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956. Nacht

„Maimun ist nicht wert, dass man wegen ihm Dich
belästigt,“ erwiderte man der Königin, „denn er ist viel zu
gering.“ Sie benachrichtigte sie hierauf, was Kamrye und ihre Schwestern
bereits getan hatten, und dass Tochfa ganz befreit sei. Diese küsste die Hand
der Königin Schaheba, welche sie an ihr Herz drückte, und zu ihr sagte:
„Die Besorgnisse sind vorüber, nun widme Dich der Freude.“ Sie
begaben sich nun ins Schloss, wo sie aßen und tranken, und als Tochfa ersucht
wurde, ihnen etwas zu singen, so tat sie es mit folgenden Worten:

„O sanftes Lüftchen, wenn Du in das Land meiner
Geliebten wehst, so überbringe ihnen von mir den besten Gruß.
Sage ihnen, dass meine Liebe für sie ein festes Unterpfand meiner Treue sei,
und dass meine Sehnsucht nach ihnen alles übertrifft.“

Alle lobten sie wegen dieser Verse sehr, küssten sie,
umarmten sie, und Kamrye sprach: „Ehe du uns verlässt, muss ich Dir noch
die Bekanntschaft der Auka1),
die Tochter des Bachramgour, verschaffen, welche Auka, die Tochter des Riech2),
geraubt hat, denn nichts auf der Welt ist ihr zu vergleichen, ja ihre Schönheit
ist zum Sprichwort geworden.“ – „Wenn ihr es wünscht,“ sprach
hierauf die Königin Schaheba, „so will ich Tochfa mitnehmen, und sie ihr
zeigen.“ Alle machten sich auf den Weg, und gelangten zur Auka, welche auf
dem Gebirge Chaf3) wohnte.
Als diese die Gesellschaft erblickte, stand sie auf, empfing sie auf das
ausgezeichnetste, und Vahime sagte zu ihr: „O Auka, wer ist Dir wohl
gleich, da die Königin Schaheba selbst sich zu Dir bemüht.“ Auka nahte
sich hierauf der Königin, und küsste ihr die Füße, führte sie alsdann in
ihr Schloss und bewirtete sie mit einer prächtigen Mahlzeit. Tochfa ergriff
sodann die Laute, spielte meisterhaft, und Auka tat desgleichen. Beide lösten
sich miteinander in Gesängen ab, und Tochfa küsste die Auka alle Augenblicke,
indem sie sagte: „Wie schön bist Du.“ Die Königin Schaheba sagte
hierauf zu Tochfa: „Liebe Schwester, jeder Kuss gilt tausend
Goldstücke.“ – „Tausend Goldstücke,“ erwiderte jene, „ist
viel zu wenig für Auka.“ Welche darüber herzlich lachen musste. Sie
brachten die Nacht bei ihr zu. Den anderen Morgen aber verließen sie dieselbe
wieder, und begaben sich in das Schloss Maimuns. Dort entfernte sich auch die
Königin Schaheba mit ihren Truppen von ihnen, und ging in das ihrige. Ihr
folgten die Könige der Geister, und jeder begab sich in seinen Palast. Ablys
unterhielt sich mit Tochfa noch bis zu Anbruch der Nacht. Dann ließ er sie auf
den Rücken eines Geistes sich setzen, und gab dreißig anderen Geistern Befehl,
alle Schätze, die sie erhalten hatte, zu sammeln und mitzunehmen. Ablys
begleitete sie selbst, und in der kürzesten Zeit brachte er sie in ihr Gemach
zurück. Hier nahm er mit seiner Begleitung von ihr Abschied, und entfernte
sich. Tochfa aber war vor Freude außer sich, und die ganze Begebenheit schien
ihr ein bloßer Traum gewesen zu sein. Es war ihr, als hätte sie ihre Wohnung
nie verlassen. Sie nahm nun ihre Laute, und sang mit einem Freudegefühl,
welches ihrem Gesang noch mehr Reiz gab.


1)
Greif.