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970. Nacht

„Guten Tag,“ sprach sie zu ihm, „Du von
Kummer gedrückter, der Du dagegen kein Mittel weißt. Es muss Dir irgend etwas
bedeutendes widerfahren sein. Teile mir es mit, wäre es auch ein großes
Geheimnis. Schon vermute ich etwas, denn ich habe Dich soeben ein Gedicht lesen
hören, welches sehr zärtlich war, und mir einigen Aufschluss gibt.“ Auf
diese Bitte entdeckte er ihr alles, was sich zugetragen hatte, und empfahl ihr
dabei das strengste Geheimnis. Dies versprach sie ihm auch, und fügte hinzu:
„Wie willst Du den belohnen, der Deinen Brief überreicht, und Dir die
antwort überbringt?“ Da neigte er sein Gesicht zur Erde. Sie aber fuhr
fort: „Scheue Dich nicht, sondern übergebe mir Deinen Brief.“ Er
überreichte ihr denselben, und sie ging sogleich damit zu Maria. „Nimm
diesen Brief,“ sagte sie zu dieser, „und gib mir bald Antwort
darauf.“ Maria liebte nichts mehr, als Verse und Poesie, auch hatte sie
viele Sprachkenntnisse. Sie nahm den Brief, öffnete ihn, las ihn, und als sie
den Inhalt vernommen hatte, warf sie den Brief zur Erde, und sprach: „Liebe
Frau, auf diesen Brief kann ich keine Antwort geben.“ Jene erwiderte
darauf: „Das ist eine Schwäche von Dir, und ein Mangel an Höflichkeit,
den Du Dir zu Schulden kommen lässt. Denn weit und breit bist Du berühmt wegen
Deines Scharfsinns und wegen Deines Anstands. Antworte ihm also, wie es Dir Dein
Herz eingibt.“ – „Aber, liebe Frau,“ erwiderte die Prinzessin,
„wer ist denn derjenige, mit dem Du mir einen Briefwechsel einzugehen
vorschlägst? Vielleicht ist es der junge Fremde, der meinem Vater die
Edelsteine übergeben hat?“ – „Er ist es selbst,“ erwiderte die
Frau. – „Da will ich ihm antworten,“ sprach die Prinzessin,
„damit Du mir nicht noch einen zweiten Brief von ihm bringst.“
Zugleich lies sie sich ein Schreibzeug bringen, und schrieb folgende Verse:

„Du hast mir in einem Gedicht Deine Gesinnung
mitgeteilt. Hüte Dich aber, dass Dir dieser Schritt nicht Kummer zuzieht, da Du
ein Fremder bist.
Du sagst, dass ein Blick, den Du auf mich getan hast, Dich aufs Krankenlager
bringen werde – mache Dir keine Hoffnungen – wie könnte ich einen Fremdling
anhören!
Wer bist Du denn, Du Thor, dass Du Deine Wünsche bis zu mir erhebst, dass Du es
wagst, mir zu schreiben, haben Dich Deine Sinne verlassen?
Bist Du so töricht, nach meinem Besitz zu streben, so stirb hin in Deiner
Krankheit! Gegen solche Thorheit kenne ich kein anderes Mittel.
Lass also ab, mir ferner Gedichte zuzusenden, und betage Dich nicht wie ein
Irrender im Besserungshause.
Reise wieder ab, und bilde Dir nie ein, dass ich mich nach Dir sehne. – Söhne
des Weges sind nicht die, nach die, nach denen ich strebe.
Meine Liebe schenke ich nicht Fremdlingen, die auf der weiten Erde nichts
besitzen, was sie ihr Eigentum nennen könnten. Gehe dahin zurück, wo Du
herkamst.
Du bist nicht der erste. der sich vergebens das gewünscht hat, was er liebte.
Gehe also von dannen, und begehre nicht ferner, was Du nie erlangen wirst, so
nahe es Dir auch scheint.
Das ist hier mein Entschluss, mehr mag ich Dir nicht sagen. Sei also
vernünftig, erwäge alles wohl, damit Du den rechten Weg ergreifst.“

Als Maria geendet hatte, faltete sie den Brief zusammen,
und gab ihn der Vertrauten des Abbaas, welche sich sofort zu ihm begab, und ihm
das Papier überreichte. Er öffnete es sogleich und las es. Als er aber an das
Ende kam, wurde er so betäubt und erschrocken, dass er in Ohnmacht fiel. Da er
wieder zu sich gekommen war, sprach er: „Gott sei Dank, dass Du mir die
Antwort überbracht hast. Würdest du mir wohl einen zweiten Brief an die
Fürstin besorgen?“ – „Was nutzen Dir Deine Briefe bei ihr, da sie Dir
auf diese Art antwortet?“ – „Ach,“ erwiderte Abbaas, „ich
hoffe doch, sie wird sich noch besänftigen lassen.“ Zugleich nahm er ein
Tintenfass und Papier, und schrieb folgende Verse:

„Deinen Brief habe ich erhalten. Allein als ich ihn
las, nahm meine Sehnsucht nebst meinem Scherz nur noch mehr zu.
Schlaflos hat er mich gemacht. Meinen Kummer und meine Krankheit hat er
vermehrt.
Ach wenn Du doch wüsstest, was ich wegen Deiner Liebe empfinde, wie mein Herz
vor Kummer vergeht! Vergebens mühe ich mich, Dich zu vergessen, mein Verstand
gehorcht mir nicht!
Wisse, wegen keinem andern Zweck bin ich in Dein land gekommen, als um das
Glück zu haben, Dich zu besitzen.
Wie viel Mühseligkeiten, wie viel Gefahren habe ich überstehen, wie viel
schlaflose Nächte habe ich durchwachen müssen.
Bloß Dich zu sehen, war mein einziger Zweck, Liebe und Sehnsucht befahlen es
mir.
Bei dem, der mich in diesen Zustand versetzt hat, beschwöre ich Dich, erbarme
Dich meiner, und kühle meine Glut.
Freilich bist Du mit dem Gewand der Hoheit bekleidet und mit den Reizen der
Schönheit geschmückt, freilich besitzest Du Vorzüge jeder Art, aber wer kann
dich ansehen, Deine Schönheit betrachten, und mich dann noch tadeln!“

Als er geendet, und den Brief zugemacht hatte, gab er ihn
seiner Freundin, und empfahl ihr, alles ganz geheim zu halten. Sie nahm den
Brief, übergab ihn der Maria, welche ihn sogleich öffnete, und las. nach
Endigung desselben sprach sie zu der überbringerin: „Dieser Briefwechsel
lastet auf mir, und bereitet mir großen Kummer, und nie habe ich etwas
drückenderes empfunden.“ – „O meine Fürstin,“ sprach die Frau,
„Du bist Gebieterin in Deinem Schloss. Antworte ihm also, und habe keinen
Kummer.“ Da ließ Maria ein Tintefass, Feder und Papier bringen, und
schrieb folgende Verse:

„O Du Betrogener, wie betörest Du Dich selbst Durch
Deine Anstrengungen! Denke, wie viel Fürsten schon wegen mir die Nächte
durchwacht haben, sich mit der Hoffnung schmeichelnd, meine Einwilligung zu
erhalten!
Du also, wenn Du auch in nächtlicher Weile Wüsten nach und fern durchstreift
hast, wenn auch Dein Auge die Erquickungen des Schlafes vermieden hat und Du,
Deinen törichten Begierden folgend, Dich nicht zurecht weisen lässt, und
dennoch fort fährst, nach meinem Besitz zu streben, so übe Dich, o armseliger
Lehmhüttenbewohner, in Geduld die Richterfüllung Deiner Wünsche zu ertragen.
Haben doch viele Fürsten und Könige nach meinem Besitz vergebens gestrebt,
erkunde Dich selbst nach allen jenen Edeln, die mit kostbaren Kamellasten zu mir
geeilt sind.
Wie sie mir, nebst Sklaven und Sklavinnen, ganze Züge von Pferden, nebst Waffen
und kostbaren Kleidern anboten und um mich anhielten, sie haben aber nichts
erreicht.
Auch der große Na’aman nahte sich mir mit seinem Antrag, seinen Wunsch habe ich
aber nicht erhört, denn ich zog immer vor, fern von aller Verbindung zu
bleiben.
Höre also auf, o Fremdling, nach mir Deine Wünsche zu erheben, denn Schimpf
und Schande würde Dir Deine Thorheit nur einbringen.“

Nach Endigung dieser Zeilen übergab sie den Brief der
Vertrauten, welche ihn sogleich dem Abbaas zustellte. Als ihn dieser gelesen
hatte, ließ er sich das nötige bringen, und schrieb ihr folgende Zeilen:

„Du hast vieler tapferen Könige erwähnt, welche
verdienen, kühne und mutige Löwen genannt zu werden.
Ihnen, gleich mir, hast Du den Verstand geraubt, mich, wie sie, hast du mit
Deinen Zauberblicken getroffen.
Du sprichst von den Sklaven, den Rossen und den Mädchen, so wie den vielen
Geschenken, die du erhalten, und dass Du dennoch die Geber, groß oder gering,
verschmäht hast.
Nach ihnen bin ich endlich gekommen, und wünschte Deinen Besitz. Nichts anders
hatte ich aber, als mein Schwert.
Bei mir sah man weder Sklavinnen noch Kamele, noch verschleierte Mädchen.
Wenn Du also dennoch meine Wünsche begünstigst, so sollst Du sehen, wie vor
meiner Waffe die Feinde fliehen werden.
Du sollst aber auch um Bagdad herum eine Reiterei sehen, gleich Wolken, die die
Gegenden verdunkeln.
Gehorsam wirst du sie finden meinen Winken, befolgend meine Befehle, wie ich nur
will.
Soll ich Dir zweitausend Sklaven zu Deinen Füßen legen, oder zeihst Du es vor,
König da zu sehen?
Jemen ist das Land, das unter meinen Befehlen steht, so wie auch Negd.
Dieses alles habe ich wegen Dir verlassen, vom Teuersten habe ich mich entfernt.
Die Nächte mit Gefahren durchwacht, sobald mir die Kunde Deiner Schönheit
wurde. Mit Briefen wandte ich mich an Dich, die Dein Herz wohl erweichen
konnten, aber mit Treulosigkeit hast Du sie erwidert.
So ist aber die Zeit, doch wer sie kennt, wird sie nicht treulos finden.
Sehr hast Du geirrt, wenn Du glaubtest, dass, obgleich fremd, ich verstandlos
und ein Sklavensohn wäre.

Diesen Brief überreichte er seiner Vertrauten, gab ihr
zugleich fünfhundert Goldstücke, und sprach: „Nimm dies als einen Beweis
meiner Dankbarkeit an, denn viel Mühe habe ich Dir schon verursacht.“ –
„Mein einziger Wunsch ist,“ erwiderte sie, „dazu beizutragen,
Euch zu vereinigen, sollte es auch mit dem Verlust dessen geschehen, was mir am
liebsten ist. Gott lohne Dir indessen das, was Du an mir tust.“ Zugleich
nahm sie den Brief und ging mit diesem zu Maria. Sie überreichte ihr denselben
mit folgenden Worten: „Nimm diesen Brief, es ist vielleicht der letzte
dieses Briefwechsels.“ Als sie ihn gelesen hatte, sagte sie zur
überbringerin: „Nun fängt er an sich gegen mich groß zu machen, indem er
erwähnt, er besäße Länder, Pferde, und sogar Truppen, die ihm zu Gebot
stehen. Allein er verlangt etwas von mir, was er nie ereichen wird. Du weißt
es, treue Pflegerin meiner Kindheit, dass die Söhne der Könige um mich
geworben, und kostbare Geschenke gespendet haben, ohne dass sie auf mich irgend
einen Eindruck gemacht hätten. Wie könnte ich diesen Thoren annehmen, der
nichts besitzt, als die zwei Kästchen mit Edelgesteinen, die er meinem Vater
gegeben hat, der in dem schlichten Haus eines Mannes, wie Chadryf ist, wohnt,
und der weder Gold noch Silber besitzt. Ich beschwöre Dich also, gehe zu ihm
zurück, und benimm ihm alle Hoffnung, denn in seine Vorschläge kann ich
nimmermehr eingehen.“ Auf diese bestimmte Erklärung entfernte sich jene,
und begab sich zu Abbaas. Als dieser sie betrübt und niedergeschlagen ohne
Brief ankommen sah, fragte er sie, was das zu bedeuten habe? Da sagte sie ihm
denn mit wenigen Worten, dass sie ihm nicht beschreiben könne, was ihr Maria
alles vorgehalten, und dass sie ihr befohlen hätte, ihm mündlich zu sagen,
dass er nichts hoffen dürfe. Bei dieser Nachricht wurde er zwar sehr betrübt,
indessen bewog er sie doch, noch einen, und zwar den letzten Brief an Maria zu
übergeben. Er nahm zugleich Papier und Feder, und schrieb folgendes:

„Mein Geheimnis ist offenbart, wiewohl ich es hätte
verbergen sollen, aber nun habe ich genug an Deiner Liebe.
Meine Freunde habe ich verlassen, und meine Verwandten weinen wegen meiner
Abwesenheit.
Nach Bagdad war ich gekommen, wo mich härte und Abneigung erwartete.
Da, wo ich hoffte, den Becher der Freude zu trinken, gereicht von der Hand der
Geliebten. doch diese hat mir leider nur Bitterkeit gereicht.
In Schmerzen und Qualen aller Art bin ich dadurch versetzt, und die Liebe hat
mich traurig gemacht.
Wie viele Nächte habe ich durchwacht. Wie viel Arten des Kummers erduldet.
Während dass du, mich verachtend, sorglos schliefst, und weder Kummer noch
Verachtung erduldetest.
Glücklich hätte ich mich geschätzt, wenn nur Deine Gestalt im Traum mir
erschienen wäre, minder hätte ich Dich hart gefunden.
Aber nur härter wurdest Du, je mehr Du von mir Briefe sahst, und alle Hoffnung
hast Du mir geraubt.
Meinen letzten Brief hast Du nicht beantwortet, ob er gleich Geständnisse
enthielt, deren Sinn du durchschauen konntest.
Du glaubst, Dein Glück kann Dich nicht verlassen, deswegen bekümmerst Du dich
weder um Groß noch Klein.
doch hättest Du erfahren, was mich betroffen hat, so würdest Du wissen, was
Schmerz und Kummer der Liebe ist.
Aber wahrlich, Dir steht einst das bevor, was ich von Dir erfahren habe, dann
wird Dein Herz auch vergebens schlagen.
Der, den Du ersehnest, wird dann auch hartherzig sein, und wird sich nicht
bekümmern um den Wechsel der Zeiten. Lebe wohl! Ich wünsche Dir dauerndes
Glück.“

Nach Endigung dieses Briefes übergab er ihn der
Vertrauten, welche ihn sogleich der Maria überlieferte. Bei ihrem Eintritt
verneigte sie sich gegen Maria. Diese erwiderte aber ihren Gruß nicht. „O
meine Fürstin,“ sagte sie, „wie bist Du hartherzig! Gönnst Du mir
nicht die Erwiderung meines Grußes? Doch nimm diesen Brief, es ist der letzte,
den Du von ihm empfängst.“ Maria aber sprach: „Empfange hiermit
meinen wohlgemeinten Rat. Kehre nie in mein Schloss zurück, es würde Dir sonst
Dein Leben kosten. Ich sehe nun deutlich, Du willst mich in Schimpf und Schande
bringen. Gehe daher, und lass Dich nicht wieder sehen.“ Zugleich befahl sie
einigen Frauen von ihrer Bedienung, sie mit Schlägen aus dem Schloss zu treiben
und eise verließ es fliehend.