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84. Nacht

„Die Leute, welche den Pfeffer einsammelten, kamen
mir entgegen. Sobald sie mich sahen, fragten sie mich auf arabisch, wer ich
wäre und woher ich käme. Höchst erfreut, sie meine Sprache reden zu hören,
befriedigte ich ihre Neugier, indem ich ihnen erzählte, auf welche Art ich
Schiffbruch gelitten hätte, auf die Insel gekommen und in die Hände der
Schwarzen gefallen wäre.

„Aber diese Schwarzen,“ sagten sie zu mir,
„sind Menschenfresser. Durch welches Wunder seid ihr ihrer Grausamkeit
entgangen?“ Ich erzählte ihnen, was ich euch so eben erzählt habe, und
sie waren nicht wenig darüber verwundert.

Ich blieb bei ihnen, bis sie die gewünschte Menge Pfeffer
zusammengebracht hatten, worauf ich mich mit ihnen auf ihrem Fahrzeug
einschiffte und wir nach der Insel segelten, von woher sie gekommen waren. Sie
stellten mich ihrem König vor, der ein guter Fürst war. Er hatte die Geduld,
die Erzählung meines Abenteuers anzuhören, und sie überraschte ihn. Er ließ
mir hierauf Kleider geben, und befahl, man sollte für mich sorgen.

Die Insel, auf welcher ich mich befand, war sehr
bevölkert, hatte überfluss an allen Arten von Dingen, und in der Stadt, welche
der König bewohnte, wurde großer Handel getrieben. Dieser angenehme
Zufluchtsort fing an, mich über mein Unglück zu trösten, und die Güte des
großmütigen Fürsten für mich, machte meine Zufriedenheit vollkommen. Es
stand in der Tat niemand besser bei ihm, und es gab folglich niemand am Hof und
in der Stadt, der nicht Gelegenheit gesucht hätte, mir Vergnügen zu machen. So
wurde ich also bald mehr wie ein Eingeborener der Insel, als wie ein Fremder
angesehen.

Ich bemerkte etwas mir sehr auffallendes. Alle Leute, der
König selbst, ritten ohne Zaum und ohne Steigbügel. Ich nahm mir die Freiheit,
ihn eines Tages zu befragen, warum Seine Majestät sich dieser Dinge nicht
bediene. Er antwortete mir, dass ich von Dingen spräche, die man in seinen
Staaten nicht kenne.

Ich ging sogleich zu einem Handwerker, ließ bei ihm das
hölzerne Gestell eines Sattels nach einem von mir gemachten Modell verfertigen,
überzog es dann selbst mit Leder, stopfte es mit Haaren aus und zierte es mit
einer goldenen Stickerei. Sodann wandte ich mich an einen Schlosser, der mir
nach einer vorgezeichneten Form ein Gebiss und auch Steigbügel fertigte.

Als diese Sachen in gehörigem Zustande waren, brachte ich
sie zum König und versuchte sie auf einem seiner Pferde. Der Fürst bestieg das
Tier und war so zufrieden mit dieser Erfindung, dass er mir seine Freude durch
große Geschenke bezeigte. Ich konnte mich nicht verwehren, mehrere Sättel für
seine Minister und seine vornehmsten Hausbeamten zu machen, die mich alle so
beschenkten, dass ich in kurzer Zeit reich wurde. Ich fertigte dergleichen auch
für die angesehensten Personen der Stadt, was mich in großen Ruf brachte, und
mir allgemeine Achtung erwarb.

Der König, dem ich sehr pünktlich meinen Hof machte,
sagte eines Tages zu mir: „Sindbad, ich liebe dich und weiß, dass alle
meine Untertanen, die dich kennen, dich nach meinem Beispiel lieben. Ich habe
eine Bitte an dich, die du mir gewähren musst.“ – „Herr,“
erwiderte ich, „es gibt nichts, was ich nicht bereit wäre zu tun, um Euer
Majestät meinen Gehorsam zu bezeigen. Ihr habt ganz und gar über mich zu
gebieten.“ – „Ich will dich verheiraten,“ sagte der König,
„damit diese Heirat dich in meinen Staaten festhalte, und du nicht mehr an
dein Vaterland denkst.“ Da ich dem Willen des Fürsten nicht zu
widerstreben wagte, so gab er mir zur Frau eine edle, schöne, kluge und reiche
Dame seines Hofes. Nach den Hochzeitsfeierlichkeiten zog ich zu der Dame, mit
welcher ich eine Zeitlang in einer vollkommenen Einigkeit lebte. Dessen
ungeachtet war ich mit meinem Zustande unzufrieden, und es war meine Absicht,
mich bei der ersten Gelegenheit davon zu machen, und nach Bagdad heimzukehren,
dessen Andenken meine Lage, so vorteilhaft sie auch war, nicht in mir vertilgen
konnte.

Solche Gesinnungen hegte ich, als die Frau eines meiner
Nachbarn, mit welchem ich einen sehr engen Freundschaftsbund geschlossen hatte,
erkrankte und starb. Ich ging zu ihm, um ihn zu trösten, und fand ihn in die
tiefste Betrübnis versunken. „Gott erhalte euch,“ so redete ich ihn
an, „und schenke euch ein langes Leben.“ – „Ach!“,
entgegnete er, „wie wollt‘ ihr denn, dass mir die Gnade, die ihr mir
wünscht, zu Teil wird? Ich habe nur noch eine Stunde zu leben.“ –
„Oh,“ erwiderte ich, „setzt euch doch keinen so traurigen
Gedanken in den Kopf, ich hoffe, das wird nicht Statt finden und ich werde noch
lange Zeit das Vergnügen haben, euch zu besitzen.“ – „Ich wünsche,
dass euer Leben von langer Dauer sei,“ versetzte er, „was mich
betrifft, so ist’s aus mit mir und ich benachrichtige euch, dass man mich heute
mit meiner Frau begräbt. So will es der von unseren Voreltern auf dieser Insel
eingeführte und unverletzlich beibehaltene Gebrauch. Der lebende Mann wird mit
der toten Frau, die tote Frau mit dem lebenden Mann begraben. Nichts kann mich
retten. Alle Verheiratete sind diesem Gesetz unterworfen1).“

In diesem Augenblick, in welchem er mich von dieser
seltsamen Barbarei unterrichtete, deren Bericht mich grausam erschreckte, kamen
Verwandte, Freunde und Nachbarn insgesamt, um den Leichenbegängnis beizuwohnen.
Man bekleidete die Frau mit ihren reichsten Kleidern, wie an ihrem
Hochzeitstage, und schmückte sie mit allem ihren Geschmeide.

Hierauf hob man sie auf eine offene Bahre und der
Leichenzug begann. Der Mann folgte an der Spitze der Leidtragenden der Leiche
seiner Frau. Man nahm den Weg auf einen hohen Berg, und als man dort angelangt
war, erhob man einen großen Stein, der die öffnung eines tiefen Brunnens
bedeckte, und man ließ die Leich herab, ohne ihr etwas von ihren
Kleidungsstücken oder von ihrem Geschmeide zu nehmen. Hierauf umarmte der Mann
seine Verwandten und Freunde und ließ sich ohne Widerstand auf eine Bahre
setzen, worauf man einen Krug mit Wasser neben ihn stellte, sieben kleine Brote
dazu legte, und ihn sodann auf die gleiche Art wie seine Frau herabließ. Der
sich weit ausdehnende Berg grenzte ans Meer und der Brunnen war sehr tief. Nach
beendigter Feierlichkeit hob man den Stein wieder auf die öffnung.

Es ist wohl unnötig, euch zu sagen, dass ich ein sehr
trauriger Zeuge dieser Leichenfeier war. Alle anderen dabei gegenwärtigen
Personen schienen dagegen kaum gerührt zu werden, weil sie gewohnt waren,
dergleichen oft zu sehen. Ich konnte mich nicht enthalten, dem König meine
Gedanken darüber zu sagen. „Herr,“ sagte ich zu ihm, „ich kann
mich nicht genügsam über den seltsamen, in euren Staaten herrschenden Gebrauch
verwundern, die Lebenden mit den Toten zu begraben! Ich bin weit umhergereist,
ich habe Menschen aus einer Unzahl von Völkern kennen gelernt und niemals von
einem solchen Gesetz reden hören.“ – „Was willst du, Sindbad,“
antwortete mir der König, „es ist ein gemeinsames Gesetz, dem ich selbst
unterworfen bin, und wenn die Königin, meine Gemahlin, früher stirbt als ich:
So werd‘ ich lebendig mit ihr begraben.“ – „Aber, Herr,“
entgegnete ich, „dürft‘ ich Euer Majestät fragen, ob auch die Fremden
verpflichtet sind, diesem Gebrauch zu beobachten.“ – „Ohne
Zweifel,“ versetzte der König, indem er über den Beweggrund der Frage
lachte, „sie sind nicht ausgenommen, sobald sie auf dieser Insel
verheiratet sind.“

Ich ging mit dieser Antwort betrübt nach Hause. Die
Furcht, dass meine Frau eher als ich sterben und man mich mit ihr lebendig
begraben möchte, ließ mich sehr niederschlagende Betrachtungen anstellen. Wie
aber diesem übel abzuhelfen? Ich musste mich in Geduld fassen und in den Willen
Gottes ergeben. Dessen ungeachtet zitterte ich bei der geringsten Unpässlichkeit
meiner Frau. Aber ach! Ich hatte bald den ganzen Schrecken! Sie wurde wirklich
krank und starb in wenigen Tagen …“


1)
Es ist bekannt, dass in Hindostan die Witwen verpflichtet sind, sich mit den
Leichen ihrer Männer verbrennen zu lassen. Der heilige Hieronymus erzählt,
dass die Scythen die Männer mit ihren Frauen begraben.