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930. Nacht

„O König,“ fuhr Scheherasade in der folgenden
Nacht fort, „mir sind einige Geschichten von der List der Frauen
eingefallen, die wohl vielen zur Warnung dienen möchten. Allein ich fürchte,
dass, wenn ich sie dem König vortrage, sie mir in seiner Meinung schaden
könnten. Denn es gibt so viele listige und betrügerische Frauen, und das
Unglück, was sie anrichten können, ist so unbeschreiblich groß, dass, wenn
die Männer, die doch gern in ihrer Nähe sich befinden, nicht ganz auf ihrer
Hut sind, und bloß auf die äußere Schönheit sehend, sich um das andere nicht
bekümmern, gewiss ihrer List unterliegen werden. Der vernünftigste meidet es
gewiss ganz, sie anzuhören.“ Da sprach Dinarsade: „Erzähle, liebe
Schwerster, was Du irgend von der List der Frauen weißt, und fürchte nicht,
dass dieses die Achtung des Königs gegen Dich vermindern werde. Die Weiber
gleichen den Edelsteinen. Sie sind von vielerlei Gattungen und Farben. Fällt
ein einziger Edelstein in die Hand eines Kenners, so behält er ihn für sich,
und lässt die anderen liegen. Auch sind immer einige Frauen vorzüglicher, als
die anderen. Erinnere Dich nur an den Töpfer, welcher seinen Ofen mit allerhand
Gefäßen anfüllt, dann das Feuer darunter anzündet, und der dann, wenn alles
gebrannt ist, und er es heraus nimmt, oft sich genötigt sieht, alles zu
zerbrechen, anderes dagegen, das er tadellos findet, an die Leute verkauft, die
es brauchen. Lass Dich also nicht abhalten, die Geschichte von der List der
Weiber zu erzählen, denn alle Menschen können ja davon Nutzen ziehen.“ Da
erzählte Scheherasade folgende Geschichte:

Geschichte des Königs Azzaher Xuknuddyn
Bibars al Bundukdary

Wisse, o König, dass in ägypten in der Stadt Kairo ein
König Namens Azzaher Xuknuddyn Bibars al Bundukdary1)
lebte, berühmt durch seine Tapferkeit, und durch seine Eroberungen. Dieser
liebte außerordentlich die Erzählung der Begebenheiten, die sich zu seiner
Zeit in der Welt zutrugen, auch sah er gern bisweilen mit eigenen Augen, was
vorging. Einmal hörte er von seinem nächtlichen Erzähler, dass es Weiber
gäbe, die tapferer wären, als Männer, und dass manche derselben sogar die
obrigkeitlichen Behörden überlisteten. Da sprach der König Azzaher: „Ich
wünschte wohl, dass mir jemand etwas erzählte, was ihm selbst von der List der
Weiber zugestoßen ist.“ Ihm antwortete sogleich ein anderer von seinen
nächtlichen Erzählern: „Da musst Du den Polizeivorsteher der Stadt rufen
lassen.“ Dieser wurde nun sogleich geholt. Zu jener Zeit bekleidete diese
Stelle Alamuddyn Sangar. Als er vor dem König erschien, tat ihm dieser seinen
Willen kund. Der Vorsteher begab sich sogleich nach Hause, versammelte die
Aufseher und die geringeren Polizeibeamten, und eröffnete ihnen, dass er seinen
Sohn verheiraten, und dabei ein großes Fest veranstalten wolle. „Ich will
aber,“ fügte er hinzu, „dass ihr alle Euch an einem gewissen Ort
versammelt.“ Ich werde mich dann mit meinen Oberbeamten dort einfinden, und
ihr müsst uns da alles erzählen, was Euch von sonderbaren Begebenheiten irgend
bekannt oder wohl Euch selber widerfahren ist.“ Sie versprachen ihm dies,
und nachdem er ihnen deshalb Ort und Tag bestimmt hatte, begab er sich wieder
zum König, den er von allem unterrichtete.

Als der festgesetzte Tag herangekommen war, begab sich der
König an den bestimmten Ort, und zwar in einen Saal, dessen Fenster nach dem
Garten hinaus gingen. Hier erzählten nun nach eingenommener Mahlzeit, während
der Becher im Kreis herum ging, die aufgeforderten Polizeibeamten ihre
Geschichten. Der erste, welcher den Anfang machte, war Ma’aynuddyn, dessen Herz
gar vielfach mit der Liebe der Weiber beschäftigt war. Er erzählte
folgendermaßen seine Geschichte:

„Wisst, dass, als ich in die Dienste unseres jetzigen
Fürsten trat, ich in einem großen Ruf von Strenge stand. Die größten
Bösewichte fürchteten sich vor mir, und wenn ich in der Stadt herum ritt, so
zeigten alle Leute schon von fern auf mich. Als ich nun eines Tages an der
Haustüre des Polizeigebäudes saß, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, und
über mich selbst nachdenkend, so wurde mir etwas auf den Schoß geworfen. Ich
sah nach, und fand, dass es ein zugebundener Beutel war, in welchem sich hundert
Drachmen befanden, ohne dass ich imstande war, den, der ihn geworfen hatte,
auszumitteln. Auch blieben alle meine darüber angestellten Nachforschungen
fruchtlos. Einige Tage später begegnete mir dasselbe, und zwar ohne dass ich in
meinen Untersuchungen glücklicher gewesen wäre. Da nahm ich mir fest vor,
alles anzuwenden, um der Sache auf den Grund zu kommen. Als ich nun eines Tages
wieder an demselben Ort saß, stellte ich mich schlafend, und siehe, eine Hand,
in welcher ein Beutel war, nahte sich mir plötzlich, um ihn in meinen Schoß zu
werfen. Ich ergriff die Hand, und es fand sich, dass ich eine sehr schöne Frau
festhielt. „Herrin,“ sprach ich zu ihr, „wer seid ihr?“ –
„Kommt von hier weg,“ erwiderte sie, „auf dass ich mich Euch zu
erkennen gebe.“ Ich folgte ihr nach, und ging mit ihr, bis wir an die Türe
eines sehr hohen Hauses kamen. Hier wiederholte ich meine Frage, und begehrte
zugleich zu wissen, warum sie mir bis jetzt so viel Gutes erzeigt hätte? Da
sprach sie: „Ach lieber Polizeimeister Ma’ayn, ich bin eine Frau, die das
Unglück hat, von der liebsten Freundin getrennt zu sein, ohne die ich nicht zu
leben vermag. Sie ist nämlich die Tochter des Großrichters. Dieser aber wollte
meinen Umgang mit ihr nicht dulden, und ließ sie nicht mehr von sich, und nun
fühle ich mich so betrübt über diese Trennung.“ Ganz erstaunt über
diese Rede, fragte ich sie: „Was kann ich aber dabei tun?“ –
„Ach, lieber Ma’ayn,“ sagte sie, „ich wollte dir nur über mich
einige Gewalt einräumen.“ – „Aber,“ erwiderte ich, „was
habe ich denn mit der Tochter des Großrichters gemein?“ – „Ich muss
Dir nur die Wahrheit gestehen,“ antwortete sie, „Du sollst gar nicht
mit der Tochter des Großrichters in Berührung kommen. Mein Zweck ist bloß,
meine Wünsche zu erreichen. Dazu kann ich nur durch Deine Hilfe gelangen. Ich
will es nämlich auf folgende Art anfangen: Diese Nacht will ich mit frohem Mut
ausgehen, den kostbarsten Schmuck anlegen, und mich an die Straße setzen, nicht
fern von dem Haus, wo der Großrichter wohnt. Wenn dann die Zeit kommen wird,
dass die Leute schlafen und die Nachtwachen herumziehen, so komm Du mit Deiner
Mannschaft dorthin, wo ihr mich köstlich geschmückt und von Wohlgerüchen
duftend antreffen werdet. Frage mich dann nur, was ich hier mache. Ich werde Dir
dann antworten, dass ich aus der Festung, und die Tochter eines Hauptmanns sei.
Ich sei wegen gewisser Angelegenheiten ausgegangen, die Nacht habe mich
unvermutet übereilt, so dass ich die Tore, und sogar das Tor Soweyla2),
schon geschlossen gefunden, und nicht gewusst hätte, wo ich mich in dieser
Nacht hinwenden sollte. Da hätte ich denn diese Straße, deren Reinlichkeit und
schöne Gebäude mich anlockten, gewählt, um bis an den Morgen hier Zuflucht zu
suchen.“


1) Der
König Bibars al Bundukdary war der vierte König ägyptens von der türkischen
Dynastie. Er trat die Regierung an im Jahr 508 der Hegira (1114 n.Chr.), nachdem
er, wie der Geschichtsschreiber Kermaly berichtet, seinen Vorgänger Almelik
Almukaser umgebracht hatte.