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934. Nacht

Nun trat der vierte Vorsteher hervor, und erzählte
folgende Geschichte:

„Als ich einst an der Türe des Polizeigebäudes
saß, kam eine Frau zu mir, welche erklärte sie sei die Gattin eines Arztes,
den sie mir nannte. Zugleich zeigte sie an, dass eine Menge vornehmer Leute der
Nachbarschaft bei ihrem Mann, der in dem und dem Haus wohnte, Wein tränken. Als
ich dies hörte, wollte ich gleichwohl den Schimpf vermeiden, und schickte sie
zurück, ohne sie weiter anzuhören. Ich machte mich indessen dennoch auf, und
ging vor das mir bezeichnete Haus, an dessen Tür ich mich hinsetzte. Hier
wartete ich, bis sie geöffnet wurde, und als dies geschah, drang ich schnell in
das Haus hinein, und fand die Gesellschaft ganz so, wie sie mir beschrieben
worden war, und die Frau in der Mitte unter ihnen sitzend. Ich begrüßte sie,
sie danken mir freundlich, standen auf, und erwiesen mir alle mögliche Ehre.
Zugleich baten sie mich, dass ich mich setzen möchte, und reichten mir Speise.
Ich benachrichtigte sie nun von der Unannehmlichkeit, die ihnen bevorgestanden
hätte, sofern ich einer Anzeige gefolgt wäre, die mir eben mitgeteilt worden
war. Ich hätte die Sache aber abgelehnt, und wäre lieber allein zu ihnen
gekommen. Sie dankten mir außerordentlich dafür, lobten meine Güte, und
brachten eine Summe von zweitausend Silberstücken zusammen, die sie mir
übergaben, und mit denen ich mich entfernte. Nach Verlauf von zwei Monaten
wurde mir ein Schreiben von dem Sachwalter des Arztes überreicht, worin mich
dieser vor den Richter lud. Als ich vor demselben mit dem Sachwalter erschien,
erklärte mir dieser, dass der Gastgeber jenes Tages von mir zweitausend
Drachmen fordere, weil ich, wie er vorgab, sie von ihm empfangen hätte, als ein
Darlehn von einem Freund seiner Frau. Ich leugnete es natürlich, allein man
wies mir ein Zeugnis, worin vier Personen von jener Gesellschaft bescheinigten,
dass ich diese Summe in ihrer Gegenwart empfangen habe. Zugleich wurden sie
vor gerufen, und bezeugten dies obendrein gerichtlich. Ich konnte nicht wagen,
ihnen ihre Undankbarkeit vorzuwerfen, weil ich mich sonst selbst der Strafe
ausgesetzt haben würde, da ich ja unterlassen hatte, sie wegen ihres
Weintrinkens anzugeben, und ich musste also die verlangte Summe zurückzahlen.
Von da an nahm ich mir aber fest vor, mich nie wieder von einer Frau anführen
zu lassen.“

Nun erhob sich der fünfte Vorsteher, und erzählte
folgende Geschichte:

„In Alexandrien trug es sich einst zu, dass eine alte
Frau zu mir kam, welche ein schönes Kästchen trug, voll von vorzüglichem
Geschmeide und zwar von der schönsten Arbeit. Eine andere Frau begleitete sie,
und diese letzte ging von mir zu einem Seidenhändler, von dem sie für
ungefähr tausend Goldstücke Waren ausnahm. „Komm mit mir zum
Vorsteher,“ sagte sie hierauf zum Seidenhändler, „dort will ich Dir
ein Unterpfand geben.“ Als sie bei mir angelangt war, zeigte sie ihm den
Inhalt des Kästchens, und da er den Wert von Bedeutung fand, so trug er kein
Bedenken, es als Pfand anzunehmen; und sie ging mit der Ware davon. Unterdessen
verfloss eine weit längere Zeit, als die Frau für die Wiederabholung bestimmt
hatte, und da der Seidenhändler nicht länger warten wollte, so zeigte er die
Sache dem Präfekten an. Alle Nachforschungen, die Frau aufzufinden, waren
vergebens, und er wollte das Geschmeide verkaufen. Allein zu seinem Schrecken
benachrichtigte ihn ein Kenner, dass alles unecht und nur vergoldet wäre, und
dass alles zusammen höchstens hundert Drachmen wert sei. Da begab er sich denn
zum zweiten Male zum Präfekten, der ein sehr listiger Mann war, und ihm
folgenden Rat gab: „Nimm etwas aus Deinem Laden, und zerbrich dann mit
Gewalt das Schloss desselben. Sodann schreie und wehklage, dass es alle Leute
hören, und begib Dich hierauf zum Vorsteher, und klage ihm, dass Du bestohlen
worden bist. Mache aber nur ja so viel Lärm als möglich, und vergiss nicht zu
sagen, dass der Laden erbrochen worden, und dass bei dem gestohlen Gut sich ein
kostbarer Juwelenschmuck von sehr großem Wert in einem Kästchen befunden habe,
welches nicht einmal Dir, sondern einer vornehmen Person gehörte, die es bei
Dir eingelegt habe, so dass Du in der größten Verlegenheit sein würdest, wenn
es je von Dir zurückgefordert werden sollte. Zugleich nimm alle Gegenwärtigen
zu Zeugen, dass ein Schloss erbrochen, und das Kästchen nebst anderen Sachen
Dir gestohlen worden sei.“ Der Seidenhändler versprach dem Präfekten,
alles genau so auszuführen. Er begab sich sofort nach Hause, zerbrach am
anderen Morgen das Schloss seines Ladens, und versammelte durch sein Geschrei
eine Menge von Leuten, denen er sein Unglück auf die eben erwähnte Art
erzählte. Sodann begab er sich auf das Oberpolizeiamt und brachte dort
öffentlich seine Klage vor. Der angebliche Diebstahl wurde von Seiten dieser
Behörde überall bekannt gemacht, und nach drei Tagen fand sich die alte Frau
mit dem Wert der ausgenommenen Waren ein, und verlangte ihr zum Pfand
eingelegtes Kästchen wieder zurück. Sobald er sie ansichtig wurde, hielt er
sie fest, und brachte sie zum Präfekten. „Wehe Dir!“, schrie dieser
sie an, „ist es Dir noch nicht genug, den ersten Betrug begangen zu haben?
Willst Du noch einen zweiten hinzufügen, und für die gestohlenen Juwelen mehr
fordern, als diese wert sind?“ – „Ach,“ rief sie erschrocken aus,
„verzeihe mir, ich will Dir alles gestehen. Ich gehöre zu einer
Diebesbande, die im Land herumzieht. Alle Monate versammeln wir uns, und gestern
war der Tag, wo wir uns hier in der Stadt zusammen fanden, um uns gegenseitig
Rechnung abzulegen.“ – „Könntest Du wohl,“ fragte sie der
Präfekt, „mir diese Bande in die Hände liefern? Ich will Dir alle Deine
Betrügereien verzeihen.“ – „Sehr gern,“ erwiderte sie, „wenn
Du aber bis morgen warten willst, so werden sie nicht mehr in der Stadt sein.
Diese Nacht noch muss es ausgeführt werden, wenn es gelingen soll.“