Project Description

994. Nacht

Bei Anfang der siebenten Nacht trat die Frau wieder zum
König herein. Sie hatte ein großes Feuer anzünden lassen und wollte sich
hineinstürzen, man hatte sie indessen davon abgehalten und sie zum König
gebracht. Diesen redete sie in ihrer Verzweiflung mit folgenden Worten an:
„O König! Wenn Du mir nicht Gerechtigkeit gegen Deinen Sohn verschaffst,
so stürze ich mich in jenes Feuer und werde Dich einst an jenem Tag des
Gerichts dafür anklagen. Ich bin des Lebens überdrüssig und habe bereits mein
Testament gemacht und alle meine Angelegenheiten besorgt. Du aber wirst es einst
ebenso bereuen, wie einst ein König die Verurteilung einer frommen Frau
bereute.“ – „Und wie war das?“, fragte sie der König. Da
erzählte sie ihm folgende Geschichte.

Geschichte
der frommen Frau

Eine fromme, gottergebene Frau lebte am Hof eines Königs.
Sie stand bei ihm in solcher Achtung, dass sein ganzes Haus glaubte, sie bringe
Segen in seine Familie. Eines Tages saß sie neben der Königin und diese gab
ihr eine sehr kostbare Juwelenschnur, tausend Goldstücke an Wert, zum
Aufbewahren. „Nimm dieses,“ sagte sie zugleich zu ihr, „bis ich
aus dem Bad zurückkomme.“ Die fromme Frau legte das Halsband auf ihr
Betpult und verrichtete sodann einige Geschäfte. Während dieser Zeit aber kam
eine Elster, trug diese Schnur in ihrem Schnabel fort, und verbarg sie in irgend
einem Winkel des Schlosses. Als die Königin aus dem Bad zurückkam, verlangte
sie die Schnur von der Frau zurück, welche dieselbe aber nirgends fand. Da die
Königin nachmals das anvertraute Kleinod von ihr forderte, erwiderte sie:
„O Königin! Als ich es von Dir in Empfang nahm, legte ich es in meinen
Betstuhl, in welchem ich betete, dann verrichtete ich noch einige Geschäfte,
bis Du vom Bad zurück kamst, und nun finde ich es nicht mehr. Vielleicht hat
jemand von der Dienerschaft mich unachtsam gefunden und es indessen
geraubt.“ Der König, der ein sehr grausamer Mann war, setzte, als er dies
hörte, alle Hochachtung, die er bisher für sie gehabt hatte, bei Seite, ließ
seinem Zorn und Argwohn freien Lauf und befahl, da sie nicht gestehen wollte,
sie auf die Folter zu legen. Hier erduldete sie die größten Qualen und
Martern, ohne jedoch ihre Aussage zu ändern. Sie wurde darauf in ein Gefängnis
gebracht und an Händen und Füßen gefesselt. Eines Tages saß der König und
seine Gemahlin in einem Gartenhaus, dem Schloss gegenüber, und sah diesen
Vogel, wie er aus einem Fenster des Schlosses herausflog und in seinem Schnabel
etwas hielt, das er an einen nicht sehr entfernten Ort hintrug. Sogleich befahl
er einigen Sklaven, dem Vogel nachzulaufen, um zu sehen, was er wegtrüge. Diese
nahmen es ihm auch bald ab, und die Königin erkannte, dass es die vermisste
Schnur sei. Nun sah der König die Unschuld der frommen Frau ein und bereute die
grausame Ungerechtigkeit, womit er sie behandelt hatte. Mit Reichtümern wollte
er sie jetzt überhäufen, mit Tränen bat er es ihr ab, aber das Geschehene
konnte er dadurch nicht ungeschehen machen. Sie weigerte sich, irgend etwas von
ihm anzunehmen, verließ seinen Hof und widmete sich ganz dem Dienst Gottes und
den Handlungen der Frömmigkeit.

„Doch es fällt mir noch eine andere Geschichte
ein,“ fügte die Frau hinzu, „die Dir die List der Männer deutlich
zeigen wird.

Geschichte
des Königssohnes und der Tochter eines anderen Königs

Einst lebte, wie man erzählt, eine Prinzessin von so
außerordentlicher Schönheit, die so gut zu reiten und die Waffen zu handhaben
verstand, dass sie von keinem ihrer Zeitgenossen übertroffen wurde. Viele
Prinzen hatten schon um sie angehalten, aber sie hatte keinem irgend eine
Antwort gegeben, bevor er nicht mit ihr sich in einen Zweikampf eingelassen
hatte. Sie hatte nämlich bestimmt erklärt: „Nur derjenige soll mein Gatte
werden, der mich auf dem Kampfplatz bezwingt. Besiege ich ihn aber, so nehme ich
sein Pferd, seine Waffen und seine Kleider und präge meinen Namen auf seine
Stirn ein.“ Dies hielt nun zwar die Söhne mehrerer Könige nicht ab, sich
von den entferntesten Gegenden her zu ihr zu begeben, allein sie hatte sie alle
besiegt, ihre Waffen als Siegeszeichen behalten und sie auf der Stirn
bezeichnet.

Unter anderen hatte auch der Sohn eines persischen
Königs, mit Namen Bachram ben Tagi, ebenfalls von ihr gehört. Auch dieser
entschloss sich, die weite Reise zu ihr hinzumachen und nahm unermessliche
Reichtümer mit sich. Als er in die Stadt kam, wo der Vater der Prinzessin
wohnte, legte er seine Schätze an einem sicheren Ort nieder und richtete es so
ein, dass man nichts von diesen Reichtümern vermuten konnte. Den nächsten Tag
darauf begab er sich dann mit sehr ansehnlichen Geschenken zum König. Dieser
nahm ihn sehr wohl auf und versicherte ihn, dass es ihm sehr angenehm sein
würde, alle seine Wünsche zu befriedigen. Als ihm indessen der Prinz
eröffnete, dass er bloß in der Absicht gekommen sei, um seine Tochter
anzuhalten, da erwiderte er: „Das, was du begehrst, hängt nicht von mir
ab. Ich habe ihr versprochen, dass ich sie ganz hierin über ihre Wahl lassen
will und sie hat sich durch einen Schwur verpflichtet, nur den zu heiraten, der
sie im Zweikampf überwinden würde.“ Der Prinz empfahl sich hierauf und
bereitete sich zum Kampf mit der schönen Prinzessin vor. Er ließ sie sodann um
die Erlaubnis ersuchen, mit ihr kämpfen zu dürfen und bat sich zugleich die
Stunde aus, in der es ihr gefällig sein würde. Sie willigte ein, zeigte ihm
die Stunde an, und das Gerücht von diesem Kampf verbreitete sich in der ganzen
Stadt, und zur festgesetzten Zeit versammelte sich eine große Menge Neugieriger
auf dem Kampfplatz. Die Prinzessin erschien völlig bewaffnet, gegürtet und mit
einem dichten Schleier verhüllt, aber auch der persische Prinz trat in
völliger Rüstung, höchst geschmackvoll angetan, herein. Sie begrüßten sich
auf kriegerische Art und begannen den Kampf. Er wurde sehr langwierig und
hartnäckig. Beides, Kraft und List wurden dabei angewandt, und die Prinzessin
sah wohl, dass sie es mit einem der Tapfersten unter den Tapfern zu tun hatte,
denn nie hatte sie einen solchen Widerstand von einem andern erfahren. Auch war
er wirklich geübter als sie und sie fürchtete mit Recht, dass beim letzten
Gang, wenn seine Hitze aufs äußerste gestiegen sein würde, er sie
überwältigen würde. Sie nahm daher zu ihrer letzten List ihre Zuflucht und
entschleierte sich. Als der Prinz ihr schönes Angesicht erblickte, wurde er von
ihrem Reiz höchst bezaubert, er war nun seiner Kräfte nicht mehr mächtig und
verlor den Mut, eine solche Gegnerin zu bekämpfen. Als sie den Eindruck, den
sie auf ihn gemacht hatte, wahrnahm, benutzte sie diesen Augenblick, fiel ihn
unvermutete an, hob ihn mit ihrer Lanze aus dem Sattel und bemächtigte sich
seiner mit Blitzesschnelle. Er indessen betrachtete sie noch immer und gewahrte
kaum, was mit ihm vorging. Sie aber nahm sein Ross, seine Waffen, seine Kleider,
zeichnete ihn auf die Stirn und ließ ihn gehen. Nun kam er wieder zu sich
selbst und sah jetzt erst die Größe seines Verlustes. Vor Gram und Kummer
konnte er von nun an weder essen noch trinken, denn zu seinem Unglück hatte die
Liebe zu dieser Prinzessin sich seines Herzens gänzlich bemächtigt. Er
entließ nun seine ganze Dienerschaft und schrieb seinem Vater, dass er sich
fest vorgenommen habe, nicht eher zurückzukehren, bis er seine Sache
durchgesetzt haben würde. Sofern er das nicht könne, so wolle er sterben.
Diese Nachricht betrübte seinen Vater außerordentlich und er war schon
willens, ihn zu unterstützen und ihm mit Truppen zu Hilfe zu kommen, allein
seine Räte widerrieten ihm dies und er überließ daher Gott die
Angelegenheiten seines Sohnes. Dieser aber ersann eine List. Er verkleidete sich
nämlich, legte sich den Bart eines Greises an und begab sich zum Gärtner der
Königin, unter dem Vorwand, dass er die Gärtnerei sehr gut verstehe. Von dem
Gärtner erfuhr er nun, das die Prinzessin alle Abende in den Garten komme, um
sich zu erfrischen.