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957. Nacht

Als der Diener, der vor ihrer Türe zu schlafen beauftragt
war, in dem Zimmer ihre Stimme und ihr Spiel hörte, sprach er: „Bei Gott,
das ist ja meine Fürstin Tochfa! Sie ist es selbst!“ Außer sich vor
Freude sprang er auf und eilte zu dem Sklaven, der an der Türe des Kalifen
Wache hielt. Als dieser ihn wie einen Trunkenen zu sich hereinkommen sah, fragte
er ihn: „Was fehlt Dir, und was bringt Dich zu dieser ungewöhnlichen
Stunde hierher?“ – „Eile,“ erwiderte der Diener, „und wecke
den Fürsten der Gläubigen auf, und zögere ja nicht.“ Da sie aber nun
darüber in Wortwechsel gerieten, so wachte der Kalif auf, trat heraus, und fand
sie, als eben der Diener seinen Wächter nötigen wollte, ihn eiligst zu wecken.
„Was will dieser?“, fragte der Kalif. – „Der Diener Tochfas
muss,“ antwortete jener, „den Verstand verloren haben, dass er so
dringt, Dich zu wecken.“ – „Lass ihn hereinkommen,“ sprach der
Kalif. Dieser trat nun herein, aber er verneigte sich nicht, und grüßte nicht,
er warf sich nicht vor dem Kalifen nieder, wie es Brauch war, sondern stürzte
wild herein, und sprach: „Geschwind, geschwind, stehe auf. Die Fürstin
Tochfa ist in ihrem Gemach, und singt herrlich. Eile, eile zu ihr.“ Der
Kalif glaubte, ihn nicht recht verstanden zu haben und fragte: „Wie sagst
Du?“ – „Hast du den Anfang meiner Anrede noch nicht gehört?“,
erwiderte jener, „ich sagte Dir ja, dass Tochfa in ihrem Zimmer ist, und
herrlich singt und spielt.“ – Der Kalif warf sich nun eiligst in die
Kleider, glaubte aber doch den Worten des Dieners nicht, sondern sprach:
„Wehe Dir, nimm dich in Acht, mich zu täuschen! Das hat Dir wohl nur
geträumt?“ – „Ich weiß nicht, was Du sagst,“ erwiderte jener,
„aber so viel weiß ich, dass ich nicht geschlafen habe.“ – „Wenn
das, was Du sagst, wahr ist, so soll es zu Deinem Glück sein,“ erwiderte
der Kalif, „ist es aber nicht wahr, und hat Dir’s nur geträumt, so lasse
ich Dich ans Kreuz schlagen. Im voraus verspreche ich Dir dagegen Deine
Freilassung und ein Geschenk von tausend Goldstücken.“ Nun wurde dem
Diener Angst, und er sprach: „Komm herein, und überzeuge Dich, wer
schläft.“ Als nun der Kalif der Wohnung Tochfas ganz nahe kam, ihr Spiel
hörte, und ihre Stimme erkannte, konnte er sich kaum halten, und die Freude
überraschte ihn so, dass er ohnmächtig wurde. Als er wieder zu sich selbst
kam, ergriff er den Schlüssel, allein die Hand versagte ihm ihren Dienst, weil
er vor Freuden zitterte. Endlich fasste er ein Herz, öffnete, und fürchtete
sich, es möchte nur ein Traumbild gewesen sein. Als ihn aber Tochfa erblickte,
eilte sie ihm entgegen, und drückte ihn an ihr Herz. Er aber schrie vor Freud
laut auf, und es schien, als wäre sein letzter Augenblick gekommen. Sie
drückte ihn von neuem an die Brust, und begoss ihn mit Rosenwasser und Muskus,
damit er sich erholte. Endlich machte sich seine freudevolle Brust durch einen
Strom von Tränen Luft. Tochfa nahm nun die Laute, und spielte ihm etwas von dem
vor, was sie von Ablys gelernt hatte, wovon er aufs neue ganz entzückt wurde.
Hierauf sang sie ihm folgende Strophen, und begleitete sie mit der Laute:

„Als ich von Dir abwesend war, so konnte ich mein
Herz nicht begreifen, wie es noch schlagen konnte. Das kam aber daher, weil Dein
Andenken aus meiner Seele sich nicht entfernt hatte. Und wenn ich mir selbst
vorstellte, dass ich von Dir abwesend war, so strafte mich mein schlagendes Herz
Lügen, weil ich noch Leben in mir fühlte, so dass ich schwankte, ob ich ihm
glauben oder nicht trauen sollte.“

„Ach Tochfa,“ sprach endlich Harun, „Deine
Entfernung war wundervoll, aber Deine Rückkehr ist noch
erstaunenswürdiger.“ – „Ach, Du hast wohl recht, mein Herr,“
erwiderte sie, indem sie zärtlich seine Hand nahm, „aber betrachte alles
das, was ich mitgebracht habe.“ Der Kalif warf seinen Blick auf diese
unermesslichen Schätze, die gar nicht verzeichnet oder beschreiben werden
können, so wie auch auf die kostbaren Teppiche, die sie von der Königin
Schaheba bekommen hatte, und den Thron, so wie auch die anderen Kostbarkeiten,
die kein König und kein Fürst besitzt. Harun war darüber ganz erstaunt, und
konnte kaum seinen Augen trauen. „Komm,“ sagte er nun zu ihr,
„setze Dich, und erzähle mir alles, was Dir zugestoßen ist.“ Sie
erzählte ihm nun alles so deutlich, dass es ihm schien, als wäre er bei allen
diesen Ereignissen zugegen gewesen, nannte ihm die Namen aller der Könige und
Königinnen, die sie kenne gelernt hatte, und erzählte ihm auch die Gefahr, in
der sie wegen Maimun geschwebt hatte. Vor allen Dingen aber schilderte sie ihm
die Freundschaft der Königin Schaheba, zeigte ihm das Diplom, wodurch sie diese
Königin zu ihrer Statthalterin ernannt hatte, und versicherte ihm, dass sie
durch einen Waldgeist, ungeachtet ihrer Entfernung, doch von ihm Nachrichten
gehabt, wie auch, dass sie die Auka besucht habe. – „O,“ sprach Harun,
„erzähle mir doch, was die Auka, Tochter des Bachramgour, eigentlich ist.
Ist sie ein Geist oder ein Mensch? Denn oft habe ich von ihr gehört, und immer
gewünscht, etwas von ihr zu erfahren.“ Da antwortete Tochfa: „Ich
habe die Königin Kamrye gefragt, und diese hat mir viel von ihr erzählt. Ich
habe sie dann selbst gesehen, wie Du weißt. Sie ist ein sehr schönes Mädchen,
und ich habe von ihr viele Geschenke erhalten, die ich nebst den übrigen
Kostbarkeiten mitgebracht habe.“ Von diesen Schätzen rührt der große
Reichtum der Barmekyden und der Abassyden her, wodurch sie sich so sehr
auszeichneten.

Der Kalif verließ nunmehr Tochfa, und befahl, dass die
ganze Stadt feierlich ausgeschmückt würde. öffentliche Feste, so wie
Gastmähler, wurden nun sieben Tage lang gegeben, und Tochfa hörte nicht auf,
mit dem Fürsten der Gläubigen das frohste Leben zu führen, bis sie der
Zerstörer aller Ergötzlichkeiten und der Trenner aller Gesellschaften
erreichte.“

Hier bemerkte Scheherasade den Morgen, und erst in der
nächsten Nacht begann sie folgende Geschichte von Abul Hassan aus Damaskus, und
seinem Sohn Nureddin Ali.