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885. Nacht

Geschichte des Königs Schach Bacht und
seines Wesirs Arrachuan

Vor alten Zeiten lebte, wie erzählt wird, ein großer
König, mit Namen Schach Bacht, der seinem Wesir Arrachuan, einem mit Weisheit,
Einsicht und Gottesfurcht begaben Mann, alle Angelegenheiten seines Reiches und
seiner Untertanen übertragen hatte. Lange Zeit hatte er bereits die Geschäfte
geleitet, ohne dass der König auch nur ein einziges Mal anderer Meinung gewesen
wäre, als die Feinde des Wesirs, die sehr zahlreich waren, voll Neid über das
hohe Ansehen, das er beim König genoss, und unermüdet, obwohl vergeblich, ihm
nachspürend, um ihn irgend einer Ungerechtigkeit zu zeihen, mit Begierde
folgende Gelegenheit ihn zu stürzen ergriffen.

Er war nämlich in den Ratschlüssen des allmächtigen
Gottes beschlossen, dass der König im Traum seinen Wesir sehen sollte, wie er
ihm eine Frucht reichte, die er genoss, woran er starb. Der König erwachte
erschrocken, und als der Wesir vor ihm erschienen war, und der König nach
seinem Weggang sich mit seinen übrigen Vertrauten allein befand, erzählte er
diesen seine Geschichte. Sie reiten ihm, Wahrsager und Traumdeuter kommen zu
lassen, und wiesen ihm vorzüglich einen Mann an, der sie wegen seiner Weisheit
außerordentlich lobten. Der König ließ diesen kommen, und erwies ihm die
Ehre, ihm Zutritt zu seiner Person zu gestatten. Doch es waren bereits heimlich
die Feinde des Wesirs zu diesem Mann gegangen und hatten ihn gebeten, dem Wesir
den Todesstreich zu versetzen, dadurch, dass er dem König riete, ihn zu töten,
wofür sie ihm vieles Geld versprachen. Der Mann hatte ihnen dieses auch
zugesagt, und meldete daher dem König, dass der Wesir ihn binnen einem Monat
töten würde, und wenn er selbst nicht eilte, ihn umbringen zu lassen, so
würde der König als Opfer fallen. Kurz darauf trat der Wesir in das Gemach des
Königs. Dieser befahl ihm, die Anwesenden zu entfernen. Als sie sich auf das
gegebene Zeichen zurückgezogen hatten, fragte ihn der König, was er zu seinem
Traum, den er ihn zugleich erzählte, wohl meinte, und fügte hinzu, dass der
Traumdeuter ihm demselben schon erklärt, und versichert hätte, dass, wenn er
den Wesir nicht binnen einem Monat hinrichten ließe, er von ihm gewiss getötet
werden würde. „Ich bin, setzte er hinzu, „voll Verzweiflung darüber,
dass ich einen Mann, wie Du bist, töten lassen soll, und doch fürchte ich
mich, Dich am Leben zu lassen. Was rätst Du mir an?“ Hier neigte der Wesir
sein Haupt, und nach einer kurzen Frist sagte er: „Gott beglücke den
König! Was liegt an dem Leben eines Mannes, der welchem der König sich
fürchten zu müssen glaubt? Beschleunige also meinen Tod.“ Als der König
dieses hörte, nahm er zwar seine Rede gut auf, äußerte aber, dass es ihn sehr
schmerze, diesen Schritt dennoch tun zu müssen, indem seine Räte die Wahrheit
der Traumdeutung eidlich versichert hätten. Bei dieser Antwort seufzte der
Wesir, und sah wohl, dass sich der König wirklich vor ihm fürchtete. Er
stellte sich aber dennoch entschlossen. „Ich bin der Meinung,“ sagte
er, „dass der König sein Vorhaben ausführe, denn dem Tod kann niemand
entgehen, und es ist mir lieber, aus Ungerechtigkeit getötet zu werden, denn
als ein Ungerechter zu sterben. Wenn indessen der König doch meinen Tod bis auf
morgen verschieben wollte, und mir gestattete, für jetzt nach Hause zu gehen,
so würde ich mich noch heute bei Zeiten bei Dir wieder einfinden. Morgen kannst
Du dann tun, was Dir beliebt.“ Der Wesir brach hierauf in bittere Tränen
aus, die sein graues Barthaar benetzten. Dieses schmerzte den König, und er gab
ihm die verlangte Frist. Als der König allein war, und der Abend bereits
begann, ließ er den Wesir rufen, der sogleich erschien und sich ihm zu Füßen
warf. Er bat ihn zugleich um die Erlaubnis, die Geschichte des Mannes aus
Chorassan, seines Sohnes und dessen Lehrers zu erzählen. Scheherasade fuhr am
folgenden Abend folgendermaßen fort:

Der König bewilligte es, und der Wesir sprach:
1)


1) Erste
Nacht des Wesirs.