Project Description

938. Nacht

„Unter dem Vorwand, dass bei ihr eine Hochzeit
gefeiert würde, lud diese Frau einst eine Braut als Hochzeitsgast ein1).
Diese sagte zu, und an dem bestimmten Tag kam daher die Frau, holte die Braut
ab, und brachte sie durch die bekannte geheime Tür hinein. Sogleich stürzten
sich vier Leute auf sie zu, um sie zu töten, und sie ihres Geschmeides zu
berauben. Allein das Mädchen bat sie und sprach: „Ich bin eine Braut. Mich
zu töten, ist für Euch kein Ruhm. Auch habe ich Euch nicht beleidigt, so dass
ihr etwa Ursache hättet, Euch zu rächen. Nehmt indessen alles, was ich habe,
ich will Euch gern verzeihen.“ Da sie sehr schön war, so machten ihre
Bitten großen Eindruck. „Wir fürchten bloß,“ sagten hierauf die
Räuber, „dass Du uns verrätst.“ – „Ich will bei Euch
bleiben,“ erwiderte die Braut, „nicht aus dem Haus treten, sondern
Euch bedienen.“ Dieser Vorschlag wurde angenommen, und der Vorsteher der
Bande gewann sie so lieb, dass er sie für sich erkor. So war sie bereits ein
ganzes Jahr bei ihm gewesen, und hatte sich bemüht, sie gut zu bedienen, und
sie hatten sich schon ganz an sie gewöhnt. Doch als sie einst tief in die Nacht
hinein getrunken hatten, und im höchsten Grad berauscht waren, nahm sie ihre
Sachen, entwendete dem Anführer fünfhundert Goldstücke, und schor mit einem
Rasiermesser allen diesen Leuten den Bart ab, schwärzte ihre Gesichter und ging
davon. Als sie nun aufwachten, waren sie in der größten Bestürzung, und
sahen, dass das Mädchen sie überlistet hatte.“

Jetzt erzählte der siebente folgende Geschichte:

„Eine Sängerin von vorzüglicher Schönheit und
berühmt durch ihre Kunst, begab sich einst auf einen öffentlichen Spaziergang,
und setzte sich dort in eine Laube. Da näherte sich ihr ein Mann, dem eine Hand
abgehauen war, und bat sie um etwas, indem er sie streichelnd mit dem
verstümmelten Arme berührte. Sie fertigte ihn aber mit den Worten ab:
„Gott möge Dir helfen!“ Nach Verlauf mehrerer Tage kam ein Mann, der
sie einlud, in einer Gesellschaft zu singen. Zugleich gab er ihr etwas für die
Mühe ihres Ausgangs. Sie machte sich nun mit einigen ihrer Gefährtinnen auf
den Weg, und nahm, was sie nötig hatte, mit. Der Mann, der sie eingeladen
hatte, führte sie in eine lange Straße, an deren Ende ein schönes Gebäude
stand. In dieses traten sie hinein, fanden aber niemanden. Sie fanden indessen
den Ort außerordentlich schön. überall waren bereits Kerzen angezündet, und
der kostbarste Nachtisch nebst Wein stand bereit. In einem anderen Zimmer war
Speise, und noch ein anderes Gemach enthielt bequeme Betten. Sie setzen sich
nieder, und in diesem Augenblick bemerkte sie, dass derjenige, der ihr die Tür
geöffnet, auch nur eine Hand hatte. Dies missfiel ihr gleich anfangs;2)
indessen verweilten sie darin noch einige Zeit, bis endlich ein Mann erschien,
der die Lichter anordnete, und die Wachskerzen anzündete. Dieser war auch
einhändig, und sie bemerkte nun, dass das Haus mit Einhändigen angefüllt war.
Als die Gesellschaft beisammen war, tat der Herr des Gastmahls herein. Er war
mit köstlichen Stoffen bekleidet, und alle Anwesenden standen vor ihm auf, und
baten ihn, sich vorn an zu setzen. Seine Hände waren in seinen ärmeln
verborgen. Man überreichte ihm hierauf zu essen, welches er zu sich nahm, so
wie auch Getränk. Die übrige Gesellschaft tat desgleichen, und darauf wuschen
sie sich die Hände. Da winkte der Besitzer des Hauses der Sängerin, tat sehr
freundlich gegen sie, und nachdem die Gesellschaft noch einige Zeit mit Trinken
zugebracht hatte, sagte er zu ihr: „Kannst du denn demjenigen noch
Gesellschaft leisten, der sich von Dir einst etwas erbat, und den Du so schnöde
abwiesest?“ Sie sah ihn nun genau an, und erkannte in ihm jenen
Einhändigen, dem sie das Almosen verweigert hatte. „Was meinst du
damit?“, fragte sie ihn hierauf. „Warte ein wenig,“ erwiderte er,
„es wird Dir schon einfallen.“ Mit diesen Worten strich er sich seinen
Bart, nahm ihr ihren Schleier und ihre Schuhe weg, legte sie an seine Seite, und
sprach: „Nun singe, Du Schändliche.“ Sie musste denn auch wirklich
bis zur Erschöpfung singen, während die übrigen immerfort tranken, so dass
sie endlich ganz berauscht waren. Jetzt näherte sich ihr der Türsteher, und
sprach: „Meine schöne Frau, fürchte nichts. Wenn Du wirst weggehen
wollen, so zeige mir es nur an.“ – „Ach, das ist nicht Dein
Ernst,“ antwortete sie, „Du willst mich nur tiefer ins Unglück
stürzen.“ – „Bei Gott,“ erwiderte er, „ich habe Mitleid mit
Dir, denn unser Oberster, Dein Nachbar, hat nichts Gutes gegen Dich im Sinn. Er
will Dich nämlich diese Nacht noch töten.“ Da sagte die Frau zum
Türsteher: „Wenn Du mir Gutes erweisen willst, so ist jetzt der Augenblick
dazu.“ – „Wohl,“ sagte er, „wenn unser Oberhaupt jetzt
aufstehen wird, um in ein anderes Zimmer zu gehen, so werde ich ihm das Licht
vorangehen, und werde hinter mir die Türe offen lassen; durch diese kannst Du
dann gehen, wohin Du willst.“ Hierauf fing sie wieder an zu singen, und der
Einhändige freute sich darüber. Als sie indessen zu ihm sagte: „Wenn Du
doch nicht ein so abscheulicher Mensch wärst!“, so erwiderte er ihr
höhnisch lächelnd: „Bei Gott, Du sollst das Tageslicht nicht mehr
erblicken.“ Zwar legten nun seine Freunde Fürsprache für sie ein, allein
er ließ sich nur unter der Bedingung erbitten, dass sie bei ihnen ein volles
Jahr bleiben sollte, ohne je auszugehen. „Ach,“ erwiderte sie,
„ich will gern tun, was Dir beliebt, und wenn ich ja gefehlt habe, so bist
Du gewiss großmütig genug, um mir es zu verzeihen.“ Er schüttelte
indessen bei diesen Worten mit dem Kopf. Endlich stand er auf, um in ein anderes
Zimmer zu gehen, während seine Freunde noch fortspielten und forttranken. Jetzt
winkte die Frau ihren Freundinnen, die mit ihr sofort aufstanden, und aus dem
Zimmer, und dann aus dem Haus, dessen Tür sie offen fanden, hinaus eilten.
Entschleiert, wusste sie nicht, wo sie sich hinwenden sollte. Endlich kamen sie
bei einem Koch vorbei, zu welchem sie sagte: „Willst Du einem Toten das
Leben wiedergeben?“ – „Kommt zu mir in den Laden,“ erwiderte
dieser, „dort legt Euch schlafen, damit ihr Euch erholt.“ Das taten
sie denn auch, und er bedeckte sie, damit man sie nicht finden möchte, mit
einer Menge von Spänen, womit er die Speisen zu kochen pflegte. Kaum hatten sie
an diesem Ort eine Weile ausgeruht, als sie schon die Stimmen ihrer Verfolger
vernahmen, und Leute nach allen Richtungen umher laufen, und den Koch befragen
hörten: Ob jemand bei ihm vorbeigegangen wäre? Dieser antwortete indessen:
„Niemand.“ Sie hörten gleichwohl nicht auf, um den Laden herum zu
gehen, und zu suchen, bis der Morgen anbrach, worauf sie, ohne ihren Zweck
erreicht zu haben, wieder weggingen. Der Koch befreite nun die Sängerin von
ihrer Decke, und sagte: „Steht nun auf, ihr seid jetzt vom Tod
befreit.“ Sie schickten nun sogleich nach Hause, um sich einen Schleier
holen zu lassen. Dieser wurde gebracht, und sie begaben sich nun heim, wo sie
sich denn von nun an bekehrten und Buße taten. Das war recht, wie das
Sprichwort sagt: Freude nach Kummer.“

Alle Anwesenden verwunderten sich über diese Erzählung
und der neunte Vorsteher begann sodann folgende Geschichte:

„Mir ist etwas begegnet, was alles früher erzählte
an Sonderbarkeit übertrifft. Es wurde nämlich einst in der Stadt etwas von
bedeutendem Wert gestohlen, und ich wurde nebst einigen meiner Gefährten
aufgefordert, den Dieb zu entdecken. Da es uns aber nicht sogleich gelang, so
baten wir uns noch einige Tage Frist aus. Wir verteilten uns nun in die Stadt.
Ich meinerseits aber begab mich mit fünf meiner Gefährten in die Umgegend. Als
ich ungefähr zwei Parasangen von der Stadt entfernt war, überfiel uns ein
lästiger Durst. Wir begaben uns in einen Garten, und ich trat zu einem
bedeckten Wasserbehälter, in welchen das Wasser durch ein Rad gebracht wurde.
Ich ging hinein, und trank, verrichtete meine gesetzlichen Abwaschungen, und
betete. In diesem Augenblick trat der Aufseher dieser Wasserkunst hinein, redete
mich zornig an, und fragte mich, wer mir erlaubt habe, hier herein zu kommen?
Doch damit begnügte er sich nicht, sondern er schlug mich so sehr, dass ich
beinahe ohnmächtig hingesunken wäre, sodann band er mich neben dem Ochsen, der
das Wasserrad in Bewegung setzte, an, und zwang mich durch Peitschenhiebe mit
dem Ochsen zugleich das Rad zu drehen. Nach vieler ausgestandener Pein band er
mich endlich los, und ließ mich laufen. Allein ich war zu schwach, um weit zu
gehen, und setzte mich daher hin, um wieder etwas Kräfte zu sammeln. Von meinen
Freunden sah und hörte ich übrigens nichts. Ich entschloss mich also in die
Stadt zurückzukehren, wo ich meine Gefährten glücklich wieder fand. Da ich
vor Wut brannte, mich an diesem schändlichen Aufseher zu rächen, so sagte ich
zu ihnen: „Ich habe das gestohlene Gut gefunden, und den Dieb entdeckt.
Allein es ist dabei die größte Eile nötig. Da ich fürchte, er möchte etwas
ahnen, und wenn ich allein hinkäme, mir entfliehen, so wollen wir uns alle zu
ihm begeben, und durch irgend eine List uns seiner bemächtigen.“ Wir
gingen also miteinander zu dem Mann hin, der mich so schrecklich behandelt
hatte. Ich wollte ihm nämlich gleiches mit gleichem vergelten, und lügenhafter
Weise ihn für den Dieb ausgeben. Als wir nun hinkamen, fanden wir einen Knaben
bei ihm, den wir nebst ihm festbanden. Der letztere indessen schrie, weinte und
sagte: „Bei Gott, glaubt mir, ich war nicht mit ihnen beisammen. Seit sechs
Monaten habe ich die Stadt nicht betreten, auch habe ich das gestohlene Gut
nirgends anders, als hier zum ersten Mal gesehen.“ – „Wohlan,“
sagten wir, „wenn wir dich sanft behandeln sollen, so zeige es uns.“
Er führte uns nun an einen Brunnen, der nicht weit von dem Wasserbehälter
entfernt war, grub dort die Erde auf, und brachte alles Gestohlene heraus, woran
auch nicht das geringste fehlte. Wir bemächtigten uns der geraubten Sachen,
nahmen den Aufseher mit uns, und führten ihn nach dem Polizeiamtsgebäude, wo
wir ihn nackt auszogen, und ihn durch Peitschenhiebe zum Geständnis sehr vieler
anderer Diebstähle brachten. Ich fand es sehr sonderbar, dass die Rache, die
doch eigentlich nur mein Zweck war, uns zur Entdeckung eines Diebstahls gebracht
hatte, der vielleicht noch lange im verborgenen geblieben wäre.“

Was das anbetrifft, sagte der zehnte Vorsteher, so kann
ich noch etwas auffallenderes erzählen: „Einer meiner Freunde, ebenfalls
Vorsteher, begegnete einst einem Juden, der einen Korb trug, worin fünftausend
Goldstücke waren. Da sagte dieser Freund von mir zu einem seiner Sklaven:
„Könntest Du wohl diesem Juden das Geld aus dem Korb nehmen?“ –
„Ich will es wohl versuchen,“ erwiderte dieser. Auch brachte er ihm
wirklich den anderen Tag den Korb. „Gehe jetzt,“ sagte nun der
Aufseher zu ihm, „und vergrabe ihn an den und den Ort.“ Nachdem jener
dies getan hatte, benachrichtigte er seinen Herrn davon. Den anderen Tag, als
große Sitzung im Polizeiamt war, kam der Jude mit einigen seiner Freunde,
beklagte sich über sein Unglück, und sagte, ihm sei Geld gestohlen worden,
welches dem Sultan gehöre, dass er indessen überzeugt sei, wir würden ihm zu
seinem verlorenen Geld wieder helfen. Wir vertrösteten ihn, wie gewöhnlich,
auf drei Tage.


1) Oft
werden ganz unbekannte Leute zu Hochzeiten eingeladen, wobei immer viele
Geschenke gemacht, und Geld unter die Musiker wie auch unter die Armen geworfen
wird.