hätten sie am Abend ihrer Durchreise bei Tisch bedient. Sie hätten gestern den anderen Kellner jenseits der Aare getroffen; wahrscheinlich wären Sie beide aus irgendeinem Grunde zusammen durchgebrannt. Sie hätten sich sofort gedrückt, nachdem Sie sie bemerkt hätten. Ich habe ihnen geantwortet: selbst wenn Sie mir nicht einen Brief vom Herrn Herzog von Choiseul überbracht hätten, wäre ich sicher, daß sie sich irrten; Sie würden heute mit ihnen speisen, wenn sie mir die Ehre erweisen wollten, meine Einladung anzunehmen. Ferner habe ich ihnen gesagt, Sie hätten sich möglicherweise als Kellner verkleidet, in der Hoffnung, mit einer von ihnen ein Liebesabenteuer zu haben; aber sie haben mir geantwortet: diese Annahme wäre lächerlich, Sie wären weiter nichts als ein Kellner, der sehr geschickt einen Kapaun zu zerlegen und sehr schnell die Teller zu wechseln verstände, und wenn ich es ihnen erlaubte, so würden sie Ihnen in meiner Gegenwart ein Kompliment darüber machen. ›Tun Sie das, meine Damen‹, habe ich ihnen gesagt, ›er und ich werden darüber lachen.‹ Und jetzt – wenn an der ganzen Geschichte etwas Wahres ist, so sagen Sie es mir bitte ohne Rückhalt.«

»Gewiß, ohne Rückhalt – aber mit Diskretion; denn diese Posse könnte eine Dame bloßstellen, die mir teuer ist, und ich wollte lieber sterben, als ihr den geringsten Schaden zufügen.«

»Es ist also wahr; dies interessiert mich sehr.«

»Wahr, gnädiger Herr, bis zu einem gewissen Punkt, denn ich hoffe, Sie werden mich nicht für den Kellner vom Gasthof zum ›Schwert‹ halten.«

»Nein, gewiß nicht; aber Sie haben die Rolle eines solchen gespielt.«

»Ganz recht. Haben die Damen Ihnen gesagt, daß sie zu vieren waren?«

»Ich weiß! die schöne Frau von *** war dabei. Dies erklärt mir das Rätsel. Ich weiß alles, aber Sie haben recht: Verschwiegenheit ist notwendig; denn sie genießt eines makellosen Rufes.«

»Das wußte ich nicht. Die Sache an sich ist ganz unschuldig; aber man könnte eine anstößige Geschichte daraus herausspinnen, die der Ehre der Dame, die mich durch ihre Schönheit geblendet hat, schädlich sein würde.«

Ich erzählte ihm nun ganz ausführlich alles Vorgefallene und sagte: »Ich bin in der Hoffnung, der Schönen den Hof machen zu können, nach Solothurn gekommen. Wenn dies nicht möglich ist, werde ich in drei bis vier Tagen wieder abreisen; zuvor jedoch werde ich die häßlichen Plaudertaschen lächerlich machen, denn sie hätten doch soviel Geist haben müssen, um sich zu sagen, daß der Kellner nur eine Maske war. Wenn sie sich stellen, als ob sie dies nicht wüßten, so können sie dies nur in der Hoffnung tun, mich aufzumuntern und ihrer schönen Begleiterin zu schaden, die sehr übel daran getan hat, jene ins Geheimnis zu ziehen!«

»Sachte, sachte, stürmische Jugend! Sie erinnern mich an meine schönen Tage. Lassen Sie sich umarmen, denn Ihre Geschichte macht mir ein unendliches Vergnügen. Sie werden nicht abreisen, mein lieber Freund, und Sie werden Ihrer schönen Amazone den Hof machen. Lassen Sie mich lachen! Auch ich bin jung gewesen und habe mehr als einmal um schöner Augen willen mich verkleidet. Sie werden heute bei Tisch die beiden boshaften Geschöpfe verspotten, aber nur in scherzhafter Weise. Die Geschichte ist so einfach, daß Herr *** zuerst darüber lachen wird. Es kann seiner Gemahlin nicht unbekannt sein, daß Sie sie lieben, und ich kenne die Frauen gut genug, um zu wissen, daß Ihre Verkleidung ihr nicht mißfallen haben wird. Sie weiß, daß Sie sie lieben?«

»Ohne Zweifel.«

Er ging lachend fort und umarmte mich an seinem Wagen zum dritten Male.

Ich konnte nicht daran zweifeln, daß meine Zauberin ihren drei Freundinnen auf der Rückfahrt von Einsiedeln nach Zürich alles erzählt hatte; ich fand daher die Anzeige der beiden Häßlichen an den Gesandten boshaft. Aber ich begriff, daß es im Interesse meines Selbstgefühls lag, ihre Bosheit als einen feinen Scherz auszulegen.

Um halb Zwei trat ich beim Botschafter ein; nachdem ich ihm meine Reverenz gemacht hatte, grüßte ich die Gesellschaft und bemerkte meine beiden Damen. Sofort trat ich mit vornehm-leichtem Anstand auf die zu, die mir am boshaftesten aussah, weil sie lahm war, und fragte sie, ob sie mich wiedererkenne.

»Sie geben also zu, daß Sie der Kellner vom ›Schwert‹ sind?«

»Nicht ganz, meine Gnädige; aber ich gebe zu, daß ich es für eine Stunde war, und daß Sie mich dafür bestraft haben, indem Sie mir nicht ein einziges Wörtchen gönnten, obwohl ich die Rolle nur spielte, um das Glück zu haben, Sie zu sehen. Aber ich hoffe, hier ein bißchen mehr Glück zu haben, und hoffe, daß Sie mir gestatten werden, Ihnen meine Huldigungen darzubringen.«

»Das ist erstaunlich! Sie haben Ihre Rolle so gut gespielt, daß der Klügste sich hätte täuschen lassen. Wir werden sehen, ob Sie ebenso geschickt Ihre jetzige Rolle spielen werden. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, sich bei mir einzufinden, sollen Sie gut aufgenommen werden.«

Nach diesem Austausch von Komplimenten wurde die Geschichte allgemein bekannt, und die Gesellschaft war in voller Heiterkeit darüber, als ich das Glück hatte, Herrn und Frau *** eintreten zu sehen.

»Da ist ja der nette Kellner von Zürich!« sagte sie zu ihrem Gatten. Der brave Mann trat auf mich zu und dankte mir freundlich, daß ich seiner Frau die Ehre erwiesen hätte, ihr die Stiefel anzuziehen.

Ich ersah aus diesem Kompliment, daß sie ihm alles gesagt hatte, und dies war mir äußerst angenehm.

Wir gingen zu Tisch; Herr von Chavigny ließ die Schöne zu seiner Rechten sitzen, und ich fand zwischen meinen beiden Verleumderinnen Platz. Da ich meine Karten verdeckt halten mußte, so sagte ich ihnen Artigkeiten, obwohl sie mir im höchsten Maße mißfielen, und sah Frau ***, die in ihrem neuen Kleide entzückend war, kaum ein einziges Mal an. Der Mann kam mir nicht eifersüchtig vor und sah auch nicht so alt aus, wie ich mir ihn vorgestellt hatte. Der Botschafter lud ihn ein, mit seiner Frau zum Abend dazubleiben und einen improvisierten Ball mitzumachen. Hierauf sagte er: damit er dem Herzog von Choiseul berichten könnte, daß ich mich in Solothurn amüsiert hätte, würde er sich sehr freuen, wenn Theater gespielt würde und wenn Frau von *** einwilligte, noch einmal die schöne Schottin zu spielen. Sie antwortete, sie würde es gerne tun, aber es fehlten zwei Schauspieler.

»Nun,« sagte der freundliche alte Herr, »so werde ich die Rolle des Lord Montrose übernehmen.«

»Und ich«, rief ich, »werde den Murray spielen!«

Meine Lahme ärgerte sich über diese Rollenverteilung, weil auf diese Weise nur die häßliche Rolle der Lady Alton übrig blieb. Sie konnte sich nicht enthalten, mir einen Hieb zu versetzen, und sagte: »Warum ist denn nur nicht in dem Stück eine Kellnerrolle! Die spielen Sie so gut!«

»Ihre Bemerkung ist trefflich; aber ich tröste mich mit dem Gedanken, daß Sie mich lehren werden, den Murray besser zu spielen.«

Am nächsten Morgen empfing ich meine kleine Rolle, und der Herr Botschafter machte bekannt, daß der Ball mir zu Ehren stattfinden würde. Nach dem Essen kehrte ich in meinen Gasthof zurück, machte eine elegante Toilette und erschien dann wieder in der glänzenden Gesellschaft.

Der Gesandte bat mich, den Ball zu eröffnen, und stellte mich der vornehmsten Dame der Stadt vor, die sich jedoch mehr durch ihre Geburt als durch ihre Schönheit auszeichnete. Hierauf tanzte ich mit allen Damen, ohne Unterschied, bis der dienstbereite alte Herr mich für die Kontertänze dem Gegenstand meiner Wünsche verpflichtete. Er machte dies auf eine so natürliche Art, daß niemand etwas dagegen einwenden konnte: »Lord Murray«, sagte er, »darf nur mit Lindane tanzen.«

In der ersten Ruhepause ergriff ich die Gelegenheit, ihr zu sagen, ich sei nur ihretwegen nach Solothurn gekommen, und ich hoffe, sie werde mir das Glück bewilligen, ihr den Hof machen zu dürfen. Sie antwortete mir: »Ich habe Gründe, die mich verhindern, Sie bei mir zu empfangen; aber es wird uns nicht an Gelegenheiten fehlen, uns zu sehen, wenn Sie einige Zeit hier bleiben. Ich bitte Sie jedoch, bezeigen Sie mir um Gottes willen keine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, denn man wird unfehlbar um uns herumspionieren, und ich muß das Gerede der Leute vermeiden.«

Von diesen Worten vollkommen befriedigt, versprach ich ihr, alles zu tun, was ihr angenehm sein könnte, und die neugierigsten Augen auf eine falsche Spur zu bringen. Ich begriff, daß das Geheimnisvolle das Glück, das ich mir in der Ferne winken sah, noch erhöhen mußte.

Da ich mich für einen Neuling in der Kunst des Roscius ausgegeben hatte, so bat ich die Hinkende, mich unterrichten zu wollen. Ich ging also am Vormittag zu ihr; aber sie argwöhnte gleich, daß sie nur als Reflexspiegel diente; denn bei ihr hatte ich Gelegenheit, meiner schönen Amazone den Hof zu machen; und so eitel sie auch sein mochte, so war sie doch zu klug, als daß sie nicht ein wenig die Wahrheit hätte ahnen sollen.

Die Frau war Witwe, dreißig bis vierzig Jahre alt; sie hatte eine gelbliche Haut, ein feuriges schwarzes Auge, einen stechenden Blick und eine boshafte Miene. Da sie die ungleiche Länge ihrer Beine verbergen wollte, hatte sie ein geschraubtes Aussehen, und eine dumme Geistreichelei machte sie schwatzhaft und dadurch sehr langweilig. Als ich fortfuhr, ihr in sehr ehrerbietiger Weise den Hof zu machen, sagte sie mir eines Tages: nachdem sie mich als Kellner verkleidet gesehen, hätte sie mich niemals für so schüchtern gehalten.

»Inwiefern, meine Gnädigste, halten Sie mich für schüchtern?« fragte ich.

Ich konnte leicht erraten, was sie meinte; aber sie antwortete mir nicht. Meine Rolle war mir lästig, und ich beschloß offen mit ihr zu brechen, sobald wir die Schottin gespielt hätten.

Unsere erste Vorstellung wurde von der ganzen guten Gesellschaft Solothurns besucht. Die Hinkende war entzückt, in ihrer Rolle Abscheu zu erregen; denn sie bildete sich ein, daß die von ihr hervorgebrachte Wirkung mit ihrer Person an sich nichts zu tun hätte. Herr von Chavigny riß die Zuschauer zu Tränen hin; man sagte, er habe besser gespielt als der große Voltaire selber. Ich selber war – dessen erinnere ich mich noch – einer Ohnmacht nahe, als in der dritten Szene des fünften Aktes Lindane mir sagte:

»Wie? Sie? Sie wagen mich zu lieben?«

Sie sprach diese Worte in einem Tone so starker und echter Verachtung, so völlig im Geiste ihrer Rolle, daß alle Zuschauer in einen donnernden Applaus ausbrachen. Ich war darüber betroffen und beinahe aus der Fassung gebracht; denn ich glaubte aus ihren Worten eine Absicht herauszuhören, die mich in meiner Ehre kränkte. Aber der lärmende Beifall der Zuschauer gab mir eine Minute Zeit, mich zu erholen, und ich antwortete, indem ich dem Geiste meiner Rolle gewissermaßen Gewalt antat:

«Ja! Ich bete Sie an, und ich muß es!«

Ich legte so viel Zärtlichkeit und Leidenschaft in diesen Ausruf, daß der Saal von Beifall und Bravorufen widerhallte. Das bis! bis! von vierhundert Personen zwang mich die Worte zu wiederholen, die mir aus tiefstem Herzen kamen.

Trotz dem Beifall, den die Zuschauer uns gespendet hatten, fanden wir beim Souper, daß wir unsere Rollen nicht gut wüßten, und Herr von Chavigny bat uns, unsere zweite Aufführung auf den übernächsten Tag zu verschieben. »Wir werden«, sagte er, »morgen eine Probe in meinem Landhause abhalten, wohin ich Sie alle zum Essen einlade.«

Trotz unserer Selbsterkenntnis überhäuften wir uns aber doch mit Schauspielerkomplimenten. Die Hinkende sagte mir, ich hätte gut gespielt, aber lange nicht so gut, wie in meiner Kellnerrolle, die ich ausgezeichnet gespielt hätte. Dieser Hieb brachte die Lacher auf ihre Seite, aber das Blättchen wandte sich, als ich ihr sagte, ich hätte es nur mit Anstrengung zu dieser Vollkommenheit gebracht, während sie, um als Lady Alton zu glänzen, nur ihrer Natur hätte folgen können. Herr von Chavigny sagte zur Frau von ***, die Zuschauer hätten unrecht gehabt, an jener Stelle Beifall zu klatschen, wo sie sich über meine Liebe wunderte; denn sie hätte jene Worte in einem Tone der Verachtung ausgesprochen; es wäre jedoch unmöglich, daß Lindane für Murray keine Achtung empfinde.

Der Botschafter holte mich am nächsten Tage mit seinem Wagen ab, und als wir in seinem Landhause ankamen, fanden wir dort alle Mitspielenden vor. Er wandte sich zuerst an Herrn von *** und sagte ihm, er glaubte sein Anliegen erfüllt zu haben und würde nach dem Essen mit ihm darüber sprechen.

Wir gingen zu Tisch und hielten darauf Probe ab, ohne eines Souffleurs zu bedürfen.

Gegen Abend sagte der Botschafter der ganzen Gesellschaft, er erwarte uns zum Souper in Solothurn; alle gingen fort, außer uns beiden und Herrn und Frau von ***. Im Augenblick des Aufbruchs, der sich in wenigen Minuten vollzog, wurde ich auf sehr angenehme Weise überrascht: »Mein Herr,« sagte der Gesandte zu Herrn von ***, »kommen Sie mit in meinen Wagen; wir können da ungestört miteinander sprechen. Herr Casanova wird die Ehre haben, der gnädigen Frau in ihrem Wagen Gesellschaft zu leisten.«

Ich reichte der schönen Frau ehrerbietig meine Hand, und sie ergriff sie mit der Miene vollkommenster Gleichgültigkeit; aber als sie auf das Trittbrett stieg, drückte sie meine Hand mit aller Kraft. Mein Leser kann sich denken, welches Feuer bei diesem Druck meine Adern durchströmte.

So saßen wir denn nebeneinander, die Knie zärtlich gegeneinander gepreßt. Eine halbe Stunde flog wie eine Minute dahin, aber wir verloren sie nicht mit nichtigen Komplimenten: Mund auf Mund gepreßt, blieben wir bis zehn Schritte vom Gasthof, der nach unserem Wunsche am liebsten zehn Meilen hätte entfernt sein müssen. Die Schöne stieg vor mir aus, und ich erschrak über die Glut, die ihr ganzes Gesicht bedeckte. Diese Röte war unnatürlich; sie mußte uns verraten, und dann mußte unsere Quelle des Glücks versiegen. Der forschende Blick der neidischen Alten würde sich nicht getäuscht haben; diese Entdeckung wäre für sie nicht eine Demütigung, sondern ein Triumph gewesen. Ich war außer mir.

Die Liebe und das Glück, die mir im Laufe meines Lebens so oft hold gewesen sind, befreiten mich aus dieser schmerzlichen Verlegenheit. Ich hatte in meiner Tasche eine kleine Dose mit Nieswurz; ohne mir etwas Besonderes dabei zu denken, öffnete ich diese und bat Frau von *** eine kleine Prise zu nehmen; sie tat es, und ich folgte ihrem Beispiel; aber die Dosis war zu stark; sie wirkte bereits, als wir noch auf der Treppe waren, und wir niesten eine volle Viertelstunde hindurch. Man mußte die Röte ihres Gesichtes diesem Niesen zuschreiben; zum mindesten konnte kein Mensch laut einen Argwohn aussprechen. Als der Anfall vorüber war, sagte die ebenso schöne wie kluge Frau, ihr Kopfweh sei vergangen, aber ein anderes Mal werde sie sich hüten, eine so starke Dosis von dem Heilmittel zu nehmen. Ich schielte aus dem Augenwinkel zu der boshaften Hinkenden hinüber; sie sagte nichts, schien aber sehr nachdenklich zu sein.

Nachdem ich dieses Pröbchen von Liebesseligkeit erhalten hatte, entschloß ich mich, in Solothurn so lange zu verweilen, als nötig wäre, um vollkommen glücklich zu werden, und zu diesem Zwecke beschloß ich, auf der Stelle ein Landhaus zu mieten. Ich denke, mein Leser würde schnell einen gleichen Entschluß gefaßt haben, wenn er sich in meiner Lage befunden hätte. Ich war reich, jung, unabhängig, feurig, und hatte nichts anderes zu tun, als mir Genuß zu verschaffen. Ich hatte eine vollkommene Schönheit vor mir, war leidenschaftlich in sie verliebt und war sicher, daß sie meine Liebe teilte; ich hatte Geld und war mein eigener Herr. Ich fand diesen Plan viel vernünftiger als den Eintritt in ein Kloster, und über das Gerede der Leute war ich erhaben. Sobald der Botschafter sich zurückgezogen hatte – was er wegen seines hohen Alters stets ziemlich früh tat – ließ ich die übrige Gesellschaft bei Tische sitzen und suchte ihn in seinem Zimmer auf. Ich konnte rechtlicherweise diesem Ehrenmann nicht ein Vertrauen vorenthalten, das er so sehr verdiente.

Sobald er mich erblickte, sagte er: »Nun? haben Sie sich das Alleinsein mit Ihrer Schönen, das ich Ihnen verschafft habe, gut zunutze gemacht?«

Ich umarmte ihn und antwortete ihm dann: »Ich darf alles hoffen!«

Als ich die Geschichte von der Nieswurz erzählte, machte er mir unendliche Komplimente; »denn,« sagte er, »ihre ungewöhnliche Röte hätte auf einen Kampf schließen lassen, und dies hätte Ihren Absichten nicht förderlich sein können.«

Nachdem ich ihm alles anvertraut hatte, teilte ich ihm meinen Plan mit. »Ich darf nichts übers Knie brechen,« sagte ich ihm, »denn ich muß die Ehre der Dame schonen und darf die Erfüllung meiner Wünsche nur von der Zeit erwarten. Ich brauche ein hübsches Landhaus, einen schönen Wagen, zwei Lakaien und eine Haushälterin. Hinsichtlich alles dessen empfehle ich mich Eurer Exzellenz, Sie sind meine Zuflucht und mein Schutzengel.«

»Schon morgen werde ich mich unverzüglich mit Ihrer Angelegenheit befassen, und ich denke wohl, es wird mir gelingen. Ihnen nützlich zu sein, und Sie werden in Solothurn vollkommen befriedigt werden.«

Am folgenden Tage ging die Vorstellung ganz ausgezeichnet, und am Tage darauf sagte der Botschafter zu mir: »Ich sehe, lieber Freund, daß Sie hier nur glücklich werden können, indem Sie Ihre Wünsche befriedigen, ohne dem guten Rufe der Dame zu schaden. Ich glaube sogar, die Art Ihrer Liebe zu jener reizenden Frau genügend erkannt zu haben, um überzeugt zu sein, daß Sie Solothurn unverzüglich verlassen werden, wenn sie Ihnen sagt, daß es um ihrer Ruhe willen notwendig sei. Sie sehen, ich habe Sie durchschaut, und hoffe daher in dieser Angelegenheit, die wichtiger und zarter ist als die meisten diplomatischen Angelegenheiten, von denen man soviel Wesens macht, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können.«

»Eure Exzellenz scheinen auf eine Laufbahn, die Sie mit so hoher Auszeichnung durchmessen haben, keinen großen Wert zu legen.«

»Ich bin alt, mein lieber Freund; ich habe den Rost und Staub der Vorurteile von mir abgeschüttelt, sehe die Dinge, wie sie sind, und schätze sie nach ihrem richtigen Werte ein. Doch kommen wir wieder zu Ihrer Liebe. Wenn Sie undurchdringlich sein wollen, müssen Sie jeden Schritt vermeiden, der in den Augen solcher Leute, die nicht an gleichgültige Handlungen glauben, den geringsten Verdacht erwecken könnte. Das kurze Beisammensein, das ich Ihnen vorgestern verschaffte, kann selbst dem Böswilligsten nur als die Frucht eines einfachen Zufalls erscheinen, und der Zwischenfall mit der Nieswurz macht die Auslegungen der scharfsinnigsten Bosheit zuschanden; denn ein Liebhaber, der das Glück beim Schopf packen will, beginnt nicht damit, daß er die Heißgeliebte in Krämpfe versetzt. Man wird nicht erraten, daß Ihre Nieswurz nur dazu diente, eine durch Liebkosungen hervorgebrachte Röte zu verdecken; denn es kommt nicht oft vor, daß ein Liebeskampf, womit beide Teile einverstanden sind, Spuren dieser Art hinterläßt. Wie sollte man übrigens annehmen, daß Sie diese Gesichtsröte vorausgesehen und darum das Mittel dagegen gleich mitgenommen hätten! Das Vorgefallene genügt also nicht, um Ihr Geheimnis zu enthüllen. Herr von *** ist allerdings nicht ohne Eifersucht, obgleich er sich den Anschein geben möchte, als ob er nicht eifersüchtig sei, – aber er selber kann in meiner Einladung, mit mir allein nach Solothurn zurückzufahren, nur etwas sehr Natürliches finden; denn ich hatte mit ihm über eine sehr wichtige Angelegenheit zu sprechen, und er kann nicht annehmen, daß ich Ihre Liebschaft mit seiner Frau begünstigen wolle. Außerdem hätten unter allen Umständen die Gesetze der Höflichkeiten mir geboten, der gnädigen Frau den Platz anzubieten, den er in meinem Vis-à-vis eingenommen hat; und da er sich auf seine Höflichkeit viel zugute tut, so hätte er nichts dagegen einwenden können, daß seine Frau mein Anerbieten annähme. Auf jeden Fall wäre er also von ihr getrennt worden. Allerdings bin ich alt, und Sie sind jung, und das ist ja in den Augen eines Ehemannes nicht ohne Bedeutung.«

»Nach dieser Einleitung,« fuhr der liebenswürdige Botschafter lachend fort, »einer Einleitung, die ich im Stil eines Staatssekretärs gehalten habe, kommen wir zum Schluß: Zwei Dinge sind notwendig, um Ihnen den Weg zum Glück zu bahnen. Die erste und wichtigste Vorbedingung ist die, daß Sie Herrn von *** zwingen, Ihr Freund zu werden, ohne daß er argwöhnen kann, daß Sie Absichten auf seine Frau haben; hierbei werde ich Ihnen nach besten Kräften behilflich sein. Die zweite Vorbedingung muß die Dame erfüllen: sie darf nichts tun, was zu Bemerkungen Anlaß geben könnte, ohne daß der Grund allgemein bekannt ist. Also mein Herr, Sie stehen nun unter meiner Vormundschaft und werden nicht eher ein Landhaus mieten, als bis wir einen wahrscheinlich aussehenden Vorwand ausfindig gemacht haben, der geeignet ist, allein diesen neugierigen Leuten Sand in die Argusaugen zu streuen. Aber trösten Sie sich, dieser Vorwand ist bereits gefunden: Sie müssen sich krank stellen; aber Ihre Krankheit muß derart sein, daß Ihr Arzt genötigt ist, Ihnen auf Ihr Wort zu glauben. Zum Glück kenne ich einen Doktor, dessen Leidenschaft es ist, gegen alle Krankheiten Landluft zu verordnen. Dieser Arzt, der nicht mehr versteht als seine gelehrten Kollegen, die auch alle nur auf gut Glück darauf los doktern, und der seine Patienten heilt oder ins Grab bringt, wie nur der geschickteste Professor, wird dieser Tage zu mir kommen, um mir den Puls zu fühlen. Sie werden ihn um eine Konsultation bitten, und für ein paar Louis wird er Ihnen ein schönes Rezept verschreiben, worin ohne Zweifel die Landluft die erste Stelle einnimmt. Er wird hierauf der ganzen Stadt sagen, Ihr Fall sei ernst, aber er bürge für Ihre Heilung.«

»Wie heißt er?«

»Es ist der Herr Doktor Herrenschwand.«

»Wie kommt denn der hierher? Ich habe ihn in Paris bei der Gräfin du Rumain gekannt.«

»Das ist ein anderer; dieser ist der Bruder. Suchen Sie eine Modekrankheit, die Ihnen in der öffentlichen Meinung nicht schaden kann. Das Haus wird dann leicht gefunden sein, und ich werde Ihnen einen ausgezeichneten Koch geben, um Ihnen Ihre Krankensüppchen zu machen.«

Die Wahl der Krankheit war nicht leicht; ich mußte ernstlich darüber nachdenken. An demselben Abend fand ich Gelegenheit, meinen Plan der Frau von *** mitzuteilen, die ihn billigte. Ich bat sie, darüber nachzudenken, wie sie mir schreiben könnte, und sie versprach mir dies. »Mein Mann«, sagte sie, »hat die beste Meinung von Ihnen; er hat durchaus nichts Böses daran gefunden, daß wir in seinem Wagen gefahren sind. Aber sagen Sie mir nun: geschah es zufällig oder aus Absicht, daß Herr von Chavigny meinen Mann zurückhielt, und daß wir miteinander allein waren?«

»Es war Absicht, liebes Herz.«

Sie schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf und biß sich auf die Lippen.

»Sind Sie darüber böse?«

»O nein!«

Drei oder vier Tage darauf, als wir die Schottin wieder aufführen sollten, war der Arzt beim Gesandten zum Essen und blieb den Abend über, um die Vorstellung zu sehen. Beim Nachtisch machte er mir ein Kompliment über meine gute Gesundheit. Ich ergriff die günstige Gelegenheit und sagte ihm, der Schein wäre trügerisch, und ich bäte ihn, mir für den folgenden Tag eine Stunde zu bestimmen. Er war ohne Zweifel sehr erfreut, sich getäuscht zu haben, und antwortete mir, er stehe zu meinem Befehl. Er fand sich pünktlich ein; ich sagte ihm alles, was mir gerade einfiel, und unter anderem auch, daß ich in meinen Träumen an gewissen Aufregungen litte, die mich außerordentlich schwächten und mir große Lendenschmerzen verursachten.

»Das kenne ich, mein Herr! Das ist eine böse Krankheit, aber ich werde sie durch zwei Mittel heilen. Das erste, das Ihnen vielleicht nicht gefallen wird, besteht darin, daß Sie sechs Wochen auf dem Lande verbringen, wo Sie nicht der Gefahr ausgesetzt sind, Gegenstände zu sehen, die in Ihrem Gehirn einen gewissen Eindruck hervorbringen. Dieser Eindruck wirkt nämlich auf das siebente Nervenpaar und verursacht dadurch einen Erguß, der wahrscheinlich bei Ihrem Erwachen ein Gefühl tiefer Traurigkeit hinterläßt.«

»Jawohl, Herr Doktor, das ist genau das Gefühl, das ich empfinde.«

»Ich wußte es wohl! Das zweite Mittel besteht in sehr angenehmen kalten Bädern.«

»Sind diese weit von hier?«

»Sie können sie überall nehmen, wo Sie wünschen; ich schreibe Ihnen das Rezept, und alles übrige besorgt der Apotheker.«

Ich dankte ihm, und nachdem er einen doppelten Louisdor erhalten hatte, den ich ihm geschickt in die Hand drückte, entfernte er sich mit der Versicherung, ich würde mich sehr bald von der guten Wirkung seiner Heilmittel überzeugen. Am Abend wußte die ganze Stadt, daß ich krank sei und einige Zeit auf dem Lande verbringen müsse. Herr von Chavigny zog mich beim Essen damit auf und sagte lachend zum Doktor, er müsse mir weibliche Besuche verbieten. Die Hinkende überbot dies noch, indem sie hinzufügte, er müsse mir vor allen Dingen die Betrachtung gewisser Bilder verbieten, von denen ich einen ganzen Kasten voll hätte. Ich lachte und gab allen recht; zuletzt empfahl ich mich Herrn von Chavigny und bat ihn, mir ein hübsches Haus und einen guten Koch zu verschaffen, da ich nicht gerne allein äße.

Da ich eine mir lästige Rolle nicht weiterspielen mochte, so ging ich nicht mehr zu der Hinkenden; bald darauf aber warf sie mir meine Unbeständigkeit vor und sagte mir, ich hätte mich über sie lustig gemacht.

»Ich weiß alles,« sagte das boshafte Frauenzimmer zu mir, »und ich werde mich rächen.«

»Sie können keinen Grund haben, sich zu rächen; denn ich habe Sie niemals beleidigt; sollten Sie jedoch die Absicht haben, mich ermorden zu lassen, so werde ich eine Wache verlangen.«

»Man mordet hier nicht,« versetzte sie in verbissenem Tone; »ich bin keine Italienerin.«

Ich war froh, das häßliche Weib los zu sein, und Frau von *** allein nahm alle meine Gedanken ein. Herr von Chavigny, der allem Anschein nach glücklich war, mir dienen zu können, redete ihrem Gatten ein, ich wäre der einzige, der den Herzog von Choiseul als Generaloberst der Schweizertruppen veranlassen könnte, seinen bei der Garde dienenden Vetter zu begnadigen; dieser hatte das Unglück gehabt, in einem Zweikampf einen Gegner zu töten. »Dies« sagte der liebenswürdige Greis zu mir, »ist das sicherste Mittel, die Freundschaft und das Vertrauen Ihres Nebenbuhlers zu gewinnen. Können Sie diese Sache auf sich nehmen?«

»Es ist nicht sicher, daß sie mir gelingt.«

»Ich bin vielleicht zu weit gegangen, aber ich habe ihm gesagt, Sie könnten durch Vermittlung der Herzogin von Grammont beim Minister alles erreichen.«

»Ich darf sie natürlich nicht Lügen strafen und werde mich gerne bemühen.«

Infolgedessen teilte Herr von *** mir in Gegenwart des Gesandten den Sachverhalt mit und überbrachte mir später alle Schriftstücke, die sich auf die übrigens sehr einfache Angelegenheit seines Neffen bezogen.

Ich verbrachte die ganze Nacht damit, an die Herzogin von Grammont zu schreiben. Ich legte in meinen Brief alles Pathos, wodurch ich ihr Herz und dann das ihres Vaters rühren zu können glaubte. Hierauf schrieb ich auch an meine gute Frau von Urfé und sagte ihr, das Glück des hohen Ordens der Rosenkreuzer hänge davon ab, daß der König den Schweizer Offizier begnadigte, der wegen eines für unseren Orden sehr wichtigen Zweikampfes aus Frankreich habe fliehen müssen.

Nachdem ich eine Stunde geruht und mich angekleidet hatte, ging ich zum Botschafter, um ihm den Brief an die Herzogin zu zeigen. Er fand ihn ausgezeichnet und bat mich, ihn auch dem Herrn von *** zu lesen zu geben. Ich fand diesen in der Nachtmütze; er war tief gerührt und dankbar, daß ich an dieser Sache, die ihm so sehr am Herzen liege, so innigen Anteil nehme. Er sagte mir, seine Frau sei noch nicht aufgestanden, er bitte mich jedoch zu warten, damit wir mit ihr frühstücken könnten. Der Vorschlag war sehr verlockend, aber ich dankte ihm und bat ihn, mich bei der gnädigen Frau zu entschuldigen, indem ich vorschützte, der Kurier werde bald abgehen, ich müsse daher meine Briefe fertig machen, damit sie keine Verspätungen erlitten. Wenn er wirklich eifersüchtig war, so brachte ich ihn auf eine falsche Fährte, indem ich so wenig Eifer zeigte, mit seiner Frau zusammenzukommen.

Ich speiste mit Herrn von Chavigny allein; er lobte mein kluges Verhalten und versicherte mir, es könne gar nicht anders sein, als daß Herr von *** von nun an mein bester Freund sei. Hierauf zeigte er mir einen Brief von Voltaire; der berühmte Mann sprach ihm dadurch seine Dankbarkeit aus, daß er in der Schottin die Rolle des Montrose gespielt habe. Einen anderen Brief hatte er vom Marquis de Chauvelin erhalten, der damals bei dem Philosophen von Ferney in den Délices sich aufhielt. Er versprach ihm einen Besuch, bevor er nach Turin reise, wohin er als Gesandter gehe.