Project Description

995. Nacht

Der Prinz pries ihm nun umso mehr seine Geschicklichkeit
im Umpflanzen der Bäume, im Pfropfen, im Senken der Weinstöcke und dem Pflegen
der Pflanzen und Blumen, und sagte ihm zugleich, er verstehe sehr vorteilhafte
Wassermaschinen zu bauen. Dieses freute den Gärtner so, dass er ihm sogleich
die Sorgfalt für den Garten übertrug und allen seinen Gehilfen befahl, seine
Anordnungen auszuführen. Der Prinz, der einen sehr durchdringenden Verstand
hatte, sah gleich beim ersten Anblick, dass dieser Garten vieler
Verschönerungen fähig sei. Er entwarf sogleich einen Plan, an dessen
Ausführung sofort gearbeitet wurde, und in wenigen Tagen konnte man schon
sehen, dass dieser Garten der schönste werden würde, den man je in diesen
Gegenden gesehen hatte. Nach einigen Wochen kam eine Menge Sklaven in den
Garten, welche Teppiche und eine Menge von Geschirren hervorbrachten. Als er nun
nach der Ursache dieser Vorkehrungen fragte, sagte man ihm, dass die Prinzessin
den Garten besehen wollte, um sich zu zerstreuen. Auf diese Nachricht ging der
Prinz schnell zu dem Ort, wo er seine Kostbarkeiten aufbewahrt hatte, nahm
einiges davon an sich, und kehrte dann in den Garten zurück. Hier setzte er
sich und tat, als wenn er vor Alter und Schwäche zitterte. Nach einer Weile
traten Sklavinnen und Dienerinnen in den Garten, und in ihrer Mitte die
Prinzessin, wie der Mond unter den Sternen. Sie fingen sogleich an, den Garten
in allen Richtungen zu durchgehen, und bewunderten die schönen Anlagen
desselben. Endlich kamen sie auch zu dem als Greis verkleideten Prinzen, der
eine Menge von Kostbarkeiten neben sich liegen hatte. Erstaunt über diesen
Anblick, fragten sie ihn, was er mit diesem Schmuck machen wolle? – „Ich
will eine unter Euch heiraten,“ sagte er, „und es ihr zum Brautschmuck
geben.“ Da lachten sie über ihn und scherzten. Er aber sprach: „Meine
Heirat besteht bloß aus einem Kuss, und dann verstoße ich meine Frau
wieder.“ Da sprach die Prinzessin, die den Scherz sehr liebte, zu ihm,
indem sie auf ein sehr schönes Mädchen zeigte: „Diese da gebe ich Dir zur
Frau.“ Da stand er auf, indem er sich gleich einem schwachen Mann auf
seinen Stab stützte, küsste sie zitternd, gleich einem hinfälligen Greis, und
gab ihr den Schmuck. Diese freute sich außerordentlich darüber, und alle
verließen ihn hierauf schäkernd und lachend. Am andern Tag kam die Prinzessin
wiederum mit ihrer Dienerschaft in den Garten. Sie trafen den Prinzen, wie den
Tag vorher, als Greis angetan, und bei noch mehreren Kostbarkeiten, als den Tag
vorher, da sitzend. „Was willst Du denn mit diesen Kostbarkeiten
machen?“, fragte sie ihn wieder. Hierauf führte ihm die Prinzessin ein
anderes Mädchen zu, und sprach: „Mit dieser vermähle ich Dich
heute.“ Er stand sofort auf, küsste sie, und überreichte ihr den schmuck.
Sie nahm ihn in Empfang, und freudig und lachend verließen sie abermals den
Greis. Dasselbe geschah auch den dritten und vierten Tag. Als aber die
Prinzessin diese Kostbarkeiten in den Händen ihrer Sklavinnen sah, und zugleich
erwog, dass der Wert derselben so bedeutend sei, dass eine Königstocher sich
damit schmücken könnte, dachte sie bei sich selbst: „Wie kommen denn
diese Diener dazu, solche Kostbarkeiten zu besitzen? Dergleichen gebührt mir
eher, als ihnen, und die Art, sie zu erlangen, ist ja so leicht.“ Sie
fasste daher den Entschluss, machte sich eines Morgens früh ganz allein auf,
verkleidete sich als eine Sklavin, ging in den Garten, suchte den Greis auf, und
sprach zu ihm: „Die Prinzessin schickt mich, dass Du mich heiraten
sollst.“ Da sah er sie an und erkannte sie. „Sehr gern gehorche ich
der Prinzessin,“ antwortete er, stand zitternd auf, und suchte, was er nur
Kostbares finden konnte, von Schmuck aus, und übergab es ihr. Darauf näherte
er sich ihr, um den Kuss zu empfangen, und die Prinzessin, unbesorgt und in
völliger Sicherheit, ließ ihn ganz nahe kommen. Der Prinz aber ergriff sie,
warf sie auf die Erde nieder, kniete auf sie, riss sich den falschen Bart ab,
öffnete seinen Greisenmantel, und sprach: „Nun habe ich Dich überwunden.
Kennst Du mich nun? Ich bin Bachram, der Sohn des Königs Taag. Ich habe mich
bis jetzt bloß um deinetwillen verkleidet, bloß deinetwillen bin ich aus
meiner Familie und aus meinem Lande gegangen. Aber nun habe ich meinen Zweck
erreicht, und Dich überwunden.“ – Sie stand beschämt und schweigend auf,
ging, ohne ein Wort zu sagen, in ihr Schloss, und überließ sich ihrem ärger
und ihrer Betrübnis. Die Scham, sich überlistet zu sehen, war so groß, dass
sie sich das Leben rauben, oder versuchen wollte, ihn umzubringen. Doch sah sie
alle diese Vorsätze als nutzlos an, und beschloss endlich, mit ihm die Flucht
zu ergreifen, da sie nicht haben wollte, dass man in ihrem Land sagen solle, sie
sei überwältigt worden. Sie teilte ihm also ihren Entschluss mit, bestimmte
ihm die Zeit und Stunde ihrer Abreise, und packte ihm alle Kostbarkeiten
zusammen. Er tat ein gleiches. Als nun die zur Abreise bestimmte Nacht
angebrochen war, begab sie sich zu ihm. Sie bestiegen dann schnelle Rosse, und
entkamen unbemerkt unter den Fittichen der Nacht. Am andern Morgen hatten sie
schon eine große Strecke zurückgelegt. Sie verfolgten indessen immerfort
eifrig ihren Weg, bis sie endlich glücklich in Persien anlangten. Der Vater war
über die Rückkehr seines Sohnes außerordentlich erfreut, und empfing ihn
nebst seiner schönen leibenswürdigen Gattin auf eine ausgezeichnete Art. Er
fertigte zugleich eine Gesandtschaft mit den auserlesensten Geschenken and en
Vater der Prinzessin ab, um die Erlaubnis zur Heirat seines Sohnes mit der
Prinzessin zu erhalten. Als diese Gesandtschaft dort angekommen war, und der
König die Briefe gelesen, und die Geschenke in Empfang genommen hatte, war er
außerordentlich erfreut über die Nachrichten von seiner Tochter, deren
Entweichung ihn sehr betrübt hatte. Er verordnete Freudenfeste, und befahl,
dass der Großrichter und die Zeugen in Gegenwart der fremden gesandten
erscheinen möchten. Seiner Tochter ernannte er einen Anwalt, und so wurde der
Heiratsvertrag aufgesetzt. Nachdem er die Gesandten reichlich beschenkt und mit
Ehrenpelzen bekleidet hatte, ließ er sie wieder abreisen, und übersandte
seiner Tochter eine kostbare Ausstattung, nebst allen ihren Sklavinnen. Bei der
Rückkehr der Gesandten in ihr Vaterland wurde die Hochzeit durch die
glänzendsten Feste gefeiert und der Prinz lebte mit ihr im höchsten Grad
glücklich.

„Du siehst also, o König,“ fuhr die Frau fort,
„wie groß die List der Männer ist. Was euch aber betrifft, so werde ich,
so lange ich lebe, auf meiner gerechten Forderung nach Genugtuung
bestehen.“

Als der siebente Tag anbrach, trat der siebente Wesir
herein, küsste die Erde vor dem König, und sprach: „O König, noch nie
hat jemand den Aufschub einer Sache bereut. Dagegen sit derjenige, der sich
übereitle, fast stets mit Scham und Reue bedeckt worden. Mit Kummer sehe ich
die Anstrengungen dieser Frau, Dich zu einer übereilten Handlung zu bewegen,
die Dir eine reuevolle Zukunft bereiten würde. Doch ich, Dein treuer Diener,
kenne die List der Weiber genauer, als jeder andere und die ‚Geschichte der
alten Frau mit dem Sohn des Kaufmanns‘ enthält in dieser Hinsicht ein zu
warnendes Beispiel, als dass ich sie Dir nicht mitteilen sollte.“ –

„Was ist das für eine Geschichte?“, fragte der
König, und der Wesir begann also:

Geschichte
der alten Frau mit dem Sohn des Kaufmanns

Ein sehr reicher Kaufmann hatte einen Sohn, Namens Gadryf,
den er sehr zärtlich liebte. Seine Neigung zu ihm ging so weit, dass er ihm
öfters sagte: „Welches auch immer Deine Wünsche sein mögen, so teile sie
mir mit, es wird mich freuen, sie Dir zu erfüllen.“ Eines Tages sagte sein
Sohn zu ihm, dass er sich sehr sehne, nach Bagdad, diesem Wohnort des Glücks
und des Friedens, zu reisen. „Ich will,“ sagte er, „diese
merkwürdige Stadt besuchen, ihre Schönheiten bewundern, das Schloss des
Kalifen betrachten, auf dem Tigris Luftfahrten machen und andere
Ergötzlichkeiten dort genießen, welche mir die Kaufleute und die Reisenden
beschrieben haben.“ – „Mein Sohn,“ erwiderte der Vater,
„dieses ist ein Wunsch, den ich nicht erfüllen kann. Du bist zu jung und
es fällt mir zu schwer, Dich von mir zu lassen.“ – „Du hast mich so
oft gebeten,“ erwiderte der Sohn, „ich möchte Dir meine Wünsche
anzeigen, nunmehr, da ich’s getan habe, verweigerst du mir die Erfüllung. Ich
lasse indessen nicht ab, Dich darum zu bitten, denn meine Sehnsucht ist zu
groß, als dass ich sie überwinden könnte. Nur durch die Reise kann sie
gehoben werden.“ Als nun der Vater den festen Entschluss seines Sohnes
wahrnahm, so traf er die nötigen Anstalten, besorgte kostbare Waren, an Wert
von dreißigtausend Goldstücken und empfahl ihn einigen Kaufleuten, die eben
dahin abreisten. Gadryf reiste ab. Der Vater begleitete ihn mit einem frommen
Gebet und die Reise selbst wurde glücklich vollbracht, denn schon nach zwei
Monaten waren sie in Bagdad angelangt. Sein erster Gang war nach dem Marktplatz,
wo er ein sehr schönes Haus mieten wollte. Eins derselben, das von seltner
Pracht und Schönheit war, reizte ihn und er beschloss, es näher anzusehen. Er
fand darin so viel Aufwand und Glanz, dass er sich nicht genug darüber
verwundern konnte. Doch als er in den Garten trat, die reichlich
hervorströmenden Springbrunnen darin betrachtete, die Bäche, die im Garten
flossen, und die seltenen Bäume darin erblickte, so stieg sein Erstaunen noch
höher. Darauf trat er in einen Gartensaal, dessen Fußboden mit Marmor so
ausgetäfel war, dass er Figuren bildete, und dessen Decke Goldmalereien
schmückten. Er wagte kaum nach dem Mietzins zu fragen. Indessen tat er es doch
und äußerte, dass er wissen wünsche, wie viel man den Monat dafür zahlen
müsse? „Zehn Goldstücke,“ antwortete sein Führer. – „Ist das
wahr, was Du sagst?“ – „Ja,“ erwiderte jener, „denn kaum ist
es möglich, dass jemand länger, als höchstens eine oder zwei Wochen darin
wohnen kann.“ – „Warum das?“, fragte Gadryf. – „Weil
derjenige, der es bewohnt, entweder krank wird oder stirbt. Das ist nun bereits
in Bagdad bekannt, darum kommt niemand, es zu mieten, und eben deshalb ist der
Preis so sehr gesunken.“ Gadryf wunderte sich darüber außerordentlich,
und dachte ei sich selbst: „Ich möchte doch gern die Ursache ergründen,
warum jedem Bewohner Tod oder Krankheit droht.“ Er mietete also das Haus,
bewohnte es, und enthielt sich alles Kummers wegen des bekannten Umstandes.
Zugleich beschäftigte er sich mit Kaufen und Verkaufen eine geraume Zeit
hindurch, und war in seinen Geschäften sehr glücklich.

Eines Tages ging ein altes Weib bei ihm vorbei, deren
Aussehen nichts Gutes versprach. sie betete unaufhörlich den Rosenkranz1)
ab. Als sie aber den jungen Mann auf einer Bank, die vor seinem Haus stand,
sitzen sah, war sie über seinen Anblick sehr erstaunt. „Du fromme
Frau,“ sagte Gadryf zu ihr, „kennst Du mich, oder hältst Du mich für
einen anderen?“ Da grüßte sie ihn sehr freundlich, und sprach: „Wie
lange wohnst Du in diesem Haus?“ – „Zwei Monate,“ antwortete er.
– „Darüber eben bin ich erstaunt, denn vor Dir hat niemand dasselbe
länger als eine Woche bewohnt, und hat es nur krank oder tot verlassen. Aber
ich weiß schon, Du hast gewiss die Tür des Belvedere auf dem obersten Teil
nicht geöffnet.“ Mit diesen Worten setzte sie ihren Weg, immerfort betend,
weiter fort. Dieser war ganz verwundert über die äußerung der Alten, und
sagte bei sich selbst: „In diesem Haus sollte ein Belvedere sein, und ich
hätte es noch nicht gesehen!“ Und sogleich ging er hin, um den Eingang zu
demselben zu suchen. Er ließ keinen Winkel dieses großen Hauses ununtersucht,
bis er endlich hinter einem Haufen Mauersteine eine kleine Tür erblickte, die
von Spinnenweben schon ganz bedeckt war. „Wie,“ rief er lächelnd aus,
„hinter dieser kleinen Tür sollte der Tod mich erwarten? Nein, das kann
nicht sein! Steht nicht im Koran, in diesem heiligen Buch: Nur was uns bestimmt
ist, wird uns begegnen. Daher kann ich ganz unbesorgt hineingehen. Es kann mich
nur, hier oder dort, mein bestimmtes Schicksal treffen.“ Mit Mühe
kletterte er über die Haufen der davor liegenden Steine, und öffnete die Tür,
hinter welcher er sogleich eine Treppe erblickte, die er sofort hinan stieg.
Nachdem er lange so fort gestiegen war, gelangte er  endlich an das
gesuchte Belvedere. Dort sah er einen Sessel, worauf ein sehr schönes Mädchen
saß, die alle Herzen bezaubern musste. Kaum hatte er sie gesehen, als er in
seinem Herzen die heftigste Liebe gegen sei empfand. „Ach, wenn das wahr
ist,“ dachte er, „was die Leute sagen, dass jeder, der dies Haus
bewohnt, stirbt oder krank wird, so ist dieses Mädchen die Ursache daran. Wehe
mir: Wie wird es mit mir enden, da jetzt schon gleichsam mein Verstand mir
geraubt, und mein Herz betört ist!“


1)
Auch die Mohammedaner bedienen sich der Rosenkränze bei ihren Andachtsübungen.