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960. Nacht

Nachdem sie eine Weile gegessen und getrunken hatten,
sagte Nureddin zu dem Herrn der Sklavin: „Nun wünschte ich, dass Du mir
das Mädchen hervorbrächtest, denn ich habe sie nur gekauft, um mir in
ähnlichen Augenblicken durch ihren Gesang Freude zu machen.“ Da erhob sich
Annahas, ging zu der Sklavin hinein, und sagte zu ihr: „Der junge Mann ist
da, hat Dich gekauft, ist bei uns zu Gast und wünscht sehr, dass Du zu ihm
kommen möchtest.“ Da stand sie fröhlich auf, zog sich schöne Kleider an,
bestrich sich mit wohlriechenden Wasser, und begab sich zu ihm, schön
sondergleichen. Hinter ihr folgte eine Sklavin, die ihre Laute trug. Als sie
angekommen war, setzte sie sich neben Nureddin, und grüßte ihn freundlich.
Sodann nahm sie die Laute von der Sklavin, drehte die Wirbel, und spielte
vierundzwanzig Tonarten durch, bis sie in die erste zurückkam, und sang dann
folgendes Lied:

„Meine einzige Freude in der Welt ist, zu Euch zu
kommen, und in eurer Nähe zu sein.
Euch lieben ist für mich Gesetz, und ohne Euch zu leben, ist eine
Unmöglichkeit.
Meine Zeugen sind die Tränen, die auf meine Wangen fließen, und die ich nicht
verbergen kann, so oft ich an Euch denke.
Bei Gott, in der ganzen Welt liebe ich niemanden, so wie Euch, und so lang ich
lebe, werde ich meiner Liebe zu Euch treu bleiben.
Heil Euch! Was ist bittrer, als fern von Euch zu sein? Möge nur auch nie von
Eurer Seite die Liebe zu mir aufhören!“

„Wunderschön!“, rief Nureddin entzückt aus,
„singe mir doch noch ein ähnliches,“ und zugleich überreichte er ihr
fünfzig Goldstücke. Unterdessen gingen noch die Becher in der Gesellschaft
herum, und Annahas sagte zu Sittulmulach: „Nun wird Deine Trennung bald
nahen, lasse mich daher doch vorher noch etwas von Deinem Gesang hören. Sie
sang:

„In meinem Inneren ist Sehnsucht, Erinnerung und
Liebespein, und mein Körper kann nicht länger meine Betrübnis ertragen.
Glaubt nicht, o Geliebter! Dass ich Euch vergessen habe. Mein Zustand ist noch
immer derselbe, und mein Kummer ist nicht von mir gewichen.
Wenn je ein Mensch in seinen Tränen geschwommen ist, so bin ich die erste, die
es tun könnte.
O! Mundschenk! Wende Deinen Becher von einem Erkrankten ab, der zum Morgen- und
Abendgetränk nichts weiter als Tränen genießt!
Hätte ich ahnen können, dass eure Trennung von mir Ursache an meinem Tod vor
Gram sein würde, wahrlich, nichts hätte mich von Euch scheiden können. Allein
nun ist’s zu spät, alles ist bereits vorüber.“

Während sie in dem höchsten Genuss der Freude waren und
sich den Ergötzlichkeiten der Tafel sowohl als des Gesanges widmeten, und das
Gespräch bereits ganz zutraulich geworden war, wurde unten and er Tür heftig
geklopft. Annahas ging, um zu sehen, wer es wäre, und erblickte zu seinem
Erstaunen zehn Leute von der Dienerschaft des Kalifen. „Was verlangt
ihr?“, fragte er sie. – „Der Fürst der Gläubigen,“ war ihre
Antwort, „grüßt Dich, und verlangt die Sklavin, die Du vor einiger Zeit
ausgeboten hast. Sie heißt Sittulmulach.“ – „Bei Gott, ich habe sie
verkauft,“ antwortete er. – „Kannst Du bei dem Haupt des Kalifen
schwören, dass sie nicht mehr in Deinem Hause ist?“ Da schwur er ihnen,
dass er sie verkauft hätte, und sie nicht mehr in seiner Gewalt wäre. Sie
ließen ihn hierauf stehen, stürzten ins Haus und fanden in der Versammlung Nureddin
und das Mädchen. Sie legten sogleich Hand an sie, und obgleich jener
schwur, sie gehöre ihm, und er habe sie für sein Geld gekauft, so hörten sie
doch nicht auf ihn, sonder schleppten sie zum Kalifen. Jetzt begann für
Nureddin ein sehr trauriges Leben. In seiner Betrübnis wollte er sich
fortbegeben. Allein Annahas verhinderte ihn, und sprach: „Wo willst Du in
dieser dunkeln Nacht hingehen?“ – „In mein Haus will ich gehen,“
antwortete er, „und den andern Morgen zum Kalifen, und meine Sklavin
zurückfordern.“ – „Schlafe bis and en Morgen hier,“ entgegnete
jener, „und gehe nicht in der Nacht aus.“ Da er indessen sich nicht
abhalten lassen wollte, und auf dem Weggehen bestand, so ließ er es geschehen,
und sprach: „Gott geleite Dich!“ Er ging also in einem ziemlich
betrunkenen Zustand fort, und da er taumelnd bei einigen Kramläden vorbeiging,
bemerkten ihn die Wächter, lauerten ihm auf, und da er beim Anlehnen
eingeschlafen war, näherten sie sich ihm, begossen ihn mit Wasser, um ihn
aufzuwecken, und brachten ihn dann zu dem Polizeipräfekten. Dieser fragte ihn
nach seinen Umständen, worauf er ihm mit kurzen Worten erwiderte, dass er bei
einem seiner Freunde gewesen, trunken weggegangen und auf dem Weg eingeschlafen
wäre. „Führt ihn in sein Haus!“, befahl sofort der Präfekt. Da
dachte einer der anwesenden Polizeibeamten mit Namen Muradi bei sich selbst:
„Was sollen wir mit dem Mann anfangen? Er hat kostbare Kleider an,
prächtige Ringe an den Fingern, vielleicht auch viel Geld bei sich. Er ist
fremd, niemand wird nach ihm fragen, noch wird irgend jemand wegen ihm zur
Verantwortung gezogen werden. Wir wollen ihn daher umbringen.“ Diesen Plan
teilte er dem Aufseher schändlicher Weise mit, und zwar mit dem Vorschlag, die
Beute zu teilen. Dieser war ungerecht genug, darein zu willigen. „Er ist
ein Dieb,“ sagte er, „er hat gelogen.“ – „Gott behüte
mich,“ sprach Nureddin, „dass ich ein Dieb sei.“ – „Du
lügst,“ wurde ihm aber jedes Mal entgegen geschrieen. Sie rissen ihm nun
seine Kleider ab, nahmen ihm seine Ringe und schlugen ihn. Da flehte er um
Gnade, aber alles sein Bitten war vergebens. „Alles soll Euer sein, was ihr
mir ungerechter Weise genommen habt,“ rief er hierauf, „bringt mich
nur in meine Wohnung!“ Allein sie verhöhnten ihn, und sprachen: „Wir
wissen wohl, dass Du uns dann morgen verklagen würdest.“ – „Bei Gott,
dem Ewigen,“ erwiderte er, „niemanden will ich deswegen
belangen.“ Der Aufseher befahl nun ganz im Zorn, ihn an das Ufer des Tigris
zu führen, ihn zu töten, und dann hinabzustürzen. sie schleppten ihn auch
wirklich ungeachtet seines Weinens und Widerstrebens fort. In seiner Not sagte
er dann das Wort, welches noch niemand vergebens ausgesprochen hat: „Es ist
keine Kraft und keine Macht, außer bei Gott, dem Erhabenen und Großen.“
Als sie an dem Tigris angekommen waren, zogen sie das Schwert über seinem
Haupt, und Muradi befahl dem Scharfrichter, ihm den Kopf abzuschlagen. In
demselben Augenblick trat aus ihrer Mitte ein Mann hervor, mit Namen Achmed, und
sprach: „Ihr Leute, übereilt Euch nicht mit diesem Unglücklichen! Tötet
ihn nicht ungerechter Weise. Ich fürchte Gott, und ihr wisst, dass ein Mord von
ihm mit dem Feuer der Hölle bestraft wird.“ – „Lass ab, von diesem
Gewäsch,“ unterbrach ihn Muradi, und wiederholte seinen Befehl, Nureddin den Kopf abzuschlagen. Da sprach Achmed: „Wenn ihr das geringste an ihm
tut, so benachrichtige ich den Kalifen von Eurer Schändlichkeit.“ –
„Was können wir denn tun?“, erwiderten sie, „wir sind schon zu
weit mit ihm gegangen.“ Achmed sagte: „Ich will Euch für ihn Bürge
sein. Wir wollen ihn in einen sicheren Verwahrungsort führen, damit wir
wenigstens kein unschuldig vergossenes Blut auf uns laden.“ Hierauf kamen
sie miteinander überein, dass sie ihn in das Gefängnis, worin die zum Tode
Verurteilen aufbewahrt wurden, bringen wollten. Sie führten dies auch sogleich
aus, und entfernten sich sodann.

Was nun aber die Sittulmulach betrifft, so wurde sie von
jenen Leuten zu dem Fürsten der Gläubigen gebracht, den sie durch ihre
unbeschreibliche Schönheit ganz entzückte. Er befahl sogleich, ihr in seinem
Palast eines der schönsten Zimmer einzuräumen, und sie wurde auch alsbald
dahin gebracht. Hier befand sie sich nun in dem Wohnsitz der Freude, der Pracht
und des Glücks, aber Tag und Nacht in Tränen schwimmend, und alle Speise und
Trank ausschlagend. Nach Verlauf mehrer Tage ließ sie eines Abends der Kalif zu
sich fordern. „O Sittulmulach,“ sprach er zu ihr, „sei ruhig, und
heiteren Blicks, denn ich will Dich über alle Frauen erheben, und Dir soll nur
das widerfahren, was Dich freuen kann.“ Statt der Antwort verneigte sie
sich weinend bis zur Erde. Der Kalif befahl hierauf, ihre Laute zu bringen, und
ersuchte sie, ihn etwas hören zu lassen. Sie tat dies auf folgende Weise, indem
sie dem Gefühl ihres Herzens freien Lauf ließ:

„Ich beschwöre Dich (Geliebter) bei der Reinheit
Deines Herzens, und der Wonne Deines lächelnden Mundes. Sage mir, drückt Dich
der Kummer wegen unsrer Trennung, ist Dein Herz bewegt?
Ach wie viele sind schon dem Schmerz der Liebe unterlegen! Auch ich ertrage den
meinigen nicht, und keines Tadlers Vorwurf schreckt mich nicht mehr!“

Als sie geendet hatte, warf sie die Laute aus ihren
Händen, weinte, und überließ sich so sehr der Betrübnis, dass sie
ohnmächtig wurde. Da befahl der Kalif, sie in ihr Gemach zu bringen. Er aber
wurde von ihr immer mehr eingenommen, und leibte sie nur noch beharrlicher. Nach
einiger Zeit ließ er sie wieder vor sich fordern, und verlangte, dass sie ihm
wieder etwas vorspielte. Sie tat es, indem sie ihre Empfindungen nochmals durch
folgende Worte ausdrückte:

„Ich bin unfähig, die Trennung von ihm zu ertragen,
da wir nur eines Herzens waren.
Du verlangst von mir, was ich nicht gewähren kann. Beharrst Du länger noch
dabei, so werde ich bald nicht mehr sein.“

Sie warf die Laute dann wieder von sich, und weinte,
worauf sie wieder nach ihrem Zimmer gebracht wurde. Ihr Kummer hatte sich
während dieser Zeit nicht vermindert, und ihre Sehnsucht hatte nur zugenommen.
Nach einiger Zeit ließ der Kalif sie zum dritten Male vor sich rufen, und
befahl ihr zu singen.