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966. Nacht

Geschichte
Ins ben Kies und seiner Tochter

In Bagdad lebte vor alten Zeiten ein sehr mächtiger
König, mit Namen Ins, ein Sohn des Kies, Sohn des Rabia‘ Asschaibany. Dieser
heiratete eine Frau mit Namen Assyfa, Tochter des Assad Assandasy. Sie war von
vorzüglicher Schönheit, hatte glänzend schwarze Augen, und war übrigens so
wissenschaftlich gebildet, dass sie mehrere Sprachen verstand, und in viele
andere Wissenschaften tief eingeweiht war. Zwölf Jahre lebte sie schon mit dem König
Ins, ohne Kinder mit ihm zu haben. Das schmerzte den König außerordentlich,
und er bat Tag und Nacht den erhabenen Gott, dass er ihn doch möchte Vater
werden lassen. Endlich wurde sein Gebet erhört, und seine Frau gebar ihm ein
Mädchen von ausgezeichneter Schönheit. Auch sie wurde gleich ihrer Mutter aufs
sorgfältigste gebildet, so dass sie alle ihre Zeitgenossen an Kenntnis und
Wissenschaft übertraf. Der Ruhm ihrer ausgezeichneten Schönheit und ihrer
Kenntnisse verbreitete sich bald in die entferntesten Länder, und aus allen
Gegenden hielten die Söhne der Könige es für das größte Glück, sie zu
sehen und um ihre Hand anzuhalten. Der erste, der in dieser Angelegenheit zu ihr
kam, war der König Nahban von Mussul. Er war von einem großen Gefolge umgeben.
Hundert Lasttiere trugen die kostbarsten Geschenke, an Wohlgerüchen und
kostbaren Hölzern, und andere waren mit Edelsteinen und dergleichen
Kostbarkeiten mehr beladen, nebst Sklaven und Sklavinnen. Dieses alles
überreichte er nun ihrem Vater, und hielt um seine Tochter an. Ihr Vater aber
hatte bei sich selbst einen Eid geschworen, dass er sie nur demjenigen zur Frau
geben wolle, den sie selbst wählen würde. Als daher der König Nahban sich
gemeldet hatte, trat ihr Vater zu ihr herein und fragte sie um ihre Meinung. Sie
schlug ihn aber aus, und ihr Vater überbrachte dem König ihre eigenen Worte,
worauf dieser sich wieder entfernte. Nach diesem kam der König Bachram, der
Beherrscher der weißen Inseln. Obgleich er mehr Schätze als sein Vorgänger
mitbrachte, musste er dennoch unverrichteter Sache zurückkehren. So traf es
sich nun, dass mehrere Könige hintereinander, welche jedes mal durch kostbare
Geschenke miteinander wetteiferten, dasselbe Schicksal hatten. Endlich hörte
der König Abbaas, Sohn des Königs al Asys, Besitzer von Jemen, Sabydun und
Mekka, welche Gott an Erhabenheit und Auszeichnung stets zunehmen lassen möge,
von ihrer Schönheit. Dieser letztere war sehr schön von Gestalt. Einst begab
er sich zu einer Audienz seines Vaters. Als die Leute ihn ankommen sahen,
machten sie ihm ehrfurchtsvoll Platz, und sein Vater ließ ihn neben sich auf
seinen kostbaren, goldenen, mit Edelsteinen verzierten Thron setzen. Da er
indessen eine lange Weile mit zur Erde gerichteten Augen, ohne ein Wort zu
sprechen, da gesessen hatte, vermutete der König, er möge irgend einen Kummer
haben, und befahl deshalb seinen anwesenden Gesellschaftern, dass sie einige
Geschichten erzählen möchten. Jeder beeiferte sich, die unterhaltendste, die
ihm bekannt war, vorzutragen. Allein al Abbaas wurde nicht heiterer, und der
König befahl daher der Versammlung, sich hinweg zu begeben. Sobald sie allein
waren, sagte der König zu seinem Sohn: „Bei Gott, Du hast mich durch
Deinen Besuch sehr erfreut. Allein auch Sorgen hast Du mir verursacht, weil Du
so niedergeschlagen bist, und mit niemanden ein Wort gesprochen hast. Was ist
wohl die Ursache Deiner Niedergeschlagenheit?“ – „O, mein Vater,“
sprach jener, „ich habe gehört, dass in Irak ein Mädchen von besonderer
Schönheit lebt. Ihr Vater ist der König Ins ben Kies von Bagdad. Schon sehr
viele Könige haben sich um seine Tochter beworben, ohne dass sie sich geneigt
gezeigt hätte, in ihre Wünsche einzuwilligen. Nun wünschte ich sehr, zu ihr
zu reisen, denn mein Herz ist ebenfalls von ihr eingenommen.“ Da sprach
sein Vater zu ihm: „Du weißt, dass ich kein anderes Kind, als Dich, habe.
Du bist der Trost meiner Augen, und die Frucht meines Herzens, und ich kann
nicht eine Stunde ohne Dich leben. Ich wünschte, Dich auf den Thron meiner
Väter zu setzen, und will Dir eine Königstochter zur Frau geben, die noch
schöner ist, als jene.“ Der Sohn hörte ehrfurchtsvoll diesen Entschluss
seines Vaters an, und wagte nicht, ihm zu widersprechen, obgleich das Feuer der
Liebe in seinem Innern brannte. Der König aber, um seinem Sohn alle mögliche
Zerstreuung zu machen, lies ihm unter andern auch ein schönes Bad bauen,
welches er mit allerhand schönen Gemälden und Bildnissen verzieren ließ. Er
hoffte, ihn durch dieses und mehrere andere Zerstreuungen von dem Vorsatz, zu
reisen, abzubringen. Die Baumeister und Künstler wandten ihre größte
Geschicklichkeit an, so wie auch die Maler in ihrer Kunst nicht zurückblieben.
Als diese eines Tages so beschäftigt waren, und der Maler eben ein Gemach mit
ölfarbe ausmalte, trat ein armer Mann zu ihm, und betrachtete seine Arbeit. Da
fragte ihn der Maler, ob er Kenner und Künstler zugleich wäre? Und da jener
die Frage mit Ja beantwortete, so überreichte ihm der Maler seine Pinsel und
Farben, und bat ihn, etwas ganz Vorzügliches zu malen. Der arme Fremdling trat
nun in ein Gemach, welches er tapetenartig bemalte, und mit gemalten Treffen
verzierte. Auf das eine Feld aber malte er eine Gestalt von so vorzüglicher
Schönheit, dass man in der Wirklichkeit nichts ausgezeichneteres sehen konnte.
Es war nämlich Maria, die Tochter des Königs von Bagdad. Als der Arme in
diesem Zimmer alles vollendet hatte, setzte er seinen Weg weiter fort, ohne
irgend jemanden von dem, was er getan hatte, zu benachrichtigen. Nach einiger
Zeit begab sich der oberste Baumeister zum König, und bat um die Erlaubnis,
vorgelassen zu werden. Als er sie erhalten hatte, trat er ein, küsste die Erde
vor dem König, und nach einem sehr zierlichen Gruß, wie er großen Fürsten
gebührt, zeigte er ihm an, dass der Bau vollendet wäre, und dass durch das dem
König eigene Glück und durch die hohe Sorgfalt, die dieser dem Werk gewidmet
habe, es ganz seinem Wunsch entsprechen werde. „Wir haben vollbracht, was
uns oblag,“ fügte er hinzu, „möge der König nun verfügen, was ihm
beliebt.“ Hierauf befahl dieser, dass jenem ein kostbares Ehrenkleid
überreicht, und eine bedeutende Summe ausgezahlt werden sollte. Auch gab er
jedem, der bei dem Geschäft tätig gewesen war, noch ein besonderes Geschenk,
je nachdem es seiner Beihilfe angemessen war. Alsdann ließ der König seinen
Hofstaat versammeln, seinen Sohn al Abbaas vor sich rufen, und sagte zu diesem:
„Mein Sohn, ich habe Dir ein Gebäude errichten, und ein Bad erbauen
lassen, und ich hoffe, dass es Dir gefallen wird. Gehe also hin, um es zu
besehen, seine Schönheiten zu betrachten, und dessen ausgezeichnete Gemälde in
Augenschein zu nehmen. Der König nebst seinem Sohn und seinem ganzen Hofstaat
begab sich nun sogleich in dieses Gebäude, und betrachtete das Werk, das durch
so vorzügliche Meisterhände entstanden war. Der junge Prinz selbst ließ in
seiner Freude über dasselbe, nicht immer, wie es der Anstand erforderte, seinen
Vater vorangehen, sondern er eilte oft vor ihm in die verschiedenen Gemächer.
Endlich kam er auch in dasjenige, wo das Bild der schönen Maria, Tochter des
Königs Ins ben Kies, abgemalt war, und so wie er dieses Gemälde erblickte,
fiel er plötzlich in Ohnmacht.