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974. Nacht

Als Abbaas Schafyke erblickte, fragte er sie: „Was ist Dein
Begehr?“ Statt aller Antwort küsste sie den Brief, und überreichte ihm
denselben. Er aber befahl einer seiner Sklavinnen, ihr denselben abzunehmen, und
von dieser nahm er ihn sodann an, und als er ihn gelesen hatte, sagte er:
„Wir gehören Gott an, und wir müssen alle dereinst zu ihm
zurückkehren.“ zugleich ließ er sich Feder und Papier geben, und schrieb
folgende Verse:

„Wie befremdet es mich, zu sehen, dass Du Dich zur Liebe neigst, nun, da
mein Herz von der Liebe zu Dir schon abgeneigt fühlt.
Einst schriebst Du mir: In Versen hast Du zwar Deinen Brief geordnet, aber mit
Söhnen des Weges1) lasse ich
mich nicht ein.
Wie viel Könige sind schon zu mir gekommen mit Heeren, und schwer belastete
Kamele folgten ihnen.
Kostbare Pferde von altem Geschlecht, und ebenso edle Kamelmütter nebst allem,
was nur ausgezeichnet ist.
„Und wer ist denn dieser?“, fragtest Du. Ich bin es, der gekommen war,
Vereinigung mit Dir zu suchen. Doch ich übergehe alles, was sich seit meiner
Liebe zugetragen hat.
Du warst es, die Du Dich von mir entferntest, und mir Beleidigungen antatest,
die kein Freund ertragen kann.
Häufig sind in der Liebe Streitigkeiten und Trübsal, und selten gibt es einen
Geliebten, der nicht Ursache hat, zu klagen.
Nur den bittern Kelch der Liebe habe ich genossen, und Trübsal empfunden, deren
Wiederholung nichts nützt.
Du sagtest mir stets: Geduld und Ertragung ist die schönste Pflicht, und bringt
dem, der sie ausübt, nichts als Gutes.
übe Du nun diese schöne Pflicht der Geduld aus. Sie ist lobenswürdig, und sie
zu befolgen, wird Dir leicht sein.
Du hörst, was ich Dir nun sage. Merke Dir es, und wisse, dass ich mit dem, was
Du wünschest, nichts zu schaffen haben mag.“

Nun faltete er den Brief, und übergab ihn dem Mädchen. Diese nahm ihm, und
überreichte ihn der Fürstin. Als diese ihn gelesen hatte, sagte sie: „Es
scheint, als wenn er das Vergangene wieder in Erwähnung bringen wollte.“
Und schnell rief sie sodann nach Feder und Papier, und schrieb folgendes:

„So lange hast Du mir die Liebe angetragen, bis ich sie nun selbst
empfinde, und jetzt verfolgt mich der Trennungsschmerz, der mit jedem Tag
zunimmt.
Der Schlaf flieht von mir, und auf meinem Ruhekissen finde ich seit Deiner
Trennung keine Erholung.
Du hast mich die Liebe kennen gelehrt, die ich vorher nicht kannte. Nun aber
zeigst Du mir auch, wie unaussprechlich ihr Schmerz ist.
Ich beschwöre Dich, lass mich nicht länger Deinen Unmut fühlen. Sei wieder
der Liebeskranken günstig, welche vom Trennungsschmerz tief gebeugt ist.
Es wäre ein harter Schlag, der mich dem Grabe nahe bringt, und der mit dem
Leichentuch endigen wird.
Du hast mich verlassen in dem Augenblick, wo die Liebe auf mich ihre stärkste
Macht ausübt, und wo ich die brennendsten Schmerzen erleide.“

Maria schloss hier ihren Brief, und übergab ihn dem Mädchen. Diese hatte
viel Mühe, um vor Abbaas vorgelassen zu werden, und als sie eintrat, fand sie
ihn umgeben von den fünf schönen, bereits erwähnten Mädchen, die ihm sein
Vater mitgebracht hatte. Als Abbaas Schafyke sah, befahl er einer von den
fünfen, namens Chafyse2),
einer Sineserin, ihr den Brief abzunehmen, und hieß sie dann, nachdem er ihn
gelesen hatte, die Laute zu stimmen, und etwas über die Trennung zu singen.
Dieses tat sie denn auch, nachdem sie ihre Kunst in der Laute durch ein Vorspiel
in vierundzwanzig Tonarten bewiesen hatte, in folgenden Versen:

„Sie haben uns verlassen, die Freunde, am Tag des Aufrufs zum Abgang,
und stürzen uns in alle Unglücksfälle der Trennung.
An jenem Tag, wo die Kamele ihre Lasten erhoben, um ihr Anführer das
schreckliche Zeichen zum Aufbruch gab, –
Da flossen meine Tränen, da bemächtigte sich meiner Verzweiflung, da floh von
meinen Augen der Schlaf.
So sehr ich auch weinte, niemand bemitleidete mich. Ich streckte meine Arme nach
den Abreisenden aus, und unaufhaltsam eilten sie weiter.
Ach, ihr Augen, wie viel habt ihr geweint! Ach, Du Seele, wie viel brennenden
Schmerz hast Du erlitten! Ach ihr Seufzer, welche das härteste Herz zu
schmelzen vermocht haben würden, wie groß ist Eure Zahl, die ich ausgestoßen
habe!
Wem soll ich nun klagen, was in mir vorgeht? Dir kann ich es nicht, der Du von
mir gegangen bist.
Das Feuer meiner Liebe nimmt täglich zu, und die Ursache meines Schmerzes
entfernt sich mit jedem Tag.
O sanfter Morgenwind, wehe meinen Schmerz hinweg, aber treu will ich bleiben
meinem Bündnisse.
So oft Du über den Wohnort meines Geliebten hauchst, so gieße über ihn meine
Glückwünsche und meinen Segen aus, als mein höchstes Ziel.
überschütte ihn mit Wohlgerüchen des Muskus und der Ambra, stets und zu jeder
Zeit. Das ist mein letzter Wunsch.“

Als sie geendigt hatte, war Abbaas so gerührt, dass er seiner nicht mehr
mächtig war, und in Ohnmacht fiel. Nachdem sie ihn mit Rosenwasser besprengt
hatten, kam er wieder zu sich, und rufte ein anderes Mädchen, mit Namen Hafise3),
eine Türkin, um ebenfalls etwas über die Trennung zu singen, welches sie mit
folgenden Worten tat:

„O mein Freund, meine Augen überströmen von Tränen, und mein Herz ist
von den Qualen der Trennung ergriffen.
Mein Körper wird schwach wegen der Qualen meines Gemüts, die Sehnsucht der
Liebe nimmt zu, und die Seufzer dauern ununterbrochen fort.
Nur ein Mittel bleibt mir, wenn, der Verzweiflung nahe, das Feuer der Liebe in
meinem Innern wütet. Dies ist: Es durch Tränen abkühlen.
Doch nichts kann helfen, mein Körper wird dem Schmerz unterliegen. Die Trennung
wird ihn töten.“

Als sie geendet hatte, lobte sie Abbaas, und rufte ein anderes Mädchen auf,
die aus Dilem gebürtig war, mit Namen Morgane4),
und sprach: „Morgane, schildere Du mir einmal die Trennung.“ Diese tat
es mit folgenden Worten:

„übt Geduld, denn sie ist eine Tugend, deren Befolgung immer Segen
bringt. So bezeugen es alle Geschichten.
Wie viel habe ich Ursache gehabt, mich über Unglück zu beklagen! Dem Tot war
ich schon nahe, wegen der vielen erduldeten Schmerzen.
Wie viele Nächte habe ich durchwacht, wo ich die Sterne, Zeugen meines
Schmerzes, beobachtete. Wie viel bittere Kelche habe ich geleert!
Wie glücklich fühlte ich mich, wenn nur im Traum Du mir einmal erschienst,
obgleich beim Erwachen mein Schmerz dann nur noch größer wird.
Doch nun hat Gott meine Liebe zu Dir aus meinem Herzen verbannt, nachdem ich nur
im Andenken an Dich meine Wonne fand.
Morgen reise ich ab, und verlasse Euer Land. Ihr werdet mich fortziehen sehen.
Fürchtete aber nichts für mich, wenn ihr mir fern sein werdet. Auch weiß ich
nicht, ob ich je von Euch Nachricht erhalten werde.
Wer weiß, ob, wenn uns dasselbe Haus einst vereinigt gesehen hätte, unser
Leben glücklich und ohne Ungemach gewesen wäre.“

Als das Mädchen geendet hatte, lobte er sie, und sprach: „Du hast
gesungen, was mir selbst in den Sinn gekommen ist, Du hast gesprochen, als
hättest Du mit meiner Zunge geredet.“ Nun winkte er dem vierten Mädchen,
welches ein ägypterin war, und Sittulhusni5)
hieß, befahl ihr, ihre Laute zu stimmen, und über denselben Gegenstand zu
singen. Sie tat es mir folgenden Worten:

„O Geduld, wie schön bist Du, denn nach Bedrängnis kommt
Erleichterung. Alles hat seine Zeit, und jedes Mittel seine Bestimmung.
Wenn auch die Zeit manchmal trübe ist, so ist die Ursache, dass ich ihre
Augenblicke verändern. Daher ist der Mensch (wegen mancher seiner Handlungen)
zu entschuldigen.
Das sind Veränderungen des Schicksals, die Gott eintreten lässt, und denen die
Armen und Unglücklichen ebenso wohl unterworfen sind, als die Reichen und vom
Glück begünstigten.
Nur rette Deine Ehre, und vertraue Dein Geheimnis nur einem Mann von edler
Herkunft an,
Bei dem es verborgen bleibt, und wenn Du es ihm offenbarst, so tue es auch
Achtung für ihn, jedem andern hüte dich, es auszuplaudern.“

Als sie geendigt hatte, sagte er: „Gut, Sittulhusni, Du hast den Missmut
aus meinem Herzen zerstreut. Zugleich winkte er dem fünften Mädchen, einer
Perserin, mit dem Namen Mardye6),
und sprach: „Stimme Deine Laute, und singe über denselben Gegenstand, denn
bald machen wir uns auf den Weg nach Jemen.“ Sie sang folgendes:

„O Freund meines Herzens, wie ist mein Blick trübe, (wenn er Dich nicht
antrifft). Sind wir aber einst vereint, so möge der Ort, wo ich mich aufhalte,
auch stets der Deinige sein.
O Bewohner meines Herzens, in dem nur Du thronest, ich lasse mein Leben für
Dich, wenn Du Dich nie von mir trennest.
Schenke mir Dein Wohlwollen, zum Trotz der Feinde, dann wird meine Schwermut und
mein Kummer mich verlassen.
Um Dein Wohlwollen bitte ich Dich, wenn Du es vergönnst, so wird dasselbe mir
zur größten Ehre gereichen, und mich unter den Leuten so erscheinen lassen,
als ob ich mit dem schönsten Ehrenkleide angetan wäre.

Als sie geendet hatte, weinten sie alle, und Abbaas lobte sie. Dieses alles
aber geschah in Gegenwart der Schafyke, welche ganz bezaubert war von der
Schönheit dieser Mädchen, und von ihrer Kenntnis. Sie bat nunmehr um
Erlaubnis, sich fortzubegeben, und kehrte nun ohne Brief und ohne Antwort zur
Fürstin Maria zurück.


1) D.h. mit
Reisenden