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87. Nacht

„Die Kaufleute, die sich mit mir eingeschifft hatten
und mit mir ans Land gestiegen waren, zerschlugen das Ei mit starken
Axtschlägen und machten eine öffnung, aus welcher sie den Roch stückweise
herausholen und braten ließen. Ich hatte sie ernstlich gewarnt, das Ei nicht
anzurühren, aber sie wollten mich nicht hören. Kaum hatten sie ihr Mahl
beendet, als in der Luft, ziemlich fern von uns, zwei dicke Wolken erschienen.
Der Hauptmann, den ich zur Leitung meines Schiffes in Gold genommen hatte,
wusste aus Erfahrung, was die Wolken zu bedeuten hätten, verkündete, dass es
die Eltern des kleinen Rochs wären und drang in uns, uns auf das schnellste
wieder einzuschiffen, um das Unglück, welches er vorher sah, zu vermeiden. Wir
beeilten uns, seinem Rat zu folgen, und gingen eilig unter Segel.

Inzwischen nahten sich die beiden Roche und stießen ein
schreckliches Geschrei aus, als sie sahen, dass das Ei zerbrochen und ihr Junges
nicht mehr darin war. Sie flogen, in der Absicht sich zu rächen, wieder nach
der Seite, von welcher sie hergekommen waren, und verschwanden uns auf einige
Zeit, während wir mit vollen Segeln uns zu entfernen und das, was nicht
ausblieb, zu vermeiden strebten.

Sie kamen zurück, und wir bemerkten, das jedes von ihnen
in seinen Klauen ein Felsstück von ungeheurer Größe hielt. Als sie gerade
über meinem Schiff waren, hielten sie still, und in der Luft schwebend, ließ
eines von ihnen sein Felsstück fallen, aber durch die Geschicklichkeit des
Steuermanns, der das Schiff durch eine Wendung des Steuerruders ablenkte, fiel
es seitwärts in Meer, welches sich auf eine Weise öffnete, dass wir fast bis
auf seinen Grund sahen, aber der andere Vogel ließ sein Felsstück so genau auf
die Mitte des Schiffes fallen, dass es in tausend Stücke zerschmettert wurde.
Die Matrosen und die Reisenden wurden alle totgeschlagen, oder ins Meer
versenkt. Auch ich sank unter, als ich aber wieder über Wasser kam, hatte ich
das Glück, ein Stück des Wracks zu ergreifen. Indem ich nun bald mit der
einen, bald mit der anderen Hand ruderte, ohne das, woran ich mich hielt,
loszulassen, gelangte ich endlich, bei günstigem Strom und Wind, an eine Insel
mit sehr steilem Ufer. Ich überstieg jedoch diese Schwierigkeit und rettete
mich.

Ich setzte mich in das Gras, um mich ein wenig von meiner
Ermüdung auszuruhen, stand sodann auf und ging landeinwärts, um das Land zu
erkunden. Es kam mir vor, als ob ich in einem köstlichen Garten wäre. überall
sah ich Bäume, teils mit reifen, teils mit unreifen Früchten belastet, und
Bäche von süßem, klaren Wasser, die sich angenehm schlängelten. Ich aß von
den Früchten, die mir trefflich mundeten, und trank von dem Wasser, das mich
zum Trinken einlud.

Als es Nacht geworden war, legte ich mich an einer
ziemlich bequemen Stelle ins Gras, aber ich schlief keine ganze Stunde und mein
Schlaf wurde oft durch den Schreck unterbrochen, mich an einem so einsamen Orte
allein zu sehen. So brachte ich den größten Teil der Nacht damit zu, mich auf
das heftigste zu betrüben und mir die Torheit vorzuwerfen, nicht lieber daheim
geblieben zu sein, als diese letzte Reise unternommen zu haben. Diese
Betrachtungen brachten mich so weit, dass ich einen Anschlag gegen mein eigenes
Leben machte, aber das Tageslicht zerstreute meine Verzweiflung. Ich stand auf
und ging, nicht ohne eigene Furcht, unter den Bäumen umher.

Nachdem ich wieder ein Weilchen landeinwärts gegangen
war, gewahrte ich einen Greis, der mir sehr gebrechlich schien. Er saß am Ufer
des Baches, und meine erste Vermutung war, dass er, gleich mir, Schiffbruch
gelitten hätte. Ich näherte mich ihm und grüßte ihn, worauf er bloß mit dem
Kopf nickte. Ich fragte ihn, was er dort mache, aber anstatt mir zu antworten,
machte er mir bloß ein Zeichen, dass ich ihn auf meine Schulter laden und durch
den Bach tragen solle, in der Absicht, – wie er mir zu verstehen gab, – Früchte
zu pflücken.

Da ich glaubte, dass er dieser meine Dienstleistung
bedürfte, so lud ich ihn auf meinen Rücken und trug ihn durch den Bach.
„Steigt herab,“ – sagte ich hierauf, indem ich mich bückte, ihn auf
die Erde zu helfen. Statt sich aber auf diese niederzulassen, (ich muss noch
immer lachen, wenn ich daran denke), schlang dieser Greis, den ich für so
hinfällig gehalten hatte, seine Beine, – deren Haut, wie ich bemerkte, der
einer Kuh glich, – mit Leichtigkeit um meinen Hals, setzte sich rittlings auf
meine Schultern und presste mir die Gurgel so heftig zusammen, als wollte er
mich erdrosseln. In diesem Augenblick ergriff mich ein so heftiger Schreck, dass
ich in Ohnmacht fiel …“