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996. Nacht

Hierauf verließ er diesen Ort, ganz in Gedanken vertieft
und auf ein Mittel sinnend, der Gefahr zu entgehen. Er setzte sich in einen
Saal, allein verließ ihn sehr bald wieder, da er keine Ruhe hatte, und setzte
sich vor die Tür des Hauses. Kaum hatte er einige Minuten dagesessen, als die
alte Frau wieder vorbei kam, immer noch in ihr Gebet vertieft. Sobald er sie
sah, stand er auf, eilte ihr entgegen, und grüßte sie sehr zuvorkommend.
„Mutter,“ redete er sie hierauf an, „ich war glücklich und
heiter, bis zu dem Augenblick, wo Du mir von öffnung jener Türe gesagt hast.
Jetzt aber, nun ich sie geöffnet und gesehen habe, was sich da oben befindet,
bin ich besiegt, außer mir, und ohne Zweifel verloren, wenn Du mir nicht ein
Mittel an die Hand gibst.“ – Da lachte die Alte und sagte: „Fürchte
nichts, habe keine Sorgen. Es wird alles gut gehen.“ – Auf diese tröstende
Versicherung gab er ihr sogleich einen Beutel mit hundert Goldstücken, und
sprach: „Schalte über mich, wie die Gebieterin über den Sklaven, aber
hüte Dich, dass nicht einst am Tag des Gerichts ich über Dich Rache
rufe.“ – „Das wird nicht geschehen,“ erwiderte sie, „aber Du
wirst mir auch beistehen, damit wir zu unserem Zweck gelangen.“ – „Was
habe ich da zu tun?“ – „Gehe Du auf den Markt zu den Seidenhändlern,
frage nach dem Laden des Abilfateh ben Kedar, und kaufe von ihm einen mit Gold
gewirkten Schleier. Diesen behalte bei Dir, bis ich morgen zu Dir kommen
werde.“ Er versprach ihr, dies pünktlich auszuführen, worauf sie ihn
verließ. Gadryf aber war voll Ungeduld, und konnte den Morgen kaum erwarten.
Endlich brach er an, und er begab sich auf den Markt, wo er nach dem benannten
Laden fragte. Man zeigte ihm denselben, und sagte ihm zugleich, dass Abilfateh
ben Kedar einer der angesehensten Kaufleute wäre, und sehr viel beim Kalifen
gelte. Als er in dessen Laden gekommen war, fand er, dass es ein sehr junge rund
schöner Mann war. Es waren mehrere Sklaven bei ihm und sein äußeres schien
anzuzeigen, dass er sehr begütert sein müsse. Zu dem Glück, dessen er genoss,
gesellte sich auch noch der Umstand, dass er der Besitzer eben jenes Mädchens
war, welches den Gadryf so bezaubert hatte, sie war nämlich seine Gattin, und
hieß Mardye. Gadryf bat ihn um einen Schleier, der mit Gold auf ägyptische Art
gewirkt, dabei aber so prächtig sei, dass er keinen seines gleichen habe. Da
rief der Kaufmann einen Diener und befahl ihm, ein ganzes Päckchen Stoffe aus
der Mitte seines Ladens zu holen. Dies geschah, der Kaufmann öffnete das
Päckchen und zeigte ihm einige Schleier, wovon Gadryf einen auswählte und ihn
mit zwanzig Goldstücken bezahle. Darauf begab er sich mit demselben in sein
Haus zurück, wo sich auch die Frau bald einfand. Nach den gewöhnlichen
Höflichkeitsbezeigungen überreichte er ihr den Schleier. Sie verlangte nun ein
Kohlenfeuer, und als er es ihr brachte, verbrannte sie zwei Stellen an dem
Schleier. Alsdann legte sie ihn wieder zusammen, nahm ihn unter ihr Kleid und
ging damit in das Haus des Seidenhändlers. Sie klopfte an die Tür, und
sogleich kam die Frau des Kaufmanns ihr entgegen und sprach: „Wer ist
da?“ – „Ich bin Hariffa, die Freundin Deiner Mutter.“ Diese kam
nämlich oft in das Haus des Kaufmanns. – „Was ist Dein Begehr?“,
fragte jene, „meine Mutter ist nicht zu Hause.“ – „Meine
Tochter,“ erwiderte die Alte, „die Stunde des Gebets naht heran und
ich wollte die Abwaschungen in Deinem Hause verrichten, weil seine Bewohner den
Ruf der Frömmigkeit haben. „Sie wurde sogleich hereingelassen und ihr ein
Zimmer angezeigt, wo sie die Abwaschungen verrichten konnte, allein sie verließ
es bald wieder, und verlangte ein andres Gemach, um ungestörter beten zu
können, weil die Dienerinnen des Hauses sie bis jetzt immer unterbrochen
hätten. Mardye führte daher die alte in das Schlafgemach ihres Gemahls. Hier
betete sie und benutzte einen Augenblick, wo die Hausfrau sie nicht beobachtete
und stopfte den Schleier unter das Kopfkissen ihres Mannes. Darauf begab sie
sich zu der jungen Frau, dankte ihr und ging davon. Gegen Abend kam der Mann
nach Hause. Seine Frau setzte ihm Speise vor, und als die Betzeit herankam,
begab er sich in sein Schlafzimmer, um zu beten. Als er sich auf das Kissen
stützte, bemerkte er unter demselben den Schleier, zog ihn hervor und erkannte
ihn für denjenigen, welchen der junge Mann vor kurzem bei ihm gekauft hatte.
Natürlich bildete er sich sogleich ein, der junge Mann müsse bei seiner Frau
gewesen sein. Er verbarg sofort den Schleier, hütete sich aber, ein Wort gegen
seine Frau hierüber zu äußern, denn er fürchtete dies möchte zu einem
Gerede in der Stadt Anlass geben und er dadurch die Gunst des Kalifen verlieren.
Eines Tages indessen rufte er sie zu sich, und sprach: „Ich habe soeben
gehört, Deine Mutter sei sehr unwohl, und sie verlange, dass Du sogleich zu ihr
kommen möchtest.“ Sie stand daher augenblicklich auf, und voll Besorgnis
wegen ihrer Mutter, eilte sie schnell zu dieser. Allein, als sie eintrat, fand
sie die Alte sehr heiter und gesund. „Sage mir,“ fragte die Mutter,
„wie kommt es, dass Du zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu mir
kommst?“ Mardye sagte ihr die Ursache, und als sie noch drüber im
Gespräch waren und jede ihre Mutmaßungen äußerte, siehe, da kamen auch schon
die Lastträger und brachten ihre Ausstattung und ihr ganzes Eigentum zurück.
Da sprach die Mutter: „Es muss etwas zwischen Euch beiden vorgefallen sein,
ich dringe darauf, dass Du mir es sagst.“ Die Tochter hingegen versicherte,
dass ihr nichts der Art bekannt wäre. „Es ist unmöglich,“ sagte
hierauf die Mutter, „das ein solches Benehmen nicht durch einen bedeutenden
Vorfall veranlasst worden sein sollte.“ Allein die Tochter bestand auf
ihrer ersten Aussage. Darüber betrübte sich die Mutter außerordentlich und
weinte, denn es tat ihr weh, ihre Tochter von einem so reichen Mann verstoßen
zu sehen. Nach Verlauf eines Monats trat Hariffa, jene Alte, zu der Mutter der
Mardye herein, stellte sich sehr bestürzt und sprach: „Ich habe soeben
gehört, dass Abulfateh Deine Tochter verstoßen hat. Das betrübt mich
außerordentlich und ich habe nicht aufgehört, Tag und Nacht für sie zu beten.
Aber wo ist denn Deine Tochter?“ – „Sie ist betrübt,“ erwiderte
die Mutter: „und hat sich in dieses Gemach zurückgezogen. sie weint und
trauert, dass nun niemand mehr mit ihr sprechen will. Ich fürchte sehr, dass
der Schmerz sie am Ende überwältigt und dass sie stirbt.“ – „Das
verhüte Gott,“ erwiderte die Alte, „so weit soll es nicht kommen, ich
will versuchen, sie mit ihrem Mann wieder auszusöhnen. Aber morgen ist bei mir
ein großes Fest, wegen der Verheiratung meiner Tochter. Ich wünschte sehr,
dass die Deinige dabei sein, durch ihre Gegenwart mein Haus beglücken, und sich
zerstreun möchte.“ Dieses bewilligte die Mutter sehr gern, zog Mardye
kostbare Kleider an, schmückte sie, und darauf führte die Alte sie mit sich
hinweg. Statt sie aber in ihr eigenes zu führen, führte sie jene zu Gadryf. Mardye indessen glaubte in dem Haus der Alten angekommen zu sein.