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937. Nacht

Mit jedem Augenblick wuchs mein Mitleiden für den jungen
Mann, besonders da ich merkte, dass er sehr für die Frau eingenommen war. Ich
gab ihm verschiedene Zeichen, und winkte ihm, ja nicht der Frau zu folgen.
Endlich bemerkte er es, und verstand mich. Allein jener Frau waren meine Zeichen
ebenfalls nicht entgangen, sie drohte mir mit der Hand, und ging fort. Der junge
Mann ließ sich gleichwohl nicht abhalten, sondern folgte ihr, und von dem
Augenblick an zählte ich ihn unter die Toten. Doch meiner bemächtigte sich
sogleich eine solche Furcht, dass ich meinen Laden schloss, und auf ein Jahr
lang verreiste. Nach Verlauf dieser Zeit kehrte ich wieder zurück, und öffnete
meinen Laden wieder. Aber auch ebenso bald erschien wieder die Frau, und sagte
zu mir: „Du bist sehr lange abwesend gewesen.“ – „Ich hatte eine
sehr notwendige Reise vor,“ antwortete ich ihr. „Warum hast Du denn
dazumal,“ unterbrach sie mich, „dem jungen Türken, dem Viehhändler,
so angelegentlich zugewinkt?“ – „Behüte mich Gott,“ war meine
Antwort, „dass ich das getan hätte!“ – „Hüte Du Dich künftig
vor mir, dass Du mir keine Hindernisse in den Weg legst,“ entgegnete sie,
und mit diesen Worten ging sie davon.

Einige Zeit nachher lud mich ein Freund zu sich ein, und
nachdem wir gegessen und getrunken hatten, fragte er mich, ob mir einmal in
meinem Leben etwas ganz schreckliches widerfahren wäre? „Erzähle mir
erst, was Dir widerfahren ist,“ entgegnete ich, „dann werde ich Dich
auch von meinen Begebenheiten unterrichten.“ Da begann mein Freund
folgendermaßen: „Eines Tages lud mich eine sehr schöne Frau zu sich, und
sandte einen Diener mich abzuholen. Als er mit mir an ein sehr schönes Haus
kam, und er hinter mir die Türe desselben zugeschlossen hatte, und soeben mit
mir durch eine zweite Türe gehen wollte, ergriff mich eine solche Furcht, dass
ich mich weigerte, mit ihm weiter zu gehen, sondern vielmehr laut ausrief:
„Bei Gott, wenn Du mich nicht wieder heraus lässt, so bringe ich Dich um,
denn an mir sollt ihr Eure List nicht ausüben.“ – „Was fällt Dir
denn ein?“, fragte er mich ganz befremdet, „welche List haben wir denn
angewandt?“ – „Schon der garstige Anblick jenes zweiten Zimmers,“
erwiderte ich, „dann die Abwesenheit eines Türstehers, der die Leute
anweist, überzeugen mich, dass dies ein Haus des Verbrechens ist.“ –
„Mein Herr,“ erwiderte der Diener, „dies ist hier eine geheime
Tür.“ – „Geheim oder öffentlich,“ unterbrach ich ihn,
„öffne mir!“ Er öffnete, und ich eilte hinaus. Kaum war ich einige
Schritte gegangen, als ich einer sehr schönen Frau begegnete. „Dir scheint
ein langes Leben bestimmt zu sein,“ rief sie mich an, da sie mich
herauskommen sah, „denn sonst wärst Du aus diesem Haus nicht
entkommen.“ – „Wie meinst Du das?“, fragte ich sie. „Bitte
nur Deinen Freund,“ antwortete sie, indem sie Dich nannte, „der wird
Dir darüber Aufschluss geben.“ Daher ersuche ich Dich nun, lieber Bruder,
erzähle mir, was Dir mit dieser Frau begegnet ist.“ – „Ach,“
sagte ich zu ihm, „in schwerer Eid bindet mich.“ – „So übertritt
ihn,“ versetzte er. „Wenn ich nur,“ erwiderte ich, „nicht
die Folgen befürchtete!“ Dennoch aber entschloss ich mich, ihm meine
Geschichte zu erzählen. Er war darüber ganz erstaunt, und freute sich, dass er
noch zu rechter Zeit umgekehrt war. Hierauf begab ich mich ruhig nach Hause.
Nach Verlauf einiger Zeit wurde ich von einem anderen Freunde eingeladen, ihn zu
einem Mann zu begleiten, der ihn gebeten hatte, ihn zu besuchen. Wir begaben uns
dahin, und fanden einen Mann, der uns empfing, uns einführte, und die Türe
hinter uns zuschloss. Wir traten sofort in einen Saal hinein, worin man uns
allein ließ, und in welchem ich eine kleine Türe erblickte, die ich öffnete.
Mein Freund, welcher es merkte, fragte mich, was ich dort sähe?
„Ach,“ erwiderte ich, „ich sehe dort vielerlei Sachen
zusammengehäuft, unter anderen aber auch abgeschnittene Hände. Siehe Du selbst
einmal hin.“ Als er einen Blick herein getan hatte, sagte er sogleich:
„Wir sind verloren!“ Wir überließen uns nun ganz der Traurigkeit,
und dachten über unser Schicksal nach, als auf einmal vier Männer
herein traten, und sich meinem Freund näherten. Dieser indessen widersetzte
sich, und stürzte einen von ihnen zu Boden. Während sie nun alle über ihn
herfielen, benutze ich diesen Augenblick, um eine ganz kleine Türe zu öffnen,
in welche ich mich ganz hineinschmiegte. Leider aber bemerkte ich, dass sie zu
keinem Zimmer führte, sondern nur dazu diente, ein Luftloch1)
zu verschließen. Ich kroch, denn die Liebe zum Leben gab mir Kräfte, so gut
ich konnte, hinauf, und als ich oben auf dem Dach war, sprang ich auf eine
Mauer, die nicht weit vom Dach entfernt war, und von da in eine sehr belebte
Straße hinab. Die Leute umringten mich von allen Seiten, und zum Glück ging
eben der Präfekt vorbei. Diesem erzählten die Leute sogleich, was sich mit mir
zugetragen hatte. Er ließ sogleich die Türe dieses Hauses einschlagen. Wir
aber eilten in das Haus, und überfielen die Mörder, als sie eben meinen Freund
hingeworfen hatten, um ihn zu töten. Meiner Abwesenheit achteten sie gar nicht,
denn sie dachten, ich könnte ihnen doch nicht entwischen. Der Präfekt
bemächtigte sich ihrer, und verhörte sie. Sie gestanden alle ihre Schuld,
schoben indessen die größte Schuld auf jene Frau, und auf die Genossen, die
sie in Kairo hatten. Er ließ nun diese Leute alle gefangen nehmen, nachdem er
die Türen der Gemächer hatte versiegeln lassen. Ich hatte sie bis jetzt immer
begleitet. Als sie nun aus dem Haus heraus wollten, fanden sie die Türe, die
zur Vorhalle führte, von innen verschlossen. Sie wurde sogleich ausgehoben, und
wir fanden eine Anzahl Räuber mit einer neuen Beute beschäftigt, welche sie
eben ermorden wollten. Auch dieser Leute bemächtigte sich der Präfekt, und
befreite aus ihren Händen den unglücklichen Mann, dem er alles wiedergab, was
ihm geraubt worden war. Im Augenblick des Heraustretens in die Straße trafen
wir die Frau, wie sie soeben noch eine neue Beute einbrachte. Diese wurde nun
auch ergriffen, und man brachte aus dem Haus eine Menge Kostbarkeiten zusammen.
Die Räuber wurden hierauf alle an der Mauer des Hauses aufgespießt. Die Frau
aber wurde auf ein Kamel gebunden, nachdem man sie an ein Brett genagelt hatte,
und so in der Stadt herumgeführt. Auch den Beutel des türkischen Viehhändlers
erkannte ich unter dem, aus dem Haus gebrachten Sachen. Ich dankte Gott, dass er
mich auf eine so wunderbare Weise gerettet hatte, und wunderte mich bloß, dass
ich den Freund, der mich dazumal aus ihren Klauen riss, nicht unter ihnen
bemerkte. Indessen nach Verlauf einiger Tage ging er selber bei mir vorbei. Ich
erkannte ihn sogleich. Er war seitdem Mönch geworden, und hatte die Kleider der
Fakire2) angelegt. Er
grüßte mich, doch ohne weiter mit mir zu sprechen. Als er indessen nach einer
Weile wieder zurückkehrte, da drang ich in ihn, und bat ihn, mir zu sagen, wie
er sich von jenen Leuten hätte losreißen können. „Ach!“, sagte er,
„ich habe sie von dem Tage an verlassen, wo Gott Dich durch meine Hand
gerettet hatte, denn sie wollten mir nicht mehr gehorchen. Seitdem habe ich es
verschworen, mich nie mehr mit solchem Volk einzulassen. Ach, wenn Du wüsstest!
ägypten ist voll von diesen Leuten, und sie lassen keine List unversucht, um
einen Menschen zu fangen.“ – „O, erzähle mir doch etwas von dem, was
Dir in diesem Haus begegnet ist.“ – „Ich war nie bei solchen Szenen
zugegen,“ antwortete er, „denn mein Geschäft betraf bloß den Ein-
und Verkauf. Indessen von jener Frau muss ich Dir doch erzählen, wie sie einst
eine Braut geraubt hat.“


1) In
Arabien gehen die Luftlöcher, wie bei uns die Feueressen, von unten nach oben
durchs ganze Haus, und sind von ziemlich ansehnlichem Umfang. Ihre öffnung nach
außen befindet sich oben auf dem platten Dach.