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92. Nacht

„Ich nahm den Brief des Königs von Serendyb und
ging, um mich an der Pforte des Beherrschers der Gläubigen zu zeigen, begleitet
von der schönen Sklavin und denjenigen Personen meiner Familie, welche die mir
anvertrauten Geschenke trugen. Ich sagte, was mich herführte, und wurde
sogleich vor den Thron des Kalifen gebracht. Ich warf mich vor ihm nieder, und
nach einer sehr gedrängten Anrede, übergab ich ihm den Brief und die
Geschenke. Als er gelesen hatte, was ihm der König von Serendyb meldete, fragte
er mich, ob dieser Fürst wirklich so reich und mächtig wäre, als er es in
seinem Briefe behauptete. Ich warf mich zum zweiten Mal zur Erde, und nachdem ich
mich wieder erhoben hatte, erwiderte ich: „Beherrscher der Gläubigen, ich
kann Euer Majestät nach eigenem Zeugnis versichern, dass er seine Reichtümer
und seine Größe nicht übertreibt. Nichts ist fähiger, Bewunderung zu
erregen, als die Pracht seines Palastes. Wenn dieser Fürst öffentlich
erscheinen will, so wird ihm auf einem Elefanten ein Thron bereitet, worauf er
sich setzt, und so in der Mitte zweier Reihen einher zieht, die aus seinen
Ministern, seinen Günstlingen und anderen Hofleuten bestehen. Vor ihm, auf
demselben Elefanten, hält ein Beamter eine goldene Lanze in der Hand, und
hinter dem Throne steht ein anderer, der eine goldene Säule trägt, auf deren
Spitze ein Smaragd, ungefähr einen halben Fuß lang und einen Zoll dick,
angebracht ist. Voran zieht eine Wache von tausend Mann, in Goldstoff und Seide
gekleidet und auf reich geschirrten Elefanten reitend. So lange der Zug dauert,
ruft der Beamte, der vor dem König auf dem Elefanten sitzt, von Zeit zu Zeit
mit lauter Stimme:

„Dies ist der große Monarch, der mächtige und
furchtbare Herrscher von Indien, dessen Palast mit hunderttausend Rubinen
bedeckt ist, und welcher zwanzigtausend diamantene Kronen besitzt. Dies ist der
gekrönte Monarch, größer, als jemals der große Sulyman1)
und der große Maha-radjah waren.“

Wenn er diese Worte gerufen hat, ruft nun seinerseits der
Beamte hinter dem Thron:

„Dieser so große und mächtige Monarch muss sterben,
muss sterben, muss sterben!“

Und nun ruft wieder der vordere Beamte:

„Preis und Ehre dem, der da lebt und nicht
stirbt!“

übrigens ist der König von Serendyb so gerecht, dass es
weder in seiner Hauptstadt, noch anderswo in seinen Staaten, Richter gibt: seine
Völker bedürfen keiner. Sie kennen und üben selbst die Gerechtigkeit und
entfernen sich nie von ihrer Pflicht. Also sind Richterstühle und
Gerichtspersonen unnütz bei ihnen.“

Der Kalif war mit meiner Rede sehr zufrieden. „Die
Weisheit dieses Königs,“ sagte er, „geht aus seinem Briefe hervor,
und nachdem, was du mir eben gesagt hast, muss man gestehen, dass seine Weisheit
seiner Völker und seine Völker seiner Weisheit würdig sind.“ Nach diesen
Worten entließ er mich mit einem reichen Geschenk …

Hier hörte Sindbad auf, zu erzählen, und seine Zuhörer
entfernten sich, nachdem Hindbad vorher hundert Zeckinen empfangen hatte. Sie
kamen am folgenden Tage wieder zu Sindbad, der ihnen folgendermaßen seine
siebente und letzte Reise erzählte:

Siebte
und letzte Reise
Sindbads des Seefahrers

„Nach der Rückkehr von meiner sechsten Reise ließ
ich gänzlich den Gedanken fahren, jemals noch eine zu unternehmen. Nachdem ich
nun ein Alter erreicht hatte, welches nichts als Ruhe bedurfte, hatte ich mir
selbst das Wort gegeben, mich nicht mehr den Gefahren auszusetzen, in die ich so
oft geraten war. Ich dachte also nur daran, den überrest meines Lebens
vergnüglich hinzubringen.

Als ich nun eines Tages eine Anzahl Freunde bewirtete, kam
einer meiner Leute, um mir zu sagen, dass ein Beamter des Kalifen mich zu
sprechen verlangte. Ich stand vom Tisch auf und ging ihm entgegen. „Der
Kalif,“ sagte er zu mir, „hat mich beauftragt, euch zu sagen, dass er
euch zu sprechen verlangt.“ Ich folgte dem Beamten in den Palast, und er
führte mich vor den Fürsten, den ich grüßte, indem ich mich zu seinen
Füßen warf. „Sindbad,“ sagte er zu mir, „ich bedarf deiner, du
musst mir einen Dienst leisten und eine Antwort und Geschenke von mir dem König
von Serendyb bringen. Es ist billig, dass ich seine mir erwiesene Höflichkeit
erwidere.“

Der Befehl des Kalifen war ein Donnerschlag für mich.
„Beherrscher der Gläubigen,“ sagte ich zu ihm, „ich bin bereit,
alle Befehle Euer Majestät zu befolgen, aber ich bitte euch demütigst, zu
bedenken, das ich durch die unglaublich erlittenen Mühseligkeiten abgeschreckt
bin. Ich habe sogar das Gelübde getan, Bagdad nie zu verlassen.“ Hierbei
nahm ich Gelegenheit, ihm einen langen Bericht über alle meine Abenteuer
abzustatten, den er geduldig bis zu Ende hörte. Sobald ich aufgehört hatte, zu
erzählen, sagte er: „Das sind in der Tat sehr außerordentliche
Begebenheiten, doch müssen sie dich nicht abhalten, mir zu Liebe die Reise zu
machen, die ich dir vorschlage. Du sollst ja nur nach der Insel Serendyb reisen
und dich meines Auftrages entledigen. Dann steht es bei dir, ohne Weiteres
heimzukehren. Aber reisen musst du, den du fühlst wohl, dass es nicht
schicklich und meiner würdig wäre, in der Schuld des Königs einer Insel zu
bleiben.“ Da ich sah, dass der Kalif so auf seinem Willen bestand, so
erklärte ich mich bereit, ihm zu gehorchen. Er freute sich sehr darüber, und
ließ mir tausend Zeckinen zur Bestreitung der Reisekosten geben.

Ich war in wenigen Tagen zur Abreise bereit, und sobald
mir die Geschenke des Kalifen, nebst einem von seiner Hand geschriebenen Brief
übergeben worden waren, reiste ich ab, und nahm den Weg nach Balsora, wo ich
mich einschiffte. Meine Fahrt war sehr glücklich, und ich langte in Serendyb
an. Ich teilte dort meinen Auftrag den höheren Staatsbeamten mit, und bat sie,
mir ein baldiges Gehör zu verschaffen. Sie taten es. Man führte mich mit
Ehrenbezeigungen in den Palast, und ich begrüßte den König, indem ich mich,
dem Gebrauch gemäß, vor ihm niederwarf.

Dieser Fürst erkannte mich sogleich, und bezeigte mir
eine ganz besondere Freude, mich wieder zu sehen. „Seid willkommen,
Sindbad,“ sagte er zu mir. „ich kann euch zuschwören, dass ich seit
eurer Abreise sehr oft an euch gedacht habe. Ich segne diesen Tag, an dem wir
uns nochmals sehen.“ Ich dankte ihm für seine große Güte, überreichte
ihm den Brief und das Geschenk des Kalifen, und er nahm beides mit Zeichen
großer Zufriedenheit in Empfang.

Der Kalif schickte ihm eine vollständiges, auf tausend
Zeckinen geschätztes Bett von Goldstoff, fünfzig Kleider von sehr reichem
Zeuge, hundert andere von der feinsten Leinwand aus Kairo, Alexandria, Suez und
Kafa2), ein anderes karmesinrotes Bett, und noch ein drittes von anderer Art.
Ein mehr weites als tiefes Gefäß von Achat, einen Finger dick und mit einer,
einen halben Fuß weiten öffnung, dessen Grund in erhabener Arbeit einen
knienden, Pfeil und Bogen in der Hand haltenden Mann darstellte, im Begriff auf
einen Löwen zu schießen, und endlich eine große Tafel, die, der Sage nach,
vom großen Salomo herstammen sollte. Der Brief des Kalifen war in folgenden
Ausdrücken abgefasst:

Gruß im Namen des unumschränkten Führers auf dem
rechten Wege, dem mächtigen und glücklichen Sultan von Seiten des Abdallah Harun
Arreschyd, der Gott nach Seiner Vorfahren glücklichen Andenkens auf den
Ehrenplatz gesetzt hat.

„Wir haben Euren Brief mit Freuden empfangen und
schicken Euch diesen, aus der Ratsversammlung unserer Pforte, dem Garten
höherer Geister hervorgegangenen. Wir verhoffen, dass, wenn Ihr die Augen
darauf werft, Ihr unsere gute Willensmeinung genehm halten werdet. Lebt
wohl!“

Der König von Serendyb freute sich sehr, dass der Kalif
die ihm bewiesene Freundschaft erwiderte. Einige Zeit nachdem mir gegönnten
Gehör bat ich um noch eins, um mich beurlauben zu können. Ich erhielt es
endlich, und der König machte mir, indem er mich entließ, ein sehr bedeutendes
Geschenk. Ich schiffte mich sogleich wieder ein, mit dem Vorsatz, nach Bagdads
zurückzukehren. Aber ich war nicht so glücklich, so wie ich hoffte, dorthin zu
gelangen, und Gott verhängte es anders.

Drei oder vier Tage nach unserer Abfahrt wurden wir von
Seeräubern angefallen, die um so weniger Mühe hatten, sich unseres Schiffes zu
bemächtigen, da wir uns keineswegs im Verteidigungszustand befanden. Einige von
der Mannschaft wollten Widerstand leisten, aber es kostete ihnen das Leben. Was
mich und alle die übrigen betraf, die wir die Klugheit hatten, uns den
Seeräubern nicht zu widersetzten, so wurden wir zu Sklaven gemacht.


1)
Sulyman ist Salomon. Und M