Die Mandragola des Machiavelli, ein Spiegel italienischer Sitten zur Zeit der Renaissance, ist bekannt. Das Motiv hat später Lafontaine zu einer seiner lustigsten Geschichten verwendet. Im vierten Abschnitt läßt er Liguro einen falschen Offizier, einen Kammerdiener und einen falschen Arzt zu einer komischen Liebesexpedition in Schlachtordnung aufstellen, und dazu sagt Liguro:

»A la corne droite, on placera Callimaque; je me placerai au bout de la corne gauche, le docteur entre les deux cornes; il s’appellera saint Coucou.«

Un interlocuteur: »– Quel est ce Saint là?«

»Le plusgrand saint de France.«

Der »Interlocuteur« und die Antwort, die er bekommt, sind köstlich. Den Witz hätte schon Brantôme machen können, vielleicht schrieb er ihn nur nicht auf; denn allzusehr durfte er sich seinem beliebten Spiel mit dem Wort »cocu« doch nicht hingeben.

»Der Hahnrei der größte Heilige von Frankreich.« Das hätte als Motto über den »Galanten Damen« stehen können. Philarète Chasles, »le vieux Gaulois«, hätte es zwar bestritten, er behauptete immer, Gallien wäre rein und keusch, und wenn Frankreich lasterhaft wurde, dann sei es bloß von benachbarten Völkern angesteckt worden, aber der gute Akademiker war auch nur vortrefflich über die Einflüsse von Italien herüber unterrichtet; von der Existenz des Hahnrei selbst in der Kultur des sechzehnten Jahrhunderts hatte er keine Ahnung. Er schwört sogar Stein und Bein (in seiner Vorrede zur Edition von 1834), das sei alles gar nicht so ernst gewesen, die Hofleute hätten nur ein kleines Gelüste gehabt, auf eine elegante Weise unmoralisch zu sein. Er nennt Brantôme sogar »un fanfaron de licence«, einen Renommisten der Ausschweifung, ja er wäre unglücklich, wenn er nicht die beruhigende Versicherung abgeben könnte: »Quand il se plonge dans les impuretés, c’est, croyez-moi, pure fanfaronnade de vice.« Reine Prahlerei mit der Lasterhaftigkeit. Wer lacht nicht über den guten Akademiker, dem die Geschichte seiner Könige so unbekannt geblieben ist? Das Croyez-moi klingt ausgezeichnet. Aber das Trefflichste kommt noch: Das Buch der galanten Damen sei durchaus nicht nur als »frivole Sammlung skandalöser Anekdoten« zu betrachten, sondern als »curieux monument historique«. Wenn Chasles das Wort »kulturhistorisch« gekannt hätte, mit dem heute so viele moralisch unbequeme Bücher kaschiert werden …

Der Mann mit den Palmen auf dem Frack hatte die Empfindung, einen Autor, dessen Werk er herausgebe, dürfe er in der Vorrede nicht beschimpfen; man setzt sich doch auch nicht hin und schreibt über eine verruchte Seele eine dicke Biographie; ganz behaglich muß ihm nicht dabei gewesen sein. Daß er aber Brantôme gar beschönigen wollte, das war nicht hübsch von ihm. Eduard Engel war offener, er nannte ihn den »scheußlichen« Brantôme und sprach von »unerreichter Gemeinheit« und wieder von einem »Hexenkessel unsagbarer Scheußlichkeiten«. Lotheißen, in dem man sonst den gerechtesten Kenner und Wäger der französischen Kultur verehren muß, tut seine Bücher als »gemeine und freche Klatschereien« ab.

Brantôme wird wohl für immer eine schwankende Erscheinung in der Kulturgeschichte bleiben, am Urteil der Oberflächlichen über diesen Schriftsteller wird nun einmal nicht mehr gerüttelt werden können. So einfach wollen wir aber hier mit Brantôme nicht fertig werden. Jeder Moraltrompeter hat es schrecklich leicht, über ihn den Stab zu brechen. Es muß jedoch eine tiefere Beurteilung Platz greifen. Nun böte sich ja, um über die Schwierigkeit hinwegzukommen, ein (schon erwähntes) verführerisches Mittel an: man legt dem guten lächelnden Brantôme das so beliebte kulturhistorische Mäntelchen um und führt ihn so auf den Markt. Es wäre ja nicht falsch, aber – was hat das arme Wort »kulturhistorisch« nicht schon alles mit seiner neutralen Flagge decken müssen? Nein, für diese Etikettierung ist Brantôme zu schade, er braucht sie auch nicht, er ist schon ganz von selber kulturhistorisch, ohne daß man es ihm auf die Nase schreibt. Nun wäre zu fragen: von welcher Seite soll ich dann aber überhaupt Brantôme begreifen? Man könnte sagen: von der Zeit her, aber das ist, so allgemein gesagt, eine Gassenweisheit. Es stimmt auch nicht ganz; denn Brantôme muß mit seiner Persönlichkeit – und man wird diese verwegene, bravouröse, anarchistische Persönlichkeit, die ihrem König den Kammerherrnschlüssel fast ins Gesicht wirft, kennen lernen, – von seinem Werk ebensoweit abgerückt werden, als er ihm nach der Meinung der Gebildeten nahe steht. Hier hat man wieder einmal den eklatanten Fall, daß der Verfasser mit seinem Buch durchaus nicht identifiziert werden darf. Diese Ereignisse hätten ebensogut durch einen andern Kopf gehen können, sie wären doch dieselben geblieben; denn Brantôme war nicht ihr Urheber, er hat sie nicht erfunden, er war nur der naive Chronist. Da tritt nun der Fall ein: Dem Schriftsteller werden Dinge in die Schuhe geschoben, an denen er selbst ganz unschuldig ist (wie sehr läßt die Gesellschaft einen Autor für seine Konfession in Buchform büßen), es wird ihm schon zum Verbrechen angerechnet, wenn er ihr Berichterstatter geworden ist, ja es ist sein Verbrechen. Die Verantwortlichkeit, die Brantôme für seine Schriften zu tragen hat, ist eine sehr einzuschränkende, und wenn die gebildeten Pfarrersköchinnen es rundweg ablehnen, sich mit dem Rest zu versöhnen, braucht man ihnen nur entgegenzuhalten, daß dieser Rest durch das eigenste, persönlichste Leben Brantômes völlig aufgehoben wird.

Brantôme rechnete sich zu seinen Lebzeiten zweifellos zu den Historikern. Das war ein verzeihlicher Irrtum. Die Meinungen über den geschichtlichen Wert seiner Berichte gehen sehr auseinander, im allgemeinen neigt man zur Ansicht, Brantôme verbürgte keinerlei Exaktheit und gehörte eher zu den Chroniqueurs und Memoirenschreibern. Ja, für jeden Satz hat Brantôme die historische Richtigkeit freilich nicht aufzuweisen, wer vermöchte auch dieses Kaleidoskop von Einzelfällen exakt hinzustellen? Aber die Bedeutsamkeit, den symbolischen Wert, die hat Brantôme!

Um diesen scharfen Schnitt zwischen dem Livre des Dames galantes und seinem bisherigen vermeintlichen Urheber zu begründen, muß man mir schon erlauben, daß ich das Frankreich des sechzehnten Jahrhunderts schildere. Verschiedene Essayisten sagten, die Zeit sei ganz zahm und sittenrein gewesen, Brantôme habe das alles erdichtet und aufgebauscht, und wenn sie dann Beispiele anführten, kam es doch heraus, daß ihre Meinung wie die Schlange war, die sich in den Schwanz biß. Ihre Beispiele belegten gerade das Gegenteil ihrer Ansichten. Brantôme ist ohne die Welt der letzten Valois gar nicht denkbar. Diese verrotteten Könige lieferten ihm den Stoff zu seinem Buch. Die wenigsten Heldentaten mögen auf seine eigene Rechnung kommen, und diese noch erzählt er unpersönlich, die meisten erfuhr er, erlebte er mit, oder sie wurden ihm erzählt. Zum großen Teil von den Königen selbst. In welcher Beziehung man auch immer von der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in der Geschichte lesen mag, es wird immer von den liederlichen, wollüstigen und unsittlichen Valois gesprochen. Die Könige korrumpierten diese Epoche so sehr, daß Brantôme ein Heliogabal hätte sein müssen, wenn sein Kulturbeitrag spürbar sein sollte.

Am Anfang dieser Entwicklung stehen die Einflüsse der italienischen Renaissance. Durch die Kriegszüge Karls VIII. kam Frankreich mit ihr am kräftigsten in Berührung. Diese Könige führten lange Kämpfe um den Besitz von Mailand, Genua, Siena, Neapel. Ein Traum des Südens führte die Franzosen über die Alpen, und jeder Feldzug hatte eine neue Überströmung mit italienischer Kultur zur Folge. Wenn Frankreich am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts noch nicht der Hauptsitz der Lebenskunst und der feinen Sitte war, so näherte es sich doch schon unter Franz I. mit Riesenschritten diesem Zustand; denn nun kam noch eine Invasion spanischer Kultur hinzu, Madrid wurde nach Rom die zweite Lehrmeisterin von Paris. Franz I., dieser ritterliche König, entfaltete ein blühendes Hofleben, zog italienische Künstler nach Blois, Lionardo, Cellini und andere, und suchte die Grandezza spanischer Formen an seinem Hof heimisch zu machen. Eine Zeitlang schien Frankreich noch eine Kopie Italiens, aber eine schlechte Kopie, mit dem Überwiegen des spanischen Einflusses näherte sich das Zeremoniell der Gesellschaft seiner Vollendung.

Franz I. brachte also die ritterliche Galanterie in Frankreich zur Blüte, im Edelmann sah er den ersten Vertreter des Volks, und Frauendienst und Frauenhuld gingen ihm über alles. Der Hof gefiel sich in einem göttlich-frivolen Treiben, schon jetzt wurde die Mätressenwirtschaft zu einer fast offiziellen Institution. »Ich habe von des Königs Wunsch sagen hören,« erzählt Brantôme, »daß die Edelleute seines Hofs nicht ohne eine Dame ihres Herzens seien, und wenn sie diesem Wunsch nicht entsprachen, hielt er sie für abgeschmackt und einfältig. Die andern aber fragte er häufig nach dem Namen ihrer Geliebten, versprach ihnen zu helfen und für sie zu sprechen, so gütig und vertraulich war er.« Auch das andre Wort: »Ein Hof ohne Frauen sei wie ein Jahr ohne Frühling, wie ein Frühling ohne Rosen,« stammt von Franz I. Dieses Hof leben hatte freilich schon eine drückende Finanznot, Korruption der Staatsverwaltung und Ämterverkauf zur Kehrseite, die italienischen Architekten, die in Frankreich die Prachtbauten von Saint Germain, Chantilly, Chambord, Chenonceaux aufführten, waren eben auch sehr kostspielig. Auch die literarischen Interessen wurden sehr gepflegt, das feinere Französisch entwickelte sich zu dieser Zeit. In Blois wurde eine Bücherei, eine Chambre de librarye eingerichtet. Alle Valois waren überhaupt bedeutende Talente im Abfassen von poetischen Episteln, Liedern, Novellen, nicht bloß die königliche Schwester Franz‘ I., Margarete von Navarra, die nach dem Beispiel ihres Bruders die schönen Wissenschaften beschützte und pflegte. Wir hören allerdings auch schon von der »erschreckenden Sittenlosigkeit« in Pau, wenn es auch nicht so arg gewesen sein mag. Aber mit dem Hoftreiben in Pau erscheint sogleich Brantôme verflochten; seine Großmutter, Louise von Daillon, Seneschallin von Poitiers, war eine der vertrautesten Hofdamen der Königin von Navarra; seine Mutter, Anna von Bourdeille, wird sogar in verschiedenen Novellen des Heptameron redend mit eingeführt. Ennasuite heißt sie, und sein Vater, Franz von Bourdeille, tritt als Simontaut auf. Im Louvre wurde das Leben immer freier. Franz I., dieser königliche Don Juan, soll sogar ein Rivale seines Sohnes geworden sein, ohne daß wir wissen, ob wir dies auf Katharina von Medici oder auf Diana von Poitiers beziehen sollen. Nach einer andern Version rivalisierte aber vielmehr Heinrich II. bei Diana von Poitiers mit seinem Vater. Aber es bedurfte gar nicht der Rache jenes betrogenen Edelmanns, die Franz I. das Leben kostete. Man sagt, der König sei mit Willen angesteckt worden, man konnte ihn nicht heilen, und er starb an dem Übel. Jedenfalls war bei seinem Ende sein Körper von venerischen Geschwüren vollständig vergiftet. Die körperliche Entartung war eine furchtbare Erbschaft, die er seinem Sohn, Heinrich II., hinterließ.

Dieser hatte inzwischen Katharina von Medici geheiratet. Mit ihr zogen italienische Verderbtheiten noch stärker über die Alpen. Sie brachte eine Unmenge von Astrologen, Tänzern, Sängern, Gauklern, Musikern mit, die gleich Heuschrecken auf Frankreich lasteten. Auf den Kulturprozeß wirkte sie damit sehr beschleunigend ein, sie durchtränkte den Hof Heinrichs II., sowie den seiner drei Söhne mit italienisch-spanischem Geiste. (Man sieht schon an den zahlreichen Zitaten Brantômes, wie innig und häufig bereits damals die Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien waren, dem klassischen Land der feinen höfischen Liebe und der Galanterie.) Mächtiger als ihre Sinnenlust war allerdings stets ihre Herrschsucht; von imponierendem Äußern, war sie nicht schön, eher allzu stark, der Jagd leidenschaftlich ergeben, aber männlich auch in der Menge des Essens, das sie zu sich nahm.

Sie konnte vorzüglich reden und wendete ihre literarischen Fertigkeiten in ihrem diplomatischen Briefwechsel an, man veranschlagt ihre Korrespondenz auf 6000 Briefe. Die tiefe Demütigung, mit Madame von Valentinois, Diana von Poitiers, der Geliebten Heinrichs II., die Tafel und das Bett ihres königlichen Gemahls teilen zu müssen, blieb ihr allerdings nicht erspart. In dieser schwierigen Lage, einem unwissenden und beschränkten Gatten gegenüber, der noch dazu von seinen Günstlingen völlig beherrscht wurde, bewahrte sie einen überaus klugen Geist. Katharina von Medici war freilich eine verschlagene Frau, die später mitten in den Festen, die sie feierte, an der Verwirklichung tiefster und geheimster Absichten arbeitete.

Heinrich II. hinterließ vier Söhne und eine Tochter, die ihm Katharina von Medici nach einer zehnjährigen Unfruchtbarkeit geboren hatte. Mit ihnen erfüllte sich das tragische Geschick der letzten Valois. Einer nach dem andern steigt auf den Thron, um den kein Kindeslächeln, kein süßer Schrei sein holdes Leben breitet. Der letzte steht noch an den Stufen und verzehrt sich schon, und von der letzten Valois, jener Margarete, die mit ihrer bezaubernden Schönheit die Menschen betörte und als erste Gemahlin Heinrichs IV. die Welt mit dem Ruf ihres skandalösen Lebens erfüllte, rollte das valesische Blut ganz allein in den Bourbonen weiter, ein verdorbenes Blut, ein unheilvolles Erbe. Es liegt Tragik darin, daß das Buch der galanten Damen gerade Alençon, dem allerletzten Valois, dem allerjüngsten, gewidmet ist. Von den vier Söhnen war einer verkommener als der andere, sie lieferten den Stoff zu seinen Berichten. Das Buch der galanten Damen ist damit auch das Siegel auf das Ende eines Geschlechts. Mit Franz II. begann die Linie. Er bestieg den Thron als ein sechzehnjähriger Knabe; an geistiger Entwicklung war er gerade so schwächlich und zurückgeblieben wie an körperlicher. Nicht ein Jahr mehr war er dem Leben gewachsen, schon 1560 starb er »infolge eines Kopfgeschwürs«. Dann führte Katharina von Medici zehn Jahre die Regentschaft. 1571 war der nächste Sohn Karl so alt geworden, um sich auf den Thron setzen zu können, er bestieg ihn mit 22 Jahren, hoch aufgeschossen, aber mager, schwach auf den Beinen, von gebückter Haltung und kränklich-blasser Gesichtsfarbe. So wurde er von François Clouet, genannt Janet, gemalt, ein berühmtes Bild, das heute im Besitz des Herzogs von Aumale ist. Als junger Prinz genoß er die feinste Erziehung. Amyot und Henri Estienne waren seine Lehrer, mit denen er Plotin, Plato, Virgil, Cicero, Tacitus, Polybius und Machiavelli studierte. Die Plutarchübersetzung Amyots war das Entzücken des ganzen Hofes. »Man sah die Fürstinnen aus dem Hause Frankreich«, sagt Brantôme, »mit ihren Damen und Ehrenfräulein sich höchlichst an den schönen Aussprüchen der Griechen und Römer erbauen, die durch den süßen Plutarch dem Gedächtnis aufbewahrt waren.« So kam auch bei dieser höfischen Geselligkeit die Literatur zu ihrem Recht, aber nicht bloß der altklassischen Literatur huldigten sie, alle waren auch in der Kunst des Sonetts erfahren und verstanden zierliche Liebesliedchen zu reimen wie ein Ronsard; Karl IX. dichtete selbst und übersetzte horazische Oden ins Französische. Seine weichliche Natur, die zwischen erniedrigenden Ausschweifungen und Gewissensangst hin und her schwankte, vergnügte sich an graziösen und leichtfertigen Dichtungen. Auch Gutes zeitigte die Bewegung; nachdem schon 1539 die französische Sprache als Gerichtssprache, auch bei den Vorträgen, eingesetzt worden war, gab Karl IX. 1570 die Erlaubnis zur Stiftung einer Gesellschaft zur Ausbildung und Reinigung der Sprache. Aber auch hierin eiferte der ehrliche de Thou über »das verdorbene Zeitalter« und schrieb von der »Vergiftung der Frauen durch unsittliche Lieder«. Der gute Mann schrieb allerdings lateinisch. Nun begannen unruhige Zeiten, die hugenottischen Aufstände tobten durch Frankreich. Aber gerade die Unruhen und die Gefahr beförderten einen gewissen leichten Lebensmut, eine kecke Sorglosigkeit. Die Mordsucht schlich durch die Gassen, es ist das Jahr der Bartholomäusnacht. Der Herzog von Anjou erzählte selbst, wie er von seinem Bruder, König Karl IX., erdolcht zu werden fürchtete, und als er später selbst den Thron bestieg, sah er seinen Bruder Alençon gegen sich verschworen. Die Mignons und die Rodomonts, die Stutzer und die Renommisten waren bei alledem an dem entarteten Hof im Steigen. Bald vermochte er ganz ernstlich mit Madrid und Neapel zu rivalisieren, ja jetzt sahen die Leute da unten nach Frankreich hinauf als in das Zentrum der feinen Lebensart. Brantôme hatte diese Erkenntnis zuerst, und er bemerkte sie gerne, ja er schürte sie noch, schon damals wollte der Franzose allen andern Völkern überlegen sein.

Die Folgen der Bartholomäusnacht zerbrachen den schwachen König. Hin und her flackerte sein Temperament, er wurde finster und ungestüm. Er bekam schreckhafte Halluzinationen, er hörte die Geister der Erschlagnen durch die Luft sausen, durch übermenschliche körperliche Anstrengungen suchte er sein Gewissen zu betäuben und sich Schlaf zu verschaffen. Unaufhörlich lag er der Jagd ob, blieb 12 bis 14 Stunden unausgesetzt im Sattel, oft drei Tage hintereinander; wenn er nicht jagen konnte, trieb er Fechtübungen oder Ballspiel oder stand drei bis vier Stunden am Schmiedeamboß, einen kolossalen Hammer schwingend. Endlich warf ihn in Vincennes die Schwindsucht nieder. Noch auf seinem Krankenlager vertrieb er sich mit literarischen Arbeiten über seine Lieblingsbeschäftigung die Zeit, er schrieb am Livre du Roy Charles, einer Abhandlung über die Naturgeschichte und die Jagd der Hirsche. Beim 29. Kapitel nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Das hinterlassene Bruchstück verdient Lob, es war gut durchdacht und nicht übel geschrieben.

Es ist immer mißlich, wenn man einem König nachsagen muß, mehr Talent zu einem Schriftsteller gehabt zu haben als zu einem König. Es chokiert, aber es ist wahr: die Valois waren eine literarische Rasse. Übler als in seinem Werkchen sah’s in Frankreich aus, das befand sich 1577 in einem traurigen Zustand; überall sah man Ruinen zerstörter Dörfer und Schlösser; weite Strecken unbebauten Landes, da der Viehstand zumal sehr gemindert war; eine Masse faulenzenden und vagabundierenden Gesindels, an Krieg und Raub gewöhnt, dem Wanderer und dem Landmann gefährlich. Jede Provinz, jede Stadt, ja fast jedes Haus durch die Parteiwut in feindliche Faktionen geteilt.

Und schon hatte Alençon zu wühlen begonnen, Franz von Alençon, der vierte der Brüder, der sich ins Alter kommen fühlte, der letzte Valois. Karl IX. verabscheute ihn und ahnte seine geheimen Intrigen. Der andere Bruder, Heinrich, mußte ihn, um sich sicher zu fühlen, auf Schritt und Tritt belauern.

Heinrich III., vormals Heinrich von Anjou, war kaum 25 Jahre alt, indes war schon, genau wie bei seinen Brüdern, seine Kraft erschöpft. Bloß die Herrschsucht (die ihn schon auf den polnischen Königsthron geführt hatte) loderte noch ungeschwächt in ihm. Er war der zierlichste, eleganteste und geschmackvollste Valois, es war auch von ihm nicht anders zu erwarten, als daß er neue Formen strenger Etikette einführte. D’Aubigné erzählt uns, daß er über Werke des Geistes gut zu urteilen verstand und einer »der eloquentesten Männer seines Zeitalters« war. Er fahndete auch immer nach Poesien für seine verliebten Regungen. Ein schwelgerisches, genußsüchtiges Palastleben riß ein; Mangel an sittlicher Haltung, moralischer Unwert ist noch das Mildeste, was ihm die zeitgenössischen Chronisten vorwerfen. Obwohl fein gebildet und ein Freund der Wissenschaften, Dichtung und Künste, sowie von der Natur mit gutem Verstand begabt, war er doch durchaus frivol, gleichgültig, körperlich und geistig träge; die Jagd verabscheute er fast nicht weniger als die sorgsame Erledigung der Regierungsgeschäfte. Am liebsten weilte er unter Weibern, selbst weibisch geputzt, mit zwei oder drei Ringen in jedem Ohr. Meist erkannte er das Richtige sehr wohl, aber Lüste, Bequemlichkeit, Nebensächliches hinderten ihn, es auszuführen. Alle ernsteren und tüchtigeren Männer entfernte er von sich und umgab sich mit unbedeutenden Stutzern, den sogenannten Mignons, mit denen er tändelte und sich putzte, und denen er die Leitung des Staates preisgab. Diese eingebildeten jungen Menschen ohne jedes Verdienst schmarotzten am Hofe. In seiner Französischen Geschichte (I. 265) erzählt Ranke: »er umgab sich mit jungen munteren Leuten von angenehmem Äußern, die in Sauberkeit der Kleidung, Zierlichkeit der Erscheinung mit ihm wetteiferten. Günstling, Mignon zu sein, war nicht eine Sache momentanen Wohlgefallens, sondern eine Art von fester Stellung.« Die Assassinenmoral feierte Triumphe. D’Aubigné geißelt den schreckenerregenden Zustand des Hofes und des öffentlichen Lebens. »Damals war alles erlaubt, nur nicht gut reden und gut handeln«, sagt ein anderer Chronist. Und was verschlang dieser leichtfertige, skandalöse Hofhalt? Ein so jämmerlicher Mensch wie Heinrich III. brauchte für seine persönlichen Vergnügungen jährlich eine Million Goldtaler, nach heutigem Geld etwa vierzig Millionen Mark. Und dabei mußte der gesamte Staatshaushalt mit jährlich sechs Millionen bewältigt werden; denn mehr war aus dem Land nicht herauszupressen. »In einem Tagebuch der Zeit«, sagt Ranke (S. 269), »werden die gewaltsamen Mittel, zu Geld zu gelangen, und die Vergeudung desselben an die Günstlinge unmittelbar nebeneinandergestellt, und man sieht, welch einen widrigen Eindruck beide zusammen hervorbrachten.« Dazu kam der Kontrast zwischen seinem religiösen und seinem weltlichen Leben; das eine Mal schleifte er seine Gefühle in Orgien, das andere Mal in Prozessionen herum. Er brachte es fertig, in einem Augenblick die weibischste Kleidung gegen das Büßerhemd zu vertauschen, statt des juwelenbesetzten Gürtels legte er sich einen mit Totenköpfen um. Und damit auch der Satan nicht fehle, bekam die vom Edikt von Blois eingesetzte Feuerkammer (»chambre ardente«) während seiner Regierung reichliche Arbeit. Daß er endlich von seiner kränkelnden Gemahlin keine Kinder haben werde, stand ebenfalls fest.

Dieser Heinrich III. zog noch als Herzog von Orleans den damals vierundzwanzigjährigen Brantôme in seine Nähe und ernannte ihn dann bei seinem Regierungsantritt zu seinem Kammerherrn. Die Ernennung erfolgte 1574. Um dieselbe Zeit aber machte sich Franz von Alençon bemerklich. In der Folge trat Brantôme zu Alençon in ein ganz vertrautes Verhältnis.

Alençon wird uns von wohlgebildeter, wenn auch kleiner Gestalt geschildert, aber mit groben und rohen Gesichtszügen, von weibischer Reizbarkeit und Leidenschaftlichkeit, von mehr als weibischer Feigheit; dabei unstet, ehr- und habgierig. Er wurde auch ein ganz eitler leichtfertiger Mensch ohne jede politische oder religiöse Überzeugung. Dabei war er von früh an schwächlich und kränklich und stak voll verdorbener Säfte. Sein Bruder Heinrich, der ihn bitter haßte und verachtete, hielt ihn, solange er konnte, in kaum verhüllter Gefangenschaft. Da revoltierte Alençon, er sammelte Heere, er gründete eine neue ultra-königliche Partei und zog gegen Paris. Er wollte sogar einmal seine Mutter (die immer noch ihre Fäden über das Königreich hinspann) vom Hof wegjagen. Man mußte mit ihm unterhandeln, und es gelang ihm, eine Ausstattung zu erpressen, die der königlichen Autorität fast gleichkam. Er bekam fünf Herzogtümer und vier Grafschaften, und sein Gerichtshof konnte Todesurteile fällen; er hatte eine Garde, ein reich livriertes Pagenkorps und führte einen glänzenden Hofhalt. Man muß ihn sich vorstellen, wie ihn Ranke schildert: »von kleiner, gedrungener Gestalt, kräftiger Haltung; dichtes schwarzes Haar lag ihm über dem unschönen, dunkeln, pockennarbigen Angesicht, das jedoch durch ein lebendiges Auge erhellt wurde.«

Diesem Alençon ist das Buch der galanten Damen gewidmet. Er sah es nicht mehr. Brantôme muß es aber noch unter seinen Augen begonnen haben. Aber schon 1584 starb Alençon, einunddreißig Jahre alt.

Fünf Jahre später fiel Heinrich III. unter dem Dolch des Jacques Clément. So war der scheinbar so fruchtbare Stamm Heinrichs III. schon in seinen Söhnen verwelkt. Eine salisch minderwertige Schwester, die noch übrigblieb, war auch nur ein Gefäß der Sittenlosigkeit.

Ihr Gemahl, Heinrich IV., kam in ein ausgesogenes Land. Die Schuldenlast, die er bei Antritt seiner Regierung vorfand, ließ deutlich erkennen, wes Geistes Kind die vorhergegangenen Regierungen waren. 1560 hatte der Staat dreiundvierzig Millionen Livres Schulden, gegen das Ende des Jahrhunderts waren sie auf dreihundert angewachsen. Die Valois verkauften Titel und Würden an die Reichen, preßten sie sogar noch dazu und waren schließlich auch imstande, das Kind im Mutterleib zu verpfänden. 1595 sagte Heinrich IV. in Blois, daß »der größte Teil der Meierhöfe und fast alle Dörfer unbewohnt und leer ständen«. An den steigenden Ziffern der Verschuldung kann man das Maß der höfischen Verrottung förmlich ablesen. Unter Karl IX. und Heinrich III. war es, zwischen 1570 und 1590, daß die Zügellosigkeit des Hoftreibens jene gewaltigen Dimensionen annahm, die es Brantôme ermöglichten, eine solche Unzahl von Histörchen und Anekdoten beizubringen. Katharina von Medici, die ihr Geschlecht noch um ein Jahr überlebte, deren Einfluß am Hofe übrigens selbst während dieser ganzen Zeit fortbestand, scheint selbst keine Heilige gewesen zu sein; am schlimmsten, frivolsten und laszivsten aber trieben es die drei letzten Valois, unter denen im Louvre und in den königlichen Schlössern das Mätressenregiment Platz griff, das Brantôme einen so unerschöpflichen Stoff lieferte.

Das waren die Valois.

Auf diesem Gobelin malt sich das Leben Brantômes ab. Wir möchten gerne mehr von ihm wissen. Über so viele Feldherren und bedeutende Frauen seiner Zeit hat er geschrieben, über ihn selbst sind nur Bruchstücke vorhanden.

Die Familie Bourdeille ist eine der bedeutendsten im Périgord. Gleich anderen alten Geschlechtern suchte auch sie ihren Stammbaum bis in gallisch-römische Zeiten hinauf zu verlängern. Karl der Große selbst soll die Abtei Brantôme gegründet haben.

Brantômes Vater war der »erste Page der königlichen Sänfte«; der Sohn sagt von ihm: »un homme scabreux, haut à la main et mauvais garçon.« Seine Mutter, eine geborene Châtaigneraie, war Hofdame der Königin von Navarra. Der junge Pierre wird also auch in Navarra geboren worden sein. Aber wann er geboren wurde, das steht schon nicht fest, und es herrscht auch keine Einigkeit darüber. Frühere Biographen schrieben einer dem anderen nach, er sei 1614, siebenundachtzig Jahre alt, gestorben. Dann wäre sein Geburtsjahr 1527. Nun ist es notorisch, daß Brantôme seine ersten Lebensjahre in Navarra verlebte, 1549 starb die Königin Margarete, und Brantôme schrieb später selbst über seinen Aufenthalt an ihrem Hof: »moy estant petit garçon en sa court.« Verschiedene Kombinationen lassen 1540 als sein Geburtsjahr feststehen.

Nach dem Tode der Königin von Navarra – auch das ist überliefert – kam Brantôme nach Paris, um seine Studien zu beginnen; von Paris, wo er wohl auch Genosse der enfants sanssouci war, kam er nach Poitiers, um sie fortzusetzen. Dort lernte er gegen 1555, als »jeune garçon étudiant«, die schöne Gotterelle kennen, die sich den hugenottischen Schülern prostituiert haben soll. Nachdem er gegen 1556 seine Studien vollendet hatte, ward er als jüngster Sohn für die Kirche bestimmt und bekam von Heinrich II. seinen Teil der Abtei Brantôme als Ehrung für die Waffentaten seines älteren Bruders verliehen. Der junge Abbé war etwa sechzehn Jahre alt. Amüsant ist in Familienakten dieser Zeit von ihm die Unterschrift und der Rang: »révérend père en Dieu abbé de Brantôme«. Er brauchte als Abt nichts Kirchliches an sich zu haben, er war sein freier Herr, konnte in den Krieg ziehn, sich verheiraten und überhaupt tun, was er wollte. Aber der geistliche Stand war auch seine Sache nicht; so schlug er denn in seinem Wald für fünfhundert Goldtaler Holz, equipierte sich damit und zog mit achtzehn Jahren aus nach Italien: »portant l’arquebuse à mèche et un beau fourniment de Milan, monté sur une haquenée de cent écus et menant toujours six ou sept gentils hommes, armés et montés de même, et bien en point sur bons courtauds.«

Er ritt eben dahin, wo es Krieg gab. In Piemont bekam er einen Bogenschuß ins Gesicht, der ihn beinahe des Augenlichts beraubte; da lag er in Portofino, an jenem sagenhaft schönen Vorgebirge der genuesischen Küste, dort fand er eine seltsame Heilung: »une fort belle dame de là me jettait dans le yeux du laict de ses beaux et blancs tetins.«1 Dann ging er mit Franz von Guise nach Neapel. Er schildert selbst den Empfang durch den Herzog von Alcala. Hier lernte er auch Madame de Guast, die Marquise del Vasto kennen.

1560 verließ er Italien wieder und machte sich an die Verwaltung seiner Güter, die bisher von seinem ältesten Bruder Andreas besorgt worden war. Er ging an den Hof, nach Amboise, wo Franz II. Turniere gab, gleichzeitig wurde das Haus Guise auf ihn aufmerksam, die Erinnerung an seinen Onkel La Châtaigneraie bot ihm am lothringischen Hof eine hohe Protektion. Von da an bewegte er sich über dreißig Jahre lang im Hofleben. Zunächst begleitete er den Herzog von Guise auf sein Schloß; nachdem dann Franz II. gestorben war, geleitete er seine Witwe Maria Stuart im August 1561 auf der königlichen Galeere nach England und hörte ihr letztes Lebewohl an Frankreich.

Allerdings konnte Brantôme die lothringischen Prinzen, die Guisen, nicht genug rühmen, trat aber doch nicht auf ihre Seite. Nur in einer tiefen Erbitterung ließ er sich später einmal von den Guisen mit fortreißen. Beim Ausbruch der Bürgerkriege stand Brantôme natürlich auf der Seite des Hofes; an der Schlacht von Dreux nahm er ebenfalls teil. Wenn dann gerade in Frankreich kein Krieg war, kämpfte er irgendwo im Ausland. 1564 trat er in ein engeres Verhältnis zum Hofhalt des Herzogs von Orleans (später Heinrich III), er wurde einer seiner Edelleute und bekam sechshundert Livres Gage. Im selben Jahr aber beteiligte er sich auch schon wieder an einer Expedition gegen die Barbaresken, an der Küste von Marokko. Wir treffen ihn in Lissabon, in Madrid, wo er an den Höfen sehr geehrt wurde. Als der Sultan Soliman Malta angriff, eilte auch Brantôme zum Entsatze hin. Als er auf der Rückreise durch Neapel kam, stellte er sich wieder der Marquise de Guast vor; er glaubte, das Glück hier sicher beim Schopfe zu haben, aber es trieb ihn wieder weg; nur mit einem heftigen Ausbruch erinnert er sich an diese Episode wieder. »Toujours trottant, traversant et vagabondant le monde« wollte er nach Ungarn zu einem neuen Kriegszug, aber schon in Venedig erfuhr er, daß es nichts damit wäre; auf der Rückreise über Mailand und Turin machte er einen sehr erbärmlichen Eindruck; aber sein Stolz duldete es nicht, daß er die gefüllte Börse der Herzogin von Savoyen annahm.

Inzwischen hatten die Hugenotten den König zu immer größeren Zugeständnissen gezwungen. Der Prinz Condé und Admiral Coligny hatten die Oberhand. Die Hugenotten, die erfuhren, daß Brantôme Grund hatte, gegen den König mißgestimmt zu sein, suchten ihn zum Abfall zu bewegen, zum Verrat. Aber Brantôme blieb fest. Er bekam den Titel eines Hauptmanns (»maitre de camp«) über zwei Fähnlein, wenn er auch bloß eins hatte – aber das ist bei den Franzosen immer so. Dieses Fähnlein (enseigne), eine Kompagnie, führte er dann in der Schlacht von St.-Denis (1567). Im nächsten Jahre, 1568, ernannte ihn Karl IX. zum Kammerherrn mit Gage. Nach der Schlacht von Jarnac im darauffolgenden Jahr bekam er ein Fieber, infolgedessen er fast ein Jahr auf seinen Gütern zubringen mußte, um zu gesunden.

Kaum war er genesen, so wollte er schon wieder irgendwohin in den Krieg; er jammerte darüber, daß es ihm nicht vergönnt gewesen wäre, in der Schlacht von Lepanto mitzufechten. Dafür sollte ihn eine große exotische Expedition nach Peru entschädigen, die sein Freund Strozzi ausrüstete, und die ihn zurückhielt. Unaufgeklärte Zerwürfnisse trennten ihn kurz darauf von Strozzi.

Aber die Ausrüstungen hatten ihn wenigstens von der Bartholomäusnacht ferngehalten, so sehr er sie später – aus persönlichen Gründen – auch verfluchte.

Brantôme war religiös indifferent. Er kann in hugenottischen Angelegenheiten nicht als guter Richter gelten; denn er verhielt sich religiös mehr als neutral. Der Ligue stand er gleichgültig gegenüber; denn der Weltgeistliche Brantôme hatte die triftigsten Gründe, weder Liguist noch Hugenott zu sein. Von Coligny spricht er sehr achtungsvoll; sie trafen sich öfters, der Admiral war immer gleichmäßig freundlich. Das Blutbad der Bartholomäusnacht verabscheute Brantôme als etwas ganz Verwerfliches und Zweckloses; der brave Haudegen wollte diese unruhigen Seelen lieber in einem Krieg mit dem Ausland beschäftigt wissen. »Mort malheureuse la puis-je bien appeller pour toute la France,« schrieb er von der blutigen Nacht. Allerdings lag er im nächsten Jahr mit vor La Rochelle, der weißen Stadt.

Als Karl IX. starb, war er am Hof. Er geleitete den Leichnam von Notre-Dame bis St.-Denis und trat dann in die Dienste Heinrichs III., der endlich den Brüdern Bourdeille einige Gunst erwies und sie mit dem Bistum von Périgueux belehnte.

Da trieb es den unruhigen Geist in die Nähe Alençons, des jüngsten Valois. Bussy d’Amboise, der erste Edelmann Alençons, war sein Freund. Alençon überschüttete ihn mit Freundlichkeiten, und Brantôme mußte sich für seine Abtrünnigkeit wieder bei dem zürnenden König entschuldigen.

Aber nun trat ein Ereignis ein, das Brantôme fast zur offenen Empörung brachte. 1582 starb sein ältester Bruder. Die Abtei hatte ihnen zusammen gehört, jener Bruder aber hatte sich einen Erben bestellt, und dagegen konnte der König nichts machen. Brantôme geriet in Wut, daß er nicht erbte. »Je ne suis qu’un ver de terre,« schrie er. Er wollte nun wenigstens, daß der König den Abteianteil seinem Neffen gebe, aber auch diese Absicht schlug ihm fehl. Aubeterre wurde Seneschall und Gouverneur des Périgord. Da schäumte der Frondeur: »Un matin, second jour du premier de l’an… je luy en fis ma plainte; il m’en fit des excuses, bien qu’il fust mon roy. Je ne luy respondis autre chose sinon: Eh bien, Sire, vous ne m’avez donné ce coup grand subject de vous faire jamais service, comme j’ay faict.« Damit rannte er weg »fort despit«. Als er aus dem Louvre herausgekommen war, bemerkte er, daß ihm noch der goldne Kammerherrnschlüssel am Gürtel baumelte, er riß ihn los und warf ihn in die Seine. So heftig war er.

(Als Aubeterre 1593 starb, fielen die Ämter wieder an die Familie Bourdeille zurück.)

(Andre Gründe, aus denen Brantôme grollte, waren weniger tief. So konnte er zum Beispiel Montaigne nicht leiden, weil dieser von jüngerem Adel war. Daß ein Mann des Schwerts zum Zeitvertreib die Feder führen kann, das bestätigte er ja selbst; daß aber umgekehrt einem Mann der Feder auch einmal ein Schwert verliehen werden kann, das wollte ihm nicht zu Sinn gehen. Er wurde zum Ritter des Ordens vom heiligen Michael ernannt. Das befriedigte aber seinen Ehrgeiz wenig, er blickte um sich und sah, daß er den Orden mit vielen zu teilen hatte; er wollte ihn wenigstens dem Schwertadel vorbehalten wissen. Da bekam auch sein Nachbar Michel de Montaigne den Orden, und Brantôme schrieb darüber: »Wir haben aus den Gerichtshöfen Räte hervorgehen sehen, sie legten die Robe hin und den viereckigen Hut und schnallten sich den Degen an. Sofort hing ihnen der König die Halskette um, ohne daß sie anders Krieg geführt hätten. Das hat man auch Herrn von Montaigne getan, der besser bei seinem Metier geblieben wäre, seine Essays weiterzuschreiben, als daß er seine Feder mit einem Schwert vertauschte, das ihm nicht so wohl stand.«)

Heinrich III. verzieh ihm zwar seine Ungebärdigkeit, aber die königlichen Zimmer hatte er sich doch jetzt selbst verschlossen. Da wünschte ihn der Herzog von Alençon besonders an sich zu binden und krönte das vertraute Verhältnis, das schon seit 1579 zwischen ihnen bestand, dadurch, daß er Brantôme zu seinem Kämmerer ernannte. Der Herzog stand an der Spitze der Unzufriedenen, und so war ihm der Frondeur gerade recht. Die »Dames galantes« dokumentieren sich als ein unmittelbarer Niederschlag der Gespräche am Hof Alençons, wenn wir hören, daß Brantôme schon bald ein paar Discours niederschrieb, die er dem Prinzen widmete. Brantôme verschrieb sich ihm, was fast wörtlich zu verstehen ist. Da starb Alençon. Mit ihm sanken die Hoffnungen Brantômes ins Grab.

Was sollte nun geschehen? Dem König grollte er. Der maßlose Zorn machte Brantôme fast blind. Da nahten ihm die Guisen als Versucher. Sie wollten ihn auf ihre Seite ziehn, Brantôme sollte zu den Gegnern der Valois schwören. Er war dazu rasch bereit und befand sich schon auf dem Weg zum Hochverrat, hinter den Guisen stand der König von Spanien, ihm schwor er zu. Aber der ausbrechende Krieg der Ligue, der eine zeitweilige Entwertung aller Güter zur Folge hatte, hinderte ihn, seine Pläne sogleich auszuführen. Er konnte nichts verkaufen, und ohne Geld war er in Spanien unmöglich. Das neue Ziel aber gab ihm eine neue Spannkraft, ein neues Leben, neue Abenteuer schienen sein Schicksal zu beflügeln, er ging in »gaillardise« und »vigueur« herum. Seine verwegenen Empfindungen malte er später in den Capitaines français (IV. 108). »Possible que, si je fusse venu au bout de mes attantes et propositions, j’eusse faict plus de mal à ma patrie que jamais n’a faict renegat d’Alger à la sienne, dont j’en fusse esté maudict à perpetuité, possible de Dieu et des hommes.«

Da wurde ein Pferd, das er besteigen wollte, unter ihm scheu, es bäumte sich, stürzte und wälzte sich über ihn, so daß er alle Rippen brach und aufs Lager geworfen wurde, auf das er, verkrüppelt und gelähmt, fast vier Jahre gebannt war, ohne sich vor Schmerzen rühren zu können.

Als er von diesem Schmerzenslager wieder aufstehn konnte, war die Neuordnung der Dinge schon im Gange, und als dann die eiserne Faust Heinrichs IV., des verschlagnen Navarresers und Kryptohugenotten, über Frankreich wegfegte, verschwand auch das alte Hofleben. Brantôme kränkelte, und als dann gar die alte Königin-Mutter Medici starb (1590), vergrub er sich völlig in seine Abtei und hatte fortan an den Ereignissen seiner Zeit keinen Teil mehr.

»Chaffoureur du papier« – das könnte als Motto über seinem ferneren Leben stehen. Ach, auch für Brantôme war das Schreiben eine solche Resignation, daß er es noch mit diesen Worten schmähen mußte. Nur darf man sich nicht vorstellen, als sei ihm das literarische Talent erst mit seinem unglücklichen Sturz gekommen. Sicherlich verwertete er es unter diesen Umständen ganz anders, weit intensiver, als er es sonst getan hätte. Das Heraufwühlen der alten Erinnerungen ward ihm immer mehr zum Mittel, über das damalige sterile Leben Herr zu werden. Literatur ist ein Produkt des verarmenden Lebens. Es ist der Opiumrausch des Gedächtnisses, die nekromantische Beschwörung und Mumifizierung vergangener Zustände. Auf den ersten Bruchstücken der »Dames galantes« hatten auch die Augen des vom Tode gezeichneten Alençon geruht. 1590 muß Brantôme schon die Rodomontades espaignolles fertig gehabt haben; denn er bot sie der Königin von Navarra auf dem Schloß Usson in der Auvergne zur Lektüre an. Aber erst von 1590 an kann man von einem bewußten Vertauschen des Degens mit der Feder reden. Er durchschaute sich wohl. Auf seinem Schmerzenslager wurden ihm die Erinnerungen seines bewegten Lebens, seine Leiden, die Klagen seines getäuschten Ehrgeizes zur ersehnten Zerstreuung. Im »Avertissement« an der Spitze der Rodomontaden schrieb er: »J’écris ceci estant dans une chambre, en un lit assailli d’une maladie si cruelle ennemie, qu’elle m’a donné plus de mal, plus de douleur et de tourments, que ne receut jamais un pauvre criminel estendu à la gesne … Durant mon mal, pour le soulager, je m’advisay et me proposay de mettre la main à la plume, faisant reveue de ma vie passée et de ce que j’y avois veu et appris … Ainsy fait le laboureur, qui chante quelquefois pour alléguer son labeur, … ainsy fait le soldat estant en guarde, qu’il songe en ses amours et advantures de guerre, pour autant se contenter.« So entstanden die Werke Rodomontades et gentilles rencontres espaignolles, Discours sur les Duels, die beiden Livres des Dames, Les vies des hommes illustres et grands capitaines estrangers, Les vies des capitaines français, endlich verschiedene Fragmente, Übersetzungen und Reden, die in späteren Jahrhunderten unter dem Namen Opuscules zusammengefaßt wurden. Diese Bücher mußte dann sein Sekretär Mathaud abschreiben. Es ist klar, daß selbst der gebrochene Brantôme bei dieser Tätigkeit kein völliges Genüge finden konnte. Er baute auch und prozessierte. Unter schweren Mühen und großen Kosten ließ er das Schloß Richemond erstehen. Den Rest seiner Energie verzettelte er an langwierige und zähe Prozesse mit seinen Nachbarn. Früh kam das Alter und die Gicht. Seine Jahre sind erfüllt mit Klagen, Mißmut und Unzufriedenheit. »Faveurs, grandeurs, vanités, vanteries, gentillesses du bon temps,« schreibt er, »s’en sont allées dans le vent. El ne m’est rien resté que d’avoir été tout cela, et le souvenir qui parfois me plaît, parfois me déplaît.«

Er starb am 15. Juli 1614. In der Kapelle von Richemond liegt er begraben.

Seinen Manuskripten ging es seltsam. Sie bildeten die Hauptsorge seines Testaments. Dieses selbst ist an sich schon ein Denkmal seines Stolzes. »J’ai heu de l’ambition«; schrieb er, »je la veux encore monstrer après ma mort.« Er hatte entschieden den Zug zur Größe. Die Bücher in seiner Bibliothek sollten beisammenbleiben, »im Schloß aufgestellt und nicht da und dorthin zerstreut oder an wen immer ausgeliehen werden«. »Zur ewigen Erinnerung an sich« wollte er die Bibliothek erhalten wissen. Besonders lag ihm aber die Veröffentlichung seiner Werke am Herzen. Er gab sich als Ritter, als Edelmann und legte doch den höchsten Wert auf die sechs schön in blauen, grünen und schwarzen Samt gebundenen Bände, die er hinterließ. Besonders sollten seine Herausgeber auch keinen andern Namen unterschieben und den seinen frank und frei auf das Titelblatt drucken lassen. Er will nicht um seine Arbeit und seinen Ruhm gebracht sein. Er gab seinen Erben die strengsten Aufträge, er mußte aber immer Nachträge in das Testament setzen, weil ihm die Exekutoren wegstarben; er überlebte zu viele und hatte sein Testament zu früh gemacht. Amüsant sind seine Anweisung für die Drucklegung: »pour les faire imprimer mieux à ma fantaisie,… j’ordonne et veux, que l’on prenne sur ma totale héredité l’argent qu’en pouvra valoir la dite impression, et qui ne se pourra certes monter à beaucoup, car j’ay veu force imprimeurs … que s’ils ont mis une foys la veue, en donneront plustost pour les imprimer qu’ils n’en voudraient recepvoir; car ils en impriment plusieurs gratis que ne valent pas les mieus. Je m’en puys bien vanter, mesmes que je les ay monstrez, au moins en partie, à aucuns qui les ont voulu imprimer sans rien… Mais je n’ay voulu qu’ils fussent imprimez durant mon vivant. Surtout, je veux que la dicte impression en soit en belle et grosse lettre, et grand volume, pour mieux paroistre…« Er gibt ganz moderne typographische Einordnungen. Endlich kam die Vollstreckung des Testaments in die Hände seiner Nichte, der Gräfin von Duretal; aber sie scheute sich wegen des Ärgernisses, das von den Büchern ausgehn konnte, den letzten Willen des Oheims zu erfüllen. Auch die spätern Erben wollten von der Veröffentlichung gar nichts wissen, sondern schlossen die Manuskripte in die Bibliothek ein. Mit der Zeit aber verbreiteten sich die Kopien, es wurden immer mehr Abschriften genommen, und eine der Abschriften fand auch bald den Weg in die Offizin eines Buchdruckers. Ein Fragment wurde in die Memoiren von Castelnau hineingeschmuggelt, und da kam es 1659 mit zum Abdruck. Die offene Ausgabe ließ nun nicht mehr lange auf sich warten. 1665 und 1666 erschien in Leyden bei Jean Sambix die erste Ausgabe; sie umfaßte neun Bände in Elzevir. Die sehr unvollständige und unzuverlässige Ausgabe wurde nach einer Kopie gesetzt. Spekulative Buchdrucker machten nun eine Menge Abdrücke davon. Es kursierten eine ganze Anzahl von Manuskripten, die nach den Abschreibern genannt wurden. Die Drucke geschahen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert unweigerlich nach Kopien. Erst die Ausgabe von 1822, Oeuvres complètes du seigneur de Brantôme (Paris, bei Foucault), griff auf die Originalmanuskripte im Besitz der Familie Bourdeille zurück. Monmergué gab sie heraus. Das Ms. Le Livre des Dames befand sich noch 1903 im Besitz der Baronin James Rothschild, nach deren Tod, Anfang 1904, es in den Besitz der Nationalbibliothek in Paris überging, die jetzt über sämtliche Manuskripte Brantômes verfügt und nun auch eine kritische revidierte Gesamtausgabe beabsichtigt.

Brantôme hat ursprünglich die beiden Bücher, Vies des Dames illustres und Vies des Dames galantes: Premier und Second Livre des Dames genannt. Die neuen Titel waren eine Verlegererfindung, eine Spekulation auf den Zeitgeschmack, der 1660-1670, im Jahrzehnt des Drucks, die Wörter illustre und galante bevorzugte. Die beste spätere Ausgabe der »Galanten Damen« ist die bei Abel Ledoux in Paris 1834 erschienene von Philarète Chasles, der auch eine Einleitung und Anmerkungen dazu gegeben hat. Diese Ausgabe liegt der vorliegenden deutschen zugrunde. Dagegen gibt die kritische Gesamtausgabe von 1822 immer noch die besten Nachrichten über Brantôme selbst, und die Ausführungen des Herausgebers Monmergué sind überaus trefflich und schätzenswert und sind den Meinungen, die Philarète Chasles äußert, so poetisch sie auch sein mögen, überlegen. Die Crayonzeichnungen und Kupferstiche berühmter und galanter Damen des 16. Jahrhunderts im Werke Bouchots »Les femmes de Brantôme« sind sehr gut, der Text Bouchots selbst ist wesentlich ein erweiterter Abklatsch aus Brantôme selbst und darf auch in seinen kritischen Reflexionen über den Verfasser der »Galanten Damen« nicht überschätzt werden.

Die beiden »Bücher der Damen« haben einen ganz verschiedenen Charakter; was dem einen zum Vorteil gereicht, ist des andern Nachteil. Zweifellos kommt das Genie Brantômes in den »Dames galantes« am unmittelbarsten zum Ausdruck. Wenn hier die Häufung symbolischer Anekdoten die beste Darstellungsart ist, werden sie in der dort geforderten mehr oder weniger belanglos. Natürlich konnte sich Brantôme den Fragwürdigkeiten damaliger historischer Methode nicht entziehen, diese Mängel teilt er mit seinen Zeitgenossen; aber er war darüber hinaus auch ein zu guter Schriftsteller, um ein ausgezeichneter Historiker sein zu können. Der Teufel hole den historischen Zusammenhang, wenn nur die Geschichte, die ich erzähle, gut ist. Der Hofmann Brantdôe sieht die ganze Geschichte unter der Perspektive des Boudoirwitzes; so sind auch seine Porträts berühmter Damen seiner Zeit bloße Mosaiken von kunterbunten Beobachtungen und Meinungen. Ein unbekümmerter Erzähler, bringt er nur in den seltensten Fällen seine Eindrücke in einen Zusammenhang. Der Wert seiner biographischen Porträts wird dadurch bestimmt, daß sie natürlich an den Velleitäten seiner Schaffensweise Anteil haben, daß sie, nicht anders, die Niederschläge von Medisancen und Causerien, die er aus dem Louvre mit heimbrachte, von Unterhaltungen im Sattel oder im Laufgraben sind. Er hält sich da immer in den Grenzen des Respekts, zügelt seinen Geist und spart sein Salz und seinen Pfeffer. Er ließ sich keinen bösen Klatsch durch die Feder rinnen, er hütete sich durch zügellose Rede seine hohen Verbindungen zu verderben, aber das Resultat wurde dadurch nicht interessanter.

Wenn man Brantome als dem Autor der »Galanten Damen« gerecht werden will, muß man sich vergegenwärtigen, wie er in seiner Zeit, in seiner Gesellschaft stand. Es ist ja nicht so zu verstehen, daß er sich während seines langen Siechtums plötzlich diese Geschichten aus den Fingern gesogen hat. Man denke sich einmal in die Entstehungsgeschichte dieser galanten Memoiren hinein. Vom literarischen Schaffen herrschten überhaupt noch die primitivsten Vorstellungen. Das Hinschreiben war das geringste. Der an der Feder kauende und übers Tintenfaß hingekrümmte Autor war eine Lächerlichkeit. Der Produktionsmoment, die Konzeption, lag viel früher als in dem Augenblick, wo sich der Chaffoureur du papier hinhockte. Keine von den Geschichten Brantomes entstand in seiner Abtei. Sondern in Madrid, in Neapel, auf Malta, vor La Rochelle, im Louvre, in Blois, in Alencon. Das Niederschreiben war bloß ein Reproduzieren des schon Geschaffenen, des in vielmaligem Erzählen Umgeformten und auf den letzten Ausdruck Gebrachten. In der Form kam Brantome freilich die Kultur des Hofes zustatten, die eigne aber, die er zu seinem Werke mitbrachte, war jener immer noch weit überlegen. Brantome war jahrzehntelang der Edelmann seiner königlichen Herren; stets in der Nähe des Hofes, nahm er an allen größeren und kleineren Ereignissen seines täglichen Lebens teil, an Streitigkeiten, Ungnaden, Festen. Man konnte ihn für den Höfling halten, der in den Sälen und Kammern des Louvre zu Hause ist. Aber wenn er auch schwatzend mit den müßigen Hofleuten in den Sälen des Louvre stand, so machte er sich nie mit ihnen gemein. Er konnte ungeheuer ausgelassen sein und war doch im Innern reserviert und beobachtend. Gerade im Gegensatz zu dem lärmenden, stürmischen Bussy-Rabutin ließ er sich nie gehen. Seine Intelligenz und seine Klugheit machten ihn unter der Schar der Kammerherren gefährlich. In seiner Seele kamen ganz entgegengesetzte Temperamente zusammen. Er war zugleich kaustisch und gläubig, zugleich respektlos und enthusiastisch, zugleich raffiniert und brutal, zugleich Abbé, Kriegsmann und Höfling. Gleich Bernhard Palissy verlachte er die Astrologen, dennoch schloß er sich vom Aberglauben seiner Zeit nicht aus. Seine Temperamente ließen erkennen, daß seine Wiege nicht fern von den Ufern der Garonne, nahe an der Gascogne gestanden hatte. Mit seinem kühnen, optimistischen, abenteuernden und unruhigen Geist, mit seinen ritterlichen Allüren und Vorurteilen, verband er eine maßlose Eitelkeit. Ein Charakterkenner sagte: »Er nahm das Maul genau so voll wie Cellini.« Er glaubte sich in der Tat über seinesgleichen hoch erhaben, er rühmte nicht nur sich, sein Haus, sondern auch seine geringsten Handlungen. Sein Haß war ein unversöhnlicher, seine Rache legte er noch seinen Erben ans Herz. Seinen königlichen Herren bezeigte er eine von Ironie temperierte Verehrung. Als ein Zeitgenosse von Rabelais, Marot und Ronsard konnte er ausgezeichnet reden, wenn Rabelais einen gallischen Geist hatte, hatte Brantôme einen französischen. Seine lebendige und fröhliche Unterhaltung war gesucht, er stand im Ruf des »geistreichen« Mannes. Dabei kannte man ihn auch als einen diskreten Mann. Alençon, der selbst vortrefflich erzählte und Liebesgeschichten für sein Leben gern hörte, zog die Unterhaltung mit ihm allen andern vor. Seine Naivität und Originalität erwarben ihm überall Freunde. Eine tapfre, edle, bravouröse Natur, stolz auf den Namen eines Franzosen, war er der personifizierte gentilhomme français.

Und so entstand das Buch. Es muß sich ganz von selbst ergeben haben, daß er eines Tags zur Feder griff. Nun schüttelte er aus der bunten Mannigfaltigkeit seines eigenen Hof- und Kriegslebens einen erstaunlichen Reichtum von merkwürdigen und interessanten Zügen hervor, die sein Gedächtnis treu bewahrt hatte. So haben wir in dem Buch einen Kodex des Liebeslebens unter den Valois. Das waren keine Erfindungen, sondern Anekdoten, Berichte, Lebensausschnitte. Die Gefahr der Langenweile wußte er weit weg zu bannen. Seinen frechsten Indiskretionen gab er noch Stil; Geist und Lustigkeit ließ er über jede Seite hinsprühen. Als naiver Erzähler gab er sich, wie er war. Er gab sich als Bonhomme, in Formlosigkeit und Unbekümmertheit. Bloße Obszönitäten suchte er niemals, dafür scheute er allerdings auch vor keinem Zynismus zurück. Die Zeit liebte starke Ausdrücke, von einer puritanischen Sprache konnte keine Rede sein. Erst unter Ludwig XIV. wurde die Sprache höflicher. Brantôme war auch kein Moralphilister, wie hätte er es auch sein können? Aber er hatte Charakter. An allem hatte er Freude, was eine Kundgebung der menschlichen Energie war. Die Leidenschaft, die Macht, Gutes oder Böses zu tun, das liebte er. (Allerdings richtete er auch gegen die Maßlosigkeit, gegen die Heftigkeit der Leidenschaften, treffliche Worte.) Er paßte zu den Medici und Valois. Komposition kann man bei ihm nicht viel suchen. Die Aufmerksamkeit springt ihm von einer Geschichte zur andern. Boccaccio, das erhabenste Vorbild der Erzähler dieser Zeit, ist konsequenter. »Ohne Wahl berichtet er Gutes und Böses, Edles und Abscheuliches, nicht ohne IWärme das Gute, aber auch mit unverwüstlicher Heiterkeit das Schlimme,« sagt ein akademischer Beurteiler. Er kennt keine Ordnung und keine Methode, sprungweise, ohne Motiv, ohne Übergang, schreibt er vorwärts. Ein Hofmann, fremd mit den Regeln der Schule, gesteht er selbst (in den Rodomontades espaignoles) »son peu de profession du sçavoir et de l’art de bien ecripre et bien dire, et remet aux mieux disans la belle disposition de paroles eloquantes.« Dabei sind in der Abwechslung, in der er sie bringt, seine Stücke von einer hinreißenden Gewalt. In diesen gehäuften Anekdoten sind die graziösen Indezenzen der valesischen Hofdamen wie à jour gefaßt. Die joyeusen Berichte sind in einem entzückenden freien Erzählerton gegeben. Waren nun seine Gemälde und Skizzen in der Tat ganz auf die Höfe seiner Zeit zugeschnitten, so trägt er doch noch zweierlei persönlich hinein, ein schmunzelndes Vergnügen an den amüsanten Begebenheiten und ein merkwürdiges, literarisches Talent. Es kann sogar so sein: Brantôme kann sich am Anfang ganz neutral gegen seinen Stoff verhalten haben, näher, als etwa Memoiren, ließ er ihn sich nicht kommen. Was wir aber gut erzählen können, was wir besonders fein und gut niederschreiben können, dem kommt auch die Freude an unserm Können zugute, wir strömen unser eignes Vergnügen mit hinein, und es wird im Handumdrehen zu einem Vergnügen an den Dingen selbst. Das Leuchten unserer Seele glüht sie an, und dann sehn die Dinge selbst wie Gold aus. Aber Brantôme durchbricht nicht einmal häufig die Unverbindlichkeit seiner Berichte. Mit der eignen Meinung über die Handlungen der großen Herren und vornehmen Damen hält er meistens zurück, er überläßt es den kompetenten »grands discoureurs«, über diese Dinge zu urteilen. Man darf ja auch, wenn man z. B. über den Hof Heinrichs II. und Katharinas von Medici etwas erfahren will, nicht gerade auf Brantôme hören; von ihm bekommt man den Eindruck, als wäre der Hof das Muster einer moralischen Anstalt: »Sa compagnie et sa court estait un vray paradis du monde et escole de toute honnesteté, de vertu, l’ornement de la France,« sagt er einmal irgendwo in den Dames illustres (S. 64). Dagegen berichtet z. B. L’Etoile aus dem Monat Mai 1577 über ein Bankett, das die Königin-Mutter in Chenonceaux gab: »les femmes les plus belles et honnestes de la cour, estant à moitié nues, et ayant les cheveux épars comme espousées, furent employées à faire le service.« Auch andere Zeitgenossen wissen über die am Hof herrschende Unzucht nicht genug zu berichten. So haben wir kuriose Berichte über die Schwangerschaft der Limeuil, die ihre Wehen in der Garderobe der Königin in Lyon bekam (1564), der Vater war der Prinz von Condé. Zum Überfluß kann auch Johanna d’Albret ihren Sohn, den späteren Heinrich IV., nicht genug vor der »Korruption« des Hofes warnen; als sie ihn einmal in Paris besuchte, entsetzte sie sich über die Sittenlosigkeit am Hofe ihrer Schwiegertochter, der späteren Königin Margot, die in der »verfluchtesten und verdorbensten Gesellschaft« lebte (Brantôme pflegte eine Art Vetternschaft mit ihr, und sie antwortete auf den Panegyrikus, den er ihr in seinen Rodomontaden zollte, in ihren »Memoiren«, die sie ihm widmete). Brantôme fühlte allerdings nicht die Mission in sich, der Savonarola der Valois zu werden. Zu seiner Betrübnis rückte ihm aber die »Kultur« auch noch in der eignen Familie auf den Leib. Er bekam immer mehr Ursache, mit seiner jüngsten Schwester Madeleine sehr unzufrieden zu sein, der Lebenswandel des galanten Hoffräuleins erfüllte ihn mit Entrüstung. Er ließ sie aus dem Haus werfen und zahlte sie aus. Nach allem wird man von Brantôme eine strenge, historische Genauigkeit gar nicht fordern. Die Historiker halten ihn wieder aus anderen Gesichtspunkten in seinen Nachrichten für wenig exakt. Ranke zieht ihm de Thou und d’Aubigné vor. Gewisse Moraltrompeter der Geschichtswissenschaft verdenken es Brantôme sehr, daß er die »Schändlichkeiten« der Höfe der Valois aufdeckte. Seine Eitelkeit mag ihn zu manchen Modifikationen der Geschehnisse geführt haben, meistens werden sie aber dem Drang, zu unterhalten, auf Rechnung zu setzen sein. »Bien vous dirai-je,« redete er die Königin Margot in der Dedikation der Rodomontades espaignoles an, »que ce que j’escrits est plein de verité: de ce que j’ay veu, je l’asseure; de ce que j’ay sceu et appris d’autruy, si on m’a trompé n’en puis mais; si tiens-je pourtant beaucoup de choses de personnages et de livres très véritables et dignes de foy.« Er übte aber doch eine primitive Methode; bei den persönlichen Schilderungen hatte er ja den Faden, an dem er seine Erinnerungen aufreihen konnte; dadurch bekamen sie wenigstens einige Pragmatik. Man braucht es aber auch nur seinen historischen Werken gegenüber im Gedächtnis zu behalten, daß er in seinen eingaben nicht absolut zuverlässig ist, daß man ihm nicht ohne Zaudern vertrauen kann. In den »Galanten Damen« tritt das Einzelfaktum zurück und gewinnt mehr eine Art symbolische Gültigkeit. Es sind Kulturbilder, die aus einer verwirrenden Fülle von Anekdoten zusammengesetzt sind. Diese Kulturschilderungen haben auch einen unbedingten Wert. Vielleicht verlangte schon der Gegenstand die gehäufte und bizarre Darstellungsart. Margarete von Navarra war in ihrem Heptameron doch schon allzu kunstvoll und preziös. Brantôme war ein Mann des Schwerts und ein Höfling, kein Hofmann zwar, sondern einer, dem zwischen den Witzworten auch gern die Hand an den Degen fuhr. Gerade in dieser Verfassung war er ein vortrefflicher Plauderer, seine Anekdoten und Geschichten haben daher auch die Aktualität und die frische, lebendige Komposition naiv vorgetragener Erzählungen.

Trotz der Gegnerschaft der Historiker enthalten die Dames galantes immer noch viel Geschichtliches; fast alle alten Adelsgeschlechter treten mit Namen auf, über Navarra, Parma, Florenz, Rom, Toulouse fallen Streiflichter, auch die Hugenotten tauchen auf, von der Bartholomäusnacht (1572), die eigentlich schon im Rüchen lag, fällt immer noch ein düsterer Schein her, die Laufgräben vor La Rochelle spielen eine große Rolle, Brantôme kämpfte stets gegen die Hugenotten, vielleicht war er deshalb bei dem Bourbon Heinrich W. nicht mehr beliebt. Animosität kann man ihm aber nicht nachsagen. Der freie, offne, reformfreundliche Sinn hatte wohl auf ihn abgefärbt. Ohne Interesse an religiösen Streitigkeiten, haßte er wohl auch die Mönche und Pfaffen. So möchte man denn dem zelotischen Geist, der gegen Brantôme eifert, sagen: Wenn von Schuld und Verantwortung die Rede sein kann, dann ist es das Zeitalter, das sie zu tragen hat, Brantôme war nur der Chronist der Sitten seiner Zeit; das Material bekam er geliefert, er schrieb es nur nieder. Er ist ebensowenig für sein Buch verantwortlich, wie ein Redakteur für den Bericht eines Berliner Lustmordes oder eines Bombenattentates in seiner Zeitung. Ranke sagte einmal über die Zeit Heinrichs II.: »Will man Gedanken und Meinungen des damaligen Frankreich kennen lernen, so muß man Rabelais lesen« (Franz. Gesch. I. 133). Wer die Zeit Karls IX. und Heinrichs III. kennen lernen will, muß Brantôme lesen.

Der schlechten Mode, sich über die Schwierigkeiten seiner Übersetzung zu verbreiten, möchte ich hier nicht zu frönen scheinen. Dennoch muß ich sagen, daß Brantôme unglaublich salopp schreibt. Seine Schachtelsätze könnten berühmte Schulbeispiele sein, wenn nur ihr Inhalt für die Bedürfnisse der Schule trockener und langweiliger wäre. Dieser Stil ist ganz persönlich, ganz individuell; wer der Übersetzung auch nur einen Schimmer des sprachlichen Glanzes des Originals geben will, muß versuchen, dieser knorrigen Individualität gerecht zu werden. Seine langatmigen Perioden muß man ihm allerdings zerbrechen und in Einzelsätze zerlegen. Freilich, es ist der plaudernde Hofmann, und bei aller Lässigkeit bringt er noch in die kühnsten Verschachtelungen eine gewisse Frische des lebendigen Gesprächs mit hinein. Es galt in der Übertragung vor allem die prachtvolle Gauloiserie Brantômes mit zum, Ausdruck kommen zu lassen. Gerade der literarische Charakter dieses Autors verlangt, daß, bei allen Hemmungen, die wir heute der unmittelbaren Natürlichkeit seiner Sprache gegenüber empfinden, die Wiedergabe seines Werkes nicht verwaschen oder abgeschliffen herauskomme. Die Vollständigkeit unserer Ausgabe blieb von den eben angedeuteten Rücksichten unberührt.

Georg Harsdörffer

  1. Vies des Capitaines français (IV. 499)