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931. Nacht

„Wenn ich Dir das werde gesagt haben, so wird der
Anführer der Nachtwache wahrscheinlich keinen Argwohn gegen meine Worte hegen,
sondern wird sagen: „Wir können diese Frau nicht auf der Straße lassen,
sondern müssen sie jemandem übergeben, der sie bis morgen früh in Schutz
nimmt. Dann musst Du sagen: Das schicklichste ist, das sie diese Nacht bei der
Familie des Großrichters zubringt, der hier wohnt, und indem Du dieses sagst,
klopfe zugleich an seine Türe an, damit man sie öffnet, und auf diese Art
werde ich die Nacht bei ihm zubringen, ohne dass jemand irgend einen Verdacht
gegen mich hegen könnte und so wird dann mein Zweck erreicht sein.“ –
„Das wird etwas sehr leichtes sein,“ erwiderte ich.

Als nun die dunkle Nacht einbrach, und wir, begleitet von
Soldaten, die entblößten Schwerter trugen, die Runde machten, und schon
überall herumgezogen waren, kamen wir auch an der Straße vorbei, in welcher
die Frau saß. Es war eben Mitternacht. Da wir nun Wohlgerüche spürten, und
das Geklirre von Ohrgehängen1)
hörten, sprach ich zu meinen Gefährten: „Es scheint mir, als sähe ich
dort eine Erscheinung!“ Der Anführer der Schar erwiderte: „Seht doch
nach, wer das sein mag!“ Da trat ich hervor, und ging in die Straße. Nach
einer Weile kam ich zurück und sagte: „Ich habe eine sehr hübsche Frau
gesehen, die mir sagte, sie wohne eigentlich im Schloss. Indessen habe sie der
Abend hier übereilt, und da sie diese Straße gesehen, und die Ordnung darin
wahrgenommen, so habe sie sich entschlossen, den Tag hier zu erwarten, in der
Hoffnung, dass sie hier sicher sein würde, weil die Straße von so vornehmen
Leuten bewohnt sei. Der Anführer sagte hierauf: „Gehe und bringe sie in
Dein Haus.“ – „Behüte Gott,“ antwortete ich. „Mein Haus ist
ja kein Verwahrungsort, und diese Frau hat ja eine Menge Schmuck und
Kostbarkeiten an sich. Der sicherste Ort, wo wir sie unterbringen können, ist
beim Oberrichter, in dessen Straße, sobald es dunkel geworden ist, hinlänglich
Wächter sich aufhalten. Zu diesem will ich sie bis morgen in Verwahrung
bringen.“ Da erwiderte der Anführer: „Tue, was Dir beliebt.“
Hierauf klopfte ich an die Tür des Großrichters, und sogleich trat einer
seiner Sklaven heraus, zu dem ich sagte: „Mein Herr, nehmt diese Frau auf,
und behaltet sie bis morgen bei Euch. Denn der Polizei-Vorsteher Alamuddyn hat
sie hier an der Türe Eures Hauses gefunden, und da sie viele Kostbarkeiten und
Sachen von Wert an sich hat, so haben wir gefürchtet, es möchte ihr ein
Unglück begegnen.“ Der Sklave nahm sie sofort ins Haus auf, und wir gingen
davon.

Die erste Person, die den folgenden Morgen vor der
obersten Polizeibehörde erschien, war der Großrichter. Er nahte sich,
gestützt auf zwei seiner Sklaven, schrie um Hilfe, stieß ein großes
Klagegeschrei aus, und sprach: „O Herr, betrügerische und listige Leute
haben gestern bei mir eine Frau untergebracht, ja, ich kann wohl sagen, sie sind
durch Trug mit diesem Weib in mein Haus eingedrungen. Sie hat sich nämlich in
der Nacht aufgemacht, und hat das Vermögen armer Waisen, welches bei mir
aufbewahrt lag, und aus sechs großen Säcken bestand, gestohlen. Indessen ich
will mit Dir nicht weiter darüber sprechen, sondern ich will die Sache vor den
Sultan bringen.“ Hier nahm der oberste Polizeivorsteher, über diese Anrede
erschrocken, das Wort, ersuchte den Großrichter, sich zu setzen, und tat alles
mögliche, um ihn zu beruhigen. Endlich befragte er darüber die Aufseher,
welche ihm versicherten, dass sie von der Sache nichts wüssten, und alles auf
mich schoben, mit der äußerung, bloß der Aufseher Ma’ayn könne darüber
Aufschluss geben. Da wandte sich der Großrichter an mich und sprach: „Du
hast Dich mit der Frau beredet, und ihr eingegeben, sie sollte vorgeben, als ob
sie ins Schloss gehöre, um sie unter diesem Vorwand in mein Haus bringen zu
können. „Ich hätte vor Bestürzung in die Erde sinken mögen, als ich
dies hören musste. Der Schrecken ließ mich ganz vergessen, wo ich war, und was
ich antworten sollte. Ich verfiel in ein tiefes Nachdenken, und konnte nicht
begreifen, wie eine nichtswürdige Frau mich, den jedermann fürchtete, so zu
hintergehen wagen konnte. „Warum antwortest Du nicht?“, fragte der
Polizei-Vorsteher. „O Herr,“ erwiderte ich, „es herrscht eine
Gewohnheit unter den Menschen, jedem Angeklagten drei Tage Frist zu gestatten.
Diese bitte ich mir nun aus, und wenn bis zu dieser Zeit der schuldige Teil
nicht entdeckt ist, so stehe ich für die verlorene Summe.“ Diesen
Vorschlag fanden sie alle billig, und der Vorsteher versicherte dem
Großrichter, dass er alles anwenden würde, um diese Sache zu seiner
Zufriedenheit zu beendigen. Jener entfernte sich darauf, und fing nun sogleich
an, die genauesten Nachforschungen anzustellen, um diese Frau wieder
aufzufinden. Ich fühle mich zugleich tief gekränkt dadurch, dass ich auf diese
Art unter den Einfluss eines Weibes geraten war, die weder Ansehen noch Ehre
hatte. Den ganzen Tag hatte ich schon angewandt, sogar auch einen Teil der
Nacht, ohne die mindeste Spur zu entdecken, ebenso ging es mir den zweiten Tag.
Am dritten Tag stellte ich mir meine Torheiten vor Augen, wie ich mich darauf
einlassen konnte, eine Frau aufzusuchen, die mich nicht kannte, und die ich
nicht kannte, da sie ja verschleiert gewesen war. Schon wurde es dunkel. Ich
hatte alle mögliche Mühe angewandt, und mein Kummer und Gram war aufs höchste
gestiegen, da ich einsah, dass es wahrscheinlich mein Leben kosten würde, wenn
der Vorsteher den Verdacht des Großrichters teilen sollte. Als bereits die
Nacht anbrach und ich nach Hause gehend an einer engen Straße vorbeiging,
erblickte ich eine Frau am Fenster eines Hauses, dessen Türe nur angelehnt war.
Sie klatschte in die Hände, und winkte mir, hinauf zu kommen. Ich tat es auch,
aber ohne eigentlich zu wissen, warum? Als ich hereintrat, stand sie vor mir
auf, und drückte mich an ihre Brust. Dieses Benehmen setzte mich in Erstaunen,
und ich wusste nicht, welchem Umstand ich diese Freundlichkeit zuzuschreiben
hätte. Da rief sie aus: „Kennst Du mich nicht mehr? Ich bin ja die Frau,
die Du zum Großrichter gebracht hast.“ – „Ach Schwester2),“
rief ich aus, „Dich suche ich schon längst. Du hast etwas begangen, was
nicht leicht jemand zu unternehmen gewagt haben würde, und Du hättest mich
dadurch beinahe in den Tod gestürzt.“ – „Wie?“, erwiderte sie,
„Du, ein Mann, Aufseher über mehrere Polizeibeamten, schämst Dich nicht,
mir so etwas vorzuhalten?“ – „Und wie sollte ich nicht in Kummer
sein,“ erwiderte ich, „da der heutige Tag der letzte von der Frist
ist, die ich mir ausgebeten habe.“ – „Sei ganz unbesorgt,“
unterbrach sie mich. „Die Sache wird herrlich enden, und Du wirst sie
gewinnen.“ Hier stand sie auf, öffnete einen Kasten, und brachte mir sechs
große Säcke, welche alle voll Gold waren. „Dieses habe ich,“ fuhr
sie fort, „aus dem Haus des Großrichters genommen. Du kannst sie ihm
wiedergeben, Du kannst auch alles für Dich behalten, indessen ich werde Dir
auch noch etwas anderes vorschlagen.“


1) Das
arabische Wort bedeutet im allgemeine so viel als: Gehänge, und kann also auch
auf die Bänder um die Füße gedeutet werden, welche mit klingenden Gehängen
versehen sind, oder auch auf den klirrenden Kopfputz, welcher den vornehmeren
Frauen in ägypten eigen ist, und der darin besteht, dass sie ihre langen Haare
in ganz dünne Zöpfchen flechten, an deren jedes sie einen Dukaten hängen,
welches dann beim Gehen ebenfalls ein sehr hörbares Geräusch erregt.