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948. Nacht

„O,“ sagte hierauf die Königin zu Tochfa,
„singe doch noch etwas so schönes.“ Diese nahm sogleich wieder ihre
Laute, und sang nach einem schönen Beispiel folgendes Lied:

„Je mehr meine Sehnsucht nach Euch zunimmt, desto
mehr tröstet sich mein Gemüt in der Hoffnung Eures Wiedersehens.
Denn Gott kann das Band, das zerrissen ist, vereinigen. Ebenso wie er mich durch
Eure Entfernung in Kummer gestürzt hat.
O Du, dessen Liebe mich ganz eingenommen hat, und dessen Zuneigung alle meine
Schritte leitet.
Jede Schrecken ist leichter zu ertragen als Deine Trennung, und jedes Unglück
ist neben diesem gering.
Und sollte ich auch nicht gepeinigt werden, mein Freund, so würde mich doch die
Ruhe, fern von Dir, nicht erquicken.
Die Welt zu verlassen, würde mich alsdann nicht betrüben, da meine einzige
Freude darin besteht, Dich zu sehen, und von Dir gesehen zu werden.“

Diese Verse versetzten den Ablys und Maimun in solches
Entzücken, dass sie vor Freude hoch aufsprangen, und Tochfa baten, noch andere
Lieder in einer verschiedenen Tonart abzusingen. Sie tat es mit folgenden
Worten, indem sie an Harun Arreschyd dachte:

„Meine Liebe zu Dir hat mich gleich einem Meere in
seinen Wellen verschlungen, und mein Herz vermag es nicht, sich zu trösten, da
es so zärtlich liebt.
Glaubt nicht, dass ich in der Entfernung mein Bündnis mit Euch vergessen
könne. Wie wäre es auch möglich, Dich zu vergessen, da meine Liebe mir von
Gott vorher bestimmt war.
So sehr auch das Gemüt bedrückt, und der Körper vor Sehnsucht erkrankt ist,
die Liebe erhebt doch endlich durch die Freuden der Wiedervereinigung.

Alle versammelten Könige freuten sich, und Ablys küsste
die Hand Tochfas, und sprach: „Nun ist’s schon spät. Morgen aber wollen
wir uns zu anderen Festen bereiten.“ Alle Geister entfernten sich nun, und
Kamrye brachte Tochfa in einen Garten, in welchem alle Vögel ihren schönen
Gesang erschallen ließen. Früchte alle Art schmückten die Bäume, und
Springbrunnen von Gold und Silber waren an verschiedenen Orten angebracht, deren
herabstürzende Gewässer sich hernieder schlängelten. Kurz, es schien ein
Garten des Paradieses zu sein. Bei diesem Anblick dachte Tochfa gerührt an
Harun. Sie weinte und sprach: „Ich erflehe mir von Gott die Freude, ihn
bald wieder zu sehen, und in mein Schloss zurückzukommen. Das ist mein einziger
Wunsch.“ Sie ging hierauf ein wenig in dem Garten spazieren, und kam zu
einem gewölbten Gebäude, welches ganz mit Säulen von schwarzem Ebenholz
umgeben war, zwischen denen jedes Mal Perlen gestickte Vorhänge herumhingen. In
der Mitte befand sich ein Springbrunnen, in einer Vertiefung eine kleine Türe,
die sie öffnete, und dahinter ein marmornes Badezimmer entdeckte. Da die Wanne
schon ganz bereitet war, entkleidete sie sich, und als sie hinein trat, um sich
zu baden, fand sie, dass es von Goldschaum, Perlenwasser und anderen
Kostbarkeiten bereitet war. Sie erstaunte über diese Pracht, und pries Gott
für den Genuss. Zugleich verrichtete sie ihr Morgengebet und ihre gesetzlichen
Abwaschungen, stieg dann wieder heraus, betrachtete den Garten und lustwandelte
darin zwischen den verschiedenartigsten Blumen. Endlich setzte sie sich, versank
in die zärtlichsten Erinnerungen an ihren Herrn, und dachte an den Zustand, in
dem er sich befinden würde, wenn er beim Eintritt in ihr Schloss sie nicht
finden sollte. So vertiefte sie sich in ein Meer von Gedanken, bis sie endlich
einschlief. Nach einer Weile wurde sie durch einen sanften Luftzug, der ihr
Gesicht fächelte, erweckt. Sie schlug ihre Augen auf, und bemerkte die Königin
Kamrye, mit ihren drei Schwestern, der Königin Gamra1),
Königin Bahyme und der Königin Scharare. Sie küssten Tochfa, die ihnen
ebenfalls ihre Ehrfurcht bezeigte, unterhielten sich dann mit ihr, und sie
musste ihnen ihre Geschichte erzählen, die wir schon kennen. Hierauf jagte eine
Zerstreuung die andere, bis der Tag sich entfernte, und der Abend nahte. Nun
verrichtete Tochfa ein frommes Abendgebet, an welches sie die Bitte um eine
baldige Vereinigung mit ihrem Herrn, dem Harun, anschloss. Alsdann begab sie
sich mit ihnen in das Schloss, wo bereits Kerzen auf goldenen Leuchtern
brannten, und Wohlgerüche von Aloeholz und Ambra dufteten. Die Könige, welche
schon vereinigt waren, saßen an ihren Stellen, und Tochfa verneigte sich vor
ihnen. Sie selbst aber setzte sich auf ihren Stuhl, nebst den anderen Königen,
worunter auch Sisban und die Königin Lulue2)
waren. Nach eingenommen köstlichen Mahl wuschen sie sich, trocknete sich ab,
und nun wurde ihnen Wein in schönen Flaschen und Bechern dargereicht. Ablys
aber ergriff einen Pokal, und winkte Tochfa, dass sie singen möchte, welche es
dann auf folgende Art tat:

„Trinkt den Wonnewein, o ihr Liebenden, und preist
den Edelmut dessen, der in seiner Sehnsucht verbleibt.
Ob er gleich zwischen Myrthen, Narzissen und Hyazinthen schwebt, und
Wohlgerüche aller Art in den Becken duften.

Da trank Ablys, und sprach: „Sehr wohl, Du Sehnsucht
der Herzen! Aber noch ein Lied möchte ich gern von Dir.“ Hiermit füllte
er den Becher, und winkte ihr, zu beginnen, worauf sie sang:

„Ihr wisst, wie sehr ich von Sehnsucht durchdrungen
und von Liebe trunken bin, aber ihr quält mich, vielmehr ist’s für Euch süß,
mich zu quälen.
Ihr lasst Euch nicht ermüden, und meine Tränen hören nicht auf, zu fließen,
und meine Seufzer lassen sich nicht verbergen.
Eure Entfernung ist für mich so angenehm, wie die Wonne der Wiedervereinigung,
und Eurer Zorn, wie Wohlgefallen, Eurer Unrecht wie Gerechtigkeit, und Eure
Abwesenheit wie Nähe.

Ein schallender Beifall folgte auf diesen melodischen
Gesang, und jedermann lobte Tochfa.


1)
Kohlenglut