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877. Nacht

Dieser Sudun aber hatte seine Festung auf dem Gipfel eines
hohen Berges gebaut. Sie war sehr fest und er behauptete sie mit der Schärfe
seines Schwertes. Sie war sein steter Aufenthaltsort, von wo aus er die Wege
unsicher machte, und Räubereien beging. Endlich gelangte die Kunde von ihm zu
Seif Arr-ad, und er schickte gegen ihn dreitausend Mann. Aber er zerstreute und
vernichtete sie. Hierauf schickte er eine größere Anzahl wider ihn, die
dasselbe Schicksal hatten. Er rüstete ein drittes Heer gegen ihn aus. Da
befestigte sich Sudun von neuem und erhöhte die Wälle seiner Festung
dergestalt, dass sie beinahe für Adler unzugänglich wurden. Doch wir kehren zu
Schame zurück. Sie begab sich zu Wachs el-Fellath und machte ihm Vorwürfe
wegen der Bedingungen, die er eingegangen war. „Besser wär’s, Du machst
Dich auf, nimmst mich mit Dir und wir begeben uns in den Schutz irgend eines
mächtigen Königs.“ – „Behüte Gott,“ erwiderte er, „dass
ich Dich auf eine so ehrlose Art mitnähme.“ – Da er sich ferner standhaft
weigerte, dies zu tun, wurde sie zornig und verließ ihn. Wachs el-Fellath
wollte sich zur Ruhe begeben, aber er konnte nicht schlafen. Da machte er sich
auf, bestieg sein Ross und ritt mitten in der Nacht von dannen, bis dass er am
Morgen einen Reiter begegnete, der sich ihm in den Weg stellte. Dieser war so
gepanzert und geharnischt, dass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Als Wachs
el-Fellath ihn erblickte, rief er ihm zu: „Wer bist Du und wohin willst
Du?“ Dieser aber, statt ihm zu antworten, drang auf ihn ein und wollte ihm
eben einen Schlag beibringen, welchem aber Wachs el-Fellath glücklich auswich.
Es entspann sich nunmehr zwischen beiden ein Kampf, der bis gegen Abend dauerte.
Endlich wurde Verschiedenheit der Kräfte bei ihnen bemerkbar, und Wachs
el-Fellath brachte seinem Gegner einen solchen Stoß mit seinem Wurfspieß bei,
dass das Ross desselben auf die Erde stürzte. Da stieg er ab und wollte ihn
töten, als ihm der Ritter zurief: „Tue das nicht, Du Tapferer, denn wenn
Du mich tötest, wirst Du es bereuen und dann kann Dir die Reue nichts mehr
nützen.“ – „So sage mir, wer Du bist,“ erwiderte Wachs
el-Fellath. – „Ich bin Schame, die Tochter des Königs Asrach,“
erwiderte der Ritter. „Und warum hast Du das getan?“, fragte er sie. –
„Ich wollte Dich erproben, ob Du gegen die Leute Suduns aushalten würdest.
Jetzt habe ich Dich geprüft und tapfer befunden, und fürchte nun nichts mehr
für Dich. Nimm mich also mit Dir, o Held.“ – „Behüte Gott, dass ich
das tue,“ versetzte dieser, „was würde Sikar Dium und die anderen
sagen? Sie würden sprechen, wenn Schame nicht mit ihm gewesen wäre, so würde
er nichts über Sudun vermocht haben.“ – Da erhob sie die Augen gen Himmel
und sprach: „O Gott, las ihn in eine Gefahr fallen, und lass mich allein
ihn daraus erretten!“ Hierauf setzte Wachs el-Fellath seine Reise weiter
fort, ohne ihrer Rede Gehör zu geben. Am dritten Tag war er an das Tal gelangt,
worin die Festung Suduns lag. Nun fing er an sich hinter den Bäumen
durchzuschleichen, bis er gegen Abend an der Festung selbst ankam, die er mit
einem Graben umgeben, und deren Tore er verschlossen fand. Noch ungewiss, was er
beginnen sollte, wurde er durch Geräusch überrascht. Es war eine Karawane, die
heranzog. Um sie zu beobachten, verbarg er sich im Graben der Festung. Da
bemerkte er, dass eine starke Mannschaft sie antrieb, und die Kaufleute auf den
Maultieren festgebunden waren. Als sie beim Schloss ankamen, klopften sie ans
Tor. Die Mannschaft trat ein und er mischte sich unter sie. Die Waren wurden
abgeladen und die Gefangenen gefesselt. Wachs el-Fellath wurde glücklicherweise
nicht bemerkt. Als die Bewaffneten ihre Arbeit vollendet hatten, stiegen sie das
Schloss hinan, er aber blieb unten. Nach einiger Zeit wollte er nachfolgen.
Indessen als er die erste Stufe betrat, senkte sie sich unter ihm, und ein Dolch
drang ihm entgegen, der ihn in die Weichen traf. Da füllten sich seine Augen
mit Tränen und schon hielt er seinen Untergang für gewiss, als ihm vom Eingang
des Schlosses her eine Gestalt entgegen trat, die ihn befreite. Indem er sie
näher betrachtete, erkannte er in ihr Schame. Voll Staunen rief er ihr zu:
„Gott hat Dein Gebet erhört! Wie bist Du hierher gekommen?“ –
„Ich bin Deiner Spur gefolgt,“ erwiderte sie, „bis Du in das
Schloss tratest, dann folgte ich Deinem Beispiel, und mischte mich ebenfalls
unter die Mannschaft. Siehe, nun habe ich Dich gerettet, obgleich Du mich
abgehalten hast, mit Dir zu gehen. Doch wenn Du nun weiter fortschreitest, so
unterlasse nicht, Stufe für Stufe mit der Spitze Deines Schwertes zu
untersuchen, ob sie fest ist.“ – Nun begann er wieder zu steigen und zu
untersuchen, bis er endlich an die letzte Stufe gelangte. Schame war ihm
gefolgt. Hier sahen sie, dass die Treppe mit einer Scheibe endigte, die sich
drehte. „Spring auf die höhere,“ riet ihm Schame, „denn ich
bemerke einen Wurfspieß, den die List der Zauberei hier angebracht.“ Sie
schwangen sich hinüber, setzten ihren Weg fort, und gelangten in ein
geräumiges Vorgemach, welches durch eine gewölbte Kuppel Licht erhält. Hier
blieben sie stehen, und untersuchten und beobachteten alles genau. Endlich
näherten sie sich der Tür eines Gemachs, durch deren Ritze sie ungefähr
hundert bewaffnete schwarze Männer erblickten, und in ihrer Mitte einen
schwarzen Sklaven, der wild wie ein Löwe aussah.