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927. Nacht

Da näherte sich Selim dem vermeintlichen König, küsste
die Erde vor ihm, und erzählte seine Geschichte bis zu der Zeit, wo er mit
seiner Schwester Selma in die Stadt kam. Ferner, wie er in die Hände des Kochs
kam, und die Qualen, die er bei ihm auszustehen hatte, bis er ihn endlich mit
seinem Bruder nach Indien schickte, wo er verkauft wurde. Dann seine Heirat
dort, und wie er König geworden, und wie er nicht glücklich sein konnte, als
bis er seine Schwester wieder gefunden hätte. Wie er nun zum zweiten Mal in die
Hände des Kochs fiel, seine neuen Qualen, die er bei ihm ausgestanden, und
seine Krankheit. nachdem er seine Erzählung geendet hatte, trat seine Frau
hervor, erzählte ebenfalls ihre Geschichte, von dem Augenblick an, wo ihre
Mutter ihm von dem Bruder des Kochs gekauft hatte, bis zu ihrer Ankunft in
dieser Stadt. Als sie nun geendet hatte, trat der Koch auf und sprach: „Was
gibt es doch für schlechte Leute! Diese Frau bringt Lügen gegen mich auf.
Dieser junge Mann da, den ich selber erzogen habe, ist der Sohn einer meiner
Sklavinnen. Er ist mir entflohen, und ich habe ihn wieder eingeholt.“
Nachdem Selma dies alles angehört hatte, sprach sie zum Koch: „Nur die
Gerechtigkeit soll zwischen Euch entscheiden.“ Hierauf ließ sie die
Anwesenden abtreten, und sagte sodann zu ihrem Bruder: „Deine Aussage halte
ich für wahr. Gott sei gelobt, dass er Dich mit Deiner Frau wieder vereinigt
hat. Nimm also Deine Gattin, kehre mit ihr in Dein Land zurück, höre zugleich
auf, wegen Deiner Schwester Selma nachzuforschen, und reise in Frieden.“ Da
erwiderte Selim: „Bei Gott, ich werde nicht ablassen, meine Schwester zu
suchen, so lange ich lebe. Vielleicht, so Gott will, finde ich sie noch.“
Hierbei erinnerte er sich ihrer nochmals sehr zärtlich, und sagte folgende
Verse her:

„O Du, der Du mein Herz tadelst, wenn Du doch
empfunden hättest, was mein Herz empfindet!
Ich beschwöre Dich, der Du mich tadelst, wegen meiner Liebe zu meiner
Schwester, lass ab davon, beklage mich vielmehr, und hilf mir.
Mein Herz hört nie auf, sich zu betrüben, wegen meiner Liebe zu ihr, die ich
nicht verberge.
In meinem Herzen brennt das Feuer der Sehnsucht, stärker noch, als das Feuer
der Hölle! Es droht, mich zu vernichten.

Als seine Schwester Selma dieses hörte, konnte sie sich
nicht mehr beherrschen, sondern sie warf sich in seine Arme, und entdeckte ihm
ihren ganzen Zustand. Er dagegen, als er sie nun ebenfalls erkannte, wurde vor
Freude ohnmächtig. Als er wieder zu sich gekommen war, sagte er: „Gelobt
sei Gott, der Spender der Wohltaten.“ Hierauf klagte einer dem anderen die
Leiden, die er während dieser Trennung ausgestanden hatte. Seine Gattin war
besonders über dieses Ereignis ganz erstaunt. Sie lobt die Ausdauer seiner
Schwester, und ihren Mut, und fügte dann hinzu: „Bei Gott, meine Königin,
alle Freude, die wir jetzt empfinden, haben wir Dir zu verdanken. Gott sei
gepriesen, dass wir Dich kennen gelernt haben.“