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950. Nacht

Jetzt ergriff ein anderer König, mit Namen Munyr1),
den Becher, und sprach zu Tochfa: „Deine Gesänge sind bezaubernd. Empfange
daher von mir diese Geschenke.“ Und mit diesen Worten überreichte er ihr
eine Schüssel mit 800000 Goldstücken, worüber sich Kamrye sehr freute. Sie
stand auf, küsste Tochfa und sprach: „Möchte die Welt niemals diejenige
vermissen, welche die Herzen der Geister und Menschen beherrscht.“ Ablys
stimmte in dieses Lob ein, pries sie wegen ihrer Liebe und Anhänglichkeit an
ihren Herrn, und bestätigte ebenfalls die Versicherung, dass alles, was sie
jetzt besäße, zu ihrem Dienst nachgetragen werden würde: „Nun
aber,“ fügte er hinzu, „ist der Morgen nahe. Begib Dich daher, Deiner
Gewohnheit gemäß, zur Ruhe.“ Als sie sich jetzt umsah, fand sie niemanden
von den Geistern mehr bei sich. Sie legte sich daher nieder, und ruhte ein wenig
aus. Darauf begab sie sich ins Bad, und verrichtete ihre Gebete. Beim
heraus Steigen überließ sie sich schwermütigen Gedanken an ihren Herrn, und
überdachte alles, was ihm seit ihrer Abwesenheit wohl könnte begegnet sein,
worauf sie in einen heftigen Strom von Tränen ausbrach. Ein starker Luftzug,
der sie umwehte, nötigte sie, sich umzusehen, und sie erblickte zu ihrem
Entsetzen einen Kopf ohne Körper, groß wie ein Elefantenkopf, ja noch
größer. Seine Augen waren der Länge nach gespalten, und der Mund glich dem
Eingang einer Höhle. Herausstehende Zähne, groß wie Feuerhaken, umgaben
seinen Mund, und die Haare hingen lang herunter. Da sprach Tochfa: „Ich
nehme meine Zuflucht zu Gott vor diesem Teufel!“, und betete zwei Gebete.
Der Kopf indessen nahte sich immer mehr und sprach: „Ich grüße Dich, o
Beherrscherin der Menschen und der Geister, Du Perle des Jahrhunderts und der
Zeiten! Gott lasse Dich lange leben, und vereinige Dich mit Deinem Herren, dem
Kalifen!“ Tochfa antwortete: „Sei auch Du mir gegrüßt, Du, dessen
gleichen ich noch nicht unter den Geistern gesehen habe.“ Der Kopf
erwiderte hierauf: „Wir sind ein Geschlecht, die wir unsere Gestalt nicht
verändern können. Man heißt uns Ghul2).
Ich habe mir bereits die Erlaubnis von dem Ablys ausgebeten, Dich besuchen zu
dürfen, und ich bitte Dich nun um die Gunst, mir etwas vorzusingen. Dafür
verspreche ich Dir, in Dein Schloss zu gehen, und seine U’mar3)
nach dem Befinden Deines Herren zu befragen, und kehre sodann gleich wieder zu
Dir zurück. Wisse übrigens, liebe Tochfa, dass Du eine Reise von fünfzig
Jahren Länge von ihm entfernt bist.“ – „Wie erschreckst Du
mich,“ sprach Tochfa, „wegen dieser Entfernung.“ – „Betrübe
Dich nicht,“ sprach der Kopf, „denn die Könige der Geister können
Dich in einem Augenblick wieder zurückführen.“ – „Nun wohl,“
sprach Tochfa, „ich verspreche Dir, hundert Lieder zu singen, wenn Du mir
Nachrichten von meinem Herrn bringst.“ – „Tue mir den Gefallen, und
singe mir jetzt etwas, denn ich wünschte sehr, vor meinem Abgang noch etwas von
Dir zu hören, um meine große Begierde dadurch zu befriedigen.“ Sie
ergriff nun die Laute und sang:

„Fern sind sie zwar: Doch füllen sie jeden Raum, wo ich mich befinde.
Geschieden sind sie zwar von mir, aber aus meinem Innern sind sie nicht
gewichen.
Wenn sie auch schlafen, so erquickt doch meine Augen nie der Schlaf, sondern es
entquillt ihnen Blut statt Tränen.
Meine Tadler sagen zwar, dass ich Eure Abwesenheit leicht ertragen kann. Behüte
Euch aber Gott, dass ihr nie das empfindet, was mich beugt.
O ihr Geliebten, was ist angenehmer für mich, als bei Euch zu sein! Aber der
Grad meines Schmerzes über Eure Entfernung ist noch größer.
Die größte Wonne meines Herzens ist, Euch zu sehen; doch, ob nah oder fern,
mein Herz ist doch stets bei Euch.“

Bei diesen Worten weinte der Kopf vor Rührung, und sprach: „O meine
Fürstin, Du hast mich entzückt. Ich kann Dir nichts anbieten, als meine Seele,
über diese schalte nach Belieben.“ Tochfa aber antwortete: „Wenn Du
mir nur Nachrichten von meinem Herren, dem Harun, bringen kannst, so wird mir
das lieber sein, als alle Schätze der Welt.“ – „Gleich soll Dein
Wunsch erfüllt sein,“ sagte der Kopf, indem er blitzschnell davon eilte,
und noch ehe der Abend nahte, kam er wieder zurück, und sprach: „Meine
Fürstin, wisse, dass ich in Deinem Schloss gewesen bin, und einige Hausgeister
nach dem Befinden des Fürsten der Gläubigen befragt habe. Diese sagten mir
dann, dass Harun, als er in Dein Gemach kam, und Dich nicht fand, sich vor
Verzweiflung aufs Haupt geschlagen, und seine Kleider zerrissen habe. Deinen
Sklaven aber, der an der Pforte Deines Gemachs Wache stand, habe er höchst
zornig angesprochen und durch ihn sogleich den Giafar rufen lassen, nebst seinem
Vater und seinem Bruder, welche sich denn sogleich zu ihm verfügt hätten.
Harun habe ihnen dann folgendes gesagt: „Es ist jetzt eben eine
unbegreifliche Begebenheit vorgefallen. Mit eigener Hand habe ich nämlich das
Zimmer der Tochfa verschlossen und mich dann zu meiner Nichte, der Sultanin Sobe