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896. Nacht

Doch ist, sagte der Wesir Rachuan, diese Erzählung noch
lange nicht so schön, wie die Geschichte des Gerbers und seiner Frau.

Geschichte
des Gerbers und seiner Frau
1)

In einer großen Stadt lebte eine sehr schöne Frau,
welche einen Offizier zum Geliebten hatte. Ihr Mann, welcher ein Gräber war,
ging seiner Geschäfte wegen oft aus, und während seiner Abwesenheit kam der
Offizier, und unterhielt sich mit seiner Frau, bis zu des Gräbers Rückkehr.
Dies Verhältnis hatte bereits eine Zeitlang gedauert, als der Offizier der Gerberfrau
sagte, dass er ein Haus neben dem ihrigen kaufen wolle, woselbst er einen
unterirdischen Gang von einem Haus zum anderen anlegen wollte. „Du aber
musst zu Deinem Mann sagen,“ fügte er hinzu, „dass Deine Schwester
mit ihrem Mann, welche so lange abwesend waren, dieser Tage zurückgekommen
seine, und dass Du sie in der Nachbarschaft eingemietet habest, um sie alle
Augenblicke sehen zu können. Die ähnlichkeit meiner Schwester mit mir,“
füge dann hinzu, „ist außerordentlich, und biete ihm Deine Waren an. Da
wirst Du sie sehen und Dich überzeugen, dass sie und ich eins sind. Ich bitte
Dich, tue mir den Gefallen, und gehe herum, da wirst du ja sehen, wie Dir es
gefallen wird.“

Als der Offizier nun seinen verborgenen Gang vollendet
hatte, und der Gerber von seiner Reise zurückgekommen war, nötigte ihn seine
Frau, hinzugehen, weil ihre Schwester ihm etwas zu sagen hätte. Da ging denn
der Gerber, ohne von der ganzen Geschichte etwas zu wissen, zu seinem neuen
Nachbar, dem Offizier, dem Liebhaber seiner Frau, welche ihm in demselben
Augenblick durch den angebrachten unterirdischen Gang in das Haus des Offiziers
voraneilte, und sich neben ihn setzte. Der Gerber grüßte beim Eintritt den
Offizier und seine Frau, und erstaunte nicht wenig über diese außerordentliche
ähnlichkeit. Er traute seinen Augen nicht, sondern eilte, ohne ein Wort zu
sagen, in sein Haus zurück. Seine Frau war indessen durch den geheimen Gang
bereits vor ihm in ihrer Wohnung angelangt, hatte sich schnell in ihren
Hausanzug geworfen, und zu einer weiblichen Arbeit hingesetzt.

„Habe ich Dir nicht gesagt,“ rief sie ihrem Mann
zu, als er herein trat, „dass Du zu meiner Schwester hingehen sollst, um sie
mit ihrem Mann zu bewillkommnen, und uns in ihre Freundschaft zu
empfehlen?“ – „Das habe ich auch getan,“ antwortete der Gerber,
„allein ich traute meinen Augen nicht, als ich seine Frau sah.“ –
„Nicht wahr,“ unterbrach sie ihn, „habe ich Dir nicht gesagt,
dass wir uns sehr ähnlich sehen, und dass man uns nur durch die Kleidung
unterscheiden kann? Gehe aber nur wieder hin, und vollende Dein Vorhaben.“

Der schwerfällige Gerber glaubte ihr, und kehrte wieder
um. Sie aber eilte ihm voran. Als er sie nun so neben dem Offizier sitzen sah,
blickte er sie an, blieb eine Weile stehen, grüßte sie, und sie erwiderte
seinen Gruß. Doch als er sie erst sprechen hörte, wurde er ganz stutzig. Der
Offizier sagte hierauf zu ihm: „Was fehlt Dir denn, dass Du so verdutzt
bist?“ Da antwortete der dumme Gerber: „Die Frau, die dort sitzt, ist
mein Weib.“ Und ohne ein Wort hinzu zu fügen, rannte er in sein Haus, wo
er seine Frau an ihrer Beschäftigung sitzen fand. Er kehrte also wieder zum
Offizier zurück, wo er sie wieder neben demselben antraf.

Nun aber schämte er sich vor ihnen, er setzte sich daher
nieder, und aß und trank mit dem Offizier, welcher ihm indessen so zusetzte,
dass er ihn berauscht machte. Der Gerber verfiel hierauf in den tiefsten Schlaf,
während welchem ihm der Offizier seine Haare nach türkischer Art abschor, ihm
eine Kappe aufsetzte, ihm einen Säbel umhing, und ihn mit einem Gurt
umgürtete, an dem ein Beutel befestigt war. Auch einen Bogen nebst Pfeilen hing
er ihm noch an, und steckte in seinen Beutel ein Schreiben an den Statthalter
von Ispahan, welches den Auftrag enthielt, einem gewissen Rustam Khumar
monatlich hundert Drachmen auszuzahlen, ihm zehn Pfund Brot und fünf Pfund
Fleisch zu liefern, und ihn unter seine türkische Dienerschaft aufzunehmen.
Hierauf steckte er ihm noch ein paar Drachmen in die Tasche, und trug ihn in
eine sehr entfernte Gegend.

Der Gerber schlief nun fort, bis am anderen Morgen die
Sonne aufstieg. Als er da erwachte, traute er seinen Sinnen nicht, und
überredete sich selbst, er sei ein Türke. Bald ging er vorwärts, bald
rückwärts, bis er den Entschluss fasste, nach Hause zu gehen. „Wenn mich
meine Frau kennt,“ dachte er, „so bin ich Achmed der Gerber, kennt sie
mich nicht, so bin ich Rustam Khumar der Türke.“

Er tat es auch wirklich, doch als ihn seine listige Frau
erblickte, schrie sie ihn an: „Wohin willst Du, Du Türke? Willst Du in das
Haus Achmed des Gerbers eindringen? Er ist ein bekannter Mann, und hat einen
Schwager, der Offizier ist, welchen der Sultan sehr achtet. Wenn Du Dich nicht
sogleich fort begibst, so rufe ich meinen Mann, dass er Dich behandle, wie es
sich gebührt.“ Als er diese Worte hörte, glaubte er wirklich, er wäre
ein Türke, zumal da der Wein noch in ihm wirkte. Er begab sich also hinweg, und
da er von ungefähr die Hand in die Tasche steckte, bemerkte er den Brief.
Diesen ließ er sich von jemandem vorlesen, worauf er den festen Entschluss
fasste, sich seinen Zunftgenossen, den Gerbern, zu zeigen. „Erkennen mich
diese nicht, so bin ich wirklich ein Türke.“

Als diese ihn nun von weiten kommen sahen, glaubten sie,
er wäre einer von jenen Türken, welche ihnen Arbeit geben, ohne sie dafür zu
bezahlen. Sie hatten schon früher deshalb beim Sultan Klage geführt, welcher
ihnen Vollmacht gegeben hatte, sie zu schlagen, oder mit Steinen nach ihnen zu
werfen. Als sie ihn also sahen, bewillkommnten sie ihn mit Knüppeln, und warfen
mit Steinen nach ihm. Bei diesem Empfang rief er aus: „Nun wohl, ich bin
ein Türke ohne es zu wissen,“ und, indem er sich des Geldes bediente, das
er bei sich fand, mietete er ein Lasttier, reiste nach Ispahan, und überließ
seine Frau dem Offizier.


1)
Siebte Nacht des Wesirs.