Ich beschließe Mönch zu werden. – Ich beichte. – Zwei Wochen Aufschub. – Der abtrünnige Kapuzinermönch Giustiniani. – Ich ändere meinen Entschluß; was mich dazu veranlaßt. – Übermütiger Streich im Gasthof. – Mittagessen mit dem Abt.

Die überzeugungsvolle Miene, womit der Abt mir diese Ammenmärchen vortrug, erregte in mir eine Lachlust, die ich mit Rücksicht auf die Heiligkeit des Ortes und auf die Gesetze der Höflichkeit mühsam genug unterdrückte. Ich hörte jedoch in so ehrfurchtsvollem Schweigen zu, daß der Hochwürdige Herr ganz entzückt war und mich fragte, in welchem Gasthof ich wohnte. Ich antwortete ihm: »Nirgends; denn ich bin von Zürich zu Fuß gekommen, und mein erster Besuch hat Ihrer Kirche gegolten.«

Ich weiß nicht, ob ich vielleicht diese Worte mit einem Ausdruck von Zerknirschung vorbrachte, aber der Abt faltete seine Hände und hob sie zum Himmel empor, wie wenn er Gott dafür danken wollte, daß er mein Herz gerührt und mich auf meiner Pilgerschaft geleitet hätte, um in diesem Heiligtum die Last meiner Sünden abzuwerfen.

Dies erschien mir natürlich; denn ich weiß, daß ich stets wie ein großer Sünder ausgesehen habe.

Der Abt sagte mir, es sei bald Mittag und er hoffe, ich werde ihm die Ehre antun, mit ihm zu speisen; ich nahm dies mit verbindlichem Dank an, denn erstens war ich nüchtern, zweitens wußte ich, daß man an solchen Orten gewöhnlich gutes Essen bekommt. Ich wußte nicht, wo ich war, und wollte ihn nicht fragen; denn es war mir erwünscht, ihn bei dem Glauben zu belassen, daß ich zur Abbüßung meiner Sünden eine Pilgerfahrt machte.

Unterwegs sagte der Abt mir, seine Ordensbrüder äßen an diesem Tage Fastenspeisen, wir aber würden Fleisch essen, da er von Benedikt dem Vierzehnten einen Dispens erhalten hätte, der ihm erlaubte, das ganze Jahr hindurch mit seinen Gästen Fleisch zu essen. Ich antwortete ihm, ich würde an seinem Vorrecht um so lieber teilnehmen, da der Heilige Vater mir die gleiche Gnade zu erweisen geruht hätte; dies schien ihn neugierig zu machen, wer ich sein möchte. Als wir in seinem Zimmer waren, das durchaus nicht einer Büßerzelle glich, zeigte er mir sofort den Dispensbrief, der unter Glas in einem schönen Rahmen dem Eßtisch gegenüber an der Wand hing, damit die Neugierigen und Gewissenhaften Kenntnis davon nehmen könnten.

Da die Tafel nur für zwei Personen eingerichtet war, legte ein Bedienter in reicher Livree noch ein Gedeck auf, was dem bescheidenen Abt Gelegenheit gab, mir zu sagen: »Ich speise für gewöhnlich mit meinem Kanzler; ich muß nämlich eine Kanzlei halten, weil ich in meiner Eigenschaft als Abt Unserer Lieben Frau von Einsiedeln Fürst des Heiligen römischen Reiches bin.«

Ich atmete auf; denn nun wußte ich endlich, wo ich mich befand, und dies war mir sehr angenehm. Von Unserer Lieben Frau von Einsiedeln hatte ich sprechen hören, und so war ich nicht mehr in Gefahr, bei der Unterhaltung als unwissend dazustehen.

Das Kloster war das Loretto nördlich der Alpen, denn es war berühmt wegen der zahlreichen Wallfahrten, die dorthin unternommen wurden.

Bei Tisch fragte der Fürstabt mich, aus welchem Lande ich wäre, ob ich verheiratet wäre, und ob ich die schönen Gegenden der Schweiz zu besuchen gedächte; zugleich bot er mir Empfehlungsbriefe an für alle Orte, die ich aufzusuchen wünschte. Ich sagte ihm, ich wäre Venetianer, Junggeselle, und würde die mir angebotenen Briefe dankbar annehmen, nachdem ich ihm nach einer geheimen Unterredung gesagt haben würde, wer ich wäre. Ich hoffte, er würde mir diese bewilligen, da ich den Wunsch hätte, ihm alles anzuvertrauen, was ich auf dem Gewissen hätte. So ging ich, ohne jeden Vorbedacht und ohne eigentlich zu wissen, was ich sagte, die Verpflichtung ein, diesem Abt zu beichten. Diese Plötzlichkeit der Entschlüsse war meine besondere Liebhaberei. Wenn ich einem plötzlichen Einfall folgte, wenn ich etwas tat, was ich vorher nicht überlegt hatte, so kam es mir vor, wie wenn ich die Gesetze meines Schicksals befolgte und einem höchsten Willen nachgebe. Nachdem ich ihm so deutlich gesagt hatte, daß er mein Beichtvater werden sollte, hielt er sich für verpflichtet, recht salbungsvoll mit mir zu sprechen; es war jedoch nicht weiter unnatürlich, daß seine Reden mich bei diesem köstlichen, leckeren Mahl durchaus nicht langweilten, denn wir hatten sogar Schnepfen und Bekassinen, was mich zu dem Ausruf veranlaßte: »Wie, hochwürdigster Herr, solches Wild um diese Jahreszeit?«

»Dies«, antwortete er mit einem wohlgefälligen Lächeln, »ist ein Geheimnis, das ich Ihnen mit Vergnügen mitteilen werde.« Der Herr Abt war ein Leckerzahn ersten Ranges und ein kenntnisvoller Feinschmecker; denn, obwohl er sich für einen mäßigen Mann ausgab, hatte er doch die feinsten Weine und die ausgesuchtesten Speisen. Man trug eine prachtvolle Lachsforelle auf, die ihm ein Lächeln entlockte, und das gute Essen mit einem feinen Scherze würzend, sagte er mir in gutem Latein, es würde lächerlich sein, die Forelle nicht essen zu wollen, weil sie ein Fisch wäre; um aber seinen Sophismus zu beschönigen, fügte er hinzu: »Etwas Fastenspeise ist notwendig, um die Fleischkost zu dämpfen.«

Während unseres Geplauders beobachtete der Herr Abt mich, und da mein reicher Anzug ihm die Gewißheit gab, daß ich nichts von ihm verlangen würde, so sprach er mit Zuversicht und ließ sich sogar ein wenig gehen.

Als das Mahl beendet war, machte der Kanzler eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und entfernte sich. Gleich darauf führte der Abt mich im ganzen Kloster herum und zuletzt auch in die Bibliothek, wo sich das Bildnis des Kurfürsten von Köln in erzbischöflicher Tracht befand. Ich sagte ihm, das Bild sei ähnlich, aber häßlicher als das Original. Zugleich zog ich die Dose hervor, die ich von dem Kirchenfürsten erhalten hatte, und zeigte sie ihm mit der Bemerkung, das Bild sei sprechend ähnlich. Er betrachtete es wohlgefällig und lobte die Laune Seiner Hoheit sich als Großmeister des deutschen Ordens malen zu lassen. Ich sah aber auch, daß die Schönheit der Dose dem Herrn Abt keinen schlechten Begriff von meiner Persönlichkeit gab. Über den Anblick der Bibliothek würde ich laut aufgeschrien haben, wenn ich allein gewesen wäre. Sie enthielt nur Folianten, und die neuesten waren ein Jahrhundert alt. Alle diese dicken Bücher handelten nur von Theologie und religiösen Streitfragen: Bibeln, Kommentare, Kirchenväter, mehrere rechtswissenschaftliche Werke in deutscher Sprache, Annalen und das große Wörterbuch von Hoffmann.

»Ohne Zweifel, hochwürdigster Herr,« fragte ich ihn, »haben Ihre Mönche ihre Privatbüchereien, worin sich naturwissenschaftliche und geschichtliche Werke und Reisebeschreibungen finden?«

»Nein; meine Mönche sind brave Leute, die sich nur um ihre Andachtspflichten kümmern und in süßer Unwissenheit friedlich dahinleben.«

Ich weiß nicht, was mir in diesem Augenblick durch den Kopf fuhr, aber genug, mich wandelte eine unbegreifliche Laune an – nämlich Mönch zu werden. Ich sagte dem Abt zuerst nichts davon, aber ich bat ihn, mich in sein Kabinett zu führen, indem ich ihm sagte: »Ich wünsche, hochmütigster Herr, Ihnen eine Generalbeichte aller meiner Sünden abzulegen, damit ich morgen, rein von allen Verbrechen, das heilige Abendmahl empfangen kann.«

Ohne mir zu antworten, fühlte er mich in ein hübsches Gartenhaus, wo er mir sagte, er sei bereit, mich anzuhören; doch litt er nicht, daß ich niederkniete.

Ihm gegenübersitzend erzählte ich ihm drei Stunden hintereinander eine Menge ärgerlicher Geschichten; aber ich erzählte sie ohne Salz, denn ich war in einer asketischen Stimmung und mußte in einem Stil der Zerknirschung reden, die ich in Wirklichkeit nicht empfand; denn wenn ich meine tollen Streiche wieder durchging, fand ich die Erinnerung daran durchaus nicht unangenehm.

Trotzdem glaubte der durchlauchtigste oder hochwürdigste Herr zum wenigsten an meine Reue, denn er sagte mir: wenn ich durch ein ordentliches Leben die Gnade wiedergefunden hätte, so würde auch meine Zerknirschung vollkommen sein. Noch der Meinung dieses guten Abtes und noch mehr nach meiner eigenen, ist ohne die Gnade Zerknirschung unmöglich.

Nachdem er die Worte des Sakraments gesprochen hatte, die die Macht haben, das ganze Menschengeschlecht wieder unschuldig zu machen, riet er mir, mich auf ein Zimmer zurückzuziehen, wohin er mich führen lassen würde, dort den Rest des Tages im Gebet zu verbringen und früh zu Bett zu gehen, vorher jedoch zu Abend zu essen, wenn ich gewohnt wäre, den Tag mit einer Mahlzeit zu beschließen. Er sagte mir, am nächsten Morgen nach der ersten Messe würde ich das Abendmahl erhalten; hierauf trennten wir uns.

Ich gehorchte mit einer Gefügigkeit, die ich später niemals habe begreifen können; aber damals dachte ich nicht daran. Allein in einem Zimmer, das ich mir nicht die Mühe nahm, näher zu untersuchen, überließ ich mich den Gedanken, die ich vor meiner Beichte gehabt hatte; ich überredete mich leicht, daß der Zufall oder vielmehr mein guter Geist mich gerade an den Ort geführt habe, wo das Glück mich erwarte, und wo ich bis zu meiner letzten Stunde vor den Tücken des Schicksals geschützt sein werde. Es hängt nur von mir ab, sagte ich zu mir, ob ich hier bleiben will, denn ich bin überzeugt, der Abt wird mir das Ordenskleid nicht verweigern, wenn ich ihm zehntausend Taler gebe, um sie für mich auf Leibrenten zu legen.

Um glücklich zu sein, brauchte ich, so schien es mir, nur eine Bibliothek nach meinem Geschmack, und ich bezweifelte durchaus nicht, daß der Abt mir erlauben würde, mir nach meinem Belieben alle Bücher anzuschaffen, wenn ich ihm verspräche, sie nach meinem Tode dem Kloster zu schenken, vorausgesetzt, daß mir bei Lebzeiten die freie Benutzung zustände.

Was die Gesellschaft der Mönche anbelangte, Zwietracht, Neid und alle gegenseitigen Quälereien, die von solchen Vereinigungen unzertrennlich sind, so fühlte ich mich sicher, daß ich sie nicht zu fürchten haben würde, da ich nichts wollte und keinen Ehrgeiz hatte, der ihre Eifersucht hätte erregen können. Obgleich ich mich in einer Art von Verzauberung befand, sah ich aber doch die Möglichkeit der Reue voraus, und mir schauderte davor; aber ich hoffte dagegen ein Mittel finden zu können. Indem ich um das Kleid des heiligen Benedikt bitte, sagte ich zu mir, werde ich ein zehnjähriges Noviziat verlangen; kommt die Reue nicht während dieser zehn Jahre, so kann sie unmöglich später kommen, übrigens wollte ich in aller Form erklären, daß ich nach keinem Amte, nach keiner geistlichen Würde strebte. Ich wollte nur Frieden mit hinlänglicher Freiheit, um nach meinen neuen Neigungen leben zu können, ohne zu irgend einem Skandal Anlaß zu geben. Die Schwierigkeit, die die erbetene lange Dauer meines Noviziats vielleicht verursachen könnte, gedachte ich dadurch zu heben, daß ich im Falle einer Sinnesänderung die vorausbezahlten zehntausend Taler preisgäbe.

Ich schrieb vor dem Schlafengehen diesen ganzen schönen Plan nieder, und da ich am nächsten Tage mich noch ebenso fest entschlossen fand, so übergab ich nach dem Abendmahl meine Schrift dem Abt, der mich in seinem Zimmer erwartete, um mit mir die Morgenschokolade zu trinken.

Er las sofort meine Eingabe und legte sie, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch; nach dem Frühstück las er sie noch einmal, wobei er im Zimmer auf und ab ging, und sagte mir dann, er werde mir nach dem Mittagessen eine Antwort geben.

Ich erwartete die Mittagsstunde mit der Ungeduld eines Kindes, dem man Spielsachen für seinen Namenstag versprochen hat; so sehr kann eine törichte Voreingenommenheit einen Menschen ändern, indem sie im Nu seinem Geist eine neue Richtung gibt. Wir speisten ebensogut wie am Tag vorher, und als wir vom Tische aufgestanden waren, sagte der liebenswürdige Abt zu mir: »Mein Wagen erwartet Sie vor der Tür, um Sie nach Zürich zurückzubringen. Reisen Sie ab, und gönnen Sie mir vierzehn Tage Zeit zur Antwort. Ich werde sie Ihnen persönlich überbringen. Einstweilen bitte ich Sie, diese beiden versiegelten Briefe selber abzugeben.«

Ich antwortete ihm, er habe zu befehlen; ich würde seinen Auftrag pünktlich ausführen und ihn im Schwert erwarten, in der Hoffnung, daß er meine Wünsche erfüllen würde. Ich ergriff seine Hand, die er sich küssen ließ, und fuhr ab.

Als mein Spanier mich sah, lachte der Bursche laut auf. Ich erriet seinen Gedanken und fragte ihn: »Worüber lachst du?« .

»Ich lache darüber, daß Sie, kaum in der Schweiz angekommen, sich zwei Tage lang zu amüsieren wissen, ohne nach Hause zu kommen.«

»Schon gut; sage dem Wirt, ich brauche einen guten Wagen, der mir vierzehn Tage lang zur Verfügung steht, und einen Lohndiener, für den er bürgt.«

Mein Wirt hieß Ott; er war Hauptmann gewesen und stand in Zürich in großer Achtung. Er sagte mir, ich könne mich auf den Diener verlassen, den er mir besorgen werde; es gebe jedoch in der ganzen Gegend nur offene Wagen. In Ermangelung eines besseren gab ich mich mit einem solchen zufrieden.

Schon am nächsten Morgen bestellte ich die Briefe, die der Abt mir gegeben hatte. Der eine war für einen Herrn Orelli, der andere für Herrn Pestalozzi; ich fand keinen von ihnen zu Hause, aber im Laufe des Nachmittags besuchten sie mich alle beide und luden mich zum Essen ein. Auch forderten sie mich auf, sie am gleichen Abend in das Stadtkonzert zu begleiten. Dies war das einzige öffentliche Vergnügen, das man in Zürich fand; es konnten nur Mitglieder der Gesellschaft und Fremde daran teilnehmen. Diese letzteren mußten einen Taler bezahlen, obgleich sie die Ehre hatten, durch ein Mitglied vorgestellt zu werden. Die beiden Herrn lobten den Abt von Einsiedeln um die Wette.

Ich fand das Konzert schlecht und langweilte mich. Die Herren saßen alle zusammen auf der rechten Seite, die Damen auf der linken. Dies ärgerte mich, denn trotz meiner frischen Bekehrung sah ich drei oder vier hübsche Damen, die mir gefielen und die sich oft nach mir umsahen. Ich hätte ihnen gerne einige hübsche Redensarten gesagt, gewissermaßen zum Abschied von meinem bisherigen Lebenswandel.

Als das Konzert zu Ende war, gingen alle in bunter Reihe hinaus, und die beiden Bürger stellten mich ihren Frauen und Töchtern vor. Diese Fräuleins waren die nettesten an Ort und Stelle und gehörten zu denen, die ich bemerkt hatte.

Auf der Straße macht man keine langen Zeremonien; sobald ich den beiden Herren gedankt hatte, begab ich mich wieder nach dem Schwert.

Am nächsten Tage speiste ich bei Herrn Orelli und hatte Gelegenheit, seiner schönen Tochter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; doch ließ ich sie nicht merken, welchen Eindruck sie auf mich gemacht hatte. Am folgenden Tage spielte ich dieselbe Rolle bei Herrn Pestalozzi, obgleich seine reizende Tochter mich leicht auf einen Ton der Galanterie hätte stimmen können. Aber zu meinem großen Erstaunen war ich vollkommen vernünftig, und nach vier Tagen hatte ich in der ganzen Stadt den besten Ruf. Ich fand es sehr merkwürdig, daß man mich auf den Promenaden mit einer Ehrerbietigkeit grüßte, an die ich nicht gewöhnt war; aber in der frommen Stimmung, in der ich mich befand, diente dies nur dazu, mich in meinem Gedanken zu bestärken, daß es eine wahre göttliche Eingebung sei, die Kutte anzuziehen. Allerdings langweilte ich mich, aber ich dachte, dies wäre unvermeidlich bei einer so durchgreifenden Änderung des Lebenswandels und würde vorübergehen, wenn ich erst besser an ein verständiges Leben gewöhnt wäre.

Um es sobald wie möglich meinen künftigen Mitbrüdern gleichzutun, studierte ich jeden Morgen drei Stunden lang die deutsche Sprache. Ich hatte zu diesem Zweck einen eigentümlichen Lehrer angenommen, namens Giustiniani, der früher Kapuziner gewesen und aus Verzweiflung Protestant geworden war. Dieser arme Mann, dem ich jeden Morgen einen Sechsfrankentaler gab, betrachtete mich als einen Abgesandten des Himmels, während ich in meiner Anwandlung von Frömmelei ihn für einen Teufel der Hölle hielt, denn er benutzte jeden Augenblick, wo ich den Unterricht unterbrach, um auf alle religiösen Genossenschaften zu schimpfen. Gerade die angesehensten und bestgeachteten waren nach seiner Meinung die schlimmsten, weil sie die verführerischsten wären. Er nannte alle Mönche elendes Gesindel, einen Schandfleck des Menschengeschlechtes.

»Aber«, sagte ich eines Tages zu ihm, »da ist doch zum Beispiel Unsere Liebe Frau von Einsiedeln; Sie werden doch zugeben…«

»Was?« rief mein Genuese, ohne mich ausreden zu lassen, »glauben Sie, ich könnte von meinem Tadel eine Gesellschaft von vierzig Ignoranten, Faulenzern, lasterhaften Heuchlern ausnehmen? Sie treiben schmutzige Unzucht, leben unter dem Schutze eines Gewandes der Demut in Laster und Stolz und verzehren das Gut der armen Dummköpfe, die sich um ihretwillen entblößen, während sie doch von der Arbeit ihrer Hände leben könnten.«

»Aber Seine Hochwürden, der Abt?«

»Ein emporgekommener Bauer, der den Fürsten spielt und die Geckenhaftigkeit so weit treibt, sich wirklich für einen Fürsten zu halten.«

»Aber er ist es doch.«

»Nicht mehr als ich, der ich nichts bin. Ich sehe in ihm weiter nichts als einen Hanswurst.«

»Was hat er Ihnen getan?«

»Nichts, aber er ist ein Mönch.«

»Er ist mein Freund.«

»In diesem Falle nehme ich zwar nichts zurück, aber ich bitte Sie um Verzeihung.«

Dieser Giustiniani hatte großen Einfluß auf mich, aber ohne daß ich es selber wußte; denn in meiner Überzeugung von meiner innerlichen Berufung hielt ich ihn für ungefährlich. Ein neuer Vorfall zerstörte jedoch gänzlich den Einfluß, den Unsere Liebe Frau von Einsiedeln auf mich gemacht hatte.

Am Tage vor dem angekündigten Besuch des Abtes stand ich gegen sechs Uhr abends an meinem Fenster, das nach der Brücke hinausging, und unterhielt mich damit, die Vorübergehenden zu betrachten, als ich plötzlich in scharfem Trabe einen vierspännigen Wagen daher kommen sah, der vor der Tür des Gasthofes hielt. Es saß kein Bedienter darauf; infolgedessen öffnete der Kellner den Schlag, und ich sah vier gut gekleidete Damen aussteigen. An den drei ersten bemerkte ich nichts Besonderes, aber die vierte, die als Amazone gekleidet war, fiel mir durch ihre Eleganz und ihre Schönheit auf. Es war eine junge Brünette mit schön geschnittenen, großen Augen, über denen sich schön geschwungene Brauen wölbten; sie hatte eine Haut wie Lilien und Rosen und trug eine Mütze von blauem Atlas mit einer silbernen Troddel, die ihr auf das Ohr herabfiel und ihr ein sieghaftes Aussehen gab, dem ich nicht zu widerstehen vermochte. Ich beugte mich soweit wie möglich aus dem Fenster vor, und sie hob den Kopf und sah mich an, wie wenn ich sie gerufen hätte. Meine gezwungene Stellung nötigte sie, mich eine halbe Minute lang anzusehen; das war zuviel für eine bescheidene Frau und mehr als genug, um mich zu entflammen.

Ich eilte an das Fenster meines Vorzimmers, das auf die Treppe ging, und bald sah ich sie vorüberlaufen, um ihre Begleiterinnen einzuholen. Als sie mir gegenüber war, drehte sie sich zufällig um und stieß bei meinem Anblick einen Schreckensschrei aus, wie wenn sie ein Gespenst gesehen hätte; sie erholte sich jedoch sofort wieder, lief mit ausgelassenem Lachen weiter und begab sich zu den drei Damen, die schon in ihrem Zimmer waren.

Sterbliche, versetzt euch an meine Stelle und widersteht, wenn ihr könnt, einer so unerwarteten Begegnung, und ihr Fanatiker beharrt, wenn ihr den Mut habt, bei dem lächerlichen Plan, euch in einem Kloster zu begraben, wenn ihr gesehen habt, was ich am 23. April in Zürich sah!

Ich war so aufgeregt, daß ich mich auf mein Bett werfen mußte, um wieder ruhig zu werden. Nach einigen Minuten stand ich wieder auf, ging halb willenlos an das Flurfenster und sah den Kellner aus dem Zimmer der Damen kommen.

»Kellner, ich werde im Speisesaal essen.«

»Wenn Sie dies tun, um die Damen zu sehen, so ist es zwecklos, denn diese lassen sich das Abendessen im Zimmer auftragen. Sie wollen früh zu Bett gehen, weil sie in aller Frühe abreisen.«

»Wohin reisen sie?«

»Zu Unserer Lieben Frau nach Einsiedeln, wo sie ihre Andacht errichten wollen.«

»Woher kommen sie?«

»Aus Solothurn.«

»Wie heißen sie?«

»Das weiß ich nicht.«

Ich legte mich wieder auf mein Bett und dachte darüber nach, wie ich an die schöne Amazone herankommen könnte.

Soll ich nach Einsiedeln gehen? Ja, was soll ich aber dort tun? Die Damen wollen dort beichten; ich kann mich doch nicht in den Beichtstuhl setzen. Wie würde ich aussehen unter allen diesen Mönchen und Heiligenbildern? Und wenn ich unterwegs dem Abt begegnete – was bliebe mir anders übrig als wieder umzukehren? Hätte ich einen treuen Freund bei mir, so könnte ich mich in einen Hinterhalt legen und die Zauberin entführen; dies wäre leicht gewesen, denn es war kein Mann bei ihr, um sie zu verteidigen. Wie wäre es, wenn ich mich dreist zum Abendessen bei ihnen einlüde? Ja, aber diese schrecklichen drei Frauenzimmer! Man würde mich zurückweisen. Mir schien, die schöne Amazone könne nur oberflächlich fromm sein; denn aus ihrem Gesicht sprach Liebe zum Vergnügen, und ich hatte mich seit langer Zeit daran gewöhnt, die Frauen nach ihrem Mienenspiel zu beurteilen.

Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte, als ich einen höchst glücklichen Einfall hatte. Ich stellte mich an das Flurfenster und blieb dort so lange, bis der Kellner vorüberkam. Ich ließ ihn in mein Zimmer eintreten, drückte ihm zur Einleitung ein Goldstück in die Hand und sagte ihm, er möchte mir seine grüne Schürze leihen, denn ich wolle den Damen bei ihrem Abendessen aufwarten.

»Du lachst?«

»Ja, gnädiger Herr, über Ihre Laune, deren Zweck ich ahne.«

»Du bist ein Pfiffikus.«

»So sehr wie Sie einer. Ich werde Ihnen eine schöne, ganz neue Schürze holen. Die Hübsche hat mich gefragt, wer Sie seien.«

»Was hast du ihr geantwortet?«

»Sie seien Italiener, weiter nichts.«

»Sei verschwiegen, und ich werde das Goldstück verdoppeln.«

»Ich habe Ihren Spanier gebeten, mir beim Aufwarten zu helfen, denn ich bin ganz allein und muß zugleich unten bedienen.«

»Schön; aber er darf nicht ins Zimmer kommen, denn der Bursche würde sich das Lachen nicht verhalten können. Er kann in die Küche kommen, du gibst ihm die Schüsseln, und er reicht sie mir an der Türschwelle.«

Der Kellner ging und kam gleich darauf mit einer Schürze und mit Leduc wieder, dem ich sehr ernst auseinandersetzte, was er zu tun hätte. Er lachte wie verrückt, versicherte mir jedoch, ich würde mit ihm zufrieden sein. Ich ließ mir ein Vorlegemesser geben, band meinen Zopf auf, schlug den Halskragen herunter und band die Schürze über meine scharlachrote goldbestickte Weste. Hierauf betrachtete ich mich im Spiegel und fand mit Befriedigung, daß ich gemein genug aussah, um die bescheidene Persönlichkeit vorzustellen, die ich spielen sollte. Ich war in freudiger Stimmung; denn ich sagte mir, da sie aus Solothurn wären, so müßten sie doch französisch sprechen.

Leduc meldete mir, daß der Kellner gleich kommen werde. Ich, ging in das Zimmer der Damen, musterte die gedeckte Tafel, und sagte zu ihnen: »Man wird sofort auftragen, meine Damen.«

Die häßlichste von den vieren sagte mir: »Beeilen Sie sich nur, wir wollen schon vor Tagesanbruch aufstehen.« Ich rückte Stühle an den Tisch und sah die Schöne von der Seite an. Sie blickte mich an wie wenn sie versteinert wäre. Ich half dem Kellner die Schüsseln auf den Tisch setzen, und hierauf sagte er zu mir: »Hör mal, du, bleib hier; ich muß unten bedienen.«

Ich nahm einen Teller und stellte mich meiner Amazone gegenüber hinter einen Stuhl, von wo aus ich sie unauffällig vorzüglich sehen konnte. Besser gesagt: ich hatte nur für sie Augen. Sie war erstaunt; die anderen beehrten mich nicht einmal mit einem Blick und dies war das beste, was sie tun konnten. Nach der Suppe eilte ich zu ihr und wechselte ihren Teller; denselben Dienst verrichtete ich auch bei den anderen, worauf sie sich selber das Rindfleisch nahmen.

Während sie aßen, nahm ich einen gekochten Kapaun vor und zerlegte ihn kunstgerecht.

»Dieser Kellner«, sagte meine Schöne, »bedient sehr gut. Sind Sie schon lange in diesem Gasthof?«

»Erst seit wenigen Wochen, gnädige Frau.«

»Sie servieren ausgezeichnet.«

»Gnädige Frau sind sehr gütig.«

Ich hatte meine Manschetten von prachtvoller englischer Spitze in meine Ärmel hineingesteckt; aber die Hemdenkrause sah ein wenig aus der Weste hervor, die ich nicht sorgfältig zugeknöpft hatte. Sie bemerkte diese und rief: »Warten Sie, warten Sie!«

»Was wünschen Sie, gnädige Frau?«

»Lassen Sie doch mal sehen. Da haben Sie ja prachtvolle Spitzen.«

»Ja, gnädige Frau, das hat man mir gesagt; aber sie sind alt. Ein vornehmer italienischer Herr, der hier wohnte, hat mir sie geschenkt.«

»Haben Sie auch solche Manschetten?«

»Ja, gnädige Frau.«

Mit diesen Worten streckte ich meine Hand aus und knöpfte mit der anderen den Westenärmel auf. Sie zog langsam die Manschetten hervor und schien sich absichtlich so vorzubeugen, daß meine Blicke sich an allem berauschen konnten, was sie ihnen von ihren Reizen darbieten konnte, obgleich sie ziemlich eng geschnürt war. Welch köstlicher Augenblick! Ich wußte, daß sie mich wiedererkannt hatte, und als ich sah, daß sie darüber schwieg, empfand ich eine wirkliche Qual bei dem Gedanken, daß ich mit dieser Maskerade nur bis zu einem gewissen Punkt gehen konnte.

Als sie die Spitzen ziemlich lange betrachtet hatte, sagte ihre Nachbarin zu ihr: »Aber, meine Liebe, was für eine Neugier! Man sollte meinen, du hättest in deinem Leben noch keine Spitzen gesehen.«

Meine liebenswürdige Neugierige errötete.

Nach dem Essen zogen die drei Häßlichen sich jede in eine Ecke zurück, um sich auszukleiden, während ich den Tisch abräumte, und meine Heldin begann zu schreiben. Ich gestehe, es fehlte nicht viel dran, so hätte ich in meiner Eitelkeit mir eingebildet, daß sie an mich schriebe; ich hatte aber doch eine zu gute Meinung von ihr, um nicht diesen Gedanken sofort zu verwerfen. Als ich abgedeckt hatte, stellte ich mich in ehrerbietiger Haltung, wie sie zu der von mir angenommenen Rolle paßte, neben die Tür.

»Worauf warten Sie?« fragte die Schöne mich.

«Auf Ihre Befehle, gnädige Frau.«

»Ich danke Ihnen; ich brauche nichts.«

»Sie tragen Stiefel, gnädige Frau, und wenn Sie sich nicht etwa gestiefelt zu Bett legen wollen …«

»Da haben Sie allerdings recht; aber ich möchte Ihnen nicht die Mühe machen.«

»Bin ich denn nicht dazu da, Sie zu bedienen, gnädige Frau?«

Mit diesen Worten kniete ich vor ihr nieder und schnürte langsam ihre Halbstiefel auf, während sie ruhig weiter schrieb. Ich ging aber noch weiter: ich löste die Schnalle ihres Hosenbandes und weidete mich am Anblick und noch mehr am Betasten ihrer wundervoll geformten Waden; aber zu früh für meine Wünsche hörte sie auf zu schreiben, wandte den Kopf um und sagte: »Nun ist es aber genug, mein Herr; ich bemerkte gar nicht, daß Sie sich zu viel Mühe gaben; gehen Sie! Morgen Abend werden wir uns wiedersehen.«

»Sie werden also hier zu Abend speisen, meine Damen?«

»Ja, gewiß.«

Ich nahm ihre Stiefel mit, indem ich sie fragte, ob ich die Tür verschließen solle.

»Nein, mein Lieber,« antwortete sie mit einer Sirenenstimme, »lassen Sie den Schlüssel von innen stecken.«

Als Leduc die Stiefel der Fee mir abnahm, lachte er wie ein Besessener und sagte: »Sie hat Sie angeführt.«

»Wieso?«

»Ich habe alles gesehen, gnädiger Herr. Sie spielten Ihre Rolle wie der beste Pariser Schauspieler, und ich bin überzeugt, morgen früh wird sie Ihnen einen Louis Trinkgeld geben; aber wenn Sie den nicht mir geben, plaudere ich die ganze Geschichte aus.«

»Da, du Spitzbube, da hast du ihn schon zum voraus; laß mir schnell das Abendessen auftragen.«

Dies, lieber Leser, sind Freuden, die ich mir in meinem Alter nicht mehr verschaffen kann, die ich aber noch in der Erinnerung genießen darf. Gewisse Ungeheuer predigen die Reue, und gewisse Philosophen erklären unsere Freuden für nichts als Eitelkeiten. Laßt sie reden! Zu bereuen brauchen wir nur Verbrechen, und die Freuden sind Wirklichkeiten, die leider nur zu schnell vergehen.

Ein barmherziger Traum ließ mich die Nacht mit meiner Amazone verbringen. Ein Irrtum, aber ein köstlicher Irrtum. Warum kann ich mich nicht mehr in solche süße Illusionen einwiegen, die die Nächte so lieblich machen!

Bei Tagesanbruch stand ich mit den Stiefeln in der Hand gerade in dem Augenblick vor ihrer Tür, als ihr Kutscher kam und ihnen sagte, sie müßten aufstehen. Ich fragte sie der Form wegen, ob sie frühstücken wollten, und sie antworteten mir lachend, sie hätten gut zu Abend gegessen und daher zu so früher Stunde noch keinen Hunger. Ich ging hinaus, um ihnen Zeit zum Ankleiden zu lassen.

Aber da die Tür halb offen stand und dem Spiegel gegenüber lag, worin meine Schöne sich betrachtete, so berauschten meine Blicke sich an einem Alabasterbusen. Als sie sich geschminkt und ihr Kleid angezogen hatte, rief sie nach ihren Stiefeln. Ich bat sie um die Erlaubnis, sie ihr anziehen zu dürfen; sie gestattete das freundlichst, und da sie Hosen von hellgrünem Sammet anhatte, so spielte sie den Kavalier.

Übrigens braucht man sich ja vor einem Kellner keinen Zwang anzutun! Um so schlimmer für ihn, wenn er sich irgendwelche Hoffnungen macht, weil man ihm bedeutungslose Kleinigkeiten gewährt. Er wird dafür bestraft werden; denn wie könnte man annehmen, daß er frech genug wäre, weiter zu gehen? Ich, der ich leider jetzt alt bin, genieße heute einige Vorrechte dieser Art; ich genieße ihrer und verachte mich dabei, noch mehr freilich verachte ich die, die sie mir gewähren.

Nach ihrer Abfahrt legte ich mich zu Bett. Ich war ein wenig verwirrt, aber doch voller Hoffnung. Nach meinem Erwachen hörte ich, daß der Abt von Einsiedeln in Zürich sei, und Herr Ott sagte mir, daß der hochwürdigste Herr mit mir allein auf meinem Zimmer speisen würde. Ich antwortete ihm, ich wünschte den Herrn Abt glänzend zu bewirten, und er sollte mir daher die beste Mahlzeit auftragen, die er herzustellen vermöchte. Um die Mittagsstunde ließ der gute Prälat sich melden. Er sagte mir ein Kompliment über den guten Ruf, den ich mir in Zürich erworben habe, was in ihm den Glauben erwecke, daß meine Berufung zur Gnade noch immer fortdauere. »Hier habe ich ein Distichon,« sagte er, »das Sie über Ihre Zimmertür schreiben können:

Inveni portum. Spes et fortuna valete;
Nil mihi vobiscum est: ludite nunc alios!«

»Dies ist«, antwortete ich ihm, »die Übersetzung von zwei Versen des Euripides; aber, gnädiger Herr, ich werde sie ein andermal verwenden; denn seit gestern habe ich meinen Plan geändert.«

»Dazu wünsche ich Ihnen Glück, und ich will hoffen, daß alle Ihre Wünsche sich erfüllen. Ich will Ihnen sogar im Vertrauen sagen, daß es viel leichter ist, selig zu werden, wenn man in der Welt bleibt, wo man seinen Nächsten nützlich sein kann, als wenn man sich in ein Kloster einschließt, wo man weder für sich noch für andere zu etwas gut ist.«

Diese Sprache, schien mir, ließ nicht auf einen Heuchler schließen, wie Giustiniani ihn mir geschildert hatte, sondern vielmehr auf einen Ehrenmann mit gesundem Menschenverstand.

Wir hatten ein fürstliches Mahl; denn Herr Ott hatte die drei Gänge mit großer Kunst zusammengestellt. Wir erheiterten dieses Mahl durch eine außerordentlich interessante Unterhaltung, bei der auch der feine Scherz nicht fehlte. Nach dem Kaffee sprach ich ihm meinen ehrerbietigsten Dank aus und begleitete ihn an seinen Wagenschlag, wo der hochwürdigste Herr mir wiederholt in der offensten Weise seine Dienste anbot; wir trennten uns, gegenseitig sehr miteinander zufrieden.

Die Anwesenheit und die Unterhaltung dieses liebenswürdigen Geistlichen hatten nicht einen Augenblick meine Gedanken von der schönen Frau abgezogen. Sobald der Abt abgefahren war, stellte ich mich auf die Brücke vor dem Gasthof, um dort den barmherzigen Engel zu erwarten, der eigens von Solothurn gekommen zu sein schien, um mich von der teuflischen Versuchung zu bewahren, in ein Mönchkloster einzutreten. Bis zu ihrer Ankunft baute ich die schönsten Luftschlösser, und gegen sechs Uhr hatte ich endlich das Glück, meine schöne Reisende zu erblicken. Ich versteckte mich, aber so, daß ich sehen konnte, ohne selber gesehen zu werden. Zu meiner größten Überraschung sah ich sie alle vier zu meinem Fenster hinaufblicken. Diese Neugier zeigte mir, daß die schöne Amazone das Geheimnis verraten hatte, und in meine Überraschung mischte sich ein wenig Zorn. Dieses Gefühl war natürlich, denn ich sah mich nicht nur in meiner Hoffnung getäuscht, daß das Abenteuer noch eine Fortsetzung haben würde, sondern es begann auch meine Zuversicht zu wanken, daß ich meine Rolle gut spielen würde. Trotz meiner Liebe hätte ich um alles in der Welt nicht eingewilligt, mich von ihren drei häßlichen Freundinnen auslachen zu lassen. Ich beschloß augenblicklich, sie in ihrer Erwartung zu täuschen und auf diese Weise sie selber anzuführen. Wenn ich die schöne Amazone interessiert hätte, so würde sie sich natürlich wohl gehütet haben, mein Geheimnis zu verraten; aber sie hatte alles gesagt, und ich sah in ihrer Indiskretion den schlagenden Beweis, daß sie den Spaß nicht weiterzutreiben gedachte, oder auch, daß es ihr an dem so notwendigen Geist fehlte, um eine Intrigue mit Erfolg durchzuführen. Vielleicht würde ich trotz allen ungünstigen Aussichten die Sache weitergeführt haben, wenn die drei Freundinnen meiner Zauberin einiger Aufmerksamkeit wert gewesen wären; aber genau so wie eine schöne Frau mich fortreißt, bringt eine häßliche mich um alle Stimmung. Um die voraussichtliche Langeweile zu verscheuchen und mich etwas zu zerstreuen, ging ich aus; ich begegnete Giustiniani, erzählte ihm mein Mißgeschick und sagte ihm, es würde mir nicht unlieb sein, mich bei irgendeiner käuflichen Schönheit für ein paar Stunden entschädigen zu können.

Er antwortete mir: »Ich werde Sie bis an die Tür eines Hauses führen, wo Sie das Gewünschte finden werden. Sie steigen bis zum zweiten Stockwerk hinauf; dort empfängt Sie eine alte Frau, der Sie meinen Namen ins Ohr flüstern müssen. Ich wage es nicht, Sie zu begleiten; denn dies würde in der Stadt bekannt werden und mir Verdrießlichkeiten mit der Polizei zuziehen, die in dieser Beziehung von einer lächerlichen Strenge ist. Ich rate Ihnen sogar, das Haus nicht eher zu betreten, als bis Sie ganz sicher sind, nicht gesehen zu werden.« Auf den Rat meines Exkapuziners wartete ich bis zum Dunkelwerden. Ich wurde freundlich aufgenommen; aber ich bekam ein schlechtes Abendessen und langweilte mich mit jungen Arbeiterinnen bis Mitternacht. Nicht als ob die beiden Nymphen nicht sehr hübsch gewesen wären, aber mein Kopf war voll von meiner Amazone; außerdem ermangelten sie trotz ihrer Frische und Sauberkeit jener Anmut, die den Freuden der Liebe so hohen Reiz verleiht. Meine in diesem Lande unbekannte Freigebigkeit verschaffte mir die Gunst der Alten; sie versprach mir, sie werde mir das Beste besorgen, was in der Stadt zu haben sei, aber sie bat mich dringend, die größte Vorsicht zu beobachten, um beim Betreten ihres Hauses nicht gesehen zu werden.

Als ich nach Hause kam, sagte Leduc mir, ich hätte wohl daran getan, mich aus dem Staube zu machen; denn meine Maskerade wäre bekannt geworden und alle, sogar Herr Ott, würden ihren Spaß daran gehabt haben, mich die Kellnerrolle spielen zu sehen. »Ihre Stelle«, schloß er, »habe ich eingenommen. Die Schöne, die Sie gefesselt hat, heißt Frau von ***, und ich gestehe, ich habe niemals etwas so Pikantes gesehen.«

»Hat sie gefragt, wo der andere Kellner wäre?«

»Nein, aber ihre Begleiterinnen haben mich mehrere Male danach gefragt.«

»Und Frau von *** hat nichts gesagt?«

»Sie hat den Mund nicht aufgetan; sie sah sehr traurig aus und saß ganz teilnahmslos da, bis ich sagte, Sie wären nicht gekommen, weil Sie krank wären.«

»Das ist eine Dummheit, warum hast du ihr das gesagt?«

»Irgend etwas mußte ich ihr doch sagen.«

»Das ist wahr. Hast du ihr die Stiefel aufgeschnürt?«

»Nein, sie wollte es nicht.«

»Wer hat dir ihren Namen gesagt?«

»Der Kutscher. Die Dame ist seit kurzem mit einem älteren Mann verheiratet.«

Ich ging zu Bett, ohne recht zu wissen, was ich von der Plauderhaftigkeit und von der Traurigkeit der Schönen denken sollte. Es wurde mir schwer, zwei so widersprechende Dinge zusammenzureimen. Da ich wußte, daß sie in aller Frühe abreisen wollte, stellte ich mich an mein Fenster, um sie in den Wagen steigen zu sehen. Aber ich zog die Vorhänge so zusammen, daß ich nicht gesehen werden konnte. Frau von *** stieg zuletzt ein; wie wenn sie sehen wollte, ob es regne, nahm sie ihre Atlasmütze ab und erhob den Kopf. Sofort schob ich mit der einen Hand den Vorhang zur Seite, nahm mit der anderen Hand meine Mütze ab, grüßte sie und warf ihr eine Kußhand zu. Sie grüßte mich auf das anmutigste wieder und belohnte mich für meine Kußhand mit dem liebenswürdigsten Lächeln.