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932. Nacht

„Ich habe nämlich viel Geld,“ fuhr die Frau
fort, „und brauche dieses nicht. Bei der ganzen Unternehmung hatte ich
bloß die geheime Absicht, etwas zu tun, wodurch Du mich kennen lernen solltest,
um sodann mich Dir zur Heirat anbieten zu können.“ Mit diesen Worten
öffnete sie zugleich noch einige andere Kästen, worin ich unbeschreiblich viel
Geld und andere Kostbarkeiten erblickte. „Liebe Schwester,“ sprach ich
hierauf zu ihr, „nach allem diesen sehne ich mich nicht. Mein einziger
Wunsch ist, von dem Unglück loszukommen, das mir bevorsteht.“ –
„Glaubst Du,“ war ihre Antwort, „dass ich, die ich Dich in dies
Unglück zu stürzen vermochte, Dich nicht auch daraus retten kann? Lerne mich
besser kennen. Ich habe das Haus des Großrichters nicht verlassen, ohne auf
Deine Rettung zu denken. Wenn morgen dieser Dich befragen wird, so sei ganz
geduldig, unterbreche seine Rede nicht, und schweige auch noch fort, wenn er
vollendet hat. Wenn aber der Vorsteher Dich fragt: Warum antwortest Du dem
Großrichter nicht? So sage: Mein Herr, die Worte sind sich zwar gleich, können
aber anders gedeutet werden. Ein Schwacher, wie ich, kann nur auf Gott noch
bauen. Was willst Du denn damit sagen: Die Worte sind sich gleich, können aber
anders gedeutet werden? Wird Dich der Großrichter unterbrechen. Da sage Du nur:
Du hast ganz die Wahrheit gesagt. Ich habe ein Mädchen zu Dir in Verwahrung
gebracht. Sie war aus dem Schloss, und zwar gehörte sie zum Haus des Königs.
Wer weiß, ob ihr nicht bei Dir selbst ein Unglück widerfahren, ob sie
vielleicht gar in Deinem eigenen Haus ermordet worden ist, da sie Schmuck und
Kostbarkeiten an sich hatte. Wenn Du nun Deine Sklaven und Sklavinnen
ausforschen, auch allenfalls sie peinigen möchtest, so würdest Du gar manches
erfahren, auch wohl gar Spuren davon finden. Er wird bei Anhörung dieser Worte
in Wut geraten, und wird verlangen, dass Du auf der Stelle mit in sein Haus
kommen sollst. Da antworte Du: Das geht nicht an. Ich bin der angeklagte Teil.
Du bist mein Ankläger, und auf mir haftet Verdacht. Du kannst ja dann immer
noch berichten, was Dir beliebt. – Wenn nun aber sein Zorn dann immer zunehmen,
und er darauf bestehen sollte, dass Du ihn begleiten müsstest, so sage: Bei
Gott, ich gehe nicht, es wäre denn, dass der Oberaufseher selbst mit käme.
Wenn dieser nun mit Euch im Haus des Großrichters angekommen sein wird, so
fange an die Dächer zu durchsuchen, dann untersuche die Keller, die Gewölbe
und alle Gemächer. Je mehr Du suchst, ohne etwas zu finden, desto mehr stelle
Dich betrübt und betroffen. Dann gehe an die Türe des Hauses, dort stelle Dich
unschlüssig, als ob Du wieder zurückkehren wolltest. Daselbst ist nämlich ein
dunkler Winkel, in diesen dränge Dich hinein. Da wirst Du einen Topf finden,
den ziehe mutig hervor. Unter ihm wirst Du einen zerrissenen Schleier finden,
diesen zeige laut ausrufend den Anwesenden, wickle ihn dann auseinander, und Du
wirst ihn voll Blut finden. Auch wird ein Schuh darin sein, und ein
Ohrgehänge.“ Als sie mir dieses sagte, verstand ich ihren Plan, stand auf,
um mich schnell und erleichtert fortzubegeben. Allein sie hielt mich zurück,
und sagte: „Nimm unterdessen diese hundert Goldstücke, und betrachte es
so, als hätte ich Dich bewirtet.“ Diese nahm ich denn auch, und ging
davon. Als der Morgen anbrach, kam der Großrichter mit glühendem Gesicht, und
sprach: „Nun, wo ist mein Schuldner? Nun, wo ist mein Geld?“ Ohne
meine Antwort abzuwarten, schimpfte er, tobte, und sprach zum Vorsteher:
„Wo ist der nichtsnutzige Bösewicht, der verkappt unter einer Räuberbande
sein Wesen treibt?“ – Da sprach der Vorsteher zu mir: „Warum
antwortest du dem Großrichter nicht?“ Da gab ich zur Antwort: „Der
Schein trügt. Es genügt mir, zu wissen, dass ich keine Schuld habe. Mein Recht
liegt mir klar vor den Augen.“ – „Wie,“ fuhr der Großrichter
auf, „Du kannst es wagen, zu behaupten, Du habest Recht? Wie kannst Du es
beweisen?“ – „O, mein Herr und Richter,“ erwiderte ich, „ich
habe bei Dir etwas in Verwahrung gegeben, und zwar eine Frau, die wir an Deiner
Türe, bedeckt mit Kostbarkeiten, antrafen. Diese ist verschwunden, wie der
gestrige Tag verschwunden ist, und nun kommst Du, und belangst uns wegen sechs
Beuteln Goldes. Bei Gott, das ist eine große Ungerechtigkeit. Bei Dir muss ihr
etwas widerfahren sein.“ Bei diesen Worten geriet der Großrichter in eine
Wut, die nicht zu beschreiben ist, und verlangte, ich sollte mit ihm kommen, und
sein Haus durchsuchen. „Auf keinen Fall,“ sagte ich, „werde ich
gehen, es wäre denn, der Vorsteher käme mit, denn wenn der mit uns ist, nebst
einigen seiner Aufseher, so kannst Du mir nichts anhaben.“ Da stand er auf,
und sagte: „Es sei, der Vorsteher kann mit uns kommen.“ Mit diesem
begaben wir uns nun gemeinschaftlich auf den Weg nach dem Haus des
Großrichters. Wir durchsuchten alles, aber vergebens, und ich kam nicht umhin,
zu gestehen, dass mich eine große Furcht befiel. Wie leicht konnte die Frau
mich hintergangen haben, und so wäre ich verloren gewesen. Statt mich bloß
besorgt zu stellen, war ich es nun in der Tat, und Tränen entquollen meinen
Augen. Da rief mich der Vorsteher an: „Schändlicher, Du unterstehst Dich,
den Großrichter anzuklagen, und uns alle vor der Welt zum Spott zu
machen?“ Ich hatte kein Herz, ihm zu antworten, sondern fuhr fort zu
suchen, bis wir an die Haustüre kamen, da bemerkte ich den beschriebenen Ort.
„Was ist das für ein finsterer Winkel?“, rief ich, indem ich hinein
trat. „Kommt, helft mir den Topf herausziehen, den ich hier erblicke.“
Dies taten sie denn auch, und ich bemerkte unter ihm einen Haufen Sand und Erde.
„Schafft dieses da weg, und seht, ob etwas darunter ist. “ Es geschah,
und siehe, sie fanden einen Schleier, und Schuh und ein Ohrgehänge, alles
beblutet. Als ich dies sah, fiel ich vor Freude beinahe in Ohnmacht, und der
Vorsteher sagte: „Bei Gott, mein Aufseher hat Recht.“ Meine Freunde
nahten sich mir schnell, und begossen mich mit Wasser, bis ich wieder zu mir
kam. Mein erster Blick traf den Großrichter, der bestürzt und beschämt
dastand. „Du siehst nun,“ sagte ich zu ihm, „dass das Unglück
bei dir geschehen ist, dass diese Begebenheit keine Kleinigkeit ist, und dass
die gewiss sehr vornehme Familie dieser Frau nicht aufhören wird, ihr
nachzuspüren.“ Bei dieser meiner äußerung wurde er vor Schreck ganz
bleich. Er ersuchte uns, in sein Gemach zu kommen, und bot uns ebenso viel an,
als ihm verloren gegangen war, um nur die Sache zu unterdrücken. Wir verließen
ihn hierauf. Ich für mein Teil dankte Gott, und pries die Frau, dass sie mich
nicht hintergangen hatte. Sodann ging ich ins Bad, zog andere Kleider an, und
nach drei Tagen begab ich mich zu ihr, um sie zu besuchen. Allein ich fand ihr
Haus verschlossen. Ich erkundigte mich bei den Nachbarn, die mir berichteten,
dies Haus sei unbewohnt. Vor einigen Tagen habe zwar eine Frau es gemietet, sei
aber vor drei Tagen mit allen ihren Sachen weggezogen. Ich war ganz bestürzt
über diese Nachricht, und alle meine folgenden Nachforschungen, sie
aufzufinden, waren vergebens. Stets blieb es mir aber ein Rätsel, wie eine Frau
so viele verschiedene Eigenschaften in sich vereinigen konnte.“

Der König war über diese Geschichte ganz erstaunt. Da
trat ein anderer Aufseher vor, und sprach: „Mein Herr, habt die Güte,
anzuhören, was mir widerfahren ist.“

Als ich zur Zeit des Präfekten Gamaluddyn Alatwasch
Polizei-Aufseher war, genoss ich bei demselben einer ausgezeichneten Gunst, und
er verbarg mir nichts von dem, was er unternehmen wollte. Eines Tages berichtete
man ihm, dass die Tochter eines bekannten Mannes, welche viel Vermögen besaß,
einen Juden zum Geliebten habe, und dass sie ihn alle Tage zu sich rufen ließ,
um bei ihr zu essen und zu trinken, ja auch sogar die Nacht zuzubringen. Der
Präfekt wollte daran nicht glauben, indessen befragte er doch die Wachen des
Stadtviertels darüber. Da sagte ein Soldat von denselben: „Was mich
betrifft, so sehe ich immer einen Juden in die Straße hineingehen, manchmal
sogar bei Nacht. Nur habe ich noch nicht bemerkt, in welches Haus er
hineingeht.“ – „Von nun an gib auf ihn Acht,“ sprach der
Präfekt, „und merke Dir den Ort wohl.“ Der Soldat ging fort, und
beobachtete den Juden von nun an ganz genau. Eines Tages, als der Präfekt zu
Hause der Ruhe pflegte, kam der Soldat und benachrichtigte ihn, dass der Jude
soeben in ein gewisses Haus, das er ihm bezeichnete, gegangen wäre. Der
Präfekt stand sogleich auf, und nahm niemand mit sich, als mich, und sagte zu
mir ganz leise: „Das wird ein fetter Bissen sein.“ Wir kamen bis an
die Türe, vor welcher wir stehen bleiben, bis jemand heraus kam. Es war ein
Mädchen, die, wie es uns schien, ausgeschickt war, um für die Bewohner des
Hauses etwas einzukaufen. Wir ergriffen sie sogleich, gingen in das Haus, traten
in ein prächtigen Saal, in welchem alle Vorbereitungen zu einem kostbaren Mahl
getroffen waren, und erblickten endlich den Juden mit der Frau da sitzend. So
wie diese den Präfekten erblickte, und ihn erkannte, stand sie auf,
bewillkommnte ihn auf das ehrerbietigste, und sprach: „Bei Gott, es
geschieht mir eine große Ehre durch Deine Ankunft in meinem Haus, welches
dadurch ganz veredelt wird.“ Sie nötigte ihn, sich auf den vornehmsten
Platz zu setzen, und reichte ihm Speise und Trank. Sodann nahm sie ihren ganzen
Schmuck ab, wickelte ihn in ein Tuch, und sprach: „Mein Herr, dieses alles
ist Dein.“ Hierauf wandte sie sich zu dem Juden, und sagte: „Stehe Du
jetzt auf, hole im anderen Zimmer Deine Sachen, und tue desgleichen.“ Der
Jude stand auf, ging in das Nebenzimmer, von da auf die Straße, und kehrte
nicht wieder zurück, indem er ganz überrascht darüber war, dass er auf diese
Art sich zu retten vermochte. Als die Frau endlich gewiss zu sein glaubte, dass
der Jude wirklich in Sicherheit sei, nahm sie ihre Kostbarkeiten vom Präfekten
wieder zurück, und sprach zu ihm: „Mein Herr, ziemt es sich nicht, eine
Höflichkeit mit einer anderen zu vergelten? Du hast die Güte gehabt, bei mir
ein Mahl einzunehmen, und Du willst mir jetzt auch noch mein Geschmeide
wegtragen? Habe die Güte, Dich weg zu begeben, sonst rufe ich die Leute der
Straße zusammen.“ Der Präfekt eilte davon, und von dem gehofften fetten
Bissen bekam er nicht einen Pfennig.

Da wunderten sich die Gegenwärtigen, doch der dritte
Aufseher sprach: „Was mir begegnet ist, ist noch weit auffallender und
sonderbarer. Hört, was ich Euch erzählen werde.

Als ich eines Tages mit meinen Gefährten ausgegangen war,
begegnete ich einigen Frauen, die von hoher Schönheit waren. Eine unter ihnen
aber übertraf alle an Anmut und Reiz. Ich sah sie genauer an, und als sie mich
erblickte, blieb sie hinter ihren Freundinnen ein wenig zurück, und wartete,
bis ich zu ihr herangekommen war, und sie angeredet hatte. Dann sagte sie zu
mir: „Gott möge Dich beschützen! Ich habe bemerkt, dass Du mich ansahst,
und vermute, dass Du mich kennen magst, wenn das ist, so sage mir, wer Du
bist.“ Ich antwortete ihr: „Wahrlich ich kenne Dich nicht. Aber meines
Herzens hat sich die Liebe zu Dir bemächtigt. Deine Schönheit hat mich in
Staunen gesetzt, und die Wonne Deiner Augen, die Dir Gott verliehen, hat mich
mit Pfeilen getroffen.“ – „Ich habe dasselbe bei Deinem Anblick
empfunden. Ja beinahe noch mehr,“ erwiderte sie, „ich fühle so viel
Neigung zu Dir, dass es mir ist, als kenne ich Dich von Kindheit an.“ –
„Wo wohnst Du?“, fragte ich sie, „erlaube Dass ich Dich nach
Hause begleite.“ – „Ach, leider!“, sagte sie, „bin ich hier
fremd, und ich habe keinen Wohnort.“ – „Ich habe Dir so viel zu
sagen,“ erwiderte ich, „denn ich wünschte für die Zukunft gern mich
Deiner zu versichern.“ – „Mir fällt ein Mittel ein,“ sagte sie
hierauf, „komm und folge mir.“ Sie ging voran und ich ging hinter ihr
her, bis sie an ein großes Haus kam, in welchem sie den Haushälter fragte, ob
in dem Haus eine Wohnung zu vermieten sei?“ – „Ja wohl,“
erwiderte dieser. „Nun gut, so gibt mir den Schlüssel,“ sagte sie
darauf. Als sie denselben in Empfang genommen hatte, stiegen wir hinauf und
besahen uns die Wohnung. Alsdann begab sie sich zum Haushälter, gab ihm eine
Silbermünze und sprach: „Hier hast Du Schlüsselgeld, die Wohnung gefällt
uns, und hier hast du ebenso viel für Deine Mühe. Gehe aber und hole uns einen
Teppich, damit ich die Sonnenhitze hier in der Wohnung abwarten kann, während
dass der Herr seine Sachen hierher besorgen wird. Des Haushälters Frau war
über das Geschenk ganz entzückt, eilte fort, und brachte uns einen Teppich, so
wie auch Wasser und Fächer, um uns abzukühlen. Nachdem die größte
Sonnenhitze vorbei war, und wir uns von unseren zukünftigen Verhältnissen
besprochen hatten, nahte sich die Zeit des Abendgebetes. Sie legte jetzt alle
ihre Kostbarkeiten ab, und begab sich in das Nebenzimmer mit einer Schüssel
voll Wasser, um die gesetzlichen Abwaschungen zu verrichten, wobei ich sie laut
beten hörte.