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865. Nacht

„In dem Zimmer, in dem Du die Nacht mit Deiner Braut
zubringen wirst,“ antwortete er mit gedämpfter Stimme, „ist ein
Gemach, an dessen Türe ein kupferner Ring hängt; unter diesem Ring wirst Du
ein kleines Bund Schlüssel finden, mit deren Hilfe Du die Türe öffnen kannst.
Beim Eintritt in dieses Gemach wirst Du einen eisernen Kasten sehen, auf dessen
vier Ecken vier bezauberte Fähnlein stehen. In diesem Kasten ist ein kupfernes
Becken voll Gold und Edelsteinen. Neben dem Becken liegen elf Schlangen, und in
der Mitte ist ein blendend weißer Hahn befestigt. Zur Seite des Kastens wirst
Du ein Schwert erblicken. Ergreif es, töte den Hahn, zerhau die vier Fähnlein,
stürze den Kasten um und geh dann wieder hinaus zu Deiner Braut. Das ist alles,
was ich verlange für die Dienste, welche ich Dir schon geleistet habe, und
welche ich Dir noch zu leisten gedenke.“

Ich versprach, mich den Wünschen des Affen zu bequemen,
ohne seine Beweggründe durchringen zu wollen.

Am folgenden Morgen begab ich mich nach dem Haus des
Scherifs, und nach den Hochzeitsfeierlichkeiten führte man mich in das Zimmer
meiner Braut. Ich bemerkte hier bald die Türe und den Ring, von welchem der
Affe mir gesagt hatte.

Als ich mich mit meiner Braut allein befand und sie ihren
Schleier ablegte, stand ich stumm vor Erstaunen bei dem Anblick so vieler
vereinter Schönheiten und Vollkommenheiten. Niemals hatte die Natur ein
reizenderes Geschöpf hervorgebracht. Die Regelmäßigkeit ihrer Züge, ihr
Wuchs, ihre Haltung, ihre blühende Farbe, ihr Lächeln, alles machte einen
solchen Eindruck auf mich, dass ich beinahe des Affen und seiner Weisungen
vergaß.

Indessen ließ sich die Stimme der Dankbarkeit doch auch
wieder hören, und ich wollte nicht eher einschlafen, als bis ich die Bitte
meines Wohltäters erfüllt hätte.

Um Mitternacht, als ich meine Gattin fest eingeschlafen
sehe, stehe ich vorsichtig auf, ziehe die Schlüssel unter dem kupfernen Ring
hervor, und nachdem ich das Gemach geöffnet habe, ergreife ich das Schwert,
welches ich vor meinen Füßen finde, töte den Hahn, zerhaue die vier
Zauberfähnlein und stürze den Kasten um.

In diesem Augenblick erwacht meine Gattin, richtet sich
auf, und als sie die Türe offen und den Hahn leblos zu meinen Füßen
hingestreckt sieht, ruft sie aus:

„Großer Gott, so bin ich doch das Schlachtopfer
dieses treulosen Geistes!“

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als der
abtrünnige Geist, welchen sie zu fürchten schien, plötzlich in dem Zimmer
erschien und sie vor meinen Augen entführte.

Mein und meiner Gattin Geschrei erweckte den Scherif, er
trat herein und erriet sogleich die Ursache meines Schreckens, als er seine
Tochter verschwunden und die Türe des Gemaches offen sah.

„Unglücklicher Abu Muhammed,“ rief er aus,
indem er sich die Haare ausriss. „Wehe! Was hast Du getan? Vergiltst Du so
meiner Tochter und mir, dass wir Dich so freundlich aufgenommen haben? Ich
selber hatte diesen Talisman zusammengesetzt und ihn in dieser Kammer
angebracht, um diesen verfluchten Geist an der Ausführung seiner schändlichen
Absichten auf meine Tochter zu verhindern. Seit sechs Jahren hat er vergeblich
Anstrengungen gemacht, sich ihrer zu bemächtigen. Aber jetzt ist es um sie
geschehen, ich habe keine Tochter und keinen Trost mehr auf dieser Welt! …
Darum fort, geh auf der Stelle von hinnen! Denn ich vermag nicht, Deinen Anblick
länger zu ertragen.“