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897. Nacht

So niedlich indessen die Geschichte ist, so steht sie doch
in keinem Vergleich mit der Geschichte des Kaufmanns, der alten Frau und des
Königs.

Geschichte von dem Kaufmann, der alten
Frau und dem König 1)

In der Stadt Chorassan waren mehrere Familien, die mit
Glücksgütern überhäuft waren, und sich die höchsten ämter in der Regierung
zugeeignet hatten. Jedoch ihre Gunst nahte sich ihrem Ende, denn alle Leute
hassten sie, und sie wanderten alle aus, bis auf eine alte Frau, die, so
gebrechlich sie auch war, von niemandem unterstützt, aus der Stadt getrieben
wurde. Man hatte ein so großes Vorurteil gegen sie, dass man allgemein sagte:
„Was soll diese Frau bei uns? Sie ist ja nur Unheil bringend für jeden, der
ihr wohl tut, denn sie belohnt ihn mit bösem.“ – Man brachte sie also
außer der Stadt in ein verfallenes Gebäude an der Landstraße, wo ihr die
vorüber reisenden Fremden Almosen gaben.

Als sie einige Zeit sich dort aufgehalten hatte, begab es
sich, dass er König von seinem Neffen angefeindet wurde. Sein Volk liebte ihn
nicht, dennoch lag es in dem Ratschluss Gottes, dass der König die Oberhand
behielt. Indessen in seinem Herzen bleib Groll gegen den Neffen. Er
benachrichtigte seinen Wesir von allem, was vorgefallen, und dass die größte
Geldnot im Schatz herrsche. Zugleich ließ er einen begüterten Mann nach dem
anderen zu sich rufen, ihn nach seiner Religion und nach seinen
Vermögensumständen befragen, und wenn er nicht gründliche Antwort darüber
gab, ließ er ihm alles, was er hatte, nehmen.

Einstmals kam auch ein sehr reicher reisender Kaufmann an.
Er wusste von allen diesen Bedrückungen nichts, und kehrte, da es Abend war, in
dem zerstörten Gemäuer ein, wo sich die Alte aufhielt, und gab ihr etwas Geld.
Hierauf erhub sie ihre Stimme, um für sein Wohl zu beten, und da der Kaufmann
von ferne Leute bemerkt hatte, die ihm nachkamen, und die er für Räuber hielt,
so entschloss er sich, bei der Alten zu übernachten. Sie gewährte ihm sehr
freundschaftlich seine Bitte, und während ihrer Unterhaltung benachrichtigte
sie ihn auch zugleich von den Fragen, die der Minister jedem Fremden vorlegte.
„Doch sei unbesorgt,“ fügte sie hinzu: „Nimm mich nur mit Dir in
die Stadt, und fragte mich um Rat. Ich werde Dir seine Fragen auslegen
helfen.“

Als nun der Kaufmann den anderen Morgen in die Stadt
reiste, nahm er sie mit, und verbarg sie in seinem Haus. Gleich darauf wurde der
Wesir von der Ankunft des Fremden benachrichtigt und alsbald ließ er ihn auch
vor sich fordern. Er unterhielt sich mit ihm aufs freundschaftlichste von seinen
Reisen, und schloss mit den Worten: „Ich will Dir doch einige Fragen
vorlegen, wenn Du sie mir beantwortest, so wird es gut für Dich sein. Wie viel
wiegt der Elefant?“, fragte ihn hierauf der Wesir. Hier verstummte der
Kaufmann, und glaubte schon seines Untergangs gewiss zu sein. Doch ermahnte er
sich, und bat um drei Tage Aufschub. Dieser wurde ihm denn auch vergönnt. Als
er nun nach Hause kam, erzählte er der Frau, was vorgefallen war. Diese sagte
zu ihm: „Gehe Du nur morgen zum Wesir. Um das zu erfahren, musst Du ein
Schiff haben, es ins Meer setzen, und darin den Elefanten tun. Das Schiff wird
sinken, und dann musst Du die Stelle am Schiff bezeichnen, bis wohin das Wasser
gestiegen ist. Dann schaffe den Elefanten heraus, und wirf so viel Steine in das
Schiff, und fahre so lange damit fort, bis es eben so weit hinabsinkt, und das
Wasser wieder bis an denselben Fleck zu stehen kommt. Hierauf nimm die Steine
heraus, wiege sie, und daraus wird sich das Gewicht des Elefanten ergeben.“

Als er am anderen Morgen dem Wesir diese Antwort brachte,
erstaunte dieser, und warf ihm folgende Frage auf: „Was sagst Du zu einem
Mann, der in seinem Zimmer vier öffnungen sieht, und aus deren jeder eine
Schlange sich auf ihn zu stürzen im Begriff ist. In demselben befinden sich
vier Stangen, und jede öffnung kann nur mit dem Ende zweier dieser Stangen
verstopft werden. Wie wirst Du es machen, diese vier öffnungen auf einmal zu
verstopfen, und Dich vor den Schlangen zu sichern?“ Da bat der Kaufmann
sich wieder Aufschub aus, der ihm auch bewilligt wurde. Seine alte Freundin,
welche ihn bestürzt herein treten sah, ließ sich sogleich alles erzählen.
„Sei unbesorgt,“ sagte sie hierauf zu ihm: „Geh Du morgen nur zum
Wesir, und sage: Folgendes ist die Antwort auf Deine Frage. Du nimmst nämlich
die zwei Enden zweier Stangen, und verstopfst damit ein Loch, da diese zwei
Stangen aber noch zwei andere Enden haben, so verstopfe Du mit diesen letzteren
das sich gegenüber befindliche Loch. Dann nimmst du die zwei anderen Stangen,
legst sie quer über die schon befestigten, und steckst die vier Enden in die
zwei einander gegenüberstehenden öffnungen.“

Da wunderte sich der Wesir, dass er seine Frage so gut
beantwortet hatte, und sprach: „Gehe in Frieden. Dich werde ich nicht mehr
fragen, wenn alle Deine Kenntnis hätten, so würde ich bald um meine Stelle
kommen.“ Der Wesir unterhielt sich hierauf noch eine Weile mit ihm, und
erfuhr, dass die alte Frau ihm diesen Rat gegeben hätte. Worauf der Wesir
äußerte, dass der vernünftigste Mann doch immer eines vernünftigen Freundes
nötig habe. Das sehe man hier recht deutlich, da jene alte gebrechliche Frau
diesem Mann das Leben und sein Vermögen auf das leichteste gerettet habe.

Doch diese Geschichte ist nichts im Vergleich mit dem
Thoren, der sich in alles gemengt hat, was ihn nichts anging.


1) Achte
Nacht des Wesirs.