Project Description

873. Nacht

Der König gab hierauf
seine Zustimmung und Jottreb ließ sogleich Baumeister und Feldmesser kommen,
welche den Grund ausgruben und Mauern ausführen ließen, und prachtvolle
Paläste anlegten. Mit dieser Arbeit hörten sie nicht auf, bis der Wesir einst
einer Anzahl Leute seines Volks befahl, die Stadt mit ihren Familien zu
bewohnen. Dies geschah, und ihre Nachkommen leben noch dort bis auf den heutigen
Tag. Dann überlieferte er ihnen eine Schrift und sagte: „Derjenige, der zu
Euch kommt als ein Auswanderer zu diesem Haus, wird Besitzer dieser Stadt
sein.“ Er nannte sie nach seinem Namen Jottreb, und die Schrift vererbte
sich unter den Nachkommen, bis der Gesandte Gottes erschien, als Auswanderer aus
Mekka. Diesem gingen die Einwohner entgegen und überreichten ihm dieselbe. Auch
wurden sie später seine Helfer, die unter dem Namen Anszar bekannt sind. Doch
nun wenden wir uns wieder zum König Seif Sul Jesn. Er war schon mehrere Tage
auf dem Weg nach Abessinien und gelangte endlich an ein schönes fruchtbares
Land, wo er seinem Wesir eröffnete, dass er hier eine Stadt für sein Volk
bauen wolle. Er gab die dazu nötigen Befehle, welche eifrig vollzogen wurden.
Man zog Kanäle, und bepflanzte die Umgegend. Die Stadt wurde Medina al Hamra,
die Rote, genannt. Endlich gelangte die Kunde davon zum König von Abessinien,
mit Namen Seif Arr-ad, Donnerschwert, dessen Hauptstadt Medinat Addur, die
Häuserreihe, genannt wurde. Ein Teil dieser Stadt lag auf dem festen Land, der
andere war in die See gebaut. Dieser Fürst konnte ein Heer von 600000 Mann ins
Feld rücken lassen, und seine Herrschaft erstreckte sich bis an die Grenzen der
damals bekannten Welt. Als ihm die Kunde von Sul Jesns Einfall wurde, ließ er
seine beiden Wesire kommen, wovon der eine Sikra Divas und der andere Arryf
hieß. Dieser letztere war sehr bewandert in den Büchern der Alten, und hatte
darin gefunden, das Gott einen Propheten senden würde, der die Reihen derselben
beschließen sollte. An diesen glaubte er, verbarg es aber vor den Abessiniern,
denn diese beteten noch den Saturn an. Als sie nun vor den König kamen, sagte
er zu ihnen: Seht, wie die Araber eindringen. Ich muss sie bekämpfen.“
Sikra Divas widersetzte sich diesem Vorhaben, weil er befürchtete, dass alsdann
die Drohung Noahs in Erfüllung gehen würde. „Vielmehr würde ich Dir
raten,“ fügte er hinzu, „ihrem König ein Geschenk zu überschicken,
und das schönste Mädchen, welches sich in Deinem Palast befindet, mit zu senden.
Gib ihr aber heimlich Gift mit, und trage ihr auf, wenn sie sich mit dem König
allein befände, ihn zu vergiften. Wenn dieser dann tot ist, so wird sein Heer
ohne Kampf abziehen.“ Der König befolgte diesen Rat. Er ließ die
Geschenke und das schönste Mädchen vor sich bringen, dessen Gesinnung zugleich
als sehr bösartig bekannt war. Sie hieß Kamrye, Mondlicht. Der König sagte zu
ihr: „Ich bin entschlossen, Dich als ein Geschenk abzusenden, welches einen
verborgenen Zweck hat. Ich werde Dir nämlich Gift mitgeben, und wenn der
Fürst, dem ich Dich bestimme, mit Dir allein sein wird, so schütte es in
seinen Becher, damit er es genieße. Sobald er dann gestorben sein wird, werden
seine Truppen uns verlassen.“ – „Sehr wohl, mein Herr,“
antwortete das Mädchen, „ich werde Deinen Willen erfüllen.“ Hierauf
sandte er sie, nebst den Geschenken, mit einem Brief ab, und sie begab sich nach
der Stadt des Sul Jesu. Der Wesir mit Namen Arryf aber war kaum vom König
zurückgekehrt, so schrieb er einen Brief, und befahl einem Sklaven, denselben
an Sul Jesu zu überbringen. „Gibst Du ihn noch vor der Ankunft der Sklavin
ab,“ fügte er hinzu, „So schenke ich Dir die Freiheit.“ Der
Sklave eilte nun zum König der Araber fort, dennoch kamen die Geschenke früher
an, als er. Ein Kammerherr trat zum König und meldete ihm, dass an der Pforte
ein Gesandter mit Geschenken vom König Abessiniens die Erlaubnis einzutreten
erwarte. Sul Jesu gab sogleich Befehl, dass er eingeführt würde, und sofort
wurden ihm die Geschenke nebst dem Mädchen übergeben. Als er sie sah,
erstaunte er über ihre Schönheit, und freute sich außerordentlich. Er befahl,
sie sogleich in sein Schloss zu bringen, und sehr bald hatte sich die Liebe zu
ihr seiner bemächtigt. Eben wollte er die Sitzung aufheben, und sich zu Kamrye
begeben, als der Wesir Jottreb ihn davon abhielt, indem er sagte: „Halt
ein, o König, ich fürchte, dass hinter diesem Geschenk eine List verborgen
ist, denn die Abessinier hassen die Araber sehr, und fürchten doch sie zu
bekriegen, weil sie besorgen, dass die Drohung Noahs in Erfüllung gehen
könnte. Dieser schlief einst, vom Genuss des Weins berauscht, ein. Da
entblößte ihn der Wind, worüber sein Sohn Ham lachte, ohne ihn zu bedecken.
Seth hingegen, sein anderer Sohn, trat hinzu, und bedeckte ihn. Als Noah
erwachte, rief er gegen Ham aus: Gott möge Dein Antlitz schwarz werden lassen!
Zu Seth dagegen sagte er: Möge Gott die Nachkommenschaft Deines Bruders der
Deinigen dienstbar werden lassen bis zum Tage der Auferstehung! Das ist die
Drohung, die sie als Nachkommen Hams fürchten.“ Während der König sich
noch mit seinem Wesir unterhielt, meldete der Kammerherr einen Boten, der einen
Brief überbringe. Er wurde sogleich eingelassen, und übergab den Brief, den
der Wesir Jottreb alsbald las. „Arryf,“ sagte er in demselben:
„Sei auf Deiner Hut vor Kamrye, o König, denn sie hat Gift bei sich, und
ist beauftragt, wenn sie mit Dir allein ist, Dich dadurch zu töten.“ – Nun
brach der König in Lobeserhebungen über den Scharfsinn seines Wesirs aus, und
begab sich augenblicklich mit gezogenem Schwert zu Kamrye. Als er bei ihr
eintrat, erhob sie sich und küsste die Erde. Er aber rief ihr zu: „Du bist
gekommen um mich zu vergiften!“ Bestürzt zog sie das Gift heraus,
überreichte es dem König voll List, und dachte bei sich selbst: Wenn ich ihm
die Wahrheit sage, wird er eine bessere Meinung von mir bekommen, und wenn er
Zutrauen zu mir gewinnt, kann ich ihn noch auf andere Art, als mit diesem Gift
töten. So geschah es auch. Der König liebte sie, gab ihr die Aufsicht über
seinen Palast und seine Sklavinnen, und fühlte sich sehr glücklich durch ihren
Besitz. Aber auch sie verlebte schöne Tage. Der König Seif Arr-ad schickte
indessen sehr oft, und ließ sie fragen, warum sie seinen Auftrag nicht
ausführe? „Warte,“ war stets ihre Antwort, „ich spüre nach
einer Gelegenheit, denn er ist sehr misstrauisch.“