Project Description

997. Nacht

Als Gadryf sie sah, näherte er sich ihr, küsste ihr die
Hand und ersuchte sie, an einem Tisch Platz zu nehmen, auf welchem er die
kostbarsten Speisen und Getränke aufgesetzt hatte. Mardye, welche glaubte, er
sei der Bräutigam der Tochter Hariffa’s, ließ sich nicht lange nötigen, und
auf diese Weise aßen und tranken sie denn miteinander und waren sehr vergnügt.
Allein sehr bald erklärte er ihr, dass er sie leibe, und sie konnte nicht
umhin, ihn ebenfalls sehr liebenswürdig zu finden. Leider brach nun aber die
Zeit an, wo sie zu ihrer Mutter zurückkehren sollten. Indessen die Alte ließ
sich bewegen, bei ihrer Mutter um Verlängerung der Erlaubnis anzuhalten, und
erhielt auch dieselbe. Nachdem die Zeit verstrichen war, brachte die Alte
Mardye wieder zu ihrer Mutter zurück, und ihre Mutter bemerkte mit Vergnügen,
dass ihre Traurigkeit sich etwas vermindert hatte. Die Alte aber ging sofort zu
Gadryf und sagte ihm: „Nun müssen wir aber auch wieder gut machen, was wir
Böses angerichtet haben, und die Frau ihrem Gatten wiederbringen, denn nicht
trennen, sondern vereinigen, ist löblich.“ – „Wie können wir das
machen?“, fragte Gadryf. – „Gehe Du nur,“ sagte sie, „in den
Laden Ihres Mannes und unterhalte Dich mit ihm. Ich werde dort vorbeigehen.
Sobald Du mich nun siehst, so springe aus dem Laden und ergreife mich, schelte
mich aus, verlange von mir den Schleier und sage zu gleicher Zeit dem Kaufmann
und den Anwesenden: „Du erinnerst Dich wohl noch an den Schleier, den ich
bei Dir gekauft hatte, den habe ich meine Sklavin nur ein einziges Mal tragen
lassen. Sie räucherte sich nämlich, und da fiel ein Funken Feuer auf ihn, der
ihn an zwei Orten verzehrte. Da gab ihn denn meine Sklavin dieser Alten, um ihn
ausbessern zu lassen, und diese nahm ihn zwar in Empfang hat mir ihn aber bis
heute noch nicht zurückgeschickt.“

Gadryf versprach das zu tun, und begab sich sogleich zu
Abilfateh, grüßte ihn, und unterhielt sich mit ihm. Kurz darauf sah er die
Alte vorbeigehen, welche betete. Gadryf sprang auf, hielt die Alte bei den
Kleidern fest, und fing an, sie auszuschelten. Sie aber schmeichelte ihm und
sprach: „Lieber Sohn, was fehlt Dir?“ Da wandte sich Gadryf zu den
Umstehenden, und sprach: „Wisst, dass ich von diesem Kaufmann einen
Schleier um zwanzig Goldstücke gekauft habe. Meine Sklavin hat ihn umgemacht,
und wollte eben sich räuchern, als ein Funken aus dem Räucherbecken auf den
Schleier flog, und ihn an zwei Orten verbrannte. Wir gaben ihn daher dieser
Alten um ihn auszubessern und ihn dann wieder uns zurückzubringen. Aber von
jenem Tag an haben wir sie nicht mehr wieder gesehen.“ – „Der Mann hat
ganz recht,“ erwiderte die Alte, „ich habe den Schleier von ihm in
Empfang genommen, aber ich habe ihn irgendwo liegen lassen, und nun besinne ich
mich nicht mehr wo. Ich bin arm, und kann ihm keine Entschädigung dafür
geben.“ Der Kaufmann, der diese Erzählung aufmerksam angehört hatte,
dachte darüber nach, und sah ein, dass er seiner Frau wohl Unrecht getan haben
könne. Doch fragte er die Alte, ob sie ihn etwa bei ihm vergessen hätte? – Da
sagte diese: „ich trete bald hier, bald dort ein, und habe schon überall
nachgefragt, aber niemand hat mir Nachricht gegeben.“ – „Hast Du auch
in meinem Haus nachgefragt?“, erkundigte er sich weiter. – „Ich bin
auch bei Dir gewesen, fand aber niemanden, und späterhin wurde mir gesagt, Du
hättest Deine Frau verstoßen.“ Nunmehr wandte sich der Kaufmann zu Gadryf,
und sprach: „Lass die Frau gehen. Ich werde Dir Deinen Schleier
wiedergeben, und ihn ausbessern lassen.“ Als die Alte dieses hörte,
stellte sie sich, als wenn sie sehr verwundert darüber wäre, dankte dem
Kaufmann, und ging davon. Die Anwesenden erstaunten über diese Begebenheit, und
der Kaufmann holte den Schleier, übergab ihn in Gegenwart Gadryfs einem Mann,
der ihn ausbessern musste, und da er sich überzeugte, dass er gegen seine Frau
ungerecht gewesen wäre, schickte er zu ihr, ließ sie um Verzeihung bitten,
machte ihr Geschenke und brachte es so weit, dass sie wieder zu ihm kam.

Du siehst also, o König, welche List die Weiber anwenden,
um zu ihren Zwecken zu gelangen, sollten sie auch zu Verbrechen ihre Zuflucht
nehmen.“ Der König, durch dieses neue Beispiel überzeugt, verschob
nochmals die Hinrichtung seines Sohnes.

Zur Nachtzeit aber kam ein Gesandter von dem Sohne des
Königs an die Gesamtheit der Wesire an, und lud sie ein, vor ihm zu erscheinen.
Sie eilten zu ihm, und er empfing sie aufs freundlichste, lobte sie, und dankte
ihnen, dass sie ihn bei seinem Vater verteidigt hätten, um ihn am Leben zu
erhalten. Zugleich versprach er ihnen, sie einst dafür zu belohnen, und
erzählte ihnen hierauf den ganzen Hergang der Sache, und die Ursache seines
Schweigens. Sie freuten sich darüber, wünschten ihm Heil und Segen, und gingen
davon. Am achten Tag setzte sich der König auf den Thron in dem Gerichtssaal,
und sein Sohn trat zu ihm herein, geführt von seinem Lehrer Sindbad. Beide
verneigten sich vor ihm auf die Erde, und der Sohn des Königs fing an, seinen
Vater so wie dessen Wesire und Hofleute zu preisen.