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880. Nacht

Hier wurden sie durch ein Geräusch unterbrochen, indem
Wachs el-Fellath mit Sudun erschien, um den König zu begrüßen. Dieser hieß
sie sich setzen, aber Sudun blieb stehen. Der König nötigte ihn von neuem
worauf dieser antwortete: „Du Schwächling, Dir war wohl die Welt zu eng,
dass Du mein Haupt als Mitgabe für Deine Tochter verlangst?“ – „Setze
Dich nur,“ sprach jener, „ich weiß, dass Du jetzt zornig bist.“
– „Wie kann ich mich setzen, da Du meinen Tod befohlen hast.“ –
„Behüte Gott,“ sprach der König, „dass ich so ungerecht handeln
sollte. Das hat Sikar Dium getan.“ – „Wie,“ sprach dieser,
„in meiner Gegenwart beschuldigst Du mich einer solchen Tat?“ –
„Hast Du nicht diese Bedingung festgesetzt und ihn abgesandt?“ Hierauf
wandte sich Sikar Dium zu Sudun und sprach: „Setze Dich, tapferer Ritter,
das haben wir nur aus Liebe zu Dir getan, damit dadurch eine Verbindung mit Dir
zu Stande käme, und Du Dich zu uns gesellen mögest.“ – Sudun verbarg nach
dieser Antwort seinen Groll und setzte sich. Nun wurden Speisen aufgetragen, und
nach beendigtem Mahl begaben sich Wachs el-Fellath und Sudun in die Zelte
zurück. Auf diese Art verstrichen mehrere Tage, bis einst Sudun zu Wachs
el-Fellath sagte: „Herr, es ist schon geraume Zeit her, dass Du Schame zur
Frau begehrt, nachdem Du sie mit der Schärfe Deines Schwertes befreit hattest.
Die Bedingung, die sie Dir machten, hast Du längst erfüllt, indem Du ihnen
mein Haupt darreichtest. Bis jetzt hast Du nichts weiter erreicht. Halte noch
einmal um sie an, und erhältst Du sie nicht, so will ich mit meinem Schwert
dreinschlagen, wir wollen Schame rauben, und dann die Stadt verwüsten.“ –
„Morgen will ich sie nochmals zur Frau begehren,“ versicherte der
Andere. Als er sich den anderen Tag in den Saal begab, fand er dort den König
und alle Großen seines Hofes versammelt. Bei seinem Anblick erhoben sich alle
von ihren Sitzen. Als sie sich wieder gesetzt hatten, blieb er allein stehen. –
„Warum setzt Du Dich nicht,“ sprach der König, „alle Deine
Wünsche sind ja nun erfüllt.“ – „Ich habe noch um Schame zu
bitten,“ entgegnete er. – „Du weißt ja,“ erwiderte der König,
„dass ich seit ihrer Geburt alles, was sie betrifft, den Anordnungen Sikar
Diums unterworfen habe.“ – Nun wandte er sich an diesen. Ganz zuvorkommend
sagte dieser ihm: „Sie ist Dein, Du hast die Bedingung erfüllt, nun
brauchst Du nur noch die Geschmeide zu geben.“ – „Und worin sollen sie
bestehen?“, fragte er. „Wir wünschen,“ erwiderte dieser
Treulose, „statt des Geschmeides, ein Buch zu erhalten, welches die
Geschichte des Nils umfasst. Bringst Du uns dieses, so ist sie ganz Dein, wo
nicht, so ist an keine Ehe zu denken.“ – „Wo ist dies zu finden?“
– „Das kann ich Euch selbst nicht sagen.“ – „Wohl,“
erwiderte Wachs el-Fellath, „bringe ich Euch das Buch nicht, so soll Schame
für mich verloren sein. Dafür sind alle Anwesenden Zeugen.“ – Mit diesen
Worten ging er hinaus, bahnte sich einen Weg durch die gedrängte Versammlung,
und Sudun hinter ihm, bis sie an ihre Zelte kamen. – „Warum hast Du das
versprochen?“, sagte Sudun, „lassen wir lieber unsere Schwerter über
ihnen walten, und Schame ihnen entreißen.“ – „Nein,“ erwiderte
Wachs el-Fellath, nur auf ehrenvolle Art will ich sie besitzen.“ –
„Und doch weißt Du nicht einmal den Weg, um zu dem Buch zu gelangen,“
entgegnete Sudun, „höre lieber auf meinen Rat, nimm Deinen Rückzug in
meine Festung, und lass mich in ihrer Gewalt.“ – „Nie werde ich das
tun,“ sagte Wachs el-Fellath, „und sollte ich den Tod deshalb
erleiden.“ Nach solchen und ähnlichen Gesprächen wurde das Abendessen
gebracht, und jeder begab sich dann in sein Schlafgemach. Kaum war Wachs
el-Fellath eingetreten, als Schame sich einfand. – „Was hast Du
getan,“ sprach sie, „welche Verpflichtung bist Du eingegangen! Wie
kannst Du diese Bedingung erfüllen? Siehst Du nicht ein, dass ihr einziger
Zweck ist, Dich zu vernichten, oder wenigstens zu entfernen. Ich bin gekommen,
Dich davon zu benachrichtigen. Nochmals sage ich Dir, nimm mich mit Dir zu der
Festung Suduns, dort wollen wir in Ruhe leben. Tue ja nicht, was sie Dir
sagen.“ – „Ich will es aber tun,“ entgegnete er, „nicht wie
ein Weichling will ich Dich besitzen, und sollte ich mit Schwertern zerschnitten
werden.“ – Zornig verließ ihn Schame bei diesen Worten, er aber begab sich
zur Ruhe, doch der Schlaf wollte sich nicht einfinden. Da stand er auf, ging zu
seinem Ross, sattelte und bestieg es, und ritt davon, ohne zu wissen, wohin,
sich ganz dem Willen Gottes überlassend. Mehrere Tage irrte er so herum, bis er
an einen einsam stehenden Turm gelangte, an dessen Pforte er klopfte, worauf
eine Stimme sprach: „Sei willkommen, Du, der Du Dich von den Deinen
getrennt hast, sei ohne Furcht, tritt ein, Du tapferer Seif Ibn Sul Jesn.“
Als er an die Türe stieß, öffnete sie sich, und es stellte sich seinen Augen
ein edler, ehrwürdiger Greis dar, bei dessen Anblick man gleich merkte, dass er
des strengsten Lebens und der Gottesfurcht sich befleißigte. „Sei
willkommen,“ rief er ihm nochmals zu, „wärst Du gen Osten oder gen
Westen gezogen, Du hättest niemanden gefunden, der Dir die Mittel, um das Buch,
welches Du suchst, zu erlangen, so gut anzeigen könnte, wie ich. Denn ich bin
hier und erwarte seit sechzig Jahren Deine Ankunft.“ – „Das ist,“
sagte Wachs el-Fellath bei sich selbst, „ehe ich noch geboren wurde.“
Sodann fragte er ihn laut: „Was war das für ein Name, womit Du mich
anredetest?“ – „O Seif,“ antwortete jener, „das ist Dein
wahrer Name, denn Seif (Schwert) bist Du für die Abessinier, doch wen betest Du
an!“ – „Herr,“ war die Antwort, „die Abessinier beten den
Saturn (Suchal) an, ich aber bin befangen, und weiß nicht, was ich anbeten
soll.“ – „Mein Sohn,“ sprach der Greis, „bete den an, der
Himmel ohne Säulen über uns erhoben, der die Erde auf Wasser gebettet hat, den
einzigen ewigen Gott, den Herrn, dem nur allein gehuldigt werden muss. Ich bete
ihn an, und neben ihn stelle ich nichts, denn ich folge der Religion
Ibrahims.“ – „Wie heißt Du?“, fragte ihn hierauf Wachs
el-Fellath. – „Ich heiße Scheich Gyath.“ – „Was für ein
Bekenntnis muss ich aber ablegen,“ fragte er den Greis, „um Deiner
Religion anzugehören?“ – „Sprich, es ist kein Gott außer Gott, und
Ibrahim ist der Freund Gottes. Mit diesem Bekenntnis gehörst Du zu den
Gläubigen.“ Dieses legte er ab und Scheich Gyath hatte darüber große
Freude. Die Nacht wandte er dazu an, ihm die Geschichte Ibrahims und seiner
Religion und den Gottesdienst zu lehren. Gegen Morgen sagte er: „Mein Sohn,
solltest Du in den Krieg gehen, so sprich: Gott ist groß, verleihe den Sieg, o
Gott, vernichte die Ungläubigen, und die Hilfe wird nahe sein. Begib Dich nun
auf den Weg, lass Dein Ross bei mir, bis Du wiederkommst. Gehe dann unter Gottes
Schutz in das vor Dir gelegene Tal, und nach drei Tagen wirst Du jemanden
antreffen, der Dir behilflich sein wird.“