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969. Nacht

Als er das gesagt hatte, näherte sich ihm die Frau und
küsste ihm die Füße, desgleichen auch der Mann, und alle, die gegenwärtig
waren, priesen ihn, und wünschten ihm Heil und Segen. Diese Tat verbreitete
sich unter den Kaufleuten, und bald war von nichts anderem die Rede, als von
Abbaas.

Was unterdessen den König anbetrifft, so sprach er,
nachdem er den Inhalt der Kästchen angesehen hatte, zu seinem Wesir: „Wie
müssen wir uns nunmehr gegen den jungen Mann aus Jemen benehmen? Wir wollten
ihm eine Gunst beweisen, und nun sehen wir, dass er uns ein Geschenk gegeben
hat, das im Wert mehr als zehn Mal das unsrige übertrifft. Auch wissen wir
nicht, ob er in unserm Land sich aufhalten wird, oder nicht.“

Inzwischen hatte der Kaufmann Anstalten zu einem
reichlichen Gastmahl gemacht, wobei das ausgesuchteste Backwerk und die
köstlichsten Früchte nicht vergessen worden waren. Er lud nun den Abbaas ein,
dieses Mahl bei ihm in seiner Wohnung einzunehmen. Abbaas willigte ein, und sie
begaben sich zusammen in das Kaufmanns Haus. Jener fand es sehr zierlich und
geschmackvoll eingerichtet, so wie auch den Speisesaal, woselbst die Gerichte in
großer Menge aufgetragen waren. Sie wurden sehr wohlschmeckend gefunden, die
meisten waren mit Muskus und Rosenwasser übergossen, und auf dem Tisch dufteten
Wohlgerüche aller Art. Sogar die Wände waren mit Ambra überstrichen. Als nach
dem Essen Abbaas zum Fenster hinaus sah, so bemerkte er im Garten ein sehr
schönes Gebäude, welches viele Zimmer hatte, und zwei Stock hoch war, worin er
aber auch nicht die mindeste Spur eines Bewohners erblickte. Sogleich sagte er
zum Kaufmann: „Du hast uns sehr wohl aufgenommen. Aber wahrhaftig, ich esse
keinen Bissen mehr von Dir, so lange Du mir nicht die Ursache sagst, warum jenes
Haus unbewohnt ist.“ – „Dieses Haus,“ erwiderte der Kaufmann,
„gehörte einem gewissen Ghatryf an, der gestorben ist, und von dem ich es
geerbt habe. Ich beschwöre Dich also, wenn Du in Bagdad verweilen willst,
dieses Haus zu bewohnen, damit Du unter meinem Schutz und in meiner Nähe bist,
denn ich achte und liebe Dich zu sehr, und wünsche, dass Du Dich nicht von mir
entfernst, um stets Deine angenehme Unterhaltung genießen zu können.“ Da
dankte ihm Abbaas, und sprach: „Ich muss allerdings in Bagdad einige Zeit
bleiben. Was aber Deinen Vorschlag, das Haus zu bewohnen, anbetrifft, so nehme
ich ihn nur mit der Bedingung an, dass Du den Preis desselben von mir
annimmst.“ Und mit diesen Worten übergab er ihm zugleich dreihundert
Goldstücke. Der Kaufmann, aus Besorgnis, jener möchte, wenn er es nicht
annehmen wollte, das Haus nicht bewohnen wollen, nahm das Geld an, und trat ihm
den Besitz des Hauses ab. Sodann setzten sie sich wieder zu Tische. Der
Nachtisch wurde nun aufgetragen, und nachdem sie gesättigt waren, wurden die Tische
weggenommen, und sie wuschen sich die Hände mit Rosenwasser. Nachher wurde
ihnen ein wohlriechendes Handtuch gereicht, worin sie sich die Hände
abtrockneten. Da sprach der Kaufmann zu Abbaas: „Mein Herr, das Haus ist
nunmehr Dein Eigentum. Befiel jetzt Deinem Knecht, dass er Deine Pferde, Waffen
und Gerätschaften hineinbringe.“ Dies geschah denn auch, und der Kaufmann
freute sich, Abbaas in seiner Nähe zu haben, in dessen Gesellschaft er jetzt
Tag und Nacht verweilte. Einst indessen sagte Abbaas zu ihm: „Ich halte
Dich gewiss von Deinen Geschäften und von Deinem Gewerbe ab.“ –
„Ach,“ erwiderte jener, „welch angenehmeres Geschäft kann man
haben, als sich mit Dir zu unterhalten, und welch besseres Gewerbe, als bei Dir
zu sein?“ So entspann sich nach und nach unter ihnen ein innige, auf
gegenseitige Achtung gegründete Freundschaft.

Was unterdessen den König anbetrifft, so war er mit den
zwei Kästchen in seinen Harem gegangen, und hatte sie seiner Gemahlin, der
Königin Assyse übergeben. „Wie viel mögen die Edelsteine wohl wert
sein?“, fragte diese. „Dergleichen,“ erwiderte er, „findet
man nur bei den größten Königen, und sie können nicht geschätzt
werden.“ – „Von wem hast Du sie?“, fragte sie ihn weiter. Da
erzählte er ihr die ganze Begebenheit mit Abbaas von Anfang bis zu Ende.
„Bei Gott,“ erwiderte die Königin, „wir sind diesem Menschen
vielen Dank schuldig, welchen ihm der König noch nicht erwiesen hat. Denn er
ist weder zum König gefordert worden, noch auch hat er an seiner Seite
gesessen.“ Am andern Morgen befahl der König sogleich, ein köstliches
Gastmahl anzurichten, so wie es nur für König geziemt. Das Schloss wurde
ausgeschmückt, die Vornehmsten des Hofes eingeladen, und ein Großer des
Reiches wurde zu Abbaas abgesandt. Dieser traf ihn, wie er eben aus dem Bad kam,
und sagte zu ihm, dass ihn der König einladen lasse. Abbaas begab sich sogleich
mit ihm zum König. Als sie dort anlangten, war die Königin und ihre Tochter
Maria hinter einem Vorhang verborgen, um den Abbaas unbemerkt sehen zu können.
Dieser bezeigte dem König seine Ehrfurcht in den angemessensten Ausdrücken,
und alle, die zugegen waren, beeiferten sich, dem Abbaas ihre Achtung an den Tag
zu legen. Jedermann bewunderte seine Schönheit und seinen Anstand. Der König
ließ ihn neben sich setzen, und seine Gemahlin, als sie den Abbaas gehörig
beobachtet und betrachtet hatte, konnte sich nicht enthalten, zu sagen, dass
dieser durchaus der Sohn eines Königs sein müsse, und dass er nur in einer
sehr wichtigen Angelegenheit zu ihnen gekommen sein könne. Zugleich betrachtete
sie ihre Tochter Maria, und fand, dass ihr Gesicht sich verändert hatte, dass
in ihren Augen Tränen glänzten, und dass sie den Blick gar nicht von Abbaas
abwendete, denn die Liebe zu dem Fremden hatte sich bereits ihres Herzens
bemächtigt. Die Königin besorgte nun, dass ihre Tochter sich Kummer bereiten
möchte. Deshalb verhinderte sie dieselbe, ferner auf ihn hin zu sehen und begab
sich sehr bald mit ihr hinweg. Die Fürstin Maria hatte ihre eigenen Gemächer,
wovon mehrere Fenster auf den Platz und auf die Straße Aussicht hatten, auch
hatte sie ein Kammermädchen, die sie bediente, wie dies bei Königstöchtern
Brauch ist. Als das Fest geendet war, und die Leute sich entfernt hatten, sprach
der König zu Abbaas: „Ich wünschte, dass Du bei mir bleibst. Deshalb will
ich Dir ein Haus kaufen, um Dich für die großen Dienste zu belohnen, die Du
mir erwiesen hast. Dies ist eine Pflicht, die mir obliegt, und die ich nicht
länger unerfüllt lassen will, denn es ist mir unangenehm, Dich von mir
entfernt zu wissen.“ Bei diesen Worten neigte sich Abbaas vor dem König
zur Erde, dankte ihm für seine großmütigen Gesinnungen, und sprach: „Ich
bin ein Sklave des Königs, wo ich mich auch befinden möge. Seinen Blicken kann
ich mich nicht entziehen, wie fern ich auch von ihm wohne.“ Und nun
erzählte er dem König seine ganzen Verhältnisse mit dem Kaufmann, und die
Ursache seines Hauskaufs. „Ich hätte zwar sehr gewünscht,“ sprach
hierauf der König, „dass Du in meiner Nähe wohnst. Indessen Du hast, wie
ich sehe, bereits andere Einrichtungen getroffen.“ Abbaas bat hierauf um
die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Als er fort ging, führte ihn sein Weg
bei dem Schloss der Maria vorbei. Sie lag eben im Fenster, und Abbaas blickte zu
ihr hinauf. Ihr Blick begegnete dem seinigen, und machte einen so tiefen
Eindruck auf ihn, das sein Innerstes ganz davon zerrüttet wurde. Jedoch verbarg
er, was in ihm vorging, und suchte, so bald wie möglich, sein Haus zu
erreichen. Als er dort angelangt war, sprach sein Diener Amer zu ihm: „Mein
Herr, woher kommt die Veränderung, die ich an Dir wahrnehme? Hast du irgend
eine Unannehmlichkeit gehabt? Bist Du im Zorn, oder ist Dir unwohl? Krankheit
kann ja endlich wieder vergehen, und Zorn wird durch Geduld vermindert.“
Abbaas aber antwortete nicht, sondern zog ein Schreibzeug und Papier hervor, und
schrieb folgende Verse nieder:

„Der Schmerz der Liebe fängt an in meinem Herzen
sich fühlen zu lassen, und Sehnsucht ist in mir kräftig rege.
Mein Auge, die Süßigkeit des Schlafs erreicht es nicht, und die Ursache meines
Schmerzes kann ich mir nicht verbergen.
Ich fürchte mich vor den Wechseln der Zeit und vor der Trennung, damit es mir
nicht ergehe, wie es so manchem unglücklich Liebenden ergangen ist,
Und ich nicht auch einst zum Gespräch der Leute werde, und meine Tage
vorübergehen sehe, ohne meinen Wunsch zu erreichen.
Weiß denn meine Geliebte, als ich sie, gleich der Sonne, über mir herabblicken
sah, dass ihre Augen schmerzlicher verwunden, als ein gezogenes Schwert, und das
sie die Sinne rauben?
Ich sehe sie mich mit einem Pfeile, der mein Herz traf, und nun bin ich ein Raub
der Sehnsucht und des Schmerzes.
Weißt Du auch, Du schöne Schlossbewohnerin, dass ich wegen Dir die Wüsten von
fernen Gegenden her durchwandert habe?
Lies also meinen Brief, o Du meine Geliebte, und habe Mitleid mit mir, der ich
ohne Rettung durch die Pfeile Deiner Augen verwundet bin.“

Als er geendigt hatte, bog er den Brief zu. Während
dieser ganzen Zeit hatte die Frau des Kaufmanns ihm vom Fenster her zugesehen,
ohne dass er es bemerkt hatte. Sie hatte wahrgenommen, dass mit Abbaas irgend
etwas bedeutendes vorgefallen sein müsste. Sie war früher Amme der
Königstochter gewesen. Nun trat sie zu Abbaas herein, grüßte ihn
freundlichst, und redete ihn mit folgenden Worten an: