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816. Nacht

Es war damals Gewohnheit, den Kindern die Namen zu geben,
welche man zufällig aussprechen hörte. Weil nun der Kaufmann gerade damals
jemand auf der Straße „Herr Alaeddin!“ rufen hörte, so sagte er,
sein Sohn sollte Alaeddin heißen. Er gab ihm hierauf den Beinamen Abulschamat
wegen eines Males, welches der Knabe auf jeder Wange hatte.

Der junge Alaeddin kannte während dritthalb Jahren keine
andere Nahrung als die Milch. Er konnte sehr bald gehen und wurde täglich
stärker und kräftiger. Je mehr er gedieh, je mehr besorgte sein Vater, der ein
wenig abergläubisch war, dass ihm irgend ein Unfall zustoßen möchte. Er
fürchtete vor allem für ihn die boshaften Blicke der Neidischen. Um ihn
denselben zu entziehen, beschloss er, ihn in einem unterirdischen Gewölbe
erziehen und ihn nicht eher daraus hervorgehen zu lassen, als bis er völlig
bärtig geworden wäre. Demzufolge übergab er ihn den Händen einer Sklavin und
eines alten Dieners, dem er auftrug, ihn in Obacht zu nehmen, mit ihm zu spielen
und ihm alles Nötige zu leisten.

Als Alaeddin das Alter von sieben Jahren erreicht hatte,
ließ sein Vater ihn beschneiden und einen Lehrer kommen, ihn schreiben zu
lehren, ihm den Koran auszulegen und ihn in die Wissenschaften einzuweihen. Der
junge Alaeddin legte sich in seiner Einsamkeit mit allem Eifer auf die
Wissenschaften und machte große Fortschritte.

Eines Tages aber, als der alte Diener vergessen hatte, die
Türe der unterirdischen Wohnung hinter sich zu verschließen, benutzte Alaeddin
diese Gelegenheit, stieg die Treppe hinauf und trat zufällig in das Zimmer
seiner Mutter, wo gerade eine Gesellschaft der vornehmsten Frauen versammelt
war.

Bei der Erscheinung des Jünglings, der wie ein
berauschter Sklave vorwärts schritt, ließen die Frauen sogleich ihre Schleier
fallen und sagten zu seiner Mutter:

„Wie könnt Ihr, edle Frau, diesen Unverschämten
hier herein treten lassen zum Hohn der Schamhaftigkeit und der geheiligten
Gesetze des Propheten?“

„Edle Frauen,“ antwortete sie, „dieser
junge Mensch ist mein Sohn. Es ist der Sohn meines Mannes Schemseddin,
Vorstehers der Kaufleute dieser Stadt.“

„Aber, edle Frau,“ entgegneten sie, „wir
haben niemals vernommen, dass Ihr Kinder habt.“

„Mein Mann,“ antwortete die Gattin des
Kaufmanns, „hat aus Furcht vor den feindseligen Blicken des Neides ihn
bisher in einem unterirdischen Gemach erziehen lassen, aus welchem er jetzt
eben, ich weiß nicht wie, entschlüpft ist; denn unsere Absicht war, ihn darin
abgesondert zu halten, bis er das männliche Alter erreicht hätte.“

Die Frauen, durch diese Antwort befriedigt, wünschten ihr
von Herzen Glück, ein so schönes Kind zu haben.

Nachdem der Jüngling das Zimmer seiner Mutter wieder
verlassen hatte, trat er in den innern Hof des Hauses, und als er hier mehrere
Sklaven erblickte, die ein Maultier in den Stall führten, fragte er sie, was
dieses für ein Maultier wäre. Einer der Sklaven antwortete, es wäre das
Maultier seines Vaters, auf welchem sie ihn nach seinem Warenlager begleitet
hätten, und welches sie nun wieder in den Stall brächten.

Alaeddin fragte mit Lebhaftigkeit, welches Standes sein
Vater wäre; und als er von demselben Sklaven vernommen hatte, er wäre
Vorsteher der Kaufleute von Kairo, lief er zu seiner Mutter und tat ihr
dieselben Fragen.

„Mein Sohn,“ antwortete sie ihm, „Dein
Vater ist Vorsteher der Kaufleute in Kairo und Oberhaupt der Araber in diesem
Land. An der Spitze seines Warenlagers steht ein Sklave, der ihn nur über den
Preis derjenigen Waren befragt, welche den Wert von tausend Goldstücken
übersteigen. Es steht ihm frei, alle andern, die unter diesem Preis sind, nach
Gutdünken zu verkaufen. Keine fremde Waren, welcher Art sie auch seien, kann in
dieses Land kommen, ohne durch die Hände Deines Vaters zu gehen. Er allein
bestimmt den Vertrieb derselben, und kein Ballen kann ohne seine Erlaubnis aus
dieser Stadt geführt werden. Die Ausdehnung seines Handels und das Vertrauen,
das er sich erworben, haben ihm unermessliche Reichtümer verschafft.“